Tetovo

(Christopher Forst)

Tetovo, Zentrum der albanischen Minderheit, gehört mit ungefähr 60000 Einwohnern zu den größten Städten des Landes. In der ca. 40 Minuten westlich von Skopje gelegenen Stadt haben die beiden albanischen Parteien DUI und DPA ihren Sitz. Auch der Bürgermeister ist wie ca. 70 % der Bevölkerung ethnischer Albaner. An der örtlichen Universität wird vor allem in albanisch gelehrt.

Innenausstattung der Moschee. Bild: Kristin Kretzschmar

Die Stadt ist muslimisch geprägt, wovon die Bunte Moschee im Zentrum der Stadt zeugt. Zu unserem Erstaunen war es uns bei unserem Besuch ohne vorherige Anmeldung kostenlos möglich, sie von innen zu besichtigen. Die prunkvolle Innenausstattung ist einen Besuch wert und Touristen sind herzlich willkommen. Die Wahrscheinlichkeit auf ehemalige Gastarbeiter in Deutschland zu treffen, scheint hier besonders hoch zu sein.

Der ehemalige Hammam, indem sich nun eine Kunstgalerie befindet, geht eine gelungene Symbiose mit der nahegelegenen Steinbrücke vor dem Panorama der stadtnahen Gebirgskette ein und bietet ein vorzügliches Fotomotiv. Zur Besichtigung der Arabati-Baba-Teke, eines berühmten Derwischklosters des Bektasi-Ordens bei Tetovo, blieb uns leider keine Zeit. Die auf einem Hügel gelegene osmanische Festung Bal Tepe kann man vom Hauptplatz der Stadt aus sehen. Der Platz selber lohnt sich allerdings allenfalls zur Einkehr in das am Platz gelegene Restaurant.

Ehemaliger Hammam mit Blick auf Gebirgskette. Bild: Kristin Kretzschmar

Mazedonier stehen Tetovo eher skeptisch gegenüber, wovon wir uns bei unseren Gesprächen in Skopje und Struga selbst überzeugen konnten. Von hier gingen die Konflikte im Jahr 2001 aus. Tetovo gilt nicht nur als Hochburg der albanischen Minderheit, sondern auch als Hochburg von Separatismusgedanken. Auch der Islam wird hier sichtbarer, als andernorts in Mazedonien. Nirgendwo sonst sahen wir so viele Kopftücher und traditionelle Gewänder. Die Offenheit mit der uns die Menschen beispielsweise in der Moschee begegneten, spricht jedoch dagegen, dass die Religion einem Miteinander der Ethnien im Weg stehen könnte. Während unserer Reise haben wir allerdings auch in vielen Gesprächen festgestellt, dass der mazedonisch-albanische Konflikt von keiner der beiden Seiten auf religiöse Unterschiede reduziert wird.

Flaggenvielfalt vor der Gemeindeverwaltung. Bild: Kristin Kretzschmar

Bemerkenswerter sind deshalb wohl die albanischen Fahnen, die an vielen Plätzen der Stadt wehen. Nach der Implementierung des Ohrid-Abkommens im Jahr 2001 ist der albanischen Minderheit das Recht zugestanden worden, diese Fahnen zu nutzen. Die Tatsache, dass hier Ethnie und Nation gleichgestellt werden, scheint in Mazedonien – und erst recht in Tetovo – Niemanden zu stören. Ein Besuch in Tetovo gehört in jedem Fall zum Pflichtprogramm, wenn man die Debatte über interethnische Probleme in Mazedonien verstehen lernen möchte.

Suto Orizari (Shutka) – eine Gemeinde am Rande der Stadt

(Michael Meissner)

Ein Viertel am Rande der Stadt, zum überwiegenden Teil bewohnt von Roma und doch kein Ghetto oder Slum. ShutoOrizari ist nicht einfach eine klassische Mahala, es ist die größte Roma-Siedlung weltweit. Dennoch sind auch hier die Konflikte und Probleme unübersehbar.

Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1963 fanden sich viele Roma in diesem Teil Skopjes wieder. Die obdachlos gewordenen erhielten Notunterkünfte bzw. an Eisenbahnwaggons erinnernde Baracken gestellt, die teilweise bis heute noch Bestand haben. Aus einer Notlösung entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine eigenständige Gemeinde, in der nicht nur ein Roma Bürgermeister ist. Vielmehr verwaltet sie sich weitestgehend selbst und ist, im Gegensatz zu vielen anderen Mahalas auf dem Balkan, an das öffentliche Personennahverkehrsnetz angeschlossen. Selbst ein Autobahnanschluss besteht seit einigen Jahren.

In der Volkszählung aus dem Jahr 2002 wurde für die Gemeinde ŠutoOrizari 22.017 Einwohner erfasst. Neuere Zahlen gehen von 30. – 45.000 Einwohnern aus. Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo in der Mitte. Über 60 Prozent der Bewohner sind Roma, 30,3 % Albaner und 6,5% Mazedonier.

 

Reichtum und Armut in unmittelbarer Nachbarschaft. Bild: Jana Hartmann

Shutka ist ein Ort der Extreme – einerseits erschütternde Armut, andererseits riesige Wohnhäuser, die in ihrer Dimension auch in Deutschland Aufsehen erregen würden. Dabei existiert keine Trennung zwischen arm und reich. Beide Arten von Unterkünften liegen oft in direkter Nachbarschaft. Das jeder Bewohner sofort nach Westeuropa ziehen würde, wenn er denn könnte, wie es die Presse gelegentlich kolportiert,[1] um die üblichen Ressentiments zu schüren, stimmt keineswegs.

Dennoch beziehen über die Hälfte der Bewohner Sozialhilfe, welche im Durchschnitt zwischen 50 und 75 Euro beträgt. Das ist auch für mazedonische Verhältnisse nicht ausreichend. 11 Prozent besitzen keinerlei regelmäßiges Einkommen. Die Gründe hierfür sind zumeist in der geringen Bildung oder in fehlenden Dokumenten zu sehen. Zudem ist für viele von Ihnen das Mazedonische eine Fremdsprache. Seit der Anerkennung als ethnische Minderheit,entsprechend der mazedonischen Verfassung von 1991, muss ihnen die Grundschulausbildung in ihrer Muttersprache ermöglicht werden. Darüber hinaus sind die Behörden verpflichtet Dokumente in ihrer Muttersprache auszustellen. Wie so oft bestehen aber zwischen Theorie und Realität Differenzen.

Obwohl es mittlerweile mehrere Schulen gibt, deren Bau zum Teil aus internationalen Spendengeldern finanziert wurde, reicht ihre Zahl bei weitem nicht aus. Vor allem an Lehreinrichtungen für die höheren Bildungsabschlüsse besteht weiterhin Bedarf. Für eine weitere Schule erfolgte 2009 die Grundsteinlegung. Sie ist mittlerweile fertig gestellt.

Für viele bleibt nur die Tätigkeit als Straßenhändler. Oft handelt es sich beim Sortiment um gefälschte Waren. Doch trotz des Umstandes, dass diese Waren fast überall in Skopjes angeboten werden, reagiert die mazedonische Polizei insbesondere in Shutka äußerst aggressiv.[2] Wer nicht als Straßenhändler tätig ist, dem bleibt zumeist nur das Durchwühlen von Müllhalden oder das Betteln, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Das Geld für den Bau der großen Wohnhäuser stammt oft aus dem Ausland. Viele hatten in den Wirren der frühen neunziger Jahre in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland, Schutz gesucht. Dabei wurden sie zumeist nur geduldet. Asyl erhielten die wenigsten. Aufgrund dessen entwickelte beispielsweise das Bundesland Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Caritas ein Integrationsprojekt für rückkehrwillige Roma, welches von 1991 bis 1997 bestand und mit 25 Millionen finanziert wurde. Obwohl alle Beteiligten intensiv in die Organisation und Absprachen eingebunden waren, vielfältige Anlaufstellen, wie der Vernetzungsverein NADEZ entstanden und 140 Arbeitsplätze für die Rückkehrwilligen geschaffen wurden, war der Erfolg eher ernüchternd. So bestanden 1997 nur noch 5 dieser Arbeitsplätze und eine Integration der Roma in mazedonische Betriebe scheint in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise aussichtslos. Hinzu kommt, dass die verschiedenen NGOs zunehmend mit gekürzten Budgets arbeiten müssen.[3]

Selten, tritt die Gemeinde einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. 1981 fand auf dem zentralen Marktplatz die Heirat zwischen Bobby Farrell von Boney M. und einem Roma-Model aus Shutka namens Jasmina statt. Ebenso wurde der Film Time oftheGypsies aus dem Jahr 1989 zu großen Teilen in Shutka gedreht. Die umstrittene Modefirma Benetton nutzte dagegen das Viertel, um in seinem Colors-Magazin vom Februar/März 2001 den Arme-Leute-Chic zu präsentieren.[4]

Im Rahmen der gewaltsamen französischen Abschiebungen von Roma fand die Gemeinde noch einmal Aufmerksamkeit. Anstatt Millionen von Euros in teils zweifelhafte Integrationsprojektein westeuropäischen Ländern zu versenken, wurde eine Verbesserung der Lage der Roma in ihren Heimatländern gefordert. Das Modell der Selbstverwaltung von Shutka könnte hierfür ein erster Ansatzpunkt sein.[5]

 



[1]     Vgl. Enver Robelli, SutoOrizare: Wer hier lebt, will nach Europa abhauen. Quelle: http://www.bernerzeitung.ch/ausland/europa/Die-Traeumer-von-der-Muellkippe/story/17064972 (Zugriff: 28.09.2012)

[2]     Tumulte nach Marktinspektion in Šutka. Quelle: http://www.roma-service.at/dromablog/?p=9083 (28.09.2012)

[3]     Vgl. Gertraud und Peter Pantucek. Mazedonien – arm und unbeachtet. Vgl. Quelle: http://www.pantucek.com/texte/FYROM.html (Zugriff: 28.09.2129[4]     Vgl. Garth Cartwright: Balkanblues und Blaskapellen. Höfen 2008, S. 158f.

[5]     Unterritoire pour les Roms? Quelle:http://www.valeursactuelles.com/parlons-vrai/parlons-vrai/un-territoire-pour-roms20120911.html (Zugriff: 28.09.2012)

Mazedonien – Attraktives Reiseziel trotz ungelöster Konflikte

(Christopher Forst)

Mazedoniens größtes Problem ist aus touristischer Sicht zugleich seine größte Stärke. Die Multiethnizität der Bevölkerung des kleinen Balkanstaates macht sich auch in vielen Stadtbildern bemerkbar und weckt die Neugierde seiner Besucher. Dieser Artikel soll unsere Impressionen von einigen touristischen Hauptattraktionen Mazedoniens, die wir auf unserer 5-tätigen Reise in das „Rheinland des Balkans“ besuchen dürften, wiedergeben und gleichzeitig die Multiethnizität als entscheidenden Faktor für den Charme und die Einzigartigkeit des Landes hervorheben.

Ein Besuch Mazedoniens ist sehr zu empfehlen. Die Menschen sind überall sehr offen und man kann einen guten Eindruck von den nebeneinander existierenden Kulturen gewinnen. Das südliche Balkanland bietet eine verhältnismäßig große Menge an sehenswerten Orten auf einem geographisch kleinen Gebiet. Grund dafür ist auch der Ethnienreichtum Mazedoniens. Es bleibt zu hoffen, dass sich die gewaltsamen Konflikte von 2001 nicht wiederholen werden und dass alle Ethnien die Schönheit der Natur sowie die Kulturschätze Mazedoniens als Basis für einen gemeinsamen Nationalstolz anzusehen lernen.

Die Hauptstadt Skopje ist die einzige Metropole Mazedoniens. Hier machen sich Einflüsse aller Ethnien des Landes bemerkbar. Auch in touristischer Hinsicht ist Skopje neben Ohrid als das Zentrum des Landes zu bezeichnen. Obwohl wir leider nur einen Abend Zeit zur Erkundung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten hatten, haben wir viele Eindrücke aus Skopje mitnehmen können.

Auf den ersten Blick macht Skopje einen eher unwirtlichen Eindruck. Ein Erdbeben hat am 26. Juli 1963 große Teile der Stadt zerstört, sodass es in den Vororten der Hauptstadt kaum alte Bausubstanz zu bestaunen gibt. Die Gegend nördlich des Flusses Vardar, der die Stadt in zwei Hälften teilt, bietet mit der Festung Kale und der Altstadt mit ihren schmalen Gassen, Souvenirläden und Restaurants einen angenehmen Kontrast zum Grau der Vorstädte. Sie ist nach dem Erdbeben am besten erhalten geblieben. Von der Festung aus hat man einen imposanten Blick über Skopje. Die nördliche Flussseite ist heute vor allem von ethnischen Albanern bewohnt. Auch viele der Restaurants haben ausschließlich ethnisch-albanisches Publikum. Türken und Roma sind ebenfalls bevorzugt auf dieser Seite der Stadt ansässig.

Das osmanische Erbe ist hier mancherorts noch spürbar, vor allem im Marktviertel Carsija. Oftmals sind die Moscheen und die alten Hammams Skopjes in Hinterhöfen versteckt, sodass man sich schon ein wenig Mühe geben muss, um sie alle zu entdecken. Eine Besichtigung sämtlicher muslimischer Einrichtungen ist – anders, als in vielen anderen Ländern – möglich. Es gibt jedoch oft keine festen Öffnungszeiten. Besonders die Moschee Mustafa Pascha ist als sehenswert hervorzuheben. Erst seit 2007 verbindet eine alte Brücke mitten im Zentrum die beiden Stadtteile wieder miteinander, zuvor gab es nur außerhalb der zentralen Plätze einige wenige Möglichkeiten, den Vardar zu überqueren.

Skopje 2014 - Prestigeprojekt in Zeiten der Krise. Bild: Marcel Röthig

Die andere Seite des Vardar ist seit einigen Jahren eine Großbaustelle, die Bauarbeiten an „Skopje 2014“ werden jedoch in Kürze abgeschlossen sein. Aus unserer Sicht ist nicht davon auszugehen, dass die Opposition im Falle eines Machtwechsels nach den Wahlen 2013 ihr Versprechen wahrmacht und den Bau an „Skopje 2014“ stoppt. Bei „Skopje 2014“ handelt es sich um ein Prestigeprojekt. Eine Vielzahl von Statuen und Baudenkmälern ist im Zentrum Skopjes entstanden. Man will an die große Vergangenheit Mazedoniens, insbesondere zur Zeit Alexanders des Großen, erinnern und die nationale Identität ansprechen. Zugleich möchte man die Stadt wohl touristisch interessanter machen, sind doch dem großen Erdbeben von 1963 viele Sehenswürdigkeiten zum Opfer gefallen. Die Kosten von etwa 500 Millionen Euro stoßen angesichts der großen Armut der Bevölkerung auf enorme Kritik. Sarkasmus hat sich bezüglich des ambitionierten Projekts in Mazedonien breit gemacht, wie wir bei vielen unserer Termine festgestellt haben. Auch viele ethnische Mazedonier zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Projekts. Allein 15 Gebäude im neoklassischen Stil sind Teil von „Skopje 2014“. Die Zahl der Statuen lässt sich nur schwer beziffern. Der Diskurs über „Skopje 2014“ ist jedenfalls in vollem Gange. Er wird die interethnischen Beziehungen im Land sicher nicht entschärfen. Bemerkenswert ist schließlich noch, dass das Geburtshaus von Mutter Theresa, obwohl nur wenige Meter vom Hauptplatz der Südstadt entfernt, der Stadtverwaltung leider nur eine unauffällige Gedenktafel wert ist.

Mazedonien: Geschichte Verstehen, zukünftige Konflikte verhindern

(Ruben Werchan)

Hintergrund: Der Konflikt von 2001

Ursache des bewaffneten Konflikts zwischen albanischen Guerillas und mazedonischen Sicherheitskräften war die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung der albanischen und mazedonischen Bevölkerungsgruppen. Die albanische Minderheit war ökonomisch schlechter gestellt und im öffentlichen Sektor unterrepräsentiert. In Folge des Konflikts wurde im Friedensabkommen von Ohrid eine Verfassungsänderung beschlossen, mit welcher die albanische Sprache aufgewertet und die lokale Selbstverwaltung der albanischen Minderheit gestärkt wurde.

Inter-ethnische Beziehungen im Bildungssystem

Ethnische Mazedonier und Albaner werden in vielen Schulen separat, jeweils von angehörigen der eigenen ethnischen Gruppe in der eigenen Sprache, unterrichtet. Selbst an Schulen mit gemeinsamem Unterricht kommt es sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrenden kaum zu Kontakt zwischen den beiden Ethnien. Das hat zur Folge, dass negative Stereotype, deren Wahrheitsgehalt nur schwer überprüft werden kann, das Bild von der jeweils anderen Gruppe prägen.

Andererseits bietet gerade das Bildungssystem viel Potential zur Überwindung inter-ethnischer Vorurteile. Indem Kinder gemeinsam mehr übereinander lernen, kann zukünftigen Konflikten vorgebeugt werden. Vor diesem Hintergrund ist es ermutigend, dass es bereits seit den 1990er Jahren verschiedenen Initiativen für außerschulische Initiativen gibt, die genau das zum Ziel haben.

Das Projekt „Gegenwärtige Geschichte verstehen“

Das „Center for Human Rights and Conflict Resolution“ (CHRCR) hat unter dem Titel „Gegenwärtige Geschichte verstehen“ eine Reihe von Workshops durchgeführt, die die Ziele hatten, die unterschiedliche Sicht auf den Konflikt von 2001 darzustellen, Geschichtslehrer zu ermutigen ein gemeinsames Verständnis der Ereignisse zu entwickeln  und ein Modell zu entwickeln, wie zukünftige Lehrer dazu ausgebildet werden können ihre ethnozentrische Perspektive zu überwinden. In den Workshops mussten die Teilnehmenden zunächst ihre jeweilige intra-ethnische Sicht auf den Konflikt ausarbeiten und dann in einem zweiten Schritt eine gemeinsame Darstellung der Ereignisse finden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die intra-ethnische Sicht geprägt war von der Wahl des Blickwinkels, von Praktiken des Verteidigens und Anklagens, und dass die Ansichten der jeweiligen ethnischen Gruppe oft diametral auseinander gingen. Die gemeinsame Darstellungen dagegen beinhalteten mehr allgemeine Fakten, auf die sich beide Seiten einigen konnten und waren dadurch in ihrer Interpretation der Dinge objektiver und neutraler. Dabei wurden folgende Punkte besprochen:

  • Sozio-ökomomische und politische Bedingungen in Mazedonien in den Jahren 2000 und 2001
  • Gründe für den Beginn des bewaffneten Konflikts
  • Verlauf des bewaffneten Konflikts
  • Die Rolle des Parlaments, der Regierung, der Polizei und der militärischen Streitkräfte während des Konflikts
  • Der Beitrag der internationalen Gemeinschaft zur Entwicklung und zur Lösung des Konflikts
  • Das Ende des Konflikts und die Bedeutung des Friedensabkommens
  • Der Einfluss des Konflikts auf die allgemeine demokratische Bewegung im Land

Ergebnisse des Projekts

Obwohl die Beteiligten das Projekt positiv einschätzten und angaben, Neues über die Ansichten der jeweils anderen Gruppe gelernt zu haben, muss festgehalten werden, dass es nur ein erster Schritt war. Die Meinung der Anderen wurde zur Kenntnis genommen, ihr aber nicht zugestimmt. Ebenso wurden die eigenen Ansichten zwar in Kontrast zu den Ansichten der anderen Gruppe wahrgenommen, aber nicht überdacht. Der Erfolg des Projekts ist vor allem darin zu sehen, dass die Teilnehmer, die vorher fast nichts über die Ansicht der anderen Gruppe wussten, nach dem Projekt ein Verständnis von diesen Ansichten hatten und eher bereit waren, rational zu argumentieren. Demnach ist die Erkenntnis des Projekts, dass Vertreter der beiden ethnischen Gruppen, wenn sie dazu ermutigt werden und ihnen ein entsprechender Raum angeboten wird, durchaus in der Lage sind, eine gemeinsame Basis zu finden und zusammenzuarbeiten.

 

Quelle: Petroska-Beska, Violeta and Mirjana Najcevska (2004): Macedonia: Understanding History, Preventing Future Conflict. United States Institute of Peace, Special Report 115.

Mazedonien – Gleichberechtigung der Ethnien auf dem Papier

(Marcel Hagedorn)

Überblick

Die Verfassung des unabhängigen Mazedoniens wurde am 17. November 1991 mit einer knappen Mehrheit von 93 zu 86 Stimmen vom ersten demokratisch gewählten Parlament verabschiedet. Die neue mazedonische Nation startete mit einem ersten Konflikt zwischen mazedonischen und albanischen Parlamentariern. Letztere befunden die albanischen Standpunkte nicht ausreichend in der Verfassung berücksichtigt, so dass sie geschlossen gegen sie stimmten. Die albanischen Abgeordneten hatten mehr Rechte für ihre Volksangehörigen gefordert.

Der Rechtsstaat und eine liberale Demokratie finden Verankerung in der Verfassung und sie enthält alle Merkmale einer modernen Staatsverfassung, garantiert das Privateigentum, gibt Hinweise auf ein Mehrparteiensystem und die Gewaltenteilung. Auch in Mazedonien geht alle Staatsgewalt vom Volke aus.

Staatlichen Souveränität

Bereits zu Beginn der Verfassung, in Artikel 1, ist die staatliche Souveränität Mazedoniens festgeschrieben. Der Artikel dient zum einen als Existenzgrundlage des unabhängigen Mazedoniens und als verfassungsrechtliche Grundlage, von außen kommende Angriffe gegen Mazedonien abzuwehren. Zu nennen sind hier vor allem die Konflikte Mazedoniens mit Griechenland, Serbien und Bulgarien über Geschichte, Name, Kultur, Nation, Sprache und Staatssymbole.

Andererseits ist Artikel 1 Schutz für innerstaatliche Zerwürfnisse, insbesondere im Hinblick auf den Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern. Dennoch schrieb man Mazedonien als einen Zentralstaat fest, als, wie von albanischen Politikern gefordert, einen Bundesstaat zu formen.

Demokratie

Das Volk von Mazedonien ist Träger der inneren Souveränität und einzige Quelle der Staatsgewalt. Hier wird nicht unterschieden zwischen Mazedoniern, Albanern und Angehörigen anderer ethnischen Minderheiten, sondern gemeint ist die multinationale Bevölkerung der Republik.

Mazedonien ist eine repräsentative Demokratie, denn genau wie in Deutschland, geschieht die Ausübung der Staatsgewalt durch demokratisch legitimierte Vertreter und (das ist anders, als in Deutschland) unmittelbar durch Volksentscheide.
Das Volk wählt zum einen alle 5 Jahre den Präsidenten der Republik und zum anderen alle vier Jahre die 120-140 Abgeordneten des mazedonischen Parlaments. Eine zweite Kammer, wie der deutsche Bundesrat oder der polnische Senat, gibt es nicht. Dies ist im Hinblick auf die interethnische Konflikte besonders bemerkenswert. Während das bevölkerungsmäßig weitestgehend homogene Polen, das wie Mazedonien ein Zentralstaat ist, eine solche Regionalrepräsentation kennt, verzichtet Mazedonien auf eine Kammer, die Bedürfnisse von Ethnien oder Regionen besser vertreten könnte.
Mazedonien ist trotz Direktwahl des Präsidenten nicht als Präsidialdemokratie ausgestaltet, sondern eine parlamentarische Demokratie. Die Kompetenzen des Präsidenten beschränken sich weitestgehend auf repräsentative Aufgaben. Er ist zwar das Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der mazedonischen Streitkräfte, diese Kompetenzen bezeichnen aber nur die „formale Macht“ des Präsidenten. Eine für Präsidialdemokratien typische Einflussnahmemöglichkeit auf die Regierungsbildung existiert in Mazedonien nicht.

Wie in Deutschland sind Wahlen in Mazedonien frei, allgemein, unmittelbar, gleich und geheim.

Minderheitenschutz als Verfassungsaufgabe?

Schon die Präambel zu Beginn der Verfassung betont, dass die verschiedenen, auf dem Gebiet Mazedoniens lebenden Völker die Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft ihres mazedonischen Vaterlands übernommen haben. Damit wird schon in der Einleitung der Verfassung die multiethnische Zusammensetzung hervorgehoben und der Auftrag an alle Ethnien erteilt, Verantwortung in der Republik zu übernehmen.
Diese Fassung der Präambel wurde allerdings erst später durch eine Verfassungsänderung eingefügt. Vorher war sie so gefasst, dass sie die mazedonische Mehrheit zum friedlichen und gleichberechtigten Zusammenleben mit den Minderheiten aufrief. Eine ganz klare Bevorzugung der Mazedonier, die über die die Minderheiten zu herrschen hatten.
Die Äußerung seiner nationalen Zugehörigkeit und das Diskriminierungsverbot deswegen sind weitere Pfeiler des verfassungsmäßígen Minderheitenschutzes.

Aussagen der Verfassung zur Amtssprache

Laut Artikel 7 der Verfassung ist das Mazedonische und die kyrillische Schrift die Amtssprache der Republik. Lokal darf auch der Gebrauch anderer Sprachen zugelassen werden. Das Verfassungsgericht Mazedoniens kippte in einigen Entscheidungen immer wieder die mazedonienweite Zulassung der Minderheitssprachen, wie beispielsweise die Mehrsprachigkeit der Formulare für die Volkszählung 1994. Nur in den Regionen, wo eine Mehrheit oder eine wesentliche Zahl einer Ethnie lebt, darf nach dem „Amtssprachenartikel“ die Sprache dieser Ethnien verwendet werden.

Erst in einer späteren Verfassungsänderung wurde der Zusatz eingefügt, dass als weitere Amtssprache zugelassen werden kann, welche von mindestens 20% der mazedonischen Bevölkerung gesprochen wird. Da der Anteil an Albanern im Jahre 2003 bei 25,17% lag, gilt heute Albanisch neben Mazedonisch als Amtssprache der Republik.

Stellungnahme

Die mazedonische Verfassung ist eine moderne, demokratische und rechtsstaatliche Verfassung, betont religiös neutral und den Minderheitenschutz in den Vordergrund stellend. Die Ausgestaltung deutet heute nicht mehr auf eine Hegemonie der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung hin. In den letzten Jahren hat sich viel getan, was die Gleichstellung der verschiedenen Ethnien betrifft.

Bemerkenswert ist vor allem der Eingriff des Verfassungsgericht, das des öfteren Entscheidungen traf, die zu Ungunsten der Minderheiten waren. Dies lässt sich vermutlich mit der ursprünglichen Fassung der mazedonischen Verfassung erklären, die eine starke Dominanz der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung vorsah. Diese Entscheidungen trugen oftmals allerdings auch zu Verfassungsänderungen bei.

Heute wird insbesondere die Gleichstellung und gemeinsame Verantwortung aller Ethnien, die in der Präambel und zahlreichen Artikeln direkt oder indirekt deutlich wird, vom Verfassungsgericht zur Auslegung der Verfassung herangezogen.

Auf dem Papier scheint die Gleichberechtigung aller Ethnien in Mazedonien geschafft. Wie weit dies der Wirklichkeit entspricht oder doch nur Illusion ist, davon müssen wir uns in Mazedonien ein eigenes Bild machen.

Quelle: Goran Čobanov, Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsrechtsentwicklung in Makedonien, Marburg 2009, Tectum Verlag