Polen vor einer Bewährungsprobe

(Alexander Jan Astapczyk)

Vor kurzem durfte Beata Szydło, polnische Ministerpräsidentin der PIS-Partei mit absoluter Parlamentsmehrheit, auf ihre ersten 100 Tage in diesem Amt zurückblicken. Ob Szydło die verabschiedeten Gesetze, Regierungsvorhaben und entstandenen Spannungen in der Zivilgesellschaft ebenso wahrnimmt wie viele ihrer Landleute, darf dabei bezweifelt werden.

Ein wohl beispielloses Tempo hinsichtlich der Verschiebungen der Machtstrukturen zeichnet die ersten Monate ihrer Amtszeit ebenso aus, wie die bewusst lancierten Beschwichtigungen, dass die aktuellen politischen Geschehnisse sich absolut im Bereich dessen bewegen, was die polnische Verfassung sowie europäisches Recht als legitim ausweisen.

Die praktische Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts sowie der verstärkte Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien stellen gerade für Europäer_Innen, die außerhalb Polens leben die wohl einschlägigsten Beispiele in jüngster Zeit für die Berichterstattung über Geschehnisse in Polen in den eigenen Medien dar.

Dass sich auch die Vorgängerregierungen unter der heute oppositionellen PO-Partei an diesen beiden, für die polnische wie auch andere Demokratien unabdingbaren Grundpfeilern versucht hat, wird bei den aktuellen Diskussionen und Konfrontationen mit Polen, die sich der PIS-Doktrin gegenüber verpflichtet fühlen, immer gerne aufgeführt. Eine andere politische Agenda hinsichtlich der EU und den anderen Mitgliedsstaaten mag dabei wohl auch für die wenig vorhandene bzw. beachtete Berichterstattung im Ausland verantwortliche gewesen sein. Nichtsdestotrotz ist das Verhalten der Vorgängerregierungen in keiner Weise mit dem jetzigen Verhalten der PIS-Regierung gleichzusetzen. So wurde gerade hinsichtlich des Verfassungsgerichts dessen Unabhängigkeit gegenüber Regierung und Parlament bewahrt.

Ganz anders verhält es sich bei dem jetzigen politischen wie auch juristischen Schlagabtausch zwischen dem Verfassungsgericht und der polnischen Regierung. Neben den Diskussionen um die Einleitung des Rechtsstaatsmechanismus durch die EU wurden vergangene Woche ebenfalls die Vorgänge durch die vom Europarat eingesetzte Venedig-Kommission kritisiert. Ausgangspunkt der dortigen Kritik sind vor allem die verabschiedeten Verfahrensregeln des Verfassungsgerichts, die eine nachhaltige Lähmung verursachen.

Inwiefern der Schlagabtausch letztlich ein zufriedenstellendes Ergebnis hervorrufen kann, wird abzuwarten sein. Der Verstoß der Verfassung durch die beschlossenen Gesetze, die das Verfassungsgericht betrafen und die vom Verfassungsgericht vergangene Woche zurückgewiesen worden sind, werden von der Regierung weiterhin als illegitim nach den neuen Gesetzen und somit als widerrechtlich betrachtet.

Das Jarosław Kaczyński, als eigentlicher Urheber der verabschiedeten kontroversen Gesetze der vergangen Monate, der größte Gewinner dieser Staatskrise ist, wird wohl nicht bestritten werden können. Als einfacher Abgeordneter, hat er sich als Strippenzieher im Hintergrund zur mächtigsten Person Polens instrumentalisiert, die jede wichtige Personalie als auch Entscheidung der polnischen Regierung als auch derer absoluten Parlamentsmehrheit zu beeinflussen weiß. Nach dem großen Einfluss, die er nun noch auf die öffentlich-rechtlichen Medien aufzuweisen hat, wird die weitere Entwicklung um die Rolle des Verfassungsgerichts mehr denn je gespannt zu verfolgen sein.

Abzuwarten bleibt dabei vor allem, ob er tatsächlich einen Teil der parlamentarischen Opposition einspannen wird, um eine Verfassungsänderung und einen Kompromiss zu erzielen, der die PIS-Partei gegebenenfalls als Lösung und nicht ihr Handeln als Ursache der Krise inszenieren könnte.

Die polnische Ministerpräsidentin hat bei jeder der vergangenen, größeren Demonstrationen die das Bürgerkomitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) initialisiert hat bewusst betont, dass die Demokratie nicht gefährdet sei und jeder Pole und jede Polin von Ihrem Recht zur Demonstration Gebrauch machen könne.

Gerade solche Beschwichtigungsversuche von PIS-Befürworter_Innen könnten den vermeintlich größten Schaden hervorrufen. Polen wird sich damit auseinandersetzen müssen, dass selbst eine theoretische Einschränkung demokratischer Grundideen und Ideale einen realen Charakter aufweist, der jederzeit in ein reales Handeln durch die Staatsgewalt umschwenken kann. Die Gewaltenteilung in einer demokratischen Gesellschaft stellt eine unabdingbare Grundvoraussetzung dar.

Die anderen Europäischen Staaten sollten die Geschehnisse in Polen kritisch und konstruktiv betrachten und sich auch offene Kritik nicht verbieten lassen. Das Rollenbild, dessen sich viele Rhetoriker_Innen aus Regierungskreisen bedienen, wonach Kritik von anderen europäischen Staaten als Angriff auf die polnische Unabhängigkeit zu werten ist, sollte nicht unnötigerweise Vorschub geleistet werden. Nichtsdestotrotz ist es für viele Menschen in Polen ein Trost und eine Stütze, dass sie mit ihren Protesten gegenüber der Regierung nicht alleine stehen. Eine Gradwanderung zwischen konstruktivem Begleiten und Ermahnen gegenüber einem erhobenen Zeigefinger wird dabei allerdings im Interesse der gemeinsamen Vorstellungen und Interessensbekundungen stets zu beachten sein.