Zwischen „Billiglohn“ und „Fachkräftemangel“ – Migration aus Osteuropa heute (Veranstaltungsbericht)

(Kristin Eichhorn, Hanne Schneider)

Nach dem „langen Sommer der Migration“ in 2015 ist die Debatte vergangener Jahre um (Arbeits-)Migration aus Ostmittel- und Südosteuropa in den Schatten gerückt. Das Thema Asyl bestimmt die Beziehungen zu den Nachbarländern und Transitstaaten außerhalb der EU. Nach sieben Jahren EU-Freizügigkeit mit den EU-15 Ländern und vier Jahren freiem Arbeitsmarkt für RumänInnen und BulgarInnen sind viele Fragen offen: Was ist aus der Angst vor „Billlohn-“ oder „Armutsmigration“ geworden? Und was benötigen wir eigentlich für einen echten (sozialen) Europäischen Arbeitsmarkt, auch im Hinblick auf Debatten um Fachkraftmangel?

Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten wir uns im Rahmen eines Workshops beim Wiedersehen von FES-Ehemalige e.V. Unter dem Titel „Zwischen „Billiglohn“ und „Fachkräftemangel“ – Migration aus Osteuropa heute“ haben wir gemeinsam mit ExpertInnen und Interessierten diskutiert.

Entwicklung der Debatte um Migration in Deutschland und Europa seit den 1990er Jahren.

Zum Einstieg gab Hanne Schneider (Migrationswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der TU Chemnitz) einen Überblick über die Entwicklung der Debatte um Migration aus Mittel- und Osteuropa seit den 1990er Jahren und zeigte somit auch die Komplexität des Themas auf. Migration bestimmt bereits seit dem Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des eisernen Vorhangs die Beziehungen insbesondere auch zu den mittel- und südosteuropäischen Ländern. Hier zu nennen sind beispielsweise die Fluchtmigration infolge der Jugoslawienkriege, der Umgang mit AussiedlerInnnen, eine hoher Anteil an der Binnenmobilität innerhalb der EU oder auch die Debatte um sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus den Westbalkanländern.

Dominique John (DGB – Faire Mobilität) präsentierte uns das DGB-Projekt „Faire Mobilität“. Durch dieses Projekt, können sich ArbeitsmigrantInnen an Beratungsstellen in ganz Deutschland wenden. Neben einem Überblick über die häufigsten Beschäftigungsformen (Transport/Lager/Logistik, Baugewerbe, Gebäudereinigung, Fleischindurstrie), schilderte uns Dominique John typische Fallkonstellationen, beispielsweise Unterschreitung des Mindestlohns, oder gänzliche Einbehaltung des Lohns sowie katastrophale Bedingungen in der Unterbringung.

Im Anschluss gab Bartosz Rydliński (polnischer Sozialdemokrat und Mitbegründer des Ignacy Daszyński Center) einen Einblick in die polnische Perspektive. Viele verbinden mit Polen ein Herkunftsland vieler ArbeitsmigrantInnen. Allerdings ist insbesondere seit dem Ukrainekonflikt auch ein Aufnahmeland ukrainischer MigrantInnen, welche unter schwierigen Bedingungen arbeiten und leben.

Eine ukrainische Arbeitsmigrantin verliert einen Arm bei der Arbeit. Ihr Arbeitgeber weist jede Verantwortung von sich (Screenshot http://poznan.wyborcza.pl).

Zum Abschluss gab uns Tobias Thimm (Verwaltungswissenschaftler und ehemaliger Praktikant der FES) einen Einblick in die Situation in Bulgarien. Seine Masterarbeit „Die Migration bulgarischer Staatsbürger nach Deutschland“ beschäftigt sich mit den positiven und negativen Auswirkungen der Arbeitsmigration auf Bulgarien als Herkunftsland. Während bestimmte Aspekte eines sog. ‚brain drain‘ zu erkennen sind und Abwanderung ganzer Abschlussklassen zwar gesellschaftliche Schwierigkeiten verursachen, sind die finanziellen Rückweisungen sowie das erworbene Wissen der RückkeherInnen von großer Bedeutung. Zentral sei es in Bulgarien die soziale Spaltung zu verringern und Institutionen zu stärken.

Ergebnissicherung der Abschlussdiskussion

In einer abschließenden Diskussion im World-Café Format sammelten wir gemeinsam mit den Referentinnen Thesen zur Gestaltung der Arbeitsmigration in und aus Mittel- und Osteuropa.  Sowohl die Herkunftsländer als auch die Aufnahmeländer (und Deutschland im speziellen) haben noch einige Hausaufgaben offen haben: In Deutschland existieren bereits viele Arbeitnehmerrechte, allerdings müssen die Schutzaufgaben innerhalb Deutschlands für ArbeitsmigrantInnen ernst genommen werden. Eine Möglichkeit zu Umsetzung wäre die Stärkung der Gewerkschaften und ein gezieltes Heranführen der ArbeitsmigrantInnen an die Gewerkschaften. Zudem müssen EU-Standards aktiv umgesetzt werden. In den Herkunftsländern sollte weiterhin das Vertrauen in die staatlichen Institutionen gestärkt werden und die Rolle der Zivilgesellschaft unterstützt werden.

Wir bedanken uns bei allen ReferentInnen für den wertvollen Input und Teilnehmenden für die angeregte Diskussion. Zudem danken wir FES-Ehemalige e.V. für die Ermöglichung der Durchführung des Workshops.

Antifaschismus im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet: Die Geschichte der Roten Bergsteiger

(Christopher Forst)

Der AK Osteuropa beschäftigt sich nicht nur mit dem was „klassischerweise“ von vielen als Osteuropa gesehen wird: Unser letztes Treffen führte uns nach Dresden und ins Elbsandsteingebirge. Im Vordergrund stand die Geschichte des deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländerecks. Keine leichte, aber eine sehr spannende Kost.

Einen prominenten Platz nahm im Rahmen unseres Seminars eine Wanderung „auf den Spuren der Roten Bergsteiger“ durch das Elbsandsteingebirge ein. Im Anschluss an den äußerst interessanten und wärmstens weiterzuempfehlenden Ausflug würden wir deshalb gerne das Thema Rote Bergsteiger auch auf unserem Blog nicht unerwähnt lassen.

Foto: Galyna Spodarets
Foto: Galyna Spodarets

Der Begriff Rote Bergsteiger klingt zunächst einmal martialisch und auch ein wenig gegensätzlich. Rot klingt nach Blut, nach Kampf, nach Widerstand, nach Antifaschismus. Bergsteigen gilt mitunter als bieder, man stellt sich unter Bergsteigern Naturfreunde vor: Freundliche, ruhige Zeitgenossen. Überraschenderweise bestätigen sich beide Vorurteile gleichermaßen, wenn man in die Geschichte der Roten Bergsteiger im Elbsandsteingebirge eintaucht. Aber beginnen wir bei der Frage, um wen es sich dabei überhaupt gehandelt hat.

Heute ist der Landkreis Sächsische Schweiz vor allem für die hier extrem starke NPD sowie jüngst für die Beteiligung seiner Bürger an der Pegida-Bewegung deutschlandweit bekannt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum diese Entwicklung besonders betrüblich ist.

Deutschland unter Hitler. Schmilka, das letzte Dorf vor der tschechischen Grenze, stellt eine unüberwindbare Hürde dar. Schmilka, das ist ein fast schon verwunschen wirkender Ort, in den man auch heute noch vom (so genannten) Bahnhof aus mit einer Fähre, Baujahr 1927, übersetzen muss. Es gibt eine Mühle und einige ansehnliche kleine Häuser. Zeitzeugen gibt es hier heute kaum noch, und doch hilft eine Wanderung durch das Elbsandsteingebirge zu verstehen, was während der Nazidiktatur in dieser Gegend passiert ist.

Die Vereinigte Kletterabteilung (VKA) oder auch „Naturfreunde Opposition“, heute besser bekannt als Rote Bergsteiger, wurde bereits im Jahre 1930 gegründet, Vorläufer gab es sogar schon zu früheren Zeitpunkten. Den Mitgliedern der Vereinigung waren sowohl der sportliche Gedanke und ihre Naturverbundenheit als auch der politische Widerstand wichtig. Viele von ihnen waren politisch in linken Parteien aktiv, etwa in der KPD. Gleichzeitig handelte es sich um begeisterte Sportler und Naturfreunde, die ihrer großen Leidenschaft nachgehen wollten, dem Bergsteigen.

Foto: Michael Meißner
Foto: Michael Meißner

Als die Nazis die Macht ergriffen hatten, sollte sich das Bergsteigen als eine sehr nützliche Fähigkeit für den Widerstand gegen Hitler erweisen. Die Roten Bergsteiger wurden zu Grenzgängern im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet. Für Sie war Schmilka nicht das Ende des Weges. Ihre Organisation war zwischenzeitlich verboten worden, doch in Absprache mit den Parteien, denen Sie nahe standen (u.a. KPD, SPD, SAP), waren die Bergsteiger bereit dazu, sich aktiv antifaschistisch zu engagieren. Sie vermochten es, über die steilen Hänge des Elbsandsteingebirges zu klettern und so politische Pamphlete, Waren und Menschen illegal über die Grenze zu bringen. In der „Höhle am Satanskopf“ wurde zudem eine verbotene Zeitung gedruckt, was zu DDR-Zeiten mit einem Denkmal geehrt wurde. In der DDR gab es auch eine viel beachtete Fernsehserie, die sich mit den Roten Bergsteigern und ihrem Schicksal auseinandersetzte. Dass die Tätigkeit nicht ungefährlich war erklärt sich im Übrigen von selbst – viele Bergsteiger wurden in Konzentrationslagern umgebracht. Widerstand war unter Hitler nicht geduldet.

De facto war wohl nur ein kleiner Teil der Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz in den 30er-Jahren antifaschistisch engagiert. Dennoch sollten wir diese mutigen Widerstandskämpfer nicht vergessen. Unsere Wanderung durch das Elbsandsteingebirge, vorbei an steilen Abhängen und alten Grenzsteinen, hat uns deutlich gemacht, wie hoch das Risiko war, das die Bergsteiger auf sich nahmen. Mitunter kam es zu Schüssen an der Grenze, in jedem Falle aber brachte die Tätigkeit als Grenzgänger große Opfer mit sich. Manch einer musste tagelang in den Wäldern der Sächsischen Schweiz ausharren und war nah am Hungertod.

Für uns als ungeübte Wanderer war der Weg von Schmilka durch das Elbsandsteingebirge bereits ohne lauernde Gefahren auf beiden Seiten der Grenze eine Herausforderung. Heute bietet diese Gegend aber auch ein wundervolles Panorama. Einige Eindrücke unseres Ausflugs haben wir fotografisch festgehalten. Die bewegende Führung „auf den Spuren der Roten Bergsteiger“ werden wir ebenso wenig vergessen, wie die eindrucksvolle Natur des Elbsandsteingebirges.

Foto: Michael Meißner
Foto: Michael Meißner

Die Geschichte der mutigen sächsischen und böhmischen Widerstandskämpfer ist auch eine Geschichte der Völkerverständigung und der Solidarität. Als AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung fühlen wir uns der Völkerverständigung, der Solidarität und dem Antifaschismus in besonderem Maße verpflichtet. Auf den zweiten Blick wundert es deshalb wenig, dass sich der AK Osteuropa diesmal nicht mit Russland, der Ukraine oder dem Balkan, sondern mit der deutsch-tschechisch-polnischen Grenzregion auseinandergesetzt hat. In dieser Region wurde genauso wie andernorts die Geschichte nachhaltig geprägt, nicht zuletzt auch dank der mutigen Bergsteiger, auf deren Spuren wir wandern dürften.

Wandel durch Annäherung? Die Rolle Polens und Deutschlands bei der europäischen Revolution 1989/1990

Wandel durch Annäherung?


Die Rolle Polens und Deutschlands bei der europäischen Revolution 1989/1990

Montag, den 14. November 2011
18.30 – 20.00 Uhr
Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastraße 28, 10785 Berlin
Konferenzsaal (Haus 2)

Ende der achtziger Jahre stand Mittel- und Osteuropa im Zeichen politischer und ökonomischer Umwälzungen. Die friedlichen Revolutionen führten zum Fall des Kommunismus. Der Sieg von Freiheit und Demokratie ermöglichte die Deutsche Einheit und veränderte das Gesicht Europas.
Mehr als 20 Jahre danach diskutieren und spekulieren Politiker, Historiker, Wissenschaftler und Journalisten weiterhin über die Ursachen der europäischen Revolution von 1989/1990.
Ist der Fall des Eisernen Vorhangs maßgeblich auf die Politik von Gorbatschow zurückzuführen? Oder war die sozialdemokratische Entspannungspolitik letztlich ausschlaggebend? Welche Rolle spielten die Gewerkschaftsbewegung „Solidarność“ in Polen und die oppositionellen Gruppierungen in der DDR? Wie wirken sich die Umbrüche auf das heutige deutsch-polnische Verhältnis aus?
Diese und andere Fragen möchten wir gemeinsam mit Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der DDR, Katarzyna Stoklosa, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Süddänischen Universität Sønderborg, und Gunter Hofmann, Journalist und Herausgeber des Buches „Polen und Deutsche – Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90“, diskutieren.
Bitte melden sie sich per E-Mail bis zum 11. November an Magdalena Stawiana (Magdalena.Stawiana@fes.de).

Programm


18:00 Uhr

Registrierung

18:30 Uhr

Begrüßung
Dr. Ernst Hillebrand,
Leiter Referat Mittel- und Osteuropa
Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin

18:40 Uhr

Diskussion mit
Gunter Hofmann, Autor und Journalist, Die ZEIT
Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der DDR,
MdB 1990-2009
Katarzyna Stoklosa, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Süddänischen Universität Sønderborg

19:15 Uhr

Diskussion mit dem Publikum

20:00 Uhr

Ende der Veranstaltung
Moderation:
Manfred Sapper, Zeitschrift OSTEUROPA