Gespräch mit Dr. Sereda, Center for Urban History and East Central Europe

Gespräch mit Dr. Viktoria Sereda (Center for Urban History and East Central Europe), am 30. Mai 2014 in Lwiw

(Galyna Spodarets)

Am 30. Mai 2014 fand in den Räumlichkeiten der Katholischen Universität Lwiw das Treffen der AK-Osteuropa Delegation mit Dr. Viktoria Sereda zum Thema „Die Ukraine der Regionen“ statt. In einer spannenden Präsentation wurden den osteuropainteressierten StipendiatInnen der FES die Ergebnisse eines Projektes zur transkulturellen und interdisziplinären Konzeptualisierung der Ukraine vorgestellt. Die Hauptidee dieses Projekts war, auf die ukrainischen Regionen und dessen Bewohner nicht aus der stereotypischen Unterteilung zu schauen, sondern die quantitativen und qualitativen Daten aus jedem Verwaltungsbezirk (Ukrainisch „Oblast“) des Landes zu sammeln und zu vergleichen. Somit wurden uns die regionalen Gemeinsamkeiten und Differenzen zu den Fragen der ukrainischen Identität, des Gedächtnisses und der Religion im soziogeographischen Kontext präsentiert. Diese soziologische Untersuchung wurde 2013 anhand einer vergleichenden Representativbefragung von ca. 6000 Probanden in allen Regionen der Ukraine – auch in „ethnisch“ relativ heterogenen Regionen wie Tscherniwzi, Uschgorod und auf der Krim – durchgeführt. Welche Elemente der Kultur spielen für die Selbstidentifikation der Bewohner dieser Gebiete eine Rolle? Wird die historische Vergangenheit in die Identität der Bewöhner des Landes bewusst mitaufgenommen? Frau Sereda stellte uns die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchung vor.

Um die stereotypisierte Ost-West-Kombination zu vermeiden, wurde eine Unterteilung anhand der zehn wichtigsten Regionen der Ukraine vorgenommen, die da sind: Galizien, Nordwesten, Südwesten, Kiew, Zentrum, Nordosten, Osten, Süden, Industriegebiet Donbass und die Halbinsel Krim (siehe Bild 1).

Ethnische Zusammensetzung der zehn untersuchten Regionen
Ethnische Zusammensetzung der zehn untersuchten Regionen

Welcher Nationalität fühlt man sich in diesen Regionen zugehörig? Probanden wurde eine Skala von 1 (nicht wichtig) bis 5 (sehr wichtig) zur Bewertung gegeben. Aus den erhobenen Daten wurde ersichtlich, dass die russische Nationalität bzw. die russische Identität nur auf der Krim dominiert. In allen anderen Regionen fühlen sich Menschen mehrheitlich der ukrainischen Identität zugehörig. Ebenfalls wurde bewiesen, dass die ukrainische Identität auch für ethnische Russen von äußerster Wichtigkeit ist.

Um die regionalen Unterschiede zum Thema Identität heraus zu arbeiten, wurden die Probanden gebeten, ihre Identität aus 15 Möglichkeiten auszuwählen (ukrainisch, russisch, slawisch, europäisch, regional, beruflich u.a.). So ist die nationale ukrainische Identität im Westen, Norden und Zentrum des Landes mehr ausgeprägt, als die regionale oder lokale. Dagegen ist im Süden, Osten und im Donbass eine gegenläufige Tendenz der Prävalierung der regionalen Identität festzustellen. Die europäische Identität ist nur im Westen und Norden des Landes etwas stärker ausgeprägt als die slawische, im Gegenteil zum Zentrum, Süden und Osten, wo die Zahlen genau die umgekehrte Situation kennzeichnen. Bemerkenswert ist dabei, dass in allen Regionen die ukrainische Identität über dem arithmetischen Mittelwert liegt, während die russische sich nur in Donbass und im Süden (da die Krim mit einberechnet wurde) der Mittelwertgrenze nähert (siehe Bild 2).

Regionale Unterschiede der territorialen Identitäten
Regionale Unterschiede der territorialen Identitäten

Das nächste Bild veranschaulicht die Unterteilung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken des Landes. Anhand der erhobenen Daten wird deutlich, dass die stereotype Ost-West-Unterteilung nicht der Realität entspricht. Die Karte ist „bunt“ gemischt und es sind innerhalb der Regionen große Unterschiede festzustellen. In der Donbass Region sind beispielsweise Unterschiede zwischen Donezk und Luhansk ersichtlich. Auch der westliche Teil des Landes ist nicht so einheitlich, wie die Forscher das erwartet haben (vergleiche: Tscherniwzi, Odessa, Donezk, Bild 3).

Ausprägung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken
Ausprägung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken

Zu welchem Grad denken Menschen, dass die Ukraine und Russland die gleiche Kultur haben? Es wird deutlich, dass die kulturelle Einheit unter den Bewohnern deutlich anerkannter ist, als die staatliche Einheit. Sehr gut wird diese Entwicklung am Beispiel von Galizien illustriert. Zwar werden die kulturellen Gemeinsamkeiten weithin akzeptiert, dagegen findet hier die Behauptung Russland und die Ukraine sind ein Staat keinerlei Unterstützung. Auf der Krim und in der Donbass Region sieht die Stimmungslage dazu anders aus. Die Vorstellung, dass Russland und die Ukraine ein staatliches Gebilde darstellen, findet bei mehr Probanden Unterstützung, als die Behauptung, dass Ukrainer und Russen Vertreter der gleichen Kultur seien (Bild 4).

Haben die Ukraine und Russland die gleiche Kultur/den gleichen Staat?
Haben die Ukraine und Russland die gleiche Kultur/den gleichen Staat?

Da die Ukraine ein bilinguales Land ist, wurde in der Studie auch die Frage nach den sprachlichen Vorlieben berücksichtigt. Sollte Russisch zweite Amtssprache werden? Während der Südosten Bilingualität unterstützen würde und die Akzeptanz dieser Vorstellung auf der Krim, in Odessa, Charkiw, Luhansk und Donezk über dem Durchschnitt liegt, würden Bewohner von Galizien diese Initiative nicht unterstützen. Aber auch in der Westukraine sind Differenzen unverkennbar: Transkarpatien, Wolhynien, Tscherniwzi würden in der Sprachenfrage anders handeln als Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Ternopil (Bild 5).

Regionale Zustimmung zur Zweisprachigkeit
Regionale Zustimmung zur Zweisprachigkeit

In der Frage, ob ukrainische Staatsbürger Russisch sprechen sollen, sehen die Forscher klare Unterschiede. Überwiegend zustimmend zeigen sich die Gebiete, die heute im öffentlichen prorussischen Propagandadiskurs als „Neurussland“ bezeichnet werden, mit Ausnahme von Dnipropetrowsk. Die letzten politischen Entwicklungen in der Ukraine versinnbildlichen, wie die Sprachvielfalt zur Spaltung der Ukraine missbraucht werden kann.

Um die charakteristischen Merkmale des nationalen kollektiven Gedächtnisses im regionalen Vergleich aufzuzeigen, wurden drei Elemente untersucht: Feiertage, Personen und Ereignisse.

Feiertage

Fünf ukrainische Feiertage (Tag der Vereinigung, Geburtstag des Nationaldichters Taras Schevchenko, Tag der Unabhängigkeit, Tag der Verfassung und Holodomor-Gedenktag) und fünf sowjetische (23. Februar, 8. März, Tag der Arbeit, 9. Mai und Oktoberrevolution 1917) wurden betrachtet. Aus fünf ukrainischen Feiertagen wurde nur einer (Tag der Unabhängigkeit) weitestgehend akzeptiert, dagegen wurden die sowjetischen Feiertage (außer der Oktoberrevolution) in das ukrainische kollektive Gedächtnis aufgenommen und werden im ganzen Lande kontinuierlich gefeiert (nur drei Gebiete nehmen sie nicht an). Diese Entwicklung zeigt, dass die ukrainischen Feiertage im ukrainischen Gedächtnis weniger institutionalisiert wurden, als die sowjetischen.

Personen

Hier wurde die Methode der offenen Frage angewendet. Probanden sollten sich selbständig Helden und Antihelden überlegen und nennen. Drei Personen haben sich bei dieser Umfrage besonders herauskristallisiert, die in allen regionalen Ranglisten vorkommen: Bohdan Chmelnyzkyj, Taras Schewtschenko und Mychajlo Hruschewskyj. Ausnahmen bilden hier nur Donezk, Luhansk, Saporischschja und die Halbinsel Krim, wo der Name Hruschewskyj nicht erscheint.

Als die meist umstrittenen Figuren der ukrainischen Geschichte haben sich Bandera und Mazepa rausgestellt.

Eine eindeutig negative Bedeutung wurde in allen Regionen Stalin zugeordnet. An Hitler wurde sich nur in fünf Verwaltungsbezirken negativ erinnert. Gorbatschow wurde in drei Verwaltungsbezirken Galiziens und zwei Verwaltungsbezirken Wolhyniens zu positiven und in anderen 20 Verwaltungsbezirken zu den negativen Personen gezählt. Eine sehr klare regionale Differenzierung einer Person, die für den Zerfall der Sowjetunion verantwortlich gemacht wurde. Juschtschenko bekam fast in 18 Regionen der Ukraine eine negative Bewertung und Janukowytsch in 13.

Ereignisse

Bei historischen Ereignissen haben sich die Probanden auf das 20. Jahrhundert fokussiert. Zu den zwei Ereignissen, die in der ganzen Ukraine gleich hohe Relevanz besitzen, zählen der Sieg im Zweiten Weltkrieg und die Unabhängigkeitserklärung von 1991.

Als weitere positive Ereignisse nannten die Bewohner des Westens und des Zentrums die Orange Revolution und das Kosakentum, die Bewohner des Südens und Donbass den Perejaslaver Vertrag mit Russland, den Hmelnyckyj 1654 unterschrieben hat, die Vertreter des Nordens und Zentrums die Kiever Rus. Eine interessante Beobachtung ist die Tatsache, dass in fast allen Verwaltungsbezirken die ukrainische Unabhängigkeit (sprich Ende der Sowjetzeit, Abspaltung vom russischen Einflussgebiet) als ein positives Ereignis wahrgenommen wurde, aber zugleich wurden andere Ereignisse, wie die Gründung und der Zerfall der Sowjetunion als positive markiert.

Die Orange Revolution 2004 wurde in 13 Verwaltungsbezirken (Osten, Süden und Donbass) als negativ eingestuft. In sechs zentralen Gebieten konnten gleichzeitig sowohl positive als auch negative Konnotationen konstatiert werden. Die gleiche Ambivalenz besitzt auch die Auswertung der Präsidentschaft von Janukowytsch.

Zu den eindeutig negativen Ereignissen, die fast in allen Umfragen vorgekommen sind, zählen die Hungernot 1932-33, der Zweite Weltkrieg und die Tschornobyl-Katastrophe. In sieben Verwaltungsbezirken (Galizien, Wolhynien und Zentrum) wurde die Erfahrung ein Teil der Sowjetunion zu sein als negativ eingeordnet. Seltener Erwähnung finden in dieser Umfrage solche Ereignisse wie die Oktoberrevolution 1917, Stalins Repressionen und der Krieg in Afghanistan.

Bei der Auswertung dieser Daten ist zu beachten, dass der ukrainische Raum ein heterogener Mischraum ist. Unterschiedliche Antworten auf die gleichen Fragen zeugen davon, dass die ukrainische Identität in bzw. aus einer äußerst vielfältigen und komplexen Mischung besteht: aus kosakischen Mythen, sowjetischen Narrativen, Kontakten zwischen Ost und West, unterschiedlichen Erinnerungskulturen und Geschichtsvorstellungen; aus diversen multiethnischen, sprachlichen und religiösen Traditionen. Der ukrainische Raum bedient sich von diesen Mischungen, was dazu führt, dass aus einem Mischraum sich schwerer eine Identität ableiten lässt als aus einem homogen strukturierten Raum. Frau Sereda betonte aber, dass dies eine positive Entwicklung sei, wenn den Einzelnen bewusst wird: „Wir sind unterschiedlich, aber wir sind eins“.

Mit dieser Analyse werden bestimmte Tendenzen für die fünf wichtigsten Regionen (den Westen, die Zentralukraine, die Ostukraine, die Halbinsel Krim und den Süden) ersichtlich. Es lassen sich aber keine klaren Grenzen zwischen Ost und West, Nord und Süd weder im politischen, noch im kulturellen Kontext ziehen. Die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai 2014 haben gezeigt, dass die Ukrainer nach dem Maidan, der Krim-Krise und der präkeren Entwicklung im Donbass mehr denn je vereint sind.

Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nach Verwaltungsbezirken
Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nach Verwaltungsbezirken

Da die in der Präsentation skizzierten Daten noch vor dem Maidan erhoben wurden, wäre es interessant herauszufinden, welche Verschiebungen in der Identität der Ukrainer nach dem Maidan feszustellen sind. Aus diesem Grunde wurden weitere Interviews durchgeführt. Die vollständige Monographie mit den Auswertungen der Umfragen auf dem Maidan, in Kiew, in Lwiw und Charkiw zur Identität, europäischen Perspektiven und aktualisierten mentalen Vorstellungen wird im März 2015 veröffentlicht.

[Nach einer ausführlichen Präsentation bot sich die Möglichkeit an, der Referentin Fragen zu den aktuellen Ereignissen zu stellen. Aktiv wurden Meinungen zu folgenden Themen ausgetauscht: die politische Zukunft der Ukraine, die antiukrainische Propaganda und der Nationalismus als deren Hauptlabel, die Präsidentschaftswahlen und die niedrigen Ergebnisse der nationalistischen Parteien, stereotypisierte vereinfachte Vorstellungen und Notwendigkeit der Verbreitung fundierter Informationen zur Situation im Land. Es wurde über die Notwendigkeit der Öffnung der ukrainischen Geschichte gesprochen, damit ein kollektives nationales Gedächtnis eine Chance auf eine adequate objektive Ralativierung erfahren kann.

Da Frau Sereda vor einem Jahr Interwievs in Simferopol, Jewpatorija und anderen Städten und Dörfern der Krim durchführt hat, fragten wir nach ihrer Einschätzung der jüngsten Entwicklungen auf der Halbinsel. Laut Sereda war noch vor einem Jahr nicht zu erkennen, dass die Bewohner der Krim sich eine Abspaltung von der Ukraine wünschen. „Wenn die bewaffneten grünen Männchen nicht da wären, würden die Ergebnisse des ohnehin rechtswidrigen Referendums anders ausschauen“.

Heute kommen zahlreiche Flüchtlinge aus der Krim nach Lwiw. Viele davon sind Krimtataren, die vor Verboten, Verfolgungen und Verhaftungen flüchten. Sie lassen alles zurück und bauen mit Hilfe der ukrainischen Zivillgesellschaft ihr Leben aufs Neue auf. Das einzig positive daran ist, dass es in Lwiw ein krimtatarisches Restaurant aufgemacht hat, das wir nach dem Treffen neben Ploscha Rynok besuchten. So lecker hat uns das Essen bei der Flüchtlingsfamilie Jusbaschev geschmeckt. So bitter ist der Nachgeschmack der Geschichte.

Krimtatarische Flüchtlingsfamilie Jusbaschev aus Jewpatorija, die am 7. Mai 2014 ein Restaurant in Lwiw aufgemacht hat
Krimtatarische Flüchtlingsfamilie Jusbaschev aus Jewpatorija, die am 7. Mai 2014 ein Restaurant in Lwiw aufgemacht hat

Das Community Development Institute in Tetovo

(Kristin Kretzschmar)

Das  Community Development Institute in Tetovo (CDI) besteht seit nunmehr 15 Jahren und wurde durch den jetzigen Direktor Sreten Koceski gegründet. In diesem Bericht sollen die Eindrücke und Inhalte eines Treffens mit Vertretern des CDI im Oktober 2012 wiedergegeben werden.

Zunächst gab uns der Mitarbeiter Damir Neziri eine Einführung in die interethnischen Beziehungen in Mazedonien, besonders mit Blick auf die Lage in Tetovo und die Arbeit des CDI. Hierbei warf er auch die Frage auf, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen 2001 ein Bürgerkrieg oder ein Aufstand der albanischen Minderheit waren. Schon bei dieser Frage wurde deutlich, wie viel Bedeutung Terminologie in Mazedonien hat: Man spricht nicht von Minderheiten sondern von „non-majority groups“, also Nicht-Mehrheiten.

Sreten Koceski spricht über die Probleme der CICRs. Bild: Kristin Kretzschmar

Unabhängig von der genauen Bestimmung der Art der Auseinandersetzung, stellt das Jahr 2001 einen Meilenstein in der Arbeit des CDI dar. So scheint es, dass sich das CDI zuvor noch in einer Selbstfindungsphase befand. Mitte der 1990er Jahre gab es in Mazedonien kaum Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen: „There was kind of an empty space and were eager to fill it and find out how it works with projects and funding.“ Während in den ersten Jahren Unterstützung von vielen Seiten kam, nimmt dies immer weiter ab. Momentan werden die Projekte des CDI unter anderem durch die FES und den Deutschen Volkshochschul-Verband unterstützt.

Danach gab uns der Gründer und Direktor des CDI Sreten Koceski einen Überblick über die aktuellen Tätigkeiten. Fokus lag in seiner Präsentation auf den sogenannten Committees for Inter-Community Relations (CICR), da sich der Arbeitskreis schon zuvor mit diesen beschäftigt hatte. Hierbei handelt es sich um ständige Beiräte der Gemeinderäte in Bezug auf interethnische Beziehungen. Die Einrichtung eben dieser ist seit 2002 verpflichtend in Gemeinden, in denen mindestens eine der Nicht-Mehrheitsgruppen einen Anteil von 20 % erreicht. Inzwischen wurden CICRs in 20 Gemeinden und Skopje eingerichtet und decken somit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mazedoniens ab. Die Beiräte wurden eingerichtet um den Minderheitenschutz auf der lokalen Ebene abzusichern. Lokale Entscheidungen, die die Nutzung von Sprache oder Symbolen betreffen, müssen mit den CICRs abgesprochen werden. Dies betrifft beispielsweise die Umbenennung von Straßen oder öffentlichen Einrichtungen. Die CICRs geben in diesen Fragen dann nicht-verbindliche Entscheidungen an die Gemeinderäte. Die Mitglieder der CICRs werden gewählt.

Unterschied zu den Gemeinderäten ist, dass sie eben nicht die Vertreter einer Partei oder politischen Ideologie sind, sondern Vertretern einer Ethnie. In den letzten Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass die CICRs leider nicht dem Anspruch die Kommunikation zwischen den Ethnien zu verbessern, gerecht werden konnten. In einigen Fällen wurden die CICRs in Entscheidungen übergangen. In anderen Fällen konnten die CICRs nicht arbeiten, da kein institutionelles Gedächtnis aufgebaut wurde und die Mitglieder nicht ausreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden.

Besuch des CDI. V.l.n.r.: Stefan Schneider (Praktikant der FES Skopje), Benedikt Paulowitsch, Marcel Hagedorn, Ruben Werchan, Michael Meissner, Tobias Endrich und Damir Neziri. Bild: Kristin Kretzschmar

Genau in diesen Bereichen versucht das CDI einzuspringen und bietet beispielsweise Training und Foren zum Austausch zwischen Mitgliedern der CICRs in verschiedenen Gemeinden an. Da CICRs erst verpflichtend werden wenn eine ethnische Gruppe mehr als 20% der Bevölkerung einer Gemeinde ausmacht, kam die Frage auf, warum 2011 der Zensus abgebrochen wurde. Eine endgültige Antwort darauf konnten wir nicht finden. Allerdings äußerte Damir Kritik an der „magischen Zahl“ 20. Diese sei eine „Wurzel weiterer Teilung“.

Der Anteil spiele im Zusammenleben keine Rolle, da die Rechte eines jeden Einzelnen geachtet werden müssen. „Wir sind Geißeln der Prozente. Es ist egal ob 19,9 % oder 26 % – wir müssen einen Weg finden friedlich zusammenzuleben.“ Leider ist das Alltagsleben weiterhin stark entlang ethnischer Linien geteilt. Auch wenn es gemischte Schulen gibt, heißt das nicht, dass Mazedonier gemeinsam mit Albanern in einer Klasse sitzen. Die Klassen sind weiterhin geteilt und werden teilweise sogar im Schichtsystem unterrichtet um Konflikte auf dem Schulhof zu vermeiden. Ähnliches gilt für die Nutzung der Sprache: Albaner lernen zwar Mazedonisch, aber kaum ein Mazedonier lernt Albanisch. Ältere Menschen sprechen häufig noch beide Sprachen; jüngere sehen die Sprache der jeweils anderen Ethnie oft als „enemy“.

Die unflexible 20% Lösung des Ohrider Rahmenabkommens hat die sprachliche Trennung weiter vertieft. De facto handelt es sich in Mazedonien um eine geteilte Gesellschaft, doch eine Teilung würde mit Sicherheit zu blutigen Konflikten führen. Sich dessen bewusst kommt es immer wieder zu Friedensbewegungen. Im Mai versammelten sich Bürger aus dem ganzen Land, verschiedenen Ethnien angehörig, in Skopje, um einen „March for Peace“ zu veranstalten und den Willen zum friedlichen Zusammenleben offen zu zeigen. Leider versiegen diese Bewegungen meistens sehr schnell.

Ukraine between “Central Europe” and “The Russian World”

(Kristin Kretzschmar)

Der Historiker Dr. Andriy V. Portnov hält in diesem Semester eine Vorlesung zur Geschichte und Geschichtsdebatten in der Ukraine. Hauptfokus liegt auf dem Diskurs zum Polnisch-Russisch-Ukrainischen Dreieck, insbesondere Geschichte, Erinnerung, Literatur, Sprachpolitik und Kino.

Die Vorlesungen finden Dienstags von 18.00 bis 20.00 Uhr im Institut für Slawistik der Humboldt Universität zu Berlin im Raum 5.42 statt.

Einzeltermine

23.10. – ‘Central Europe’. The concept and its Applications. Polish visions of Ukraine
06.11. – ‘The Russian World’ in Russian and Ukrainian discourse
18.12. – Ukraine in search of its identity: language, religion, history
15.01. – The image of Poland and Russia in Ukraine
22.01. – Holodomor and the Holocaust in Ukrainian identity debates