Taxifahren in Zentralasien

von Lydia Wachs

Stadtverkehr in Astana, Kasachstan (Bilder: Lydia Wachs)

Eigentlich ist Reisen in Zentralasien ganz einfach – man kann nämlich fast alles mit dem Taxi er-fahren. Auch wenn dies natürlich etwas übertrieben ist, so stimmt es schon, dass man einige Distanzen mit dem Taxi zurücklegen kann und dafür auch gar nicht so tief in die Tasche greifen muss. Netter Nebeneffekt dabei ist, dass man oft in witzige und interessante Gespräche verwickelt wird und – zumindest in meinem Fall bisher – nur selten bitterböse Erfahrungen macht. Einige dieser Stories sind es, wie ich finde, wert zu erzählen.

Wer den Film „Night on Earth“ von Jim Jarmusch gesehen hat (wenn nicht, unbedingt schauen!), kennt die Szene im nächtlichen New York der 1990er Jahre, in der der Afroamerikaner Yoyo auf den gerade aus Ostdeutschland eingereisten Taxifahrer Helmut Grokenberger trifft. Da Letzterer weder den Weg nach Brooklyn kennt noch Erfahrungen mit Automatikgetriebe vorzuweisen hat, übernimmt kurzerhand Yoyo das Steuer und so entspinnt sich eine überaus lustige Szene zwischen den beiden. Zwar ist es noch nicht so weit gekommen, dass mir das Steuer übergeben wurde (wäre, wenn es nach meinem Fahrlehrer ginge, vielleicht auch nicht die beste Idee), dafür mache ich andauernd die Erfahrung, dass mich die Taxifahrer nach dem Weg fragen. Ich kann mir ja schon vorstellen, dass es nicht leicht ist, in einer Metropole alle Straßen zu kennen, aber jetzt mal ernsthaft:  Erstens haben die meisten doch eh einen Navi, zweitens wurde ich dies auch schon in der 400 000 Seelen Stadt Karaganda gefragt (just nach dem ich am Bahnhof zum ersten Mal in der Stadt angekommen war) und drittens – Ich? Eine Ausländerin soll den Weg besser kennen als ein Taxifahrer?
Meist haben wir – oder eben das Navi – den Weg dann aber auch irgendwie gefunden…

Bist du verheiratet?

Für den Weg von meiner WG in Astana zum Flughafen rief ich mir also ein Taxi. Später sollte mein Flug nach Bischkek gehen. Schon die Art, wie der Taxifahrer heranfuhr, lies mich ein bisschen erschaudern: Schön nutzte er den glatten Eisboden und sein scheinbar nicht existentes Reifenprofil aus, um in einem Kreis an meine Tür heran zu schliddern. Als ich die Autotür öffnete, stellte ich außerdem fest, dass es sich um ein – wie ich anfangs dachte – altes britisches Auto handelte, d.h. mit dem Lenkrad auf der rechten Seite (wie mir in Kirgistan später erklärt wurde, sind dies jedoch alles aus Japan importierte Autos, die so um einiges günstiger sind als Autos mit dem Steuer links). Nach ein paar Minuten Autofahrt fielen mir die vielen Polizeikontrollen am Straßenrand auf und irgendwie dachte ich mir schon, dass wir bestimmt angehalten werden würden (bei dem Auto und dem Fahrstil!). So kam es schließlich auch und es begann erstmal eine längere Kontrolle und Diskussion zwischen Taxifahrer und Polizisten. Ich hatte – wie immer vor Flugreisen – glücklicherweise viel zu viel Zeit eingeplant und daher erstmal keinen Stress. Nach ein paar Minuten fragte ich dann aber  doch mal nach, wurde jedoch geflissentlich ignoriert. Irgendwann schien es sich jedoch wirklich um ein auswegloses Problem zu handeln, sodass sich der Taxifahrer kurzerhand meinen Koffer schnappte und in ein anderes Taxi verfrachtete – ich kam mit Mühe und Not und meinem restlichen Gepäck hinterher. Die ersten Minuten der neuen Fahrt waren ruhig, doch dann ging die Fragerei los. Woher ich denn komme und was ich machen würde? – Deutschland, Reisen (Erklärungen über Praktika waren mir gerade zu langwierig). Und wie alt ich denn sei? Und ob ich einen Mann habe oder einen Freund? Da mein Taxifahrer eher jünger als ich schien und sicher nicht bedrohlich, antwortete ich bereitwillig – Nein, alles nicht. Und ob ich denn Kasachstan oder Deutschland besser fände? Und ob ich lieber einen Kasachen oder Deutschen heiraten wollte? Zumal ich ihm erzählt hatte, dass ich nur ein bisschen in Kasachstan herumreiste, waren diese Fragen schon ein bisschen merkwürdig, aber gut…Irgendwann schafften wir es dann auch zum Flughafen und zu weiteren Fragen kam es nicht mehr. Nur konnte ich noch kurz erfahren, dass er erst 19 Jahre alt war und schon mit 12 Jahren Autofahren gelernt hatte.

Die gute Seite der Taxifahrer

Wenig später in Bischkek auf dem Weg zum Busbahnhof, von dem aus ich an den Issyk Kul fahren wollte, traf ich wieder auf einen äußerst gesprächigen Taxifahrer. Als er hörte, dass ich an den Issyk Kul nach Karakol möchte, bot er mir sogleich an, mich direkt dorthin zu bringen – eine Strecke von etwas mehr als 400km. Die Fahrt wäre doch so viel komfortabler und ich könnte überall anhalten und Fotos machen. Außerdem glaube er, dass heute eh keiner mit der Marschrutka an den Issyk Kul möchte und diese fuhren ja erst, wenn sie voll wären. Glücklicherweise dachte ich mir schon, dass er nur gern mir seine Fahrt verkaufen wollte und bestand also auf die Marschrutka. Am Busbahnhof, als hätte er mir nie von alledem erzählt, brachte er mich dann auch direkt zur nächsten Marschrutka, half mir noch beim Umladen und nach 15 Minuten fuhren wir schon. Das ist eben auch eine Seite mancher Taxifahrer hier: erst binden sie einem irgendeinen Bären auf, aber letztendlich, als hätten sie dies alles nie getan, helfen sie einem bereitwillig – er hätte mich schließlich auch irgendwo hinbringen können, wo ich keine Marschrutka gefunden hätte.

„Händi hoch!“

Vor ein paar Wochen in Almaty, saß ich mal wieder neben einem Taxifahrer im Auto. Dieser fragte mich plötzlich, was sich hinter einem Laden verberge, an dem wir gerade vorbeigefahren waren. Irgendein schicker Modeladen namens „Zilly“ – sagte mir auch nichts. Warum fragte er mich? Wie sich herausstellte, dachte er wie die meisten hier, dass ich Russin sei (und da kennt man wohl diesen Laden?!). Im Verlauf des Gesprächs bemerkte er, dass ich doch wirklich eine tiefe Stimme hätte, die sei ja sogar tiefer als seine – das fand er überaus lustig. Dann sagte er plötzlich: „ Händi hoch, Händi hoch“ – Ich verstand nicht: „Handy hoch??“- „Nein, Händi hoch…“. Mit seiner Erklärung verstand ich dann doch: „Hände hoch“. Scheinbar hatte er als Kind alte sowjetische Kriegsfilme gesehen, in denen die deutschen Feindestruppen immer „Hände hoch“ schrien und mit Gewehren vor der Nase der Russen herumfuchtelten. So hatte er diese Phrase übernommen und mit seinen Freunden immer das Spiel „Hände hoch“ gespielt und die Filmszenen imitiert. Als ich das Taxi verließ, verabschiedete er sich mit den Worten „Hände hoch!“

Usbekisches Taxi stehlen?

Doch nicht nur in Kirgistan und Kasachstan lässt sich fantastisch Taxifahren, sondern auch in Usbekistan, wie ich vor kurzem die Erfahrung machte. Zum Glück hatte mir Anni, eine Freundin von mir in Taschkent, vorweg den maximalen Preis fürs Taxi vom Flughafen zum Verhandeln genannt. Ausländer können am Flughafen in Taschkent jedoch keine usbekische Som abheben und eine Wechselstube für US-Dollar gibt es nicht, weshalb ich mit der Freundin ausmachte, dass ich zu ihr auf die Arbeit kommen würde und sie mein Taxi vorerst bezahlte. Dem Taxifahrer erzählte ich dies natürlich erst, als wir bereits am Ziel angekommen waren. Anstatt mir die Möglichkeit zu geben, Anni ausfindig zu machen, lief er sogleich selbst los und war damit verschwunden – Schlüssel ließ er stecken. Da ich nicht einfach ohne Bezahlung abhauen wollte (und auch kein Interesse an dem Diebstahl seines Autos hatte), blieb mir also nichts anderes übrig, als im Taxi auf den Taxifahrer zu warten. Schließlich kam er nach ein paar Minuten auch wieder zurück und wen brachte er mit – Anni.

Der Einfachheit halber entschied ich mich an meinem zweiten Tag in Usbekistan, mit dem Taxi von Taschkent nach Samarkand zu fahren (ca. 300km). So fuhr ich zum zentralen Sammeltaxi-Platz, auf dem ich direkt von einem Dutzend Taxifahrern umzingelt wurde. Irgendwie entschied ich mich für einen von ihnen. Leider vergaß ich dabei jedoch zu fragen, ob er bereits andere MitfahrerInnen gefunden hat. Hatte er nämlich nicht und da er auch keine großen Anstalten dazu machte, fing erstmal eine längere Wartezeit an. Schließlich fand er – wie weiß ich nicht – doch zwei usbekische Babuschkas, sodass die Fahrt nach mehr als einer Stunde starten konnte. Ich hatte extra Lesestoff dabei und freute mich auch auf die vorbeibrausende Landschaft. Wie sich jedoch herausstellte, konnte ich die Fahrt nicht ganz so genießen wie geplant. Das Gaspedal wurde bis zum Anschlag durchgedrückt und in dieser Position für die nächsten vier Stunden gehalten. So flogen wir mehr oder weniger im Chevrolet nach Samarkand – zumindest jedes Schlagloch veranlasste einen kleinen Höhenflug. Nach 2/3 der Strecke mussten wir etwas verlangsamen, da wie sich herausstellte, ein furchtbarer Unfall stattgefunden hatte. Der Anblick dessen berührte auch den Taxifahrer für kurze Zeit, doch dann wurde wieder aufs Gaspedal gedrückt. Ich hatte mir jedenfalls schon längst geschworen, dass – komme was wolle – ich mit dem Zug wieder nach Taschkent zurückfahren würde.  Bevor wir nach Samarkand rein kamen, setzten wir noch die beiden Babuschkas ab, mit denen zumindest ein kurzes nettes Gespräch zustande gekommen war, in dem aber natürlich wieder die obligatorischen Fragen nach meinem Familienstand abgearbeitet wurden. In Samarkand sammelten wir dafür dann die Schwester des Taxifahrers ein und suchten dann zu dritt mein Hostel. Eigentlich hatte ich die Adresse genannt, aber so richtig nach Logik schienen wir nicht vorzugehen. Statt einfach nach Hausnummern zu suchen, wie ich vorschlug, wollte die Taxifahrer-Schwester lieber das Hostel anrufen. Kurz bevor es dazu kam, fanden wir es aber auch so. Ich zahlte ihm wie anfangs abgemacht 40 000 Usbekische Som, d.h. umgerechnet 4 Euro – ein Stundenlohn für ihn von 1 Euro…!

Die schwarzen Schafe

Dennoch muss auch nicht jede Fahrt ein nettes – oder halbwegs nettes – Erlebnis sein. Wie ich von einer Bekannten letztens mitbekam, die ohne Russischkenntnisse gerade erst in Almaty gelandet war und ein Taxi ins Zentrum genommen hatte, wollte der Taxifahrer am Ende umgerechnet 40 Euro für eine Fahrt haben, die normalerweise um die 3 Euro kostet. Glücklicherweise schaffte sie es den Preis auf 10 Euro zu „drücken“. Als sie jedoch das Taxi verließ, bemerkte sie noch, dass der Taxifahrer die gesamte Situation gefilmt hatte – wahrscheinlich zum Gefallen seiner Kumpel.
Und auch als ich letztens mitten in der Nacht am Busbahnhof von Almaty nach einer langen Fahrt wieder ankam, hatte ich nicht das beste Taxi-Glück. So stieß ich auf einen Taxifahrer, der zunächst ein anderes Paar nach Hause brachte. Dies gestaltete sich als sehr langwierig, da er die Adresse (mal wieder) nicht fand. Als ich schließlich an der Reihe war, fiel ihm ganz plötzlich auf, dass der abgemachte Preis doch viel zu gering sei und veranschlagte gleich einmal 50 Prozent mehr. Ich sträubte mich natürlich – insbesondere dann, als er auch nicht die Adresse, zu der ich wollte, fand. Da ich jedoch kein Kleingeld dabei hatte und auf sein Wechselgeld angewiesen war, konnte ich nur wutschnaubend den höheren Fahrpreis annehmen. Lektion gelernt: Nimm nie ein Taxi ohne Kleingeld!

Insgesamt überwiegen bisher aber doch die positiven und netten Geschichten und es ist immer wieder spannend, was sich hinter der nächsten Taxitür verbirgt. Auf die Art komme ich zumindest zu Gesprächen mit Leuten, mit denen ich sonst wohl eher nicht interagieren würde.  Außerdem hat mir neulich ein Freund erzählt, dass auch er die ganzen Fragen um seinen Familienstand immer beantworten müsste. Gehört hier halt so zum Smalltalk, wie bei uns das Wetter. Außerdem hat er mir den Rat gegeben, selbst auch mal die Verheiratet/Kinder/etc.-Frage als Gegenfrage zu stellen, da kämen wohl immer interessante Geschichten zustande!

Dieser Text stammt von AK-Mitglied Lydia und ist zuerst erschienen auf https://steppenbericht.wordpress.com. Schaut mal auf ihrem Blog vorbei!

Danke, Lydia!

Zwischen Einschusslöchern und Dolma – ein Kurzbesuch in Bosnien und Herzegowina

(Alice Greschkow)

Geografisch gar nicht so weit weg, doch im Kopf auf einem anderen Stern: Bosnien und Herzegowina. Im Mai 2013 hatte ich die Gelegenheit für zehn Tage in das Balkanland zu reisen, das zwischen dem jüngsten EU-Mitgliedsstaat Kroatien, Serben und Montenegro liegt, um Interviews für meine Bachelorarbeit durchzuführen.  Einige Beobachtungen, die ich machen konnte, werde ich im Folgenden darlegen.

Nach der Landung auf dem kleinen Flughafen Sarajevos fällt zuallererst die Landschaft auf – waldbedeckte Bergketten und grüne Wiesen erstrecken sich durch das Land und die kleinen Einfamilienhäuser am Stadtrand zeichnen ein Bild, das bekannt ist aus anderen Balkanländern: man versucht sich ein kleines, hübsches und sicheres Reich aufzubauen. Liebevolle Details werden in Gärten und Dekorationen eingearbeitet, sodass man sich zu Haus wohl fühlen kann.

Zu Haus – ein gar nicht so einfacher Begriff in Bosnien und Herzegowina. Unvergessen ist der Krieg in den 1990-ern, bei dem zehntausende Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen. Viele verließen das Land, wurden aus ihren Häusern vertrieben oder flohen auf der Suche nach Sicherheit – in ihre Häuser konnten sie später selten zurück. Inzwischen scheint sich die Lage normalisiert zu haben.

Besonders Sarajevo überzeugt durch Vielfalt und Sehenswürdigkeiten. Im Stadtkern kann man orthodoxe und katholische Kirchen, aber auch Moscheen und eine Synagoge finden. Die Religionen scheinen tatsächlich nebeneinander existieren zu können, über die alten Konflikte, die mit Religion und ethnischer Zugehörigkeit in Verbindung stehen, will keiner reden, besonders die jungen Menschen nicht.

Sarajevo blüht bei gutem Wetter auf – die Straßen, Cafés und Plätze im Zentrum sind voller Menschen, die ihren Nachmittag in der Sonne genießen wollen. Das Zentrum bietet eine interessante Symbiose zwischen einem alten und traditionellen Teil, in dem kleine Häuschen, traditionelle Cafés und Kebab-Buden aufzufinden sind, und einem modernen City-Teil, der so aussieht wie in jeder größeren Stadt in Europa: Bekleidungsketten und schicke Restaurants dominieren im neuen Teil des Zentrums.

Leider kostet dieser moderne Einfluss auch etwas Charme, denn selbst im traditionellen Bereich hat man das Gefühl, man sei in einem Touristenort – zu viele Postkarten- und Souvenirstände stechen hervor. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Backpacker auf den Geschmack gekommen und wollten die „fremde Nähe“ besuchen, daher ist es verständlich, dass die Bewohner dies auskosten wollen, besonders in Anbetracht der schwachen wirtschaftlichen Lage.

Geschmack ist ein gutes Stichwort: wer gerne und gut isst, wird in Sarajevo auf keinen Fall verzweifeln, allerdings sollte man sich vorher auf Touristenseiten wie tripadvisor.com einige Tipps anschauen, denn die touristenlockenden Angebote wie Kebabtaschen, Börek und der Touri-Version der traditionellen Küche sind nach einigen Tagen eintönig. Die landestypischen Gerichte sollten dennoch probiert werden – bspw. die Dolma. Man bekommt gefüllte Weißkohlblätter mit Hackfleisch und Reis in Sauce, wenn man dieses Gericht bestellt, allerdings gibt es auch andere Varianten: gefüllte Paprika, gefüllte Zwiebel, gefüllte Weinblätter. Auch die Süßigkeiten wie Baklava, Lokum,  Halva und Kadayif, die manch einer aus dem Türkei-Urlaub kennt, gibt es in der bosnischen Version in vielen Cafés zum bosnischen Kaffee. Vegetariern und Reisenden mit besonderen Vorlieben empfiehlt sich allerdings tatsächlich ein Blick in einen Reiseführer.

Es ist allerdings wirklich nicht alles do friedlich, wie ich es bisher beschrieb. Das Stadtbild ist bei genauem Hinsehen noch immer von den Spuren des Krieges gezeichnet: Einschusslöcher an Fassaden von Gebäuden im Zentrum, die die Häuser nahezu durchsiebt haben, sind noch immer deutlich erkennbar – wohlmöglich wurden sie auch beabsichtigt nicht beseitigt, um weiterhin an die Kriegsverbrechen zu erinnern. Auch die so genannte „Sarajevo Rose“ fällt nach wiederholtem Spazieren durch die Innenstadt auf – es handelt sich dabei um kleine Löcher im Bodenbelag, die oft durch Granatsplitter verursacht wurden. Die Bewohner haben diese Stellen mit rotem Harz gefüllt,  um daran zu erinnern, dass an diesen Stellen Menschen ums Leben gekommen sind. Diese Stellen erinnern ein wenig an rote Rosen, allerdings auch an Blutspuren, was ein unglaublich beklemmendes Gefühl hinterlässt.

Noch immer sieht man auch Graffitis mit der Aufschrift „Don’t forget Srebrenica“, die offensichtlich gegen das Vergessen des Massakers im Jahr 1995 wirken sollen. Allerdings gibt es auch Graffitis, die „Gleichheit“ fordern. Insgesamt bekommt man das Gefühl, dass – vielleicht unbewusst – Sarajevo eine politische Stadt ist. Die politische Lage ist zwar noch immer von ethno-nationalistischen und populistischen Strömungen dominiert, es gibt Probleme mit Minderheiten und der Verfassung, allerdings wollen besonders junge Menschen zu einer progressiven Entwicklung beitragen. Die Lasten des Krieges, seien es persönlicher Verlust oder erschwerte Aufstiegschancen, sind  zum Teil aber auch bei der Generation zu merken, die den Krieg gar nicht miterlebt hat.

Die ethnische Teilung ist nicht nur innerhalb des Landes zu spüren, sondern auch in Sarajevo. Das Land Bosnien und Herzegowina besteht aus den drei Gruppen der bosnischen Kroatinnen und Kroaten (römisch-katholisch), der Bosniakinnen und Bosniaken (moslemisch) und den bosnischen Serbinnen und Serben (orthodox). Ebenfalls gibt es Roma und eine jüdische Gemeinde.

Innerhalb des Landes gibt es manchmal noch immer Konflikte anhand der Trennlinien der verschiedenen Gruppen und auch in Sarajevo ist es ein auffälliges Statement, dass der östliche (bosnisch-serbische) Teil der Stadt kyrillische Schriftzeichen benutzt, im Gegensatz zum Rest der Stadt, in dem die lateinischen verwendet. Die Religion gilt in der Provinz bis heute als Trennungsmerkmal.

Ich bin mit dem Auto in die naheliegenden Städte Visoko und Zenica gefahren. Auf dem Weg dorthin, fallen die verlassenen Fabriken aus jugoslawischer Zeit auf, aber erneut auch die Teilung des Landes, denn Eigenbezeichnungen der Gruppen oder die unterschiedliche Verwendung von Schriftzeichen, ist oft ein klares Anzeichen der Abgrenzung.

Interessant war es zu sehen, dass in Zenica, genauso wie in Sarajevo, eine riesige Shopping-Mall steht. Ich habe mir sagen lassen, diese Einkaufszentren seien gute Geldwaschmaschinen, denn die Korruption ist weiterhin eine belastende Hürde auf dem Weg zur Stabilität des Landes.
Insgesamt bekam man den Eindruck in Bosnien und Herzegowina, dass es ein unglaublich komplexes Land ist, was nicht zuletzt an der schwierigen Geschichte und der politischen Situation liegt, der vor allem Ethno-Nationalismus schwer wiegt. Damit eine Entwicklung möglich ist, bedarf es noch viel Zeit und Geld, vielleicht aber auch wieder ein wenig mehr Beachtung der internationalen Gemeinschaft, schließlich haben nach dem Krieg neben der damaligen Konfliktparteien auch Ex-US-Präsident Bill Clinton, Alt-Kanzler Helmut Kohl und auch der ehemalige französische Präsident Jaques Chirac den Friedensvertrag, das sog. Dayton-Abkommen, als amtierende Staatsoberhäupter unterzeichnet, allerdings ist das Interesse dieser Länder lange abgesunken.