Gespräch mit der deutschen Botschafterin in der Republik Mazedonien, Frau Gudrun Steinacker

(Tobias Endrich)

Die folgenden Aufzeichnungen geben nicht die Meinung von Frau Steinacker oder des Autors wieder, sondern sind Ergebnis des Gespräches mit der Delegation des AK Osteuropa in Krusevo. Diskutiert wurde dabei über das interethnische Verhältnis von Mazedoniern und Albanern, das Verhältnis zu Nachbarstaaten und der EU sowie historische Bezugspunkte.

Mitglieder des stipendiatischen Arbeitskreises Osteuropa mit Gudrun Steinacker

Innerstaatliches Konfliktpotenzial und Unterschiede

Die Region des ehemaligen Jugoslawiens hat an zwei großen Erblasten zu tragen, zum einen der kommunistischen Vergangenheit, zum anderen sind die Konflikte beim Zerfall Jugoslawiens noch nicht bewältigt. Der Flüchtlingsstrom aus Kosovo Ende der 90er Jahre kann als Vorspiel für die interethnischen Spannungen 2001 bezeichnet werden. Ethnische Mazedonier fürchteten eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses, sollten die Kosovoalbaner im Land bleiben (was nur die wenigsten tatsächlich taten).

Als konstantes Problem der Region trat die schwache Wirtschaftsleistung und die hohe Arbeitslosigkeit hinzu. Die ärmste Gruppierung im mazedonischen Staat stellen die Roma dar.

Im Land leben schätzungsweise zwischen 20.000 und 80.000 Bulgaren, wobei nicht klar ist, ob diese durchgehend eine bulgarische Identität besitzen oder die Vorteile einer EU-Bürgerschaft im Vordergrund stehen.

Das Abkommen von Ohrid nach der Eskalation 2001 hat die Separierung von Albanern und ethnischen Mazedoniern im Land verstärkt. Die albanische Bevölkerung wird vor ein Identitätsproblem gestellt, nur die wenigsten sehen sich als Mazedonier. Während die der mazedonische Teil der Bevölkerung den Staat als mazedonischen Nationalstaat und die Albaner im Land somit als Minderheit begreift, fordern die Albaner die Gleichstellung als staatstragendes Volk. Von der Vorstellung eines großalbanischen Staates scheint die albanische Gesellschaft in Mazedonien, auch aus wirtschaftlichen Gründen, abgerückt zu sein. Ein weiterer Konfliktpunkt, die Besteuerung, scheint in den letzen Jahren verschwunden zu sein, indem die Bereitschaft vieler Albaner, Steuern zu zahlen, spürbar anstieg.

Ein Mittel zur Überwindung interethnischer Probleme könnte eine integrierte Bildungsstrategie sein. Diese steckt aber in den Anfängen. Das Abkommen von Ohrid ermöglicht den Albanern Unterricht in der eigenen Sprache, so dass es strikt getrennte albanische und mazedonische Klassen gibt.

Insgesamt kann ein Nebeneinander der Kulturen festgestellt werden. Dies macht sich im gesamten kulturellen Alltag bemerkbar, es gibt getrennte Fernsehsendungen und Ausstellungen. Verständnis muss durch politische und soziale Maßnahmen gefördert werden. Gerade im Kulturbereich treten bereits funktionierende Projekte kaum in der Öffentlichkeit hervor.

Die albanische Gesellschaft zeichnet sich durch starke traditionelle Werte aus, die z.T. in Konflikt mit westeuropäischen Werten stehen. Insbesondere die Stellung der Frauen und von Homosexuellen in der albanischen Gesellschaft ist schwach. Die Kinderrate der albanischen Bevölkerung liegt weit über dem europäischen, vor allem aber dem mazedonischen Durchschnitt. Der starke Bezug zur Großfamilie wird auch in der Art deutlich, wie die Einwohner der Republik Mazedonien ins Ausland gehen. Sind für die Albaner eher familiäre Bindungen vor Ort der entscheidende Faktor, geht es bei den Mazedoniern über die Qualifikationsschiene.

 

Zwischenstaatliche Beziehungen und europäische Perspektiven

Das geografische Gebiet Mazedonien wurde in den Balkankriegen zwischen Serbien ( heutige Republik Mazedonien), Bulgarien (Pirin-Mazedonien) und Griechenland (heute: Provinz Mazedonien) aufgeteilt. Im griechischen Teil Mazedoniens, das fast 2/3 der geografischen Region Mazedoniens umfasst, übte der griechische Staat bereits vor dem 2. Weltkrieg Druck auf die slawische Bevölkerung aus, was sich in Abwanderung bemerkbar machte. In der Folge eines groß angelegten und von den damaligen Regierungen gefeierten „Bevölkerungsaustausches“ Griechenlands mit der Türkei infolge des griechisch-türkischen Krieges zw. dessen Beendigung durch den Vertrag  von Lausanne  wurde die muslimische Bevölkerung Nordgriechenlands in die Türkei umgesiedelt, während über eine Million türkischer Staatsangehöriger orthodoxen Glaubens, Griechen,  die Türkei verlassen mussten. Viele von ihnen siedelten in Nordgriechenland.

Für eine Verschlechterung der Beziehungen sorgte auch der griechische Bürgerkrieg von 1948. Viele slawische Bewohner der Region Mazedonien kämpften auf Seite der Kommunisten. Nach deren Niederlage folgten neben der Flucht vieler Kommunisten, vor allem Slawen, auch weitreichende Verbote der mazedonischen Sprache in Griechenland, das slawischen Mazedoniern die Rückkehr nur unter der Bedingung erlaubte, dass diese sich als Griechen bekennen.

Auf der anderen Seite ist das Verhältnis zu Staaten mit albanischer Bevölkerung recht entspannt, zwischenstaatliche Probleme mit Albanien wurden gelöst und die Republik Mazedonien erkennt den Kosovo als Staat an.

Auch wenn der von Frau Steinacker hervorgehobene Grundgedanke der EU der ist, das gesamte Europa in Frieden zu vereinen, so ist ein baldiger Beitritt der Republik Mazedoniens nicht zu erwarten. Der Namensstreit mit Griechenland ist dabei nur eines der Hindernisse. Ein vergleichbarer politischer Wille zur schnellen Aufnahme wie bei Rumänien oder Bulgarien, für dessen Beitritt auch geostrategische Gesichtspunkte eine Rolle spielten und der von transatlantischen Bündnispartnern nach Kräften beschleunigt wurde, scheint im Moment zu fehlen.

Kritisch beantwortet wurde die Frage, ob die Bevölkerung falsche Vorstellungen an einen EU-Beitritt haben könnte, der von allen politischen Kräften im Land übereinstimmend angestrebt wird. Auf jeden Fall hat der Staat die Aufgabe, sich auch im Hinblick auf eine Annäherung für gemeinsame (europäische) Werte und die Rechte Behinderter, Frauen und Minderheiten einzusetzen. Diese gemeinsamen Werte könnten auch zur Identifizierung der Bevölkerung über die ethnischen Mazedonier hinaus mit dem Staat betragen und einen gemeinsamen Bezugsrahmen schaffen, der im Moment fehlt. Die Erwartungen an diesen Effekt dürfen aber nicht zu hoch sein. Auch ist fraglich, ob solche einenden (europäische) Werte Voraussetzung für einen Beitritt oder Folgen eines solchen sein können. Eine einfache Umgehung des Identitätsproblems durch einen EU-Beitritt ist aber sicherlich nicht möglich.

Bezüglich des Namensstreits kann nicht allein Griechenland in die Pflicht genommen werden. Die rote Linie dürfte bei der Bezeichnung der Staatsangehörigen als „Mazedonier“ und der Sprache als „mazedonisch“ liegen. Ein Kompromiss ohne einen Zusatz zu jetzigen Bezeichnung, beispielsweise Vardar-Mazedonien (der Vardar ist der wichtigste Fluss der Republik Mazedonien, der den gesamten Staat durchfließt), ist ausgeschlossen. Die Kompromissbereitschaft ist aber momentan bei allen Beteiligten eher gering.

Zwischen Griechenland und der Republik Mazedonien scheint sich aber auf gesellschaftlicher Ebene das Verhältnis durch einen zunehmenden Austausch und Tourismus zu verbessern.

Die deutsche Botschaft tritt bei Engagement ausländischer/deutscher Faktoren lediglich als Koordinator auf. Ein Beispiel für aktuelles deutsches Engagement ist ein Kredit der KfW für erneuerbare Energien. Der Beitritt der Republik Mazedonien zur EU wird grundsätzlich unterstützt, wenngleich nicht bedingungslos. Eine Einmischung in den Namensstreit verbietet sich für Deutschland schon aus dem historisch vorbelasteten Verhältnis zu Griechenland und insbesondere zum griechischen Teil Mazedoniens, für das stellvertretend  das Massaker von Chortiatis 1944 angeführt werden kann.

 

Ohrid

(Christopher Forst)

Ohrid gilt zurecht als sehenswerteste Stadt des Landes. Die Nähe zu Albanien und Griechenland sorgt zudem für eine strategisch günstige Lage, was Ohrid zum Tourismuszentrum gemacht hat. Man verfügt hier sogar über einen der beiden internationalen Flughäfen Mazedoniens.

Die 42000 Einwohnerstadt ist ebenso wie der gleichnamige See von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Das Galicica-Gebirge östlich des Stadtgebietes ist über 2000 Meter hoch gelegen und auch Ohrid selbst befindet sich auf einer Höhe von über 700 Metern. Dies erklärt das besonders malerische Erscheinungsbild, da das Seeufer von den Gipfeln des Galicica-Gebirges umringt ist.

Blick auf den Ohrider See. Bild: Christopher Forst

Ohrid war von zentraler Bedeutung im interethnischen Konflikt von 2001, obwohl sich die Gewalt vor allem im Nordwesten Mazedoniens entlud. Hier wurde am 13. August 2001 das Rahmenabkommen von Ohrid unterzeichnet, dass die Rechte der albanischen Minderheit seitdem sicherstellt. Auch für die weit kleinere bulgarische Minderheit ist Ohrid von zentraler Bedeutung. Im Jahr 2000 gründete sich hier die bulgarische Organisation RADKO, welche 2001 verboten wurde.Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bekam RADKO 2009 Recht, die Organisation musste wieder erlaubt werden. Der mazedonische Staat ließ sie jedoch kurz danach erneut verbieten.

Aller historischen Bedeutung zum Trotz ist Ohrid bei Urlaubern vor allem wegen seiner wunderschönen Architektur, der zahlreichen Kirchen und natürlich wegen seiner Lage am See beliebt. Ein Tag am Strand bietet sich hier ebenso an wie eine Fahrt mit einem der Ausflugsboote. Als Segelrevier ist Ohrid ebenfalls bekannt. Übrigens wusste auch Tito die Vorzüge Ohrids zu schätzen. In seiner ehemaligen Villa wohnt heute der Präsident, wenn er sich in Ohrid aufhält. Das Amphitheater sollte man bei einem Besuch Ohrids ebenso wie die Festung Samuils auf keinen Fall verpassen. Von dem steilen Gässchen, dass in Richtung der Festung führt, hat man einen fantastischen Blick über den Ohridsee.

Kirche in Ohrid. Bild: Christopher Forst

Ein Besuch des Kloster Sv. Naum wird empfohlen, leider hatten wir aber nur einen kurzen Aufenthalt in Ohrid, sodass wir hiervon absehen mussten. Die klare Mehrheit der Bewohner Ohrids ist ethnisch-mazedonisch, wodurch sich die Stadt vom Nachbarort Struga klar unterscheidet. Dies findet Ausdruck in der außerordentlich hohen Anzahl orthodoxer Kirchen. Ein Vergleich zu anderen Badeorten fällt schwer, da Ohrid deutlich kleiner ist, als viele südeuropäische Tourismuszentren. Man sollte sich aber im Rahmen einer Reise nach Mazedonien auf keinen Fall einen Ausflug nach Ohrid entgehen lassen!

Bitola – Seelenruhe bei der Kebapzubereitung

Nach dem spannenden Gespräch mit Botschafterin Gudrun Steinacker führte uns der Weg nach Struga. Geplant war von Beginn an ein Zwischenstopp in der mit etwa 75.000 (Großraum 86.000) Einwohnern zweitgrößten Stadt Mazedoniens – Bitola.

Bitola ist eine Stadt mit großer mazedonischer Mehrheit (fast 70.000). Albaner sind hier mit etwa 2.500 Bewohnern klar in der Minderheit. Zu erklären ist dies auch dadurch, dass die Stadt in den 2001 ausgebrochenen Konflikt zwischen beider Ethnien hineingezogen wurde. Nach einem tödlichen Anschlag auf mazedonische Soldaten durch die UCK griffen damals Mazedonier albanische Geschäfte und Moscheen an. Die Albaner reagierten daraufhin überwiegend mit dem Verlassen der Stadt.

Bitola ist ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Mazedoniens, was schon bei der Anfahrt durch die vergleichsweise hohe Dichte an Industriebetrieben und Gewerbegebieten sichtbar wird. Insbesondere das ansässige Kohlekraftwerk ist ein wichtiger Arbeitgeber und produziert 80% des gesamten mazedonischen Energiebedarfs. Doch auch Handwerk, Landwirtschaft und Tourismus sind nicht zu vernachlässigende Standortfaktoren der Stadt.

Aufgrund von Zeitmangel war lediglich ein etwa halbstündiger Halt möglich, weswegen sich dieser Bericht auf Eindrücke von dem Leben in Bitola beschränkt und weniger auf die berühmten katholischen und orthodoxen Kirchen sowie Moscheen. Bei dem Weg durch die Fußgängerzone reiht sich Café an Restaurant und man wird das Gefühl nicht los, weniger in Mazedonien als in einer beliebten italienischen Bergstadt zu sein. Nicht zuletzt liegt dies daran, dass die besagten Cafés und Straßen überfüllt sind mit Menschen aus Bitola und Umgebung.

Die Atmosphäre der Stadt lässt sich am ehesten durch eine Anekdote veranschaulichen. So verfügten drei Stipendiaten nur noch über 10 Minuten für einen Snack bis zur Weiterfahrt (man erinnere an den Zeitmangel!). Ein „Fast-Food“ Kebap erschien als schnelle und kostengünstige Alternative zu den übrigen Restaurants. Auf die Frage, ob die Mahlzeit innerhalb von 10 Minuten fertig sein könne, wurde wie selbstverständlich mit dem Kopf genickt. In aller Seelenruhe wurde jedoch jetzt erst das Mehl herbeigeschafft, um in Ruhe das Brot zu backen. Auch das Fleisch wurde nicht, wie man es vielleicht gewohnt ist, vom Spieß geschnitten, sondern eher abgekratzt und in Seelenruhe weitergebraten. Nach schätzungsweise 20 Minuten Zubereitung blieb den Dreien nur noch ein Sprint zum Bus, in welchem der dennoch köstliche Snack verzehrt werden konnte.

Vielleicht ist es gerade diese Ruhe, die Bitola so besonders macht. Man kann sich nur wünschen, dass sich auch das Verhältnis von Mazedoniern und Albanern in Bitola der Kebapzubereitung angleicht – entspannt, heiter und schmackhaft.

Bitola – Geschichte und Sehenswürdigkeiten

(Christopher Forst)

Bitola, das erst kürzlich vom Internetportal „Skyscanner“ in den erlesenen Kreis der „sechs geheimen Städte Europas“ aufgenommen wurde, ist mit seinem von zwei Moscheen gesäumten Magnolijaplatz wohl als die „türkischste“ Stadt Mazedoniens zu bezeichnen. Die Stadt ist inmitten einer Berglandschaft gelegen, unweit vom 2601 Meter hohen Gipfel des Pelister.

Ihre Blütezeit hatte sie unter der Herrschaft der Osmanen, was auch die vielen osmanischen Bauten erklären mag. In der frühen Phase des osmanischen Reiches waren in der Region nur Konstantinopel und Thessaloniki größer und bedeutsamer. Heute ist Bitola die zweitgrößte Stadt Mazedoniens mit etwa 80000 Einwohnern.

Neben ihren Moscheen und den Neo-Barock und Renaissancefassaden prägen vor allem die zehn hier ansässigen Botschaften die Stadt. Der Basar deutet ebenso wie das Stadtmuseum, in dem Fotografien an Mustafa Kemal Atatürk erinnern, der hier während seiner Militärzeit stationiert war, auf die türkische Vergangenheit hin. Da die Stadt nicht weit von der griechischen Grenze gelegen ist, machen sich mitunter (etwa im kulinarischen Bereich) auch griechische Einflüsse bemerkbar. Den deutschen Friedhof haben wir bei unserem Kurzbesuch nicht besichtigen können, doch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Deportation von über 3000 Juden aus Bitola durch die Nationalsozialisten bleibende Spuren hinterlassen hat.

Der Uhrenturm und die Kirche Sv. Dimitrij, deren Besuch kostenpflichtig ist, sind Zeugnisse des Christentums in der Stadt. Heute leben hier paradoxerweise fast ausschließlich slawische Mazedonier. Die Türken sind als drittstärkste Gruppe kaum schwächer vertreten, als die Albaner. Jedoch ist auch die türkische Community mit ungefähr 1500 Mitgliedern prozentual nicht stärker, als im Landesdurchschnitt. Die fast 600 Aromunen bilden eine Besonderheit. Sie stammen ursprünglich aus dem heutigen Rumänien. Sie sind meist orthodoxe Christen und sprechen eine eigene Sprache.

„Wenn nichts passiert, wird das explodieren!“

(Gabriel Deutscher)

Zum Auftakt unserer Studienreise in Mazedonien trafen wir uns mit dem lokalen Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Skopje, wo uns dessen Leiter Dr. Heinz Bongartz, ein sympathischer Rheinländer in Jeans und Poloshirt, sowie seine Mitarbeiterinnen Nita Starova und Jasmina Chukalkovska begrüßten. In den modernen Räumen im zweiten Stock eines Bürokomplexes am Rande der Skopjoter Innenstadt  arbeiten fünf lokale Projektkoordinatoren und ein Logistiker und ein Praktikant, um im Sinne der FES Demokratie, Frieden und Entwicklung zu Fördern und Globalisierung sozialverträglich zu gestalten. In Mazedonien heißt dies vor allem, das demokratische System durch politische Bildung von Multiplikatoren zu stärken, die Partizipationsfähigkeit von Minderheiten zu erhöhen und durch frühzeitige Prävention neuen Konflikten entgegenzuwirken.

Dr. Bongartz führte uns in einer offenen Diskussion zunächst in die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage Mazedoniens ein. Die Beziehungen des jungen, erst seit 1991 unabhängige Staates zu seinen Nachbarn sind noch immer von Spannungen geprägt. Insbesondere der „Namensstreit“ mit Griechenland behindert die Integration in die NATO und die Europäische Union. Bongartz machte deutlich, das die griechische Position zwar für Mazedonien problematisch ist, doch „die Griechen sind nicht Schuld.“ Streitpunkt sei die politische Identität von Staaten und auf beiden Seiten fehle der politische Wille für einen Kompromiss.

Innenpolitisch seien jedoch die interethnischen Beziehungen, die im Fokus unserer Reise stehen, das Hauptproblem. Ausgangspunkt sei der beginnende Bürgerkrieg 2001, bei der albanische Kämpfer der UČK für mehr Rechte der albanischen Minderheit gegenüber der mazedonischen Mehrheit kämpften. Dank internationaler diplomatischer Intervention und friedenserhaltender Maßnahmen konnte der offene Konflikt im Rahmenabkommen von Ohrid beigelegt werden, das insbesondere die Beteiligung der albanischen Bevölkerung an gesamtstaatlichen Entscheidungen, weitgehende Rechte in der lokalen Selbstverwaltung und die Gleichstellung beim Zugang zum öffentlichen Dienst und im Bildungswesen regelte. Doch die Spannungen flammten insbesondere im Frühjahr dieses Jahres wieder auf, als ein mazedonischer Polizist zwei junge Albaner erschoss. Hierauf kam es zu Ausschreitungen in Schulen und fünf Mazedonier wurden unter ungeklärten Umständen ermordet.

Die wirtschaftliche Situation Mazedoniens beschreibt Bongartz als sehr kritisch. Die Arbeitslosigkeit beträgt über 30%, die Jugendarbeitslosigkeit sei mit 65% noch deutlich höher. Seit Anfang des Jahres seien die Lebensmittelpreise, insbesondere für Brot und Milch, deutlich gestiegen. Ungefähr 20% der Bevölkerung lebe unter der Armutsgrenze. Erschwerend komme die steigenden Energiepreise hinzu.

Bongartz kritisiert die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung. Statt wirtschaftliche Reformen voranzutreiben, investiere die Regierung in das Megaprojekt Skopje 2014, mit dem der Mythos eines antiken Mazedonien verkörpert werden soll. Alleine für dieses Projekt habe der Staat einen Kredit über 240 Mio. EUR mit einem sehr hohen Zinssatz aufgenommen. Der Staat sei derzeit kaum noch zahlungsfähig und die Fälligkeit des ersten IWF-Kredits 2015 könnte zur endgültigen Insolvenz führen. Die qualifizierten jungen Leute wandern aus, zurückbleiben rund 100.000 Arbeitslose, die als nicht beschäftigungsfähig gelten – bei einer Gesamtbevölkerung von 2 Millionen Einwohnern. „Wenn nichts passiert, dann wird das explodieren“, so Bongartz.

Die Politische Kultur Mazedoniens leidet unter dem Erbe des Sozialismus und der Transformationsprozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Zwar sei formell das Skelett eines demokratischen Staates vorhanden, doch das System selbst beruhe auf Korruption, Nepotismus und einer Kultur der Angst. Seit der Cousin des Regierungschefs Leiter des Geheimdienstes ist, müssten Oppositionelle damit rechnen, dass nicht nur sie selbst aus allen Stellen des Staatsapparates ausgeschlossen würden, sondern auch ihre Verwandten. Nicht von ungefähr vergleicht Bongartz das System mit anderen osteuropäischen Autokratien. Es herrsche ein Top-Down-Denken, in dem ausschließlich bedingungslose Loyalität zähle. Das politische Leben sei von einem Lagerdenken geprägt, in dem Wahlkampf als Krieg verstanden würde. In ihrem Willen, Pfründe für die eigenen Anhänger zu sichern und sich selbst zu bereichern, würden sich die konservative VMRO und die postsozialistische SMDP untereinander genauso wenig unterscheiden, wie die drei albanischen Parteien.

Ein grundsätzlicher Wandel sei nur eine Graswurzelbewegung zu erwarten. „Aus Movements können Parteien werden“, hofft Bongartz, doch bisher fehlen Persönlichkeiten die eine solche Bewegung tragen könnten und Ideen, die Veränderung bringen. Eine Schlüsselrolle habe dabei die Zivilgesellschaftsförderung, insbesondere durch die EU.

Keiner will mehr Krieg auf dem Balken, doch die Situation, so unser erster Eindruck ist weniger ruhig, als man angesichts der fehlenden Medienberichterstattung in Deutschland annehmen könnte. Hieran kann auch das Abendessen mit jungen aufstrebenden Parteifunktionären, Teilnehmern der politischen Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung und Absolventen des internationalen  Parlamentsstipendiums des Bundestags nichts ändern. Auch hier stoßen wir auf interethnische Vorbehalte, auf Ratlosigkeit gegenüber der wirtschaftlichen Situation und auf fehlende Kompromissbereitschaft gegenüber anderen politischen Meinungen. Der Abend vermittelt die Lebensfreude der Menschen, für die Politik nicht Alles ist, solange es noch Šopska Salat, gebackenen Käse und große Fleischportionen gibt. Einen Brotkorb sucht man vergebens, denn um uns herum sitzen nur die gut ausgebildeten, einflussreichen, parteinahen Funktionäre von morgen.

Heinz Bongartz und Nita Starova und dem FES-Büro Mazedonien sind wir zu größtem Dank verpflichtet. Ohne Sie wäre die Exkursion nach Mazedonien in dieser Form nicht realisierbar gewesen. So vermittelten sie uns nicht nur die Kontakte zu zahlreichen NGOs und hochrangigen Vertretern von Parteien und Zivilgesellschaft, sondern halfen uns auch bei der logistischen Durchführung bis hin zur Buchung der Hotels.