Taxifahren in Zentralasien

von Lydia Wachs

Stadtverkehr in Astana, Kasachstan (Bilder: Lydia Wachs)

Eigentlich ist Reisen in Zentralasien ganz einfach – man kann nämlich fast alles mit dem Taxi er-fahren. Auch wenn dies natürlich etwas übertrieben ist, so stimmt es schon, dass man einige Distanzen mit dem Taxi zurücklegen kann und dafür auch gar nicht so tief in die Tasche greifen muss. Netter Nebeneffekt dabei ist, dass man oft in witzige und interessante Gespräche verwickelt wird und – zumindest in meinem Fall bisher – nur selten bitterböse Erfahrungen macht. Einige dieser Stories sind es, wie ich finde, wert zu erzählen.

Wer den Film „Night on Earth“ von Jim Jarmusch gesehen hat (wenn nicht, unbedingt schauen!), kennt die Szene im nächtlichen New York der 1990er Jahre, in der der Afroamerikaner Yoyo auf den gerade aus Ostdeutschland eingereisten Taxifahrer Helmut Grokenberger trifft. Da Letzterer weder den Weg nach Brooklyn kennt noch Erfahrungen mit Automatikgetriebe vorzuweisen hat, übernimmt kurzerhand Yoyo das Steuer und so entspinnt sich eine überaus lustige Szene zwischen den beiden. Zwar ist es noch nicht so weit gekommen, dass mir das Steuer übergeben wurde (wäre, wenn es nach meinem Fahrlehrer ginge, vielleicht auch nicht die beste Idee), dafür mache ich andauernd die Erfahrung, dass mich die Taxifahrer nach dem Weg fragen. Ich kann mir ja schon vorstellen, dass es nicht leicht ist, in einer Metropole alle Straßen zu kennen, aber jetzt mal ernsthaft:  Erstens haben die meisten doch eh einen Navi, zweitens wurde ich dies auch schon in der 400 000 Seelen Stadt Karaganda gefragt (just nach dem ich am Bahnhof zum ersten Mal in der Stadt angekommen war) und drittens – Ich? Eine Ausländerin soll den Weg besser kennen als ein Taxifahrer?
Meist haben wir – oder eben das Navi – den Weg dann aber auch irgendwie gefunden…

Bist du verheiratet?

Für den Weg von meiner WG in Astana zum Flughafen rief ich mir also ein Taxi. Später sollte mein Flug nach Bischkek gehen. Schon die Art, wie der Taxifahrer heranfuhr, lies mich ein bisschen erschaudern: Schön nutzte er den glatten Eisboden und sein scheinbar nicht existentes Reifenprofil aus, um in einem Kreis an meine Tür heran zu schliddern. Als ich die Autotür öffnete, stellte ich außerdem fest, dass es sich um ein – wie ich anfangs dachte – altes britisches Auto handelte, d.h. mit dem Lenkrad auf der rechten Seite (wie mir in Kirgistan später erklärt wurde, sind dies jedoch alles aus Japan importierte Autos, die so um einiges günstiger sind als Autos mit dem Steuer links). Nach ein paar Minuten Autofahrt fielen mir die vielen Polizeikontrollen am Straßenrand auf und irgendwie dachte ich mir schon, dass wir bestimmt angehalten werden würden (bei dem Auto und dem Fahrstil!). So kam es schließlich auch und es begann erstmal eine längere Kontrolle und Diskussion zwischen Taxifahrer und Polizisten. Ich hatte – wie immer vor Flugreisen – glücklicherweise viel zu viel Zeit eingeplant und daher erstmal keinen Stress. Nach ein paar Minuten fragte ich dann aber  doch mal nach, wurde jedoch geflissentlich ignoriert. Irgendwann schien es sich jedoch wirklich um ein auswegloses Problem zu handeln, sodass sich der Taxifahrer kurzerhand meinen Koffer schnappte und in ein anderes Taxi verfrachtete – ich kam mit Mühe und Not und meinem restlichen Gepäck hinterher. Die ersten Minuten der neuen Fahrt waren ruhig, doch dann ging die Fragerei los. Woher ich denn komme und was ich machen würde? – Deutschland, Reisen (Erklärungen über Praktika waren mir gerade zu langwierig). Und wie alt ich denn sei? Und ob ich einen Mann habe oder einen Freund? Da mein Taxifahrer eher jünger als ich schien und sicher nicht bedrohlich, antwortete ich bereitwillig – Nein, alles nicht. Und ob ich denn Kasachstan oder Deutschland besser fände? Und ob ich lieber einen Kasachen oder Deutschen heiraten wollte? Zumal ich ihm erzählt hatte, dass ich nur ein bisschen in Kasachstan herumreiste, waren diese Fragen schon ein bisschen merkwürdig, aber gut…Irgendwann schafften wir es dann auch zum Flughafen und zu weiteren Fragen kam es nicht mehr. Nur konnte ich noch kurz erfahren, dass er erst 19 Jahre alt war und schon mit 12 Jahren Autofahren gelernt hatte.

Die gute Seite der Taxifahrer

Wenig später in Bischkek auf dem Weg zum Busbahnhof, von dem aus ich an den Issyk Kul fahren wollte, traf ich wieder auf einen äußerst gesprächigen Taxifahrer. Als er hörte, dass ich an den Issyk Kul nach Karakol möchte, bot er mir sogleich an, mich direkt dorthin zu bringen – eine Strecke von etwas mehr als 400km. Die Fahrt wäre doch so viel komfortabler und ich könnte überall anhalten und Fotos machen. Außerdem glaube er, dass heute eh keiner mit der Marschrutka an den Issyk Kul möchte und diese fuhren ja erst, wenn sie voll wären. Glücklicherweise dachte ich mir schon, dass er nur gern mir seine Fahrt verkaufen wollte und bestand also auf die Marschrutka. Am Busbahnhof, als hätte er mir nie von alledem erzählt, brachte er mich dann auch direkt zur nächsten Marschrutka, half mir noch beim Umladen und nach 15 Minuten fuhren wir schon. Das ist eben auch eine Seite mancher Taxifahrer hier: erst binden sie einem irgendeinen Bären auf, aber letztendlich, als hätten sie dies alles nie getan, helfen sie einem bereitwillig – er hätte mich schließlich auch irgendwo hinbringen können, wo ich keine Marschrutka gefunden hätte.

„Händi hoch!“

Vor ein paar Wochen in Almaty, saß ich mal wieder neben einem Taxifahrer im Auto. Dieser fragte mich plötzlich, was sich hinter einem Laden verberge, an dem wir gerade vorbeigefahren waren. Irgendein schicker Modeladen namens „Zilly“ – sagte mir auch nichts. Warum fragte er mich? Wie sich herausstellte, dachte er wie die meisten hier, dass ich Russin sei (und da kennt man wohl diesen Laden?!). Im Verlauf des Gesprächs bemerkte er, dass ich doch wirklich eine tiefe Stimme hätte, die sei ja sogar tiefer als seine – das fand er überaus lustig. Dann sagte er plötzlich: „ Händi hoch, Händi hoch“ – Ich verstand nicht: „Handy hoch??“- „Nein, Händi hoch…“. Mit seiner Erklärung verstand ich dann doch: „Hände hoch“. Scheinbar hatte er als Kind alte sowjetische Kriegsfilme gesehen, in denen die deutschen Feindestruppen immer „Hände hoch“ schrien und mit Gewehren vor der Nase der Russen herumfuchtelten. So hatte er diese Phrase übernommen und mit seinen Freunden immer das Spiel „Hände hoch“ gespielt und die Filmszenen imitiert. Als ich das Taxi verließ, verabschiedete er sich mit den Worten „Hände hoch!“

Usbekisches Taxi stehlen?

Doch nicht nur in Kirgistan und Kasachstan lässt sich fantastisch Taxifahren, sondern auch in Usbekistan, wie ich vor kurzem die Erfahrung machte. Zum Glück hatte mir Anni, eine Freundin von mir in Taschkent, vorweg den maximalen Preis fürs Taxi vom Flughafen zum Verhandeln genannt. Ausländer können am Flughafen in Taschkent jedoch keine usbekische Som abheben und eine Wechselstube für US-Dollar gibt es nicht, weshalb ich mit der Freundin ausmachte, dass ich zu ihr auf die Arbeit kommen würde und sie mein Taxi vorerst bezahlte. Dem Taxifahrer erzählte ich dies natürlich erst, als wir bereits am Ziel angekommen waren. Anstatt mir die Möglichkeit zu geben, Anni ausfindig zu machen, lief er sogleich selbst los und war damit verschwunden – Schlüssel ließ er stecken. Da ich nicht einfach ohne Bezahlung abhauen wollte (und auch kein Interesse an dem Diebstahl seines Autos hatte), blieb mir also nichts anderes übrig, als im Taxi auf den Taxifahrer zu warten. Schließlich kam er nach ein paar Minuten auch wieder zurück und wen brachte er mit – Anni.

Der Einfachheit halber entschied ich mich an meinem zweiten Tag in Usbekistan, mit dem Taxi von Taschkent nach Samarkand zu fahren (ca. 300km). So fuhr ich zum zentralen Sammeltaxi-Platz, auf dem ich direkt von einem Dutzend Taxifahrern umzingelt wurde. Irgendwie entschied ich mich für einen von ihnen. Leider vergaß ich dabei jedoch zu fragen, ob er bereits andere MitfahrerInnen gefunden hat. Hatte er nämlich nicht und da er auch keine großen Anstalten dazu machte, fing erstmal eine längere Wartezeit an. Schließlich fand er – wie weiß ich nicht – doch zwei usbekische Babuschkas, sodass die Fahrt nach mehr als einer Stunde starten konnte. Ich hatte extra Lesestoff dabei und freute mich auch auf die vorbeibrausende Landschaft. Wie sich jedoch herausstellte, konnte ich die Fahrt nicht ganz so genießen wie geplant. Das Gaspedal wurde bis zum Anschlag durchgedrückt und in dieser Position für die nächsten vier Stunden gehalten. So flogen wir mehr oder weniger im Chevrolet nach Samarkand – zumindest jedes Schlagloch veranlasste einen kleinen Höhenflug. Nach 2/3 der Strecke mussten wir etwas verlangsamen, da wie sich herausstellte, ein furchtbarer Unfall stattgefunden hatte. Der Anblick dessen berührte auch den Taxifahrer für kurze Zeit, doch dann wurde wieder aufs Gaspedal gedrückt. Ich hatte mir jedenfalls schon längst geschworen, dass – komme was wolle – ich mit dem Zug wieder nach Taschkent zurückfahren würde.  Bevor wir nach Samarkand rein kamen, setzten wir noch die beiden Babuschkas ab, mit denen zumindest ein kurzes nettes Gespräch zustande gekommen war, in dem aber natürlich wieder die obligatorischen Fragen nach meinem Familienstand abgearbeitet wurden. In Samarkand sammelten wir dafür dann die Schwester des Taxifahrers ein und suchten dann zu dritt mein Hostel. Eigentlich hatte ich die Adresse genannt, aber so richtig nach Logik schienen wir nicht vorzugehen. Statt einfach nach Hausnummern zu suchen, wie ich vorschlug, wollte die Taxifahrer-Schwester lieber das Hostel anrufen. Kurz bevor es dazu kam, fanden wir es aber auch so. Ich zahlte ihm wie anfangs abgemacht 40 000 Usbekische Som, d.h. umgerechnet 4 Euro – ein Stundenlohn für ihn von 1 Euro…!

Die schwarzen Schafe

Dennoch muss auch nicht jede Fahrt ein nettes – oder halbwegs nettes – Erlebnis sein. Wie ich von einer Bekannten letztens mitbekam, die ohne Russischkenntnisse gerade erst in Almaty gelandet war und ein Taxi ins Zentrum genommen hatte, wollte der Taxifahrer am Ende umgerechnet 40 Euro für eine Fahrt haben, die normalerweise um die 3 Euro kostet. Glücklicherweise schaffte sie es den Preis auf 10 Euro zu „drücken“. Als sie jedoch das Taxi verließ, bemerkte sie noch, dass der Taxifahrer die gesamte Situation gefilmt hatte – wahrscheinlich zum Gefallen seiner Kumpel.
Und auch als ich letztens mitten in der Nacht am Busbahnhof von Almaty nach einer langen Fahrt wieder ankam, hatte ich nicht das beste Taxi-Glück. So stieß ich auf einen Taxifahrer, der zunächst ein anderes Paar nach Hause brachte. Dies gestaltete sich als sehr langwierig, da er die Adresse (mal wieder) nicht fand. Als ich schließlich an der Reihe war, fiel ihm ganz plötzlich auf, dass der abgemachte Preis doch viel zu gering sei und veranschlagte gleich einmal 50 Prozent mehr. Ich sträubte mich natürlich – insbesondere dann, als er auch nicht die Adresse, zu der ich wollte, fand. Da ich jedoch kein Kleingeld dabei hatte und auf sein Wechselgeld angewiesen war, konnte ich nur wutschnaubend den höheren Fahrpreis annehmen. Lektion gelernt: Nimm nie ein Taxi ohne Kleingeld!

Insgesamt überwiegen bisher aber doch die positiven und netten Geschichten und es ist immer wieder spannend, was sich hinter der nächsten Taxitür verbirgt. Auf die Art komme ich zumindest zu Gesprächen mit Leuten, mit denen ich sonst wohl eher nicht interagieren würde.  Außerdem hat mir neulich ein Freund erzählt, dass auch er die ganzen Fragen um seinen Familienstand immer beantworten müsste. Gehört hier halt so zum Smalltalk, wie bei uns das Wetter. Außerdem hat er mir den Rat gegeben, selbst auch mal die Verheiratet/Kinder/etc.-Frage als Gegenfrage zu stellen, da kämen wohl immer interessante Geschichten zustande!

Dieser Text stammt von AK-Mitglied Lydia und ist zuerst erschienen auf https://steppenbericht.wordpress.com. Schaut mal auf ihrem Blog vorbei!

Danke, Lydia!

Sommeruni im Herzen Zentralasiens

(Ruben Werchan)

Bericht über den Besuch der Sommeruni zum Thema „Ressourceneffizienz in Zentralasien“ in Almaty, Kasachstan

Die orthodoxe Zenkov Kathedrale im Panfilov Park in Almaty

Ausgestattet mit einem Stipendium des DAADs nahm ich vom 12. bis 24. August 2013 an der XII. Internationalen Sommeruniversität an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty (Kasachstan) teil. Thema der Sommeruni war „Nachhaltige Entwicklung und effektive Ressourcenpolitik“. Diesem Oberthema näherten wir uns in drei Gruppen. Eine Gruppe beschäftige sich mit den ökonomischen Aspekten der Thematik, eine weitere Gruppe mit den ökologischen Aspekten und die dritte Gruppe explizit mit der effektiven Verwaltung der Wasserressourcen in Zentralasien. Während die Unterrichtssprache in den ersten beiden Gruppen Deutsch war, wurde das dritte Thema auf Russisch unterrichtet. Die Entscheidung ein russischsprachiges Modul anzubieten, war getroffen worden, da es nicht genug Anmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Zentralasien gegeben hatte. Dies war darauf zurückgeführt worden, dass Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Bewerbung waren und es offensichtlich nicht ausreichend interessierte Zentralasiatinnen und Zentralasiaten mit Deutschkenntnissen gegeben hatte. Die Teilnehmenden setzten sich nämlich aus Studenten und Studentinnen aus allen zentralasiatischen Ländern (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan), sowie aus Deutschland zusammen.

Blick auf Almaty von Kok-Tobe, dem höchsten Berg im Stadtgebiet

Zunächst ein paar Worte zu Almaty. Almaty ist die größte Stadt Kasachstans und war bis 1997 die Hauptstadt des Landes. Sie hat ca. 1,5 Millionen Einwohner und liegt im Südosten Kasachstans nahe der Grenze zu Kirgistan. Im Norden wird die Stadt von Steppe eingeschlossen und im Süden reicht sie bis an das Gebirge heran, welches das Grenzgebiet zu Kirgistan darstellt. Aufgrund diese Lage ist die Stadt konstant von Süden nach Norden abschüssig, weswegen sämtliche Stadtpläne von Almaty mit vertauschten Himmelsrichtungen gedruckt werden. Wenn der Süden auf dem Plan oben ist, dann entspricht dies auch dem geologischen Oben und macht so eine Orientierung in der Stadt äußerst intuitiv. Ansonsten macht die Stadt einen sehr sowjetischen Eindruck, zu dem sowohl die rasterförmig verlaufenden Straßen also auch die Architektur beitragen. Dabei ist die Stadt allerdings sehr grün mit vielen Parks und Alleen, was das Lebensgefühl signifikant steigert und zumindest etwas die Abgase der im Übermaß vorhanden SUVs kompensieren kann. Letztere zeugen davon, dass das Wohlstandsniveau in Almaty im Vergleich zum Großteil des Landes sehr hoch ist.

Leider wurden derartige offensichtliche Beispiele für den eher verschwenderischen Umgang mit Ressourcen, in diesem Fall Benzin, in der Sommeruni nur in Ausnahmefällen behandelt. Vermutlich um dem unterschiedlichen Wissenstand der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gerecht zu werden, war der Inhalt der Lehrveranstaltungen sehr grundlegend und allgemein gehalten, was zumindest auf Seite der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe der zwei Wochen mit zunehmender Enttäuschung aufgenommen wurde. Ein weiterer Stein des Anstoßes war die starke Fokussierung der Lehrveranstaltungen auf Deutschland. In einem Land, welches viele Beispiele für die Problematik von Ressourcennutzung bietet, wie das Austrocknen des Aralsees (Ressource Wasser), den sowjetischen Atomtests (Ressource Land), dem Umgang mit Bodenschätzen und vielen mehr, war es wenig nachvollziehbar, dass diese Problematiken meist nur am Rand geschnitten wurden und deutschlandspezifischen Beispielen sehr viel Raum eingeräumt wurde. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Zentralasien von diesen Beispielen profitiert haben.

Picknick in den Bergen

Aber die Universität beschränkte sich nicht auf klassische Lehrveranstaltungen, sondern überzeugte mit einem weitaus umfangreicheren Programm. Fachvorträge von Vertretern aus der Praxis (von der Arbeit im Nichtregierungssektor über Landwirtschaft bis zum Ökotourismus) halfen den thematischen Wissensgewinn der Universität zu steigern. Und vielleicht ist es auch ein offenes Geheimnis, dass nicht der Wissensgewinn im klassischen Sinne bei einer solchen Sommeruniversität im Vordergrund steht, sondern das Kennenlernen einer anderen Kultur. Auch hierbei wurden wir von den Organisatoren und Organisatorinnen der Sommeruni kräftig unterstützt. Oft gab es am Nachmittag ein fakultatives Kulturprogramm, bei dem wir Museen, Konzerte und Sehenswürdigkeiten besichtigen konnten. Für viele ein Höhepunkt waren ohne Frage die Exkursionen in die Natur um Almaty. Bei zwei Wanderungen ins Gebirge, wobei bei der ambitionierteren der beiden 2.000 Höhenmeter überwunden wurden, und einer Fahrt zum Fluss Ili in die Steppe nördlich der Stadt, bekamen wir einen wunderbaren Eindruck von der Vielseitigkeit der kasachischen Landschaft.

Der Fluss Ili und die kasachische Steppe

Von den dabei gewonnenen Eindrücken begeistert, versuchten sich einige von uns an einer Radtour, was sich allerdings angesichts von konstanten 12% Steigung als wenig empfehlenswert herausstellte, auch wenn wir am Ende mit dem Anblick des Großen Almatysees und einem sehr unterhaltsamen Gespräch mit vier Grenzsoldaten belohnt wurden. Diese erzählten uns, dass angeblich islamistische Terroristen vor einem Jahr mehrere Grenzsoldaten umgebracht hätten, beim Versuch den Damm des Sees zu sprengen und somit die Trinkwasserversorgung Almatys zu boykottieren. Derartige Berichte bekommt man mit Sicherheit nur zu hören, wenn man die Möglichkeit hat, sich in einem Land aufzuhalten und es selbstständig zu erkunden.

Internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Selbstverständlich kam auch der sozialkommunikative Aspekt der Sommeruniversität nicht zu kurz. Wir tauschten uns über die unterschiedlichen Lebensrealitäten aus, die vor allem bei den usbekischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen teilweise sehr krass waren, da diese in einer Zeit permanenter Unruhen und gewaltsamer Auseinandersetzungen aufgewachsen waren. Gerade in Hinblick auf das Knüpfen von Kontakten stellte die Sommeruni eine perfekte Plattform dar. Am Ende der zwei Wochen waren neue Freundschaften entstanden und wir verließen uns unter der Beteuerung gegenseitigen Einladungen und dem Versprechen, diese auch anzunehmen. Wobei natürlich zu befürchten steht, dass dies aufgrund der großen geographischen Entfernungen teilweise ein frommer Wunsch bleiben wird, aber angeblich sieht man sich ja immer mindestens zweimal im Leben.

Der Hochgeschwindigkeitszug "Zhetysu"

Nach Ende der Sommerschule nutzte ich die Verbleibende Zeit, um mir auch die neue Hauptstadt Astana anzuschauen. Schon die Hinfahrt mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug der Kasachischen Eisenbahn war ein Erlebnis. Erstmals konnte ich bewundern, wie es ist, die Vorteile des Bahnreisens in der ehemaligen Sowjetunion (mindestens eine Nacht fahren und unterwegs ein halbwegs bequemes Bett und kochendes Wasser zu haben) mit modernen Wagons zu kombinieren. Ein Konzept, das mich durchaus überzeugen konnte und auch für den innerwesteuropäischen Bahnverkehr ein Ansatz sein kann, der in der Lage wäre eine komfortable und klimaverträgliche Alternative zum Flugzeug darzustellen. Nach erholsamen zwölf Stunden Zugfahrt kam ich erholt morgens in Astana an.

Die Prunkmeile von Astana

Astana selbst ist zweigeteilt, wobei die beiden Teile von den Einheimischen immer mit rechts und links des Flusses bezeichnet werden. Rechts des Flusses Ischim ist die alte Stadt, das ehemalige Aqmola (Astana heißt auf Deutsch Hauptstadt und ist erst seit 1997 der Name der Stadt) und links des Flusses ist all das, was seit dem Umzug der Hauptstadt entstanden ist. Die rechte Seite sieht größtenteils aus wie die meisten postsowjetischen Städte mit Plattenbauten, Supermärkten und scheinbar unnötig breiten Straßen und einer betriebsamen Lebhaftigkeit. Die linke Seite dagegen hat alles, was eine Retortenstadt mit Leib und Seele benötigt. Eine Ballung monumentaler zeitgenössischer Architektur, wie man sie sonst nur aus dem Legoland kennt, großzügig angelegte Parkanlagen und Fußgängerzonen, Einkaufszentren, die sich in keiner US-amerikanischen Großstadt verstecken müssten und eine erdrückend auffällige Abwesenheit von Menschen. Tatsächlich scheint sich das gesamte Leben auf der rechten (in Fließrichtung) Seite des Flusses abzuspielen, während sich auf der linken Seite erhabene Architektur und erhabene Leere gegenseitig verstärken. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Zweiteilung der Stadt mit dem kontinuierlichen Zuzug neuer Bürger und Bürgerinnen und dem Fortsetzen der Bauaktivitäten (erst 30% der geplanten Bebauung sind fertiggestellt) in Zukunft auflösen wird.

Das Unterhaltungs-Center "Khan Shatyr". Entworfen von Norman Foster.

Abgesehen von der Frage der Sinnhaftigkeit eine Großstadt in ein Steppengebiet mit wenig Wasser und einem eher schwierigen Klima (kontinentales Klima in Perfektion: sehr heiße trockene Sommer und sehr kalte windige Winter) zu setzten, ist es beeindruckend, was den Planern und Erbauern der Stadt gelungen ist. Die Knappheit des Wassers ist nur zu erahnen, denn der Fluss und die üppig angelegten (und bewässerten) Grünflächen suggerieren etwas anderes. Die Möglichkeit uneingeschränkten Bauens hat namhafte Architekten angezogen, so plant Sir Norman Foster bereits sein drittes Bauwerk in Astana. Das Ergebnis ist ein Stadtbild, welches aus einer Ansammlung an Gebäuden besteht, die jedes für sich genommen den meisten anderen Städten weltweit als Wahrzeichen gereicht hätten. Damit ist Astana zu einem Symbol dafür geworden, wie rohstofffinanzierter Aufschwung in der Postsowjetunion aussehen kann. Allerdings wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn sich dieser Aufschwung weniger in Form prestigeträchtiger Baudenkmäler materialisieren würde, sondern in Projekten, die dezentral angesiedelt wären und eine nachhaltige Wohlstandssteigerung der gesamten Bevölkerung zur Folge hätten. Ob und inwiefern ganz Kasachstan und eventuell sogar die gesamte Region Zentralasien vom Rohstoffreichtum profitieren kann und wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in der Region nachhaltig gestaltet werden kann, wird ein Schwerpunktthema der Expo 2017 in Astana sein. Spätestens dann lohnt sich eine Reise nach Kasachstan auf jeden Fall und wir dürfen mit Spannung auf die dort vorgestellten Lösungsansätze warten.