Bitola – Seelenruhe bei der Kebapzubereitung

Nach dem spannenden Gespräch mit Botschafterin Gudrun Steinacker führte uns der Weg nach Struga. Geplant war von Beginn an ein Zwischenstopp in der mit etwa 75.000 (Großraum 86.000) Einwohnern zweitgrößten Stadt Mazedoniens – Bitola.

Bitola ist eine Stadt mit großer mazedonischer Mehrheit (fast 70.000). Albaner sind hier mit etwa 2.500 Bewohnern klar in der Minderheit. Zu erklären ist dies auch dadurch, dass die Stadt in den 2001 ausgebrochenen Konflikt zwischen beider Ethnien hineingezogen wurde. Nach einem tödlichen Anschlag auf mazedonische Soldaten durch die UCK griffen damals Mazedonier albanische Geschäfte und Moscheen an. Die Albaner reagierten daraufhin überwiegend mit dem Verlassen der Stadt.

Bitola ist ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Mazedoniens, was schon bei der Anfahrt durch die vergleichsweise hohe Dichte an Industriebetrieben und Gewerbegebieten sichtbar wird. Insbesondere das ansässige Kohlekraftwerk ist ein wichtiger Arbeitgeber und produziert 80% des gesamten mazedonischen Energiebedarfs. Doch auch Handwerk, Landwirtschaft und Tourismus sind nicht zu vernachlässigende Standortfaktoren der Stadt.

Aufgrund von Zeitmangel war lediglich ein etwa halbstündiger Halt möglich, weswegen sich dieser Bericht auf Eindrücke von dem Leben in Bitola beschränkt und weniger auf die berühmten katholischen und orthodoxen Kirchen sowie Moscheen. Bei dem Weg durch die Fußgängerzone reiht sich Café an Restaurant und man wird das Gefühl nicht los, weniger in Mazedonien als in einer beliebten italienischen Bergstadt zu sein. Nicht zuletzt liegt dies daran, dass die besagten Cafés und Straßen überfüllt sind mit Menschen aus Bitola und Umgebung.

Die Atmosphäre der Stadt lässt sich am ehesten durch eine Anekdote veranschaulichen. So verfügten drei Stipendiaten nur noch über 10 Minuten für einen Snack bis zur Weiterfahrt (man erinnere an den Zeitmangel!). Ein „Fast-Food“ Kebap erschien als schnelle und kostengünstige Alternative zu den übrigen Restaurants. Auf die Frage, ob die Mahlzeit innerhalb von 10 Minuten fertig sein könne, wurde wie selbstverständlich mit dem Kopf genickt. In aller Seelenruhe wurde jedoch jetzt erst das Mehl herbeigeschafft, um in Ruhe das Brot zu backen. Auch das Fleisch wurde nicht, wie man es vielleicht gewohnt ist, vom Spieß geschnitten, sondern eher abgekratzt und in Seelenruhe weitergebraten. Nach schätzungsweise 20 Minuten Zubereitung blieb den Dreien nur noch ein Sprint zum Bus, in welchem der dennoch köstliche Snack verzehrt werden konnte.

Vielleicht ist es gerade diese Ruhe, die Bitola so besonders macht. Man kann sich nur wünschen, dass sich auch das Verhältnis von Mazedoniern und Albanern in Bitola der Kebapzubereitung angleicht – entspannt, heiter und schmackhaft.

Krusevo

(Christopher Forst)

Das unweit von Prilep in südlicher Richtung gelegene Krusevo war einst eine Republik. Der Ilinden-Aufstand gegen die Osmanen im Jahr 1903 wurde jedoch schnell niedergeschlagen und die Stadt verlor ihre Sonderstellung schon nach zehn Tagen wieder. Am 2. August feiert ganz Mazedonien den Ilinden-Tag, der eigentlich der Tag des heiligen Ilja ist, aber seit 1903 eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.

Das Makedonium in Krusevo. Bild: Kristin Kretzschmar

Ein Museum und ein Denkmal erinnern heute an die „Republik Krusevo“ und die Opfer des Ilinden-Aufstands. Die Architektur des Denkmals ist jedoch sehr zweifelhaft. Das „Makedonium“ soll auch eine positive Zukunft betonen. Eine positive Zukunft ganz Jugoslawiens, wurde es doch unter Tito erbaut. Es erinnerte uns stark an das Brüsseler Atomium, ist jedoch deutlich kleiner und weniger spektakulär.

Der Ausblick von unserem Hotelbalkon auf die höchste Kleinstadt Mazedoniens gehört hingegen mit zu den schönsten Impressionen, die wir in Mazedonien erleben dürften. Auf keinen Fall sollte man verpassen, einen Sonnenaufgang in Krusevo zu erleben! Für die besonders schöne Bauweise in Krusevo gibt es sogar einen eigenen Begriff. „Krusevo-Villen“ säumen das Stadtbild. Ihre roten Dächer üben eine eigenartige Faszination aus. Titos Zerstörungswut hat nicht verhindern können, dass die Stadt bis heute einen besonderen Charme bewahrt hat.

Bilck auf Krusevo. Bild: Christopher Forst

Auch Tose Proeski hat die Stadt ins Blickfeld rücken lassen, wenn auch auf tragische Weise. Der aus Krusevo stammende balkanweit beliebte Sänger starb 2007 im Alter von nur 26 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Seine Geschichte ist in Krusevo allgegenwärtig. Sein Grab sowie ein Museum zu seinen Ehren befinden sich am Fuße des Makedoniums.

Generell ist in der Kleinstadt in den letzten Jahren viel geschehen, um auch für den Tourismus interessant zu sein. Das Nachtleben ist erstaunlich lebendig und die frische Bergluft macht Krusevo zum echten Geheimtipp für Individualurlauber. Krusevo verfügt über vier sehenswerte orthodoxe Kirchen. Unter den rund 5000 Einwohnern sind die Wlachen die größte Minderheit. Krusevo gilt als Zentrum der Wlachen in Mazedonien. Sie gelten als besonders gut integriert in die mazedonisch-orthodoxe Gesellschaft.

Besuch der multiethnischen Nicht-Regierungsorganisation Centre for Social Initiatives NADEZ

(Jana Hartmann)

Shuto ist die größte Roma-Siedlung der Welt und wir trafen dort Klara Misel Ilieva, die Projektleiterin der Nicht-Regierungsorganisation C.S.I. NADEZ, die uns von ihrem Projekt und der Siedlung berichtete. Außerdem war Kristian Cierpka dabei, der seit kurzem beim Projekt mitarbeitet und auf diese Weise sein Freiwilliges Soziales Jahr im Rahmen des Projektes Schüler helfen Leben macht. Die Organisation beschäftigt 4-5 hauptamtliche Kräfte und zwei Personen in Teilzeit. Außerdem arbeiten immer wieder Freiwillige mit.

Bibliothek und Raum für Schülerbetreuung bei NADEZ. Bild: Michael Meissner

Der Fokus der Organisation liegt auf der Arbeit mit Kindern und dementsprechend erfahren wir über ihre Situation auch am meisten. In den Schulen zeigen sich viele der interethnischen Konflikte des Landes sehr deutlich und die Lage der Kinder kann als Ausblick auf das gesehen werden, was im kommenden Jahrzehnt Mazedoniens junge Gegenwart sein wird. Die Situation der Roma ist durch ihren Status als eine der ethnischen Minderheiten des Landes besonders schwierig. Es gibt verschiedene Probleme, die sich im Leben in Shuto zeigen – das größte ist Klara Misel Ilieva zufolge, dass der Analphabetismus weit verbreitet ist. Der Analphabetismus ist leider selbst unter den Schulkindern nicht ungewöhnlich, obwohl sie in der Schule natürlich eigentlich Lesen und Schreiben lernen müssten. Doch die Kinder stehen vor der Schwierigkeit, dass sie zuhause Roma sprechen und in der Schule dann auf Mazedonisch unterrichtet werden, sie also schon bei der absoluten Grundlegung von Bildung nicht in ihrer Muttersprache lernen. Da im mazedonischen Schulsystem niemand sitzenbleiben kann, werden einmal entstandene Lücken immer größer, ohne dass sich die Chance bietet, den nicht verstandenen Stoff nachzuholen. Die Schulen sind außerdem entweder nach Ethnien getrennt, oder der Unterricht findet in Schichten statt, so dass selbst eine Schule, die sich multiethnisch nennt, so gestaltet ist, dass sich die Kinder nicht interethnisch begegnen. Klara Misel Ilieva sagt dazu, dass auch die Vorstellungen der Eltern problematisch sind, da diese es lieber haben, wenn ihre Kinder in einer reinen Roma-Schule unterrichtet werden.

NADEZ verfolgt immer wieder Projekte, um die Kinder besonders in ihrer Schullaufbahn zu unterstützen. Aktuell werden beispielsweise die Schulmaterialien der Kinder bezahlt, die sie neben den Schulbüchern brauchen (die alle Kinder gestellt bekommen). Außerdem bekommen sie ein Frühstück bezahlt, weil sie ansonsten neben den übrigen Kindern sitzen und denen beim Essen zugucken würden. Es können maximal 60 Kinder unterstützt werden. Da aber nicht immer alle kommen, kann es auch sein, dass Kinder, die nicht in die Gruppe der ausgewählten 60 gehören, am Essen teilnehmen. Durch die geringen finanziellen Mittel, die der Organisation zur Verfügung stehen, ist eine derartige Einschränkung notwendig. Es ist allerdings nicht immer ganz einfach, den Leuten zu erklären, welche Kinder in das Projekt aufgenommen worden sind und welche nicht. In den Räumlichkeiten der Organisation wird die Möglichkeit gegeben, die Schularbeiten zu machen und ältere SchülerInnen geben den jüngeren Nachhilfe. Darüber hinaus fließen auch humanitäre Hilfsgelder in die Arbeit, mit denen die Kinder unterstützt werden – konkret kann das heißen, dass sie Schuhe und warme Kleider bekommen, denn im Winter ist es so kalt, dass die Kinder mit der Kleidung, die sie sonst hätten (oder besser: nicht hätten), den Weg zur Schule überhaupt nicht bewältigen könnten. Leider endet das aktuelle Projekt im kommenden Februar, da sich dann die Mittel erschöpft haben werden. Besonders ungünstig ist, dass das mitten im Schuljahr sein wird, so dass man sich natürlich bemüht, neue Geldgeber zu finden. Die Finanzierung der Arbeit in Shuto wird generell im Winter schwieriger, weil sich durch das Wetter die Kosten stark erhöhen – die Räume müssen beheizt werden und es gibt kein fließendes Wasser, weil der Wasserdruck nicht stark genug ist, um es auf den Berg zu pumpen, auf dem das Gelände von NADEZ liegt.

Die Ursprungsidee des Projektes war es, sich um die Kinder zu kümmern. Doch sehr bald wurde klar, dass man sich auch um die Eltern kümmern muss, wenn man möchte, dass sich für die Kinder etwas verändert. Man begann also damit, Vermittler einzusetzen, die den Eltern erst einmal das Schulsystem erklärten, damit diese überhaupt wissen, wie das Schulleben ihrer Kinder aussieht bzw. aussehen sollte. Außerdem wurde versucht, die Eltern in die Schulbeiräte zu bringen, doch selbst, wenn sie drin waren, sind sie im allgemeinen nicht zu den Treffen gegangen.

Für dieses Projekt wurden 377 Familien ausgewählt, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wie Klara Misel Ilieva sagte und bei ihnen die Eltern umfangreich informiert. Dafür hat man Leute kommen lassen, die ihnen alles auf Roma erklären. Klara Misel Ilievas Fazit ist, dass man froh sein kann, wenn sich bei zehn Familien etwas ändert. Doch sie meint auch, dass man bei den Eltern, die wirklich aufgepasst haben, auch Erfolge sieht. Kinder, die regelmäßig zur Schule gehen, schaffen dann manchmal auch die Oberstufe. Aber ein weiteres Problem ist, dass die Mädchen sehr früh verheiratet werden (in der Regel, sobald sie das erste Mal ihre Periode bekommen haben) und sobald sie verheiratet sind, gehen sie nicht mehr zur Schule. Es kommt auch vor, dass die Mädchen verkauft werden (als typische Verkaufssumme werden 3000 Euro genannt). In den Familien ist es häufig üblich, dass nur eine ganz basale Schulbildung wichtig ist, danach geht es darum, Sozialhilfe zu bekommen. Häufig müssen die Kinder auch Plastik sammeln, oder Eisen. Inzwischen ist das Betteln der Kinder verboten, was tatsächlich dazu führt, dass nicht mehr so viele von ihnen auf der Straße sind. Denn die Strafen sind hart und es kann passieren, dass die Kinder den Eltern weggenommen werden, wenn man sie beim Betteln erwischt. Diese Regelung bezieht sich allerdings auf Schulkinder und so kommt es immer noch vor, dass Babys regelrecht gemietet werden, um mit ihnen auf der Straße zu betteln.

Teilweise wurde es als Job verstanden, ins westeuropäische Ausland zu gehen, um dort Asyl zu beantragen. Ziel war dann nicht, wirklich dort zu leben, weil man sich darüber bewusst war, dass der Antrag auf Asyl abgelehnt wird. Aber da es so etwas wie Rückwanderungsprämien gab, also Geld gezahlt wurde, wenn die Familien freiwillig wieder in das Land zurückkehrten, aus dem sie gekommen waren, sahen einige Roma das immer wieder als gute Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Häufig wurde dann auch die Auswanderung in ein weiteres Land begonnen, so dass es einen Wechsel von Mazedonien in Länder wie beispielsweise Frankreich, Deutschland oder die Niederlande gab, nur, um von dort mit der Rückwanderungsprämie wieder zurückzukehren.

Die Siedlung von Shuto ist so groß, dass man sie für das tägliche Leben nicht verlassen muss – alle notwendigen Läden, Einrichtungen oder Dienstleistungen finden sich dort, so dass die Menschen im großen und ganzen dort und unter sich bleiben. Diese (Selbst-)Beschränkung führt dazu, dass auch die Mazedonier der übrigen Stadtbezirke überhaupt kein realistisches Bild von den Roma haben, das durch konkrete Begegnungen entstehen würde. Dementsprechend sind es stereotype Vorstellungen, die verbreitet sind, was Klara Misel Ilieva zufolge auch dazu führe, dass die Probleme in Shuto marginalisiert werden. Sie berichtete außerdem, dass es in Gegenden, in denen mehr Mazedonier der albanischen Minderheit leben (wie beispielsweise in Tetovo), für Roma einfacher ist. Gleichzeitig betonte sie aber auch, dass dort, wo insgesamt eine starke Durchmischung der Ethnien herrscht und Serben, Bosnier, Roma, Albaner und Mazedonier wohnen, das Zusammenleben sehr gut funktioniert. Die größten Probleme sind wohl soziale Probleme. Wir erfuhren, dass die Sozialhilfe nach drei Jahren jährlich um 20 Prozent gekürzt wird. Außerdem ist es sehr schwierig, sich durch die bürokratischen Anforderungen zu kämpfen, wenn man weder richtig lesen noch ordentlich schreiben kann. 11 Länder haben ein ‚Roma-Abkommen‘ unterzeichnet, demzufolge man sich besonders um die Unterbringung, Gesundheit, Bildung und die Verbesserung der Infrastruktur kümmern will. Klara Misel Ilieva erzählte, dass man in Mazedonien im Bereich der Bildung am besten abschneidet, doch in ihren Augen liegt das nur am Vergleich der Zahlen – zu den Besten werden sie also nur in Relation zu Ländern, in denen es noch schlechter aussieht, zufrieden könne man mit dieser Situation nicht sein – so Klara Misel Ilieva.

Für die medizinische Versorgung ist zwar grundsätzlich gesorgt, aber dennoch ist es nicht so, dass der Zugang für die Roma leicht wäre. Es gibt eine Poliklinik in Shuto und es gilt das Hausarztmodell, nach dem alle erst einmal zu ihrem Hausarzt müssen, damit dieser sie je nach Fall an Spezialisten weiter überweist. Für die Roma ist das schwierig, weil der Besuch beim Hausarzt zwar gratis ist, alle weiteren Untersuchungen aber Geld kosten. Im Übrigen sind dafür häufig Busfahrten nötig, die auch nicht alle bezahlen können. Für schwerwiegendere Erkrankungen kann man einmal im Jahr eine staatliche Unterstützung beantragen, doch diese ist nicht sehr hoch. Viele der Menschen sind nicht einmal gegen Krankheiten wie Tetanus oder Diphterie geimpft. Angesichts der Tatsache, dass es auch Familien gibt, die genaugenommen zwischen den Müllbergen leben, ist ihr Risiko, ernsthaft krank zu werden, besonders hoch.

Nach dem Gespräch machte Kristian eine Führung über das Gelände und eine kurze Tour durch die Nachbarschaft. Was sofort auffällt sind die Spielgeräte und die bunte Bemalung an den Häusern – das Ergebnis eines Projektes der Freien Waldorfschule Fildern, deren SchülerInnen im Sommer den Spielplatz angelegt und mit den Kindern alles neu gestaltet hatten. Wir besichtigten außerdem noch eine Art Baracke, in der die zu verteilende Kleidung gesammelt wird und bemalte Glasgefäße aufbewahrt werden. Diese sind Teil eines weiteren Projekts, mit dem versucht wird, den Romafrauen Möglichkeiten der Unabhängigkeit aufzuzeigen: Sie lernen, Glas zu bemalen oder Schmuck herzustellen und bekommen dafür auch das Material gestellt. Wenn sie die produzierten Stücke verkaufen, sollen sie sich von dem Geld neue Materialien kaufen. Wichtig ist dabei, den Umgang mit Geld zu üben, der an einer langfristigen Perspektive orientiert ist – es ist eben notwendig, das Geld in neues Material zu investieren, um wirklich dauerhaft Einnahmen haben zu können, immer wieder wird das einmal verdiente Geld aber anders ausgegeben, was dazu führt, dass ein Fortsetzen der Produktion nicht mehr möglich ist.

Zwei Jungen spielen mit einem Plastikband. Bild: Jana Hartmann

So wie während unseres Gesprächs im Nachbarraum Kinder an ihren Schulaufgaben gesessen hatten, sehen wir auch hier draußen Kinder, vor allem im Grundschulalter. Sie wirken alle sehr fröhlich und offen, sprechen uns immer wieder an, teilweise sogar mit deutschen Worten. Deutlich wird aber auch, dass sie offensichtlich in bescheidenen Verhältnissen leben. Die beiden Jungen, die zu Beginn unseres Rundgangs mit einem Plastikband spielten, sahen wir später Flaschen sammeln. Die Menschen, an deren Häusern wir vorbeigingen, reagierten freundlich und von dem Risiko, beispielsweise beraubt zu werden, war eigentlich nichts zu spüren. Da wir eindeutig als Gruppe von Ausländern zu identifizieren sind, erregen wir immer Aufmerksamkeit, stießen aber nicht auf Ablehnung. Als wir zum Bus zurückkehrten, winkten uns Mädchen immer wieder von ihren Spielgeräten aus zu. Der direkte Austausch mit den Kindern war also sehr gering, aber offensichtlich war, dass man sich wechselseitig freut, sich zu sehen.

 

 

 

 

Tetovo

(Christopher Forst)

Tetovo, Zentrum der albanischen Minderheit, gehört mit ungefähr 60000 Einwohnern zu den größten Städten des Landes. In der ca. 40 Minuten westlich von Skopje gelegenen Stadt haben die beiden albanischen Parteien DUI und DPA ihren Sitz. Auch der Bürgermeister ist wie ca. 70 % der Bevölkerung ethnischer Albaner. An der örtlichen Universität wird vor allem in albanisch gelehrt.

Innenausstattung der Moschee. Bild: Kristin Kretzschmar

Die Stadt ist muslimisch geprägt, wovon die Bunte Moschee im Zentrum der Stadt zeugt. Zu unserem Erstaunen war es uns bei unserem Besuch ohne vorherige Anmeldung kostenlos möglich, sie von innen zu besichtigen. Die prunkvolle Innenausstattung ist einen Besuch wert und Touristen sind herzlich willkommen. Die Wahrscheinlichkeit auf ehemalige Gastarbeiter in Deutschland zu treffen, scheint hier besonders hoch zu sein.

Der ehemalige Hammam, indem sich nun eine Kunstgalerie befindet, geht eine gelungene Symbiose mit der nahegelegenen Steinbrücke vor dem Panorama der stadtnahen Gebirgskette ein und bietet ein vorzügliches Fotomotiv. Zur Besichtigung der Arabati-Baba-Teke, eines berühmten Derwischklosters des Bektasi-Ordens bei Tetovo, blieb uns leider keine Zeit. Die auf einem Hügel gelegene osmanische Festung Bal Tepe kann man vom Hauptplatz der Stadt aus sehen. Der Platz selber lohnt sich allerdings allenfalls zur Einkehr in das am Platz gelegene Restaurant.

Ehemaliger Hammam mit Blick auf Gebirgskette. Bild: Kristin Kretzschmar

Mazedonier stehen Tetovo eher skeptisch gegenüber, wovon wir uns bei unseren Gesprächen in Skopje und Struga selbst überzeugen konnten. Von hier gingen die Konflikte im Jahr 2001 aus. Tetovo gilt nicht nur als Hochburg der albanischen Minderheit, sondern auch als Hochburg von Separatismusgedanken. Auch der Islam wird hier sichtbarer, als andernorts in Mazedonien. Nirgendwo sonst sahen wir so viele Kopftücher und traditionelle Gewänder. Die Offenheit mit der uns die Menschen beispielsweise in der Moschee begegneten, spricht jedoch dagegen, dass die Religion einem Miteinander der Ethnien im Weg stehen könnte. Während unserer Reise haben wir allerdings auch in vielen Gesprächen festgestellt, dass der mazedonisch-albanische Konflikt von keiner der beiden Seiten auf religiöse Unterschiede reduziert wird.

Flaggenvielfalt vor der Gemeindeverwaltung. Bild: Kristin Kretzschmar

Bemerkenswerter sind deshalb wohl die albanischen Fahnen, die an vielen Plätzen der Stadt wehen. Nach der Implementierung des Ohrid-Abkommens im Jahr 2001 ist der albanischen Minderheit das Recht zugestanden worden, diese Fahnen zu nutzen. Die Tatsache, dass hier Ethnie und Nation gleichgestellt werden, scheint in Mazedonien – und erst recht in Tetovo – Niemanden zu stören. Ein Besuch in Tetovo gehört in jedem Fall zum Pflichtprogramm, wenn man die Debatte über interethnische Probleme in Mazedonien verstehen lernen möchte.

Suto Orizari (Shutka) – eine Gemeinde am Rande der Stadt

(Michael Meissner)

Ein Viertel am Rande der Stadt, zum überwiegenden Teil bewohnt von Roma und doch kein Ghetto oder Slum. ShutoOrizari ist nicht einfach eine klassische Mahala, es ist die größte Roma-Siedlung weltweit. Dennoch sind auch hier die Konflikte und Probleme unübersehbar.

Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1963 fanden sich viele Roma in diesem Teil Skopjes wieder. Die obdachlos gewordenen erhielten Notunterkünfte bzw. an Eisenbahnwaggons erinnernde Baracken gestellt, die teilweise bis heute noch Bestand haben. Aus einer Notlösung entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine eigenständige Gemeinde, in der nicht nur ein Roma Bürgermeister ist. Vielmehr verwaltet sie sich weitestgehend selbst und ist, im Gegensatz zu vielen anderen Mahalas auf dem Balkan, an das öffentliche Personennahverkehrsnetz angeschlossen. Selbst ein Autobahnanschluss besteht seit einigen Jahren.

In der Volkszählung aus dem Jahr 2002 wurde für die Gemeinde ŠutoOrizari 22.017 Einwohner erfasst. Neuere Zahlen gehen von 30. – 45.000 Einwohnern aus. Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo in der Mitte. Über 60 Prozent der Bewohner sind Roma, 30,3 % Albaner und 6,5% Mazedonier.

 

Reichtum und Armut in unmittelbarer Nachbarschaft. Bild: Jana Hartmann

Shutka ist ein Ort der Extreme – einerseits erschütternde Armut, andererseits riesige Wohnhäuser, die in ihrer Dimension auch in Deutschland Aufsehen erregen würden. Dabei existiert keine Trennung zwischen arm und reich. Beide Arten von Unterkünften liegen oft in direkter Nachbarschaft. Das jeder Bewohner sofort nach Westeuropa ziehen würde, wenn er denn könnte, wie es die Presse gelegentlich kolportiert,[1] um die üblichen Ressentiments zu schüren, stimmt keineswegs.

Dennoch beziehen über die Hälfte der Bewohner Sozialhilfe, welche im Durchschnitt zwischen 50 und 75 Euro beträgt. Das ist auch für mazedonische Verhältnisse nicht ausreichend. 11 Prozent besitzen keinerlei regelmäßiges Einkommen. Die Gründe hierfür sind zumeist in der geringen Bildung oder in fehlenden Dokumenten zu sehen. Zudem ist für viele von Ihnen das Mazedonische eine Fremdsprache. Seit der Anerkennung als ethnische Minderheit,entsprechend der mazedonischen Verfassung von 1991, muss ihnen die Grundschulausbildung in ihrer Muttersprache ermöglicht werden. Darüber hinaus sind die Behörden verpflichtet Dokumente in ihrer Muttersprache auszustellen. Wie so oft bestehen aber zwischen Theorie und Realität Differenzen.

Obwohl es mittlerweile mehrere Schulen gibt, deren Bau zum Teil aus internationalen Spendengeldern finanziert wurde, reicht ihre Zahl bei weitem nicht aus. Vor allem an Lehreinrichtungen für die höheren Bildungsabschlüsse besteht weiterhin Bedarf. Für eine weitere Schule erfolgte 2009 die Grundsteinlegung. Sie ist mittlerweile fertig gestellt.

Für viele bleibt nur die Tätigkeit als Straßenhändler. Oft handelt es sich beim Sortiment um gefälschte Waren. Doch trotz des Umstandes, dass diese Waren fast überall in Skopjes angeboten werden, reagiert die mazedonische Polizei insbesondere in Shutka äußerst aggressiv.[2] Wer nicht als Straßenhändler tätig ist, dem bleibt zumeist nur das Durchwühlen von Müllhalden oder das Betteln, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Das Geld für den Bau der großen Wohnhäuser stammt oft aus dem Ausland. Viele hatten in den Wirren der frühen neunziger Jahre in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland, Schutz gesucht. Dabei wurden sie zumeist nur geduldet. Asyl erhielten die wenigsten. Aufgrund dessen entwickelte beispielsweise das Bundesland Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Caritas ein Integrationsprojekt für rückkehrwillige Roma, welches von 1991 bis 1997 bestand und mit 25 Millionen finanziert wurde. Obwohl alle Beteiligten intensiv in die Organisation und Absprachen eingebunden waren, vielfältige Anlaufstellen, wie der Vernetzungsverein NADEZ entstanden und 140 Arbeitsplätze für die Rückkehrwilligen geschaffen wurden, war der Erfolg eher ernüchternd. So bestanden 1997 nur noch 5 dieser Arbeitsplätze und eine Integration der Roma in mazedonische Betriebe scheint in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise aussichtslos. Hinzu kommt, dass die verschiedenen NGOs zunehmend mit gekürzten Budgets arbeiten müssen.[3]

Selten, tritt die Gemeinde einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. 1981 fand auf dem zentralen Marktplatz die Heirat zwischen Bobby Farrell von Boney M. und einem Roma-Model aus Shutka namens Jasmina statt. Ebenso wurde der Film Time oftheGypsies aus dem Jahr 1989 zu großen Teilen in Shutka gedreht. Die umstrittene Modefirma Benetton nutzte dagegen das Viertel, um in seinem Colors-Magazin vom Februar/März 2001 den Arme-Leute-Chic zu präsentieren.[4]

Im Rahmen der gewaltsamen französischen Abschiebungen von Roma fand die Gemeinde noch einmal Aufmerksamkeit. Anstatt Millionen von Euros in teils zweifelhafte Integrationsprojektein westeuropäischen Ländern zu versenken, wurde eine Verbesserung der Lage der Roma in ihren Heimatländern gefordert. Das Modell der Selbstverwaltung von Shutka könnte hierfür ein erster Ansatzpunkt sein.[5]

 



[1]     Vgl. Enver Robelli, SutoOrizare: Wer hier lebt, will nach Europa abhauen. Quelle: http://www.bernerzeitung.ch/ausland/europa/Die-Traeumer-von-der-Muellkippe/story/17064972 (Zugriff: 28.09.2012)

[2]     Tumulte nach Marktinspektion in Šutka. Quelle: http://www.roma-service.at/dromablog/?p=9083 (28.09.2012)

[3]     Vgl. Gertraud und Peter Pantucek. Mazedonien – arm und unbeachtet. Vgl. Quelle: http://www.pantucek.com/texte/FYROM.html (Zugriff: 28.09.2129[4]     Vgl. Garth Cartwright: Balkanblues und Blaskapellen. Höfen 2008, S. 158f.

[5]     Unterritoire pour les Roms? Quelle:http://www.valeursactuelles.com/parlons-vrai/parlons-vrai/un-territoire-pour-roms20120911.html (Zugriff: 28.09.2012)