Eine NGO, die eine ganze Region gestaltet

(Linda Günther)

KRDF steht für Kakheti Regional Development Foundation. Dahinter verbirgt sich eine NGO, welche auf vielen verschiedenen Ebenen gesellschaftspolitisch im Pankissi Tal aktiv ist.

IMG_7688

Das Pankissi Tal liegt im Norden Georgiens und besteht aus zwölf Dörfern mit insgesamt ca. 8000 Einwohner*innen. Diese Region ist deshalb interessant, weil dort die Kisten leben, welche muslimischen Glaubens sind.

DSCN5297

Im Rahmen unserer Reise durch Georgien hat sich der AK Osteuropa mit VertreterInnen von KRDF getroffen. Dazu fuhren wir nach Akhmeta am Rande des Pankissi Tals. Wir wurden sehr freundlich von einer Gruppe Frauen in den Räumlichkeiten der NGO empfangen. Zunächst berichtete uns die Leiterin von ihrer Arbeit, bevor wir anschließend über Fragen diskutierten.

IMG_7446

KRDF wurde 2008 gegründet. Ihr Hauptanliegen besteht darin, die Integration der sogenannten IDPs (internally displaced persons) und die Entwicklung einer Zivilgesellschaft im Pankissi Tal zu fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, schafft KRDF sehr breit gefächerte Angebote in der gesamten Region. Beispielsweise ist das Büro in Akhmeta ein öffentlicher Ort geworden, an dem Jugendliche ihre Freizeit verbringen, aber auch zusätzliche Bildungsangebote in Anspruch nehmen. Im Pankissi Tal ist die Arbeitslosenquote sehr hoch. Genaue Zahlen konnten uns leider nicht genannt werden, aber besonders die jungen Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Daher versucht die NGO, Jugendliche bei Bewerbungen für Universitäten in anderen Regionen und durch Weiterbildungsmöglichkeiten zu unterstützen. Außerdem finden regelmäßig Workshops statt, bei welchen die Anwesenden erfahren, wie sie eigene Projekte starten und Fördergeldanträge stellen können.

DSCN5263

Neben der Arbeit mit Jugendlichen spielt die Integration von Geflüchteten eine große Rolle. Im Pankissi Tal leben viele tschetschenische Flüchtlinge und IPDs aus dem Gebiet Südossetien. KRDF setz sich unter anderem dafür ein, dass diesen Menschen Wohnraum zur Verfügung steht. Dafür kauften sie seit 2009 64 Häuser im Pankissi Tal.

IMG_7704

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Arbeit mit und für Frauen. 2011 wurde das „Women`s Council“ gegründet. Es besteht aus 15 Frauen, die sich für die Rechte derFrauen innerhalb der Gesellschaft und ihren Familien einsetzen. Dieses Gremium formuliert Vorschläge für Familiengesätze und gibt Ratschläge für Familienprobleme. Die Entscheidungen darüber trifft zwar der Ältestenrat („Council of Elders“), jedoch arbeitet dieser mit dem „ Women`s Council“ zusammen, was als Erfolg gewertet werden kann. KRDF unterstützt außerdem Frauen, welche von häuslicher Gewalt betroffen sind oder sich haben scheiden lassen. Das Team um KRDF besteht aus zwölf hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, worunter sich auch Psycholog*innen befinden, die sich speziell um Probleme von Frauen kümmern.

IMG_7703

Wie uns dargestellt wurde, ist die Arbeit von KRDF sehr vielfältig und die Organisation scheint zu einer wichtigen Institution innerhalb des Pankissi Tals geworden zu sein. Nach eigenen Angaben sind alle erfolgreichen Projekte nur mithilfe von KRDF entstanden. Die Arbeit zeigt aber auch, dass sich im Pankissi Tal ganz eigene politische Strukturen entwickelt haben, welche es gilt mitzugestalten. Daher war es sehr interessant etwas über die Arbeitsweise des „Women`s Council“ zu erfahren und damit gleichzeitig über die Rolle des Islams in dieser Region. Auf Nachfragen zu radikalen Strömungen antworteten die Vertreterinnen von KRDF ganz offen. Sie sagten, dass es unter den Muslimen im Pankissi Tal auch Radikale gibt, diese jedoch nicht die Mehrheit bilden und mit dem übrigen Teil ist eine gute Zusammenarbeit möglich. In den Gesprächen war es weiterhin aufschlussreich, herauszuhören, dass der größte Wunsch darin besteht, einer Region und den Menschen die dort leben eine Perspektive zu geben und kontinuierlich an einem Aufbau zu arbeiten. Anschließend an die offizielle Gesprächsrunde wurden wir zu Kaffee und Kuchen eingeladen. In ein paar informellen Gesprächen wurde deutlich, dass besonders die Frauen dankbar für die Arbeit von KRDF sind. Denn dadurch haben einerseits einige von ihnen einen neuen Arbeitsplatz bekommen und andererseits stärkt diese NGO ihre Stimme innerhalb der Gesellschaft.

IMG_7456 IMG_7459

Der Besuch zeigte, dass gesellschaftliche Veränderungen durch die kontinuierliche Arbeit mit den Menschen vor Ort möglich sind und vorangetrieben werden können.

DSCN5293

Weitere Informationen zu KRDF unter http://www.krdf.ge.

DSCN5294 IMG_7716 IMG_7736 IMG_7733 IMG_7735 IMG_7758 IMG_7765 IMG_7761 DSCN5305 IMG_7732 DSCN5318

 

Wenn Liebe so einfach wäre…

Montag, 23. Mai 2016

Ein Straßen-Graffiti in Tiflis
Ein Straßen-Graffiti in Tiflis

Es springt einem förmlich ins Gesicht, wenn man durch die georgischen Straßen wandert – in mannigfaltiger Form: Graffitis, sich tief verbeugende Menschen vor dem Haus des Patriarchen, eng aneinander gehende heterosexuelle Pärchen. Georgien ist ein Land, das an seinen Traditionen festhält. Die Familie ist stark in Georgien. Und die Familie ist fest an bestimmte Werte und Verhaltensweisen gebunden, an aller erster Stelle die Rollenverteilung von Mann und Frau. Die Vorstellung einer Frau, keine Mutter sein zu wollen, ist undenkbar. Die Vorstellung einer Frau mit einer anderen Frau zusammen zu sein ebenfalls.

Foto: Bibi Ritter
Im Gespräch mit Beka Gabadadze (links)

Beka Gabadadze ist studierter Sozialarbeiter und Vorsitzender der NGO LGTB Georgia. Er ist ein schlanker, fröhlicher Mann – trägt eine Cap mit der Aufschrift „Boy“ und schämt sich für sein schlechtes Englisch – grundlos! Der AK Osteuropa hat keine Probleme ihn zu verstehen, als er beginnt zu erzählen: LGTB Georgia setzt sich für die Gleichberechtigung von homosexuellen, transsexuellen und bisexuellen Menschen in Georgien ein. Seit 2011 ist LGTB Georgia eine von vielen Organisationen, die sich dieses Ziel auf die Fahnen schreibt. Im Jahr 2000 wurde Georgien das erste post-sowjetische Land, das Homosexualität offiziell legalisierte. Seit 2006 gibt es erste Anti-Diskriminierungsgesetze, die sich zunächst auf die Diskriminierung am Arbeitsplatz (2006) und anschließend auf jegliche Lebensbereiche (2014) beziehen sollten. Auf der anderen Seite stehen enorme Bemühungen, diese Fortschritte zu neutralisieren: die Verfassung definiert die Ehe explizit als Vereinigung von Mann und Frau (Article X, Section 1, Paragraph 2; Alexander, Shannon, Schafer, Heather, 2004). Eine eingetragene Partnerschaft (wie in Deutschland), geschweige denn eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen ist undenkbar, operative Geschlechtsumwandlungen eine Sünde.

Der 17. Mai 2013 – der internationale Tag gegen Homophobie – ist ein dunkler Tag. In Tiflis wird ein friedlicher Demonstrationsmarsch der Bürgerrechtsorganisation Identoba von über 15.000 orthodoxen Gegendemonstranten überfallen. Gewalt bricht aus, Homosexualität und orthodoxe Kirche als unvereinbare Entitäten. Doch das ist nicht das einzige, was unvereinbar ist: Georgien als stolzes EU Assoziierungsmitglied versucht mit ihren Anti-Diskriminerungsgesetzen Sympathien der westlichen Länder zu erlangen.

Foto: Bibi Ritter
Der Flughafen Tiflis begrüßt seine Gäste mit einer klaren Botschaft

Leider steht die Realität im krassen Gegensatz dazu. Denn offiziell bezeichnet die Polizei die Übergriffe als gewöhnliche Straßenübergriffe. Seitdem die LGTB Organisationen wie Pilze aus dem Boden schießen, steigt laut Identoba vor allem für homosexuelle Männer das Risiko an sogenannten „hate crimes“ zum Opfer zu fallen. Auch „femicide killings“ nehmen zu. Dabei handelt es sich um die Ermordung von Frauen, die nicht dem gängigen Rollenbild entsprechen, z.B. Dozentinnen an der Uni, die besser ihren ehelichen Pflichten nachgegangen wären. Dies gilt auch für heterosexuelle Frauen und alle Menschen, die das Fundament der Kirche und des Staates mit ihren alternativen Lebensformen bedrohen.

Eines der größten Probleme der Pro-LGTB-Organisationen ist ihr ausgeprägtes Top-Down-Prinzip. Oft werden Entscheidungen nicht von der Basis aus getroffen. Dies möchte Beka ändern. Laut ihm formiere sich gerade eine Studentenbewegung, die das Potenzial haben könnte LGTB Rechte stärker zu legitimieren. Für die Zukunft wünscht sich Beka weniger Unterdrückung und Stigmatisierung. LGTB Georgia besteht aktuell aus ca. 30 Mitgliedern und kämpft mit zahlreichen Projekten für LGTB-Rechte: „Strenghening LGTB community with the aim of HIV/AIDS prevention“ wird finanziert vom National Center of Disease Control and Public Health. Weitere Unterstützung erhalten sie von der amerikanischen Botschaft, der ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans & Intersex Association), der Women’s Initiative Supporting Group bzw. dem georgischen Women’s Fund. Die Organisation versucht zudem ins Herz des Problems zu zielen – in die Familien: Im Rahmen des Projekts „Parents for Equality“ wurde beispielsweise der Mother’s Club gegründet, in dem sich Mütter austauschen und Erfolgs-Stories über das Coming-Out ihrer Kinder unterstützen.

Die zentrale Arbeit der LGTB Georgia findet allerdings in den „Community Centern“ statt, die allen LGTBs eine sichere Anlaufstelle für Austausch und Kennenlernen bietet. Das LGTB Georgia Hauptquartier liegt mitten im Herzen von Tiflis.

AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia
AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia

Als wir, als AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Gebäude verlassen, stehen uns 15 junge Männer entgegen und verfolgen misstrauisch jeden einzelnen Schritt bis wir um die Ecke gegangen sind. Weil wir die Befürchtung haben, dass sie auf Beka und seine KollegInnen warten, gehen wir zurück, um diese zum Mitgehen zu bewegen. Doch Beka winkt ab. Vielleicht ist es keine Besonderheit für ihn. „Daily work is not easy“, sagt er und wünscht uns einen schönen Abend.

https://www.youtube.com/watch?v=E1PPKywjxDQ

Text und Bilder: Bibi R.