Wie lässt sich die sino-russische sicherheitspolitische Kooperation seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise charakterisieren? Von Elen Budinova

von Elen Budinova

Als eine bittere geopolitische Konsequenz für Russland nach der Krim-Annexion sowie wegen Moskaus Unterstützung prorussischer Kräfte, die für eine Sezession der ukrainischen östlichen Verwaltungsbezirke Donezk und Lugansk seit 2014 kämpfen, kann das Ende einer zukunftsträchtigen russisch-westlichen Kooperation bezeichnet werden. Die verhängten wirtschaftlichen Sanktionen sowie die völkerrechtliche Kritik an Russlands Außenpolitik in der Ukraine seitens insbesondere der Europäischen Union (EU), die der größte Handelspartner von der Russischen Föderation (RF) noch bleibt, und der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) haben zu der Schwächung der russischen Wirtschaft sowie für Moskau einem sicherheitspolitisch gefährlichen Prozess der Isolation aus westlich geprägten Kooperationsmechanismen beigetragen (vgl. Noesselt 2015: 2f.). Der heutzutage zu beobachtende Tiefpunkt der russisch-westlichen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges korreliert zeitlich mit einem Aufschwung der Kooperation zwischen Russland und China, das auf die proklamierte russische Wende nach Asien mit einer Bereitschaft der Festigung der Beziehungen zu Moskau reagiert und sich der Kritik an Kremls Politik in der Ukraine öffentlich enthalten hat (vgl.: ebd.).

Seit der Inauguration vom chinesischen Präsidenten Xi Jingping in 2013 artikuliert die Regierung in Peking ihre geopolitische Ansprüche bei Territorialkonflikten mit anderen Anliegerstaaten im Südchinesischen Meer sowie mit Japan um die Senkaku- (auf Chinesisch: Diyao) Inseln auch anhand hard-power Demonstrationen (vgl. Baohui 2014: 76f.). Diese Willenskraft der Volksrepublik China (VRC) zu Machtprojektion wird von der amerikanischen Regierung, die ihre eigene geopolitische Wende nach Asien-Pazifik heutzutage betreibt, zunehmend mit Besorgnis betrachtet. Dabei werden Prognosen über einen von den chinesischen politischen Eliten traditionell vertretenen friedlichen Großmacht-Aufstieg vermehrt als unrealistisch kritisiert (vgl. ebd: 75). Der Ukraine-Konflikt hat China die Chance eröffnet, die sicherheitspolitisch wichtige Kooperation im militärischen und Energiesicherheitsbereich mit der RF intensiver aufzubauen, da Russland auf eine Neuorientierung weg von den blockierten Investitionsquellen sowie Energieabsatzmärkten angewiesen ist, und eine Partnerschaftsalternative braucht, um destabilisierenden Faktoren nach dem Bruch der Beziehungen mit dem Westen entgegenzuwirken.

Welches Potential hat aber der sino-russische sicherheitspolitische Schulterschuss seit der Ukraine-Krise, die als ein induzierender Faktor bei der Betrachtung der Annäherung zwischen Moskau und Peking in vorliegender Arbeit untersucht wird? Diese Fragestellung von hoher aktueller politischer Relevanz steht im Forschungsfokus der Analyse, welche sich auf den Charakter der sino-russischen Beziehungen konzentriert.

Dabei wird zuerst die Gegenüberstellung zu westlichem Führungsanspruch als gemeinsames Ziel analytisch überprüft. Zweitens richtet sich der Forschungsvorgang auf die sich als sicherheitspolitisch bedeutende Indikatoren in der Analyse herauskristallisierenden bilateralen militärischen sowie Energiebeziehungen. Drittens werden die Grenzen und Chancen des Ausbaus der sino-russischen Koordination von regionalen Hegemonieambitionen in Zentralasien herausgestellt. Die Möglichkeit des Ausbruchs einer offenen geopolitischen Konkurrenz in dieser Region wird als potentielles Hindernis der Festigung der Partnerschaft untersucht.

Alle von den oben aufgelisteten Einflussfaktoren auf die sicherheitspolitische Kooperation zwischen der VRC und der RF werden aus den Perspektiven des Neorealismus sowie des Neoliberalen Institutionalismus in zwei Inhaltsblöcken analysiert und danach erfolgt eine vergleichende Erforschung der Untersuchungsergebnisse. Die Wahl genau dieser Theorien für das methodologisch-vergleichende Vorgehen ist dadurch begründet, dass sie sich bezüglich der für die fallorientierte Untersuchung relevanten Operationalisierung des Kooperationsbegriffs unterscheiden (vgl. Keohane 1984: 9; vgl. auch: Grieco 1988: 117f.). Der Neorealismus geht von einer relativen Gewinn-Kalkulation in zwischenstaatlichen Beziehungen aus, wobei die eigenen Profitindikatoren nur im Vergleich zu dem Verlieren der anderen Seite evaluiert sind und Kooperation eher als ein kurzfristiges Balanceakt zu der gemeinsamen sicherheitspolitischen Bedrohung seitens einer dritten starken Macht bezeichnet wird (vgl. Mearsheimer 2001: 33f). Der Neoliberale Institutionalismus betont eine positive Funktion von Kooperationsmechanismen als Stärkung des gegenseitigen Vertrauens, die eine Orientierung an absoluten Gewinnen in win-win Situationen impliziert (vgl. Keohane 1993: 276f).

Die Analyse erzielt jedoch keine deterministischen Schlussfolgerungen zu ziehen, welche die komplexe Vielfältigkeit möglicher Blickwinkeln auf die Charakterisierung sino-russischer Kooperation nicht zu Recht widerspiegeln würden. Der Forschungszweck ist die kritische Auseinandersetzung mit der Reichweite der Aussagekraft der beiden Theorien, um die empirischen Ergebnisse von der beobachteten Annäherung zwischen Moskau und Peking seit der Ukraine-Krise aus diesen zwei analytischen Perspektiven interpretieren zu können.

Elen Budinova: Wie lässt sich die sino-russische sicherheitspolitische Kooperation seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise charakterisieren?

Polen vor einer Bewährungsprobe

(Alexander Jan Astapczyk)

Vor kurzem durfte Beata Szydło, polnische Ministerpräsidentin der PIS-Partei mit absoluter Parlamentsmehrheit, auf ihre ersten 100 Tage in diesem Amt zurückblicken. Ob Szydło die verabschiedeten Gesetze, Regierungsvorhaben und entstandenen Spannungen in der Zivilgesellschaft ebenso wahrnimmt wie viele ihrer Landleute, darf dabei bezweifelt werden.

Ein wohl beispielloses Tempo hinsichtlich der Verschiebungen der Machtstrukturen zeichnet die ersten Monate ihrer Amtszeit ebenso aus, wie die bewusst lancierten Beschwichtigungen, dass die aktuellen politischen Geschehnisse sich absolut im Bereich dessen bewegen, was die polnische Verfassung sowie europäisches Recht als legitim ausweisen.

Die praktische Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts sowie der verstärkte Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien stellen gerade für Europäer_Innen, die außerhalb Polens leben die wohl einschlägigsten Beispiele in jüngster Zeit für die Berichterstattung über Geschehnisse in Polen in den eigenen Medien dar.

Dass sich auch die Vorgängerregierungen unter der heute oppositionellen PO-Partei an diesen beiden, für die polnische wie auch andere Demokratien unabdingbaren Grundpfeilern versucht hat, wird bei den aktuellen Diskussionen und Konfrontationen mit Polen, die sich der PIS-Doktrin gegenüber verpflichtet fühlen, immer gerne aufgeführt. Eine andere politische Agenda hinsichtlich der EU und den anderen Mitgliedsstaaten mag dabei wohl auch für die wenig vorhandene bzw. beachtete Berichterstattung im Ausland verantwortliche gewesen sein. Nichtsdestotrotz ist das Verhalten der Vorgängerregierungen in keiner Weise mit dem jetzigen Verhalten der PIS-Regierung gleichzusetzen. So wurde gerade hinsichtlich des Verfassungsgerichts dessen Unabhängigkeit gegenüber Regierung und Parlament bewahrt.

Ganz anders verhält es sich bei dem jetzigen politischen wie auch juristischen Schlagabtausch zwischen dem Verfassungsgericht und der polnischen Regierung. Neben den Diskussionen um die Einleitung des Rechtsstaatsmechanismus durch die EU wurden vergangene Woche ebenfalls die Vorgänge durch die vom Europarat eingesetzte Venedig-Kommission kritisiert. Ausgangspunkt der dortigen Kritik sind vor allem die verabschiedeten Verfahrensregeln des Verfassungsgerichts, die eine nachhaltige Lähmung verursachen.

Inwiefern der Schlagabtausch letztlich ein zufriedenstellendes Ergebnis hervorrufen kann, wird abzuwarten sein. Der Verstoß der Verfassung durch die beschlossenen Gesetze, die das Verfassungsgericht betrafen und die vom Verfassungsgericht vergangene Woche zurückgewiesen worden sind, werden von der Regierung weiterhin als illegitim nach den neuen Gesetzen und somit als widerrechtlich betrachtet.

Das Jarosław Kaczyński, als eigentlicher Urheber der verabschiedeten kontroversen Gesetze der vergangen Monate, der größte Gewinner dieser Staatskrise ist, wird wohl nicht bestritten werden können. Als einfacher Abgeordneter, hat er sich als Strippenzieher im Hintergrund zur mächtigsten Person Polens instrumentalisiert, die jede wichtige Personalie als auch Entscheidung der polnischen Regierung als auch derer absoluten Parlamentsmehrheit zu beeinflussen weiß. Nach dem großen Einfluss, die er nun noch auf die öffentlich-rechtlichen Medien aufzuweisen hat, wird die weitere Entwicklung um die Rolle des Verfassungsgerichts mehr denn je gespannt zu verfolgen sein.

Abzuwarten bleibt dabei vor allem, ob er tatsächlich einen Teil der parlamentarischen Opposition einspannen wird, um eine Verfassungsänderung und einen Kompromiss zu erzielen, der die PIS-Partei gegebenenfalls als Lösung und nicht ihr Handeln als Ursache der Krise inszenieren könnte.

Die polnische Ministerpräsidentin hat bei jeder der vergangenen, größeren Demonstrationen die das Bürgerkomitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) initialisiert hat bewusst betont, dass die Demokratie nicht gefährdet sei und jeder Pole und jede Polin von Ihrem Recht zur Demonstration Gebrauch machen könne.

Gerade solche Beschwichtigungsversuche von PIS-Befürworter_Innen könnten den vermeintlich größten Schaden hervorrufen. Polen wird sich damit auseinandersetzen müssen, dass selbst eine theoretische Einschränkung demokratischer Grundideen und Ideale einen realen Charakter aufweist, der jederzeit in ein reales Handeln durch die Staatsgewalt umschwenken kann. Die Gewaltenteilung in einer demokratischen Gesellschaft stellt eine unabdingbare Grundvoraussetzung dar.

Die anderen Europäischen Staaten sollten die Geschehnisse in Polen kritisch und konstruktiv betrachten und sich auch offene Kritik nicht verbieten lassen. Das Rollenbild, dessen sich viele Rhetoriker_Innen aus Regierungskreisen bedienen, wonach Kritik von anderen europäischen Staaten als Angriff auf die polnische Unabhängigkeit zu werten ist, sollte nicht unnötigerweise Vorschub geleistet werden. Nichtsdestotrotz ist es für viele Menschen in Polen ein Trost und eine Stütze, dass sie mit ihren Protesten gegenüber der Regierung nicht alleine stehen. Eine Gradwanderung zwischen konstruktivem Begleiten und Ermahnen gegenüber einem erhobenen Zeigefinger wird dabei allerdings im Interesse der gemeinsamen Vorstellungen und Interessensbekundungen stets zu beachten sein.

Präsidentschaftswahl in Belarus 2015

Liebe Mitglieder des AKs Osteuropa,

am 11. Oktober 2015 finden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Der jetzige Amtsinhaber Aljaksandr Lukaschenka gilt als klarer Favorit (seit 1994 im Amt) und ist neben Wladimir Lenin einer der größten Nationalhelden.

Leninstatue in Pinsk, Belarus

Susanne Maslanka befindet sich im Moment in Belarus, um gemeinsam mit einem Team aus Pol_innen, Belarusinnen und Deutschen über die Präsidentschaftswahl 2015 zu berichten. Dazu wurde eine Homepage eingerichtet, die Ihr sehr gerne besuchen könnt:

http://belarus-votes.org/

Die aktuellsten Informationen werden auch über Twitter veröffentlicht:

https://twitter.com/BelarusVotes

Wir freuen uns über Ihr Interesse!

Sammelband „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“ erschienen!

(Galyna Spodarets)

Ende Mai 2014 unternahm der AK Osteuropa eine Informationsreise in die Ukraine. Die Eindrücke von der Reise nach Kiew und Lwiw waren Anlass, sich näher mit den Hintergründen des aktuellen Konflikts, aber auch mit dem Land an sich auseinanderzusetzen.

Mitglieder des AK Osteuropa bei der EU-Delegation in Kiew Mai 2014
Mitglieder des AK Osteuropa bei der EU-Delegation in Kiew Mai 2014

Auf einem AutorInnen-Workshop im Oktober 2014 kristallisierte sich der übergreifende Begriff der ,Krise‘ heraus, der eine thematische Vielfalt von der aktuellen ,Ukraine-Krise‘ bis hin zu individuellen Krisenverständnissen abdecken sollte. Entstanden ist eine Sammlung von Beiträgen, die von völkerrechtlichen Überlegungen zur sog. ‚Krim-Krise‘ über soziologische Betrachtungen zum Wandel politischer Einstellungen in der Ukraine bis hin zu Analysen von Krisenmigration und literarischen Selbstdarstellungen reicht.

TeilnehmerInnen des AutorInnen-Workshops Oktober 2014
TeilnehmerInnen des AutorInnen-Workshops in Bonn       Oktober 2014

Was zeichnet diesen Sammelband aus?

  1. Die Ukraine selbst und ihre (innen-/außen-)politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und identitätsspezifischen Probleme stehen im Vordergrund der Analysen. Die Distanzierung vom ‚geopolitischen Fatalismus‘ und Hinwendung zu bisher unterbeleuchteten Ukraine-bezogenen Themen gibt dem Leser einen holistischen Überblick über die vielfältigen Krisen eines Landes im Umbruch.
  2. Dank der interdisziplinären Herangehensweise und theoretischen Vielfalt leistet dieser Sammelband einen mehrdimensionalen Beitrag zum Verständnis der komplexen gesellschaftspolitischen Zusammenhänge in der Ukraine.
  3. Die individuelle Definition des Analysegegenstandes (‚Krise‘) erlaubt nicht nur eine auf die aktuellen Umbrüche beschränkte Analyse, sondern auch die Identifikation und Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Ereignissen im Jahr 2014 und bereits bestehenden Krisen.
  4. Gerade wegen der sich überschlagenden Ereignisse hatten die AutorInnen die Absicht, sich nicht auf eine kommentierende, journalistische oder politikberatende, also rein anlassbezogene Herangehensweise zu beschränken, sondern vielmehr wissenschaftliche Hintergrundanalysen vorzustellen.
  5. Durch die Zusammenarbeit mit etablierten WissenschaftlerInnen und akademischem Nachwuchs (Studierende, Promovierende) hat dieser Sammelband durch die Synergie von verschiedenen Perspektiven profitiert.
Umschlag des Sammelbandes „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“
Umschlag des Sammelbandes „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“

Wir danken dem AK Osteuropa, dem Organisationsteam der Auslandsreise, den Referenten des Workshops, den AutorInnen des Sammelbandes und den HerausgeberInnen der Impulse-Reihe für die tatkräftige Unterstützung.

Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn dieser Sammelband auf euer Interesse stößt und euch bei der Auseinandersetzung mit dem brennenden Thema weiterhilft. Die bibliographischen Angaben findet ihr unter folgendem Link:

http://www.wvberlin.com/programm/shop/einzelansicht/aktuell/ukraine-krisen-perspektiven/8a2a124d54f0d7aa64dfcded09083fb6/