Bericht über den Besuch der Sommeruni zum Thema „Ressourceneffizienz in Zentralasien“ in Almaty, Kasachstan
Die orthodoxe Zenkov Kathedrale im Panfilov Park in Almaty
Ausgestattet mit einem Stipendium des DAADs nahm ich vom 12. bis 24. August 2013 an der XII. Internationalen Sommeruniversität an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty (Kasachstan) teil. Thema der Sommeruni war „Nachhaltige Entwicklung und effektive Ressourcenpolitik“. Diesem Oberthema näherten wir uns in drei Gruppen. Eine Gruppe beschäftige sich mit den ökonomischen Aspekten der Thematik, eine weitere Gruppe mit den ökologischen Aspekten und die dritte Gruppe explizit mit der effektiven Verwaltung der Wasserressourcen in Zentralasien. Während die Unterrichtssprache in den ersten beiden Gruppen Deutsch war, wurde das dritte Thema auf Russisch unterrichtet. Die Entscheidung ein russischsprachiges Modul anzubieten, war getroffen worden, da es nicht genug Anmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Zentralasien gegeben hatte. Dies war darauf zurückgeführt worden, dass Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Bewerbung waren und es offensichtlich nicht ausreichend interessierte Zentralasiatinnen und Zentralasiaten mit Deutschkenntnissen gegeben hatte. Die Teilnehmenden setzten sich nämlich aus Studenten und Studentinnen aus allen zentralasiatischen Ländern (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan), sowie aus Deutschland zusammen.
Blick auf Almaty von Kok-Tobe, dem höchsten Berg im Stadtgebiet
Zunächst ein paar Worte zu Almaty. Almaty ist die größte Stadt Kasachstans und war bis 1997 die Hauptstadt des Landes. Sie hat ca. 1,5 Millionen Einwohner und liegt im Südosten Kasachstans nahe der Grenze zu Kirgistan. Im Norden wird die Stadt von Steppe eingeschlossen und im Süden reicht sie bis an das Gebirge heran, welches das Grenzgebiet zu Kirgistan darstellt. Aufgrund diese Lage ist die Stadt konstant von Süden nach Norden abschüssig, weswegen sämtliche Stadtpläne von Almaty mit vertauschten Himmelsrichtungen gedruckt werden. Wenn der Süden auf dem Plan oben ist, dann entspricht dies auch dem geologischen Oben und macht so eine Orientierung in der Stadt äußerst intuitiv. Ansonsten macht die Stadt einen sehr sowjetischen Eindruck, zu dem sowohl die rasterförmig verlaufenden Straßen also auch die Architektur beitragen. Dabei ist die Stadt allerdings sehr grün mit vielen Parks und Alleen, was das Lebensgefühl signifikant steigert und zumindest etwas die Abgase der im Übermaß vorhanden SUVs kompensieren kann. Letztere zeugen davon, dass das Wohlstandsniveau in Almaty im Vergleich zum Großteil des Landes sehr hoch ist.
Leider wurden derartige offensichtliche Beispiele für den eher verschwenderischen Umgang mit Ressourcen, in diesem Fall Benzin, in der Sommeruni nur in Ausnahmefällen behandelt. Vermutlich um dem unterschiedlichen Wissenstand der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gerecht zu werden, war der Inhalt der Lehrveranstaltungen sehr grundlegend und allgemein gehalten, was zumindest auf Seite der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe der zwei Wochen mit zunehmender Enttäuschung aufgenommen wurde. Ein weiterer Stein des Anstoßes war die starke Fokussierung der Lehrveranstaltungen auf Deutschland. In einem Land, welches viele Beispiele für die Problematik von Ressourcennutzung bietet, wie das Austrocknen des Aralsees (Ressource Wasser), den sowjetischen Atomtests (Ressource Land), dem Umgang mit Bodenschätzen und vielen mehr, war es wenig nachvollziehbar, dass diese Problematiken meist nur am Rand geschnitten wurden und deutschlandspezifischen Beispielen sehr viel Raum eingeräumt wurde. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Zentralasien von diesen Beispielen profitiert haben.
Picknick in den Bergen
Aber die Universität beschränkte sich nicht auf klassische Lehrveranstaltungen, sondern überzeugte mit einem weitaus umfangreicheren Programm. Fachvorträge von Vertretern aus der Praxis (von der Arbeit im Nichtregierungssektor über Landwirtschaft bis zum Ökotourismus) halfen den thematischen Wissensgewinn der Universität zu steigern. Und vielleicht ist es auch ein offenes Geheimnis, dass nicht der Wissensgewinn im klassischen Sinne bei einer solchen Sommeruniversität im Vordergrund steht, sondern das Kennenlernen einer anderen Kultur. Auch hierbei wurden wir von den Organisatoren und Organisatorinnen der Sommeruni kräftig unterstützt. Oft gab es am Nachmittag ein fakultatives Kulturprogramm, bei dem wir Museen, Konzerte und Sehenswürdigkeiten besichtigen konnten. Für viele ein Höhepunkt waren ohne Frage die Exkursionen in die Natur um Almaty. Bei zwei Wanderungen ins Gebirge, wobei bei der ambitionierteren der beiden 2.000 Höhenmeter überwunden wurden, und einer Fahrt zum Fluss Ili in die Steppe nördlich der Stadt, bekamen wir einen wunderbaren Eindruck von der Vielseitigkeit der kasachischen Landschaft.
Der Fluss Ili und die kasachische Steppe
Von den dabei gewonnenen Eindrücken begeistert, versuchten sich einige von uns an einer Radtour, was sich allerdings angesichts von konstanten 12% Steigung als wenig empfehlenswert herausstellte, auch wenn wir am Ende mit dem Anblick des Großen Almatysees und einem sehr unterhaltsamen Gespräch mit vier Grenzsoldaten belohnt wurden. Diese erzählten uns, dass angeblich islamistische Terroristen vor einem Jahr mehrere Grenzsoldaten umgebracht hätten, beim Versuch den Damm des Sees zu sprengen und somit die Trinkwasserversorgung Almatys zu boykottieren. Derartige Berichte bekommt man mit Sicherheit nur zu hören, wenn man die Möglichkeit hat, sich in einem Land aufzuhalten und es selbstständig zu erkunden.
Internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Selbstverständlich kam auch der sozialkommunikative Aspekt der Sommeruniversität nicht zu kurz. Wir tauschten uns über die unterschiedlichen Lebensrealitäten aus, die vor allem bei den usbekischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen teilweise sehr krass waren, da diese in einer Zeit permanenter Unruhen und gewaltsamer Auseinandersetzungen aufgewachsen waren. Gerade in Hinblick auf das Knüpfen von Kontakten stellte die Sommeruni eine perfekte Plattform dar. Am Ende der zwei Wochen waren neue Freundschaften entstanden und wir verließen uns unter der Beteuerung gegenseitigen Einladungen und dem Versprechen, diese auch anzunehmen. Wobei natürlich zu befürchten steht, dass dies aufgrund der großen geographischen Entfernungen teilweise ein frommer Wunsch bleiben wird, aber angeblich sieht man sich ja immer mindestens zweimal im Leben.
Der Hochgeschwindigkeitszug "Zhetysu"
Nach Ende der Sommerschule nutzte ich die Verbleibende Zeit, um mir auch die neue Hauptstadt Astana anzuschauen. Schon die Hinfahrt mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug der Kasachischen Eisenbahn war ein Erlebnis. Erstmals konnte ich bewundern, wie es ist, die Vorteile des Bahnreisens in der ehemaligen Sowjetunion (mindestens eine Nacht fahren und unterwegs ein halbwegs bequemes Bett und kochendes Wasser zu haben) mit modernen Wagons zu kombinieren. Ein Konzept, das mich durchaus überzeugen konnte und auch für den innerwesteuropäischen Bahnverkehr ein Ansatz sein kann, der in der Lage wäre eine komfortable und klimaverträgliche Alternative zum Flugzeug darzustellen. Nach erholsamen zwölf Stunden Zugfahrt kam ich erholt morgens in Astana an.
Die Prunkmeile von Astana
Astana selbst ist zweigeteilt, wobei die beiden Teile von den Einheimischen immer mit rechts und links des Flusses bezeichnet werden. Rechts des Flusses Ischim ist die alte Stadt, das ehemalige Aqmola (Astana heißt auf Deutsch Hauptstadt und ist erst seit 1997 der Name der Stadt) und links des Flusses ist all das, was seit dem Umzug der Hauptstadt entstanden ist. Die rechte Seite sieht größtenteils aus wie die meisten postsowjetischen Städte mit Plattenbauten, Supermärkten und scheinbar unnötig breiten Straßen und einer betriebsamen Lebhaftigkeit. Die linke Seite dagegen hat alles, was eine Retortenstadt mit Leib und Seele benötigt. Eine Ballung monumentaler zeitgenössischer Architektur, wie man sie sonst nur aus dem Legoland kennt, großzügig angelegte Parkanlagen und Fußgängerzonen, Einkaufszentren, die sich in keiner US-amerikanischen Großstadt verstecken müssten und eine erdrückend auffällige Abwesenheit von Menschen. Tatsächlich scheint sich das gesamte Leben auf der rechten (in Fließrichtung) Seite des Flusses abzuspielen, während sich auf der linken Seite erhabene Architektur und erhabene Leere gegenseitig verstärken. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Zweiteilung der Stadt mit dem kontinuierlichen Zuzug neuer Bürger und Bürgerinnen und dem Fortsetzen der Bauaktivitäten (erst 30% der geplanten Bebauung sind fertiggestellt) in Zukunft auflösen wird.
Das Unterhaltungs-Center "Khan Shatyr". Entworfen von Norman Foster.
Abgesehen von der Frage der Sinnhaftigkeit eine Großstadt in ein Steppengebiet mit wenig Wasser und einem eher schwierigen Klima (kontinentales Klima in Perfektion: sehr heiße trockene Sommer und sehr kalte windige Winter) zu setzten, ist es beeindruckend, was den Planern und Erbauern der Stadt gelungen ist. Die Knappheit des Wassers ist nur zu erahnen, denn der Fluss und die üppig angelegten (und bewässerten) Grünflächen suggerieren etwas anderes. Die Möglichkeit uneingeschränkten Bauens hat namhafte Architekten angezogen, so plant Sir Norman Foster bereits sein drittes Bauwerk in Astana. Das Ergebnis ist ein Stadtbild, welches aus einer Ansammlung an Gebäuden besteht, die jedes für sich genommen den meisten anderen Städten weltweit als Wahrzeichen gereicht hätten. Damit ist Astana zu einem Symbol dafür geworden, wie rohstofffinanzierter Aufschwung in der Postsowjetunion aussehen kann. Allerdings wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn sich dieser Aufschwung weniger in Form prestigeträchtiger Baudenkmäler materialisieren würde, sondern in Projekten, die dezentral angesiedelt wären und eine nachhaltige Wohlstandssteigerung der gesamten Bevölkerung zur Folge hätten. Ob und inwiefern ganz Kasachstan und eventuell sogar die gesamte Region Zentralasien vom Rohstoffreichtum profitieren kann und wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in der Region nachhaltig gestaltet werden kann, wird ein Schwerpunktthema der Expo 2017 in Astana sein. Spätestens dann lohnt sich eine Reise nach Kasachstan auf jeden Fall und wir dürfen mit Spannung auf die dort vorgestellten Lösungsansätze warten.
Dass die sozialdemokratischen Parteien in den postkommunistischen Staaten oftmals eine Sonderrolle in der europäischen Parteienfamilie einnehmen, überrascht angesichts ihrer Vergangenheit kaum. Viele von ihnen waren in die totalitären und autoritären Regimes integriert. Andernorts fällt den potentiellen Wähler_innen die Unterscheidung von kommunistischem und sozialdemokratischem Staatsverständnis sichtbar schwer. Historische und kulturelle Ursachen tragen dabei ebenso zu den Schwierigkeiten der Sozialdemokratie in den zentral- und osteuropäischen Ländern bei Fuß zu fassen, wie zahlreiche Skandale der vergangen Jahre. Im Rahmen des FES-Seminars „Ausgemarxt – Warum die Sozialdemokratie in den postsowjetischen Staaten so schwer Fuß fassen kann“ erläuterten Bartosz Rydlinski und Gert Röhrbrorn die Besonderheiten der polnischen Sozialdemokratie.
Auffällig war dabei insbesondere die überaus erfolgreiche Phase der SDL (Sojuz Lewiczy Demokratycznej – übersetzt etwa „Bündnis der Demokratischen Linken“) während der Präsidentschaft Aleksander Kwasniewskis, dem es 1995 gelang, den früheren Solidarnosc-Vorsitzenden Lech Walesa aus dem Amt zu drängen und diesen Wahlerfolg 2001 zu erneuern. Den Sozialdemokrat_innen gelang es infolgedessen unter Präsident Kwasniewski und dem späteren Parteivorsitzenden Leszek Miller zwei zentrale Projekte zu realisieren, als die zu nennen wären: 1.) die demokratische Verfassung von 1997, die eine sozialdemokratische Handschrift trägt, sowie 2.) die mit dem Eintritt in die EU und die NATO verbundene, stärkere Westintegration Polens. Infolge der einsetzenden Wirtschaftskrise 2001 und der damit verbundenen leeren Kassen kam jedoch auch die SLD schnell an die Grenzen ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Diskussionen über die Weiterverfolgung des Mitte-Links-Kurses oder eines klassisch linken Kurses spalteten die Partei dabei ebenso wie persönliche Differenzen zwischen Kwasniewski und Miller. Bartosz Rydlinski fasste die große Herausforderung der polnischen Sozialdemokratie schlagwortartig zusammen: „Third Way, Pragmatismus, Skandale!“ Die SLD wurde infolge letzterer zunehmend als Teil der bestehenden, korrumpierten, politischen Elite angesehen, was durch die exponierte Stellung neoliberaler und SLD-kritischer Medien zusätzlich verstärkt wird. Entscheidend sei, so Rydlinski, aber insbesondere der Mangel an visionären Projekten in der polnischen Linken.
Hier lohnt ein Blick in die gegenwärtige Programmatik der SLD, die sich ganz im Sinne ihrer westlichen Nachbarparteien für eine progressive Einkommenssteuer, eine Finanztransaktionssteuer und einen gesetzlichen Mindestlohn starkmacht. Auch ist eine Mischwirtschaft aus privaten und staatlichen Akteuren eine der zentralen Forderungen der polnischen Sozialdemokrat_innen. Überraschend erscheinenin dem katholisch und konservativ geprägten Polen (rund 90% der Polinnen und Polen sind Katholik_innen) die Forderungen nach einer klareren Trennung von Kirche und Staat, sowie die zumindest in Teilen der Partei unterstützte Forderung nach einer Ausweitung der LGBT-Rechte. Auffällig war auch, wie stark beide Referenten die Bedeutung Europas für die polnische Politik in den Vordergrund rückten („Wahlen in Europa sind für uns wichtiger als Wahlen in Polen. 80% der Gesetze in Polen kommen aus Brüssel.“). Bietet sich hier etwa ein Anknüpfungspunkt für ein neues Projekt der polnischen Linken? Kann in Zeiten marktstaatlicher Hegemonie in Europa gerade die SLD ein Alternativkonzept zum institutionalisierten, supranationalen Neoliberalismus entwerfen?
Um die polnische Gesellschaft entsprechend gestalten zu können, bedarf es einer Verbesserung der politischen Ausgangssituation. Sowohl Rydlinski als auch Röhrbrunn wiesen auf die Notwendigkeit einer verbesserten politischen Bildungsarbeit hin. So fehle es über die allgemeine politische Lethargie hinaus an einem jungen, gut ausgebildeten politischen Nachwuchs und der Einbettung der sozialdemokratischen Idee in gesellschaftlichen Institutionen jenseits der Parteien (z.B. in den Gewerkschaften).
Insgesamt boten beide Referenten den zahlreichen Teilnehmer_inneneinen umfassenden Einblick in die Lage der Sozialdemokratie in Polen und standen anschließend noch für Diskussionen in Kleingruppen zur Verfügung. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung und des stipendiatischen Arbeitskreises „Osteuropa“ werden die künftigen Entwicklungen sicherlich mit viel Aufmerksamkeit und Interesse verfolgen
Bartosz Rydlinski promoviert in Politikwissenschaften und engagiert sich für die Soziale Demokratie in seinem Heimatland Polen. Als Kandidat der Partei „Bündnis der demokratischen Linken“ (Sojuzlewiczydemokratycznej, SLD) trat er bereits zu den Wahlen für das Europaparlament und auf lokaler Ebene an. Als Mitarbeiter der „Fondation Amicus Europae“ setzt er sich für Europäische Integration und politische Jugendbildung ein.
Gert Röhrborn ist Mitarbeiter der polnischen Robert-Schuman-Stiftung, deren Ziel ebenfalls die Förderung europäischer Integration ist. Er hat Politikwissenschaften studiert und lebt in Polen.
Russland ist das korrupteste Land seiner Art. Gemeint ist damit, dass es kein anderes Land mit einer vergleichbaren Wirtschaftsleistung und globaler politischer und ökonomischer Bedeutung gibt, welches ein ähnlich hohes Maß an Korruption ausweist wie Russland. In der vorliegenden Arbeit werden die Ursachen und Konsequenzen für die Korruption in der Russischen Föderation mit Hilfe wirtschaftswissenschaftlicher Theorien untersucht.
Die Hausarbeit entstand im Rahmen eines Masterseminars an der Christian-Alberchts-Universität zu Kiel.
Die politische und gesellschaftliche Situation in Albanien
Dominanz zweier Blöcke in einer pluralistischen Parteienlandschaft
Bis Anfang der 90er Jahre litt Albanien unter einem weltweit isolierten kommunistischen Regime. Die ersten pluralistischen Wahlen fanden erst 1992 statt. Seither wird die politische Landschaft Albaniens vor allem von zwei Parteien dominiert, der Demokratischen Partei (DP) und der Sozialistischen Partei (SP). Seit dem Systemwechsel hat es keinen anderen politischen Akteur an der Spitze Albaniens gegeben, auch wenn viele weitere Parteien entstanden sind. Die meisten von ihnen zeichnen sich nicht durch unterschiedliche politische Positionen oder Ideologien aus, denn ihre große Mehrzahl ist aus Absplitterungen dieser beiden Parteien hervorgegangen. Die seit acht Jahren regierende DP wird seit ihrer Gründung von Sali Berisha geführt. Sie orientiert sich an der rechten Mitte und sucht Anlehnung an konservative und christdemokratische Parteien in Europa. An der Spitze der oppositionellen SP steht seit 2005 Edi Rama. Sie stellte die Regierung zuletzt von 1997-2005 und ist Mitglied der Sozialistischen Internationalen (SI).
Eine der Absplitterungen aus der SP ist die Sozialistische Bewegung für Integration (LSI) mit ihrem Vorsitzenden Ilir Meta. Meta und seine Gefolgsleute verließen 2004 die SP, weil sie mit dem Kurs der damaligen Führung nicht einverstanden waren. Die Partei bezeichnet sich selbst als sozialdemokratisch. Aufgrund ihres Wechsels von einer Koalition zur anderen und ihrer doch verhältnismäßig starken Stellung fungierte die LSI in der Vergangenheit als „Königsmacher“. Sie könnte diese Rolle auch bei den kommenden Wahlen einnehmen.
Zwei neue politische Parteien haben zwar nicht das Potential, das bipolare System grundsätzlich ins Wanken zu bringen, jedoch könnten sie ebenfalls als „Königsmacher“ fungieren. Die nationalistische Allianz Rot und Schwarz (AK) sowie die konservative Partei Neuer Demokratischer Wind (FRD) sind seit ihrer jeweiligen Gründung im vergangenen Jahr ernstzunehmende Wettbewerber Die AK verfolgt gegenüber Minderheiten diskriminierende und nationalistische Zielvorstellungen, die Lösung der „Albanerfrage“ aber sieht sie eher im EU-Beitritt. Sie gilt bislang als Protestpartei, die insbesondere viele junge Menschen für ihre Ideen begeistern kann. Obwohl sie in den letzten Umfragen Verluste hinnehmen musste, wird ihr weiterhin der Einzug in das albanische Parlament zugetraut. Nachdem der konservative Ex-Präsident Bamir Topi 2012 von seinem damaligen Parteifreund Bujar Nishani abgelöst worden war, gründete er die FRD. Auch von der deshalb im Volksmund „Präsidentenpartei” genannten FRD erwartet man den Gewinn einiger Mandate. Sie unterscheidet sich in ihren inhaltlichen Positionen nur graduell von der Berisha-Partei.
Tiefe Gräben in der Gesellschaft – Mangel an Dialogfähigkeit gefährdet EU-Beitritt
Die albanische Gesellschaft ist vor den Parlamentswahlen am 23. Juni tief gespalten, denn die beiden großen politischen Blöcke kämpfen unversöhnlich um die Stimmen der Wähler. Die Menschen aber haben schon längst kein Vertrauen mehr in politische Akteure oder staatliche Institutionen. Ein Elitenwechsel hat nämlich seit dem Ende des Kommunismus kaum stattgefunden. Ehemalige Funktionäre der kommunistischen Partei der Arbeit Albaniens (PAA) sind heute in vielen politischen Lagern vertreten. Sie scheinen weiterhin mehr an ihrem eigenen Vorteil interessiert zu sein, als daran, das Land voranzubringen. Darunter hat das albanische Volk zu leiden.
Der Beitritt zur EU und die damit verbundene Hoffnung auf ökonomische und soziale Fortschritte rücken durch das Verhalten der politischen Eliten in weite Ferne. Die EU zeigte sich zuletzt besorgt über die jüngsten Entwicklungen in dem Balkanstaat, der bis dato zu ihren potentiellen Beitrittskandidaten zählt.
Albanien ist der offizielle Kandidatenstatus in den letzten Jahren schon mehrfach verwehrt worden, weil das Land zu geringe Fortschritte macht – insbesondere im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung, die Implementierung von Gesetzen oder die mangelhafte Unabhängigkeit der Justiz und anderer Kontrollorgane. Führende europäische Politiker haben mehrfach betont, dass nur die Gewährleistung freier und fairer Wahlen Albanien die Tür nach Europa öffnen könnte. Dies hob zuletzt auch Catherine Ashton, die Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, bei einem Besuch in Tirana am 16. April hervor.
Am 23. Juni wird es daher u.a. um die weitere EU-Integrationsfähigkeit des Landes gehen. Für die EU sind stabile Institutionen und ein politischer Grundkonsens im Lande unabdingbare Voraussetzungen für den Kandidatenstatus. Die Krise hat verdeutlicht, dass es in diesen Bereichen auch in vielen derzeitigen Mitgliedsstaaten erhebliche Mängel gibt. Gerade deshalb möchte die EU bei neuen Mitgliedskandidaten gewährleistet sehen, dass sich Stabilität und Konsensfähigkeit nicht nur in bloßen Lippenbekenntnissen zeigen. Bislang ist eine solche Entwicklung in Albanien jedoch nicht zu erkennen. Auch 22 Jahre nach dem symbolischen Sturz der Statue des Diktators Enver Hoxha1 auf dem zentralen Skanderbeg-Platz in Tirana befindet sich das Land immer noch eher am Beginn eines Transformationsprozesses.
(Foto: Christopher Forst)
Wahlen – Ein Test für die Demokratie
Unregelmäßigkeiten bei Wahlen haben in Albanien Tradition
Freie Wahlen nach OSZE-Standards hat es in Albanien seit dem Ende des Kommunismus bis heute nicht gegeben. Wählerregistrierung, Stimmabgabe und der Auszählungsprozess waren stets von zahlreichen Ungereimtheiten begleitet. Das einzige von einer Opposition anerkannte Wahlergebnis datiert aus dem Jahr 1992. Kurz nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren damals die Sozialisten als offizielle Nachfolgepartei der PAA Enver Hoxhas so geschwächt, dass sie den Sieg der Opposition ohne großes öffentliches Klagen hinnahmen. Gewalttätige Auseinandersetzungen im Umfeld von Wahlen waren hingegen oft die Regel. Im Jahre 1997 kam es sogar zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Seitdem entsendet die OSZE Beobachterkommissionen, um den geregelten Ablauf der Urnengänge zu überwachen. Dies hat jedoch kaum zu einer Verbesserung der Lage geführt. Im Jahr 2001 waren z.B. ganze fünf Wahlgänge nötig, da das Resultat immer wieder auf Grund von offensichtlichen Unregelmäßigkeiten annulliert werden musste. Bei den letzten Wahlen 2009 konnten ca. 250.000 Wahlberechtigte ihre Stimme nicht abgeben, da sie noch nicht über die erforderlichen fälschungssicheren Ausweise verfügten.
Eine Wahlrechtsreform, die bei den Wahlen 2009 das erste Mal Anwendung fand, verkompliziert den Ablauf der Wahlen zusätzlich. Das bis dahin geltende personalisierte Verhältniswahlrecht auf Basis einer gesamtstaatlichen Auszählung, das dem deutschen in seinen Grundzügen stark ähnelte, wurde durch ein regionalisiertes Verhältniswahlrecht ersetzt. Dabei handelt es sich um ein rein proportionales System auf der Ebene der Wahlbezirke (Qarks). Die 140 Parlamentsabgeordneten kommen aus insgesamt zwölf Qarks, in denen jeweils nur für bestimmte Kandidaten abgestimmt werden kann. Die jeweiligen Mandatszahlen der Qarks ergeben sich aus der Zahl der Einwohner, die teilweise stark variiert. Auszählung und Verteilung der Mandate geschehen nach dem D’Hondt-System. Das neue Wahlrecht hat den Einfluss der kleinen Parteien stark reduziert und die Dominanz von DP und SP manifestiert.
Es fördert sogenannte „Wahlkoalitionen“ (Wahlbündnisse), die bereits vor den Wahlen geschlossen werden. Denn in den Qarks gilt für Parteien eine 3%-Hürde, für Koalitionen hingegen eine 5%-Hürde. Es ist somit für weniger einflussreiche Gruppierungen sinnvoll, eine Koalition einzugehen, um in mehr Qarks die Hürde nehmen zu können und die Chance auf zumindest einige Mandate zu wahren. Vor allem in bevölkerungsschwachen Qarks ist selbst ein Stimmanteil jenseits der 5%-Hürde oft nicht ausreichend, um einen Sitz auf gesamtstaatlicher Ebene zu gewinnen. Wenn nur wenige Mandate zu vergeben sind und die großen Blöcke etwa 80% der Stimmen auf sich vereinen, sind teilweise Ergebnisse von über 10% auf Ebene der Qarks nötig, um mit einem Kandidaten ins Parlament einzuziehen. Kleine Parteien nutzen die Chance, einzelne Mitglieder auf den Listen von DP oder SP kandidieren zu lassen, um wenigstens ein Minimum an Einfluss und Macht zu erlangen. Auch das manifestiert letztlich nur die Vormachtstellung der Etablierten, die ihr Ergebnis dank populärer Politiker aus anderen Lagern auf den eigenen Listen noch verbessern können. Bei den Wahlen 2009 erreichten DP und SP zusammen rund 95% der Parlamentssitze, obwohl sie nur etwa 85% der Stimmen erhielten.
Zwei Wahlkoalitionen binden 62 Parteien – Seitenwechsel der LSI stärkt SP
Am 23. Juni diesen Jahres werden sich die DP-geführte „Allianz für Arbeit, Wohlfahrt und Integration“ und die SP-geführte „Allianz für ein europäisches Albanien“ gegenüberstehen. Insgesamt 62 Parteien sind in einer der beiden Allianzen vertreten – vier weitere, darunter AK und FRD, treten einzeln an. Das bedeutet aber nicht, dass diese sich nach den Parlamentswahlen nicht doch noch entscheiden werden, einem der Lager angehören zu wollen. Damit können die Albaner formal zwischen mehr Alternativen wählen als je zuvor, haben aber unter dem Strich doch eigentlich nur die Option Ministerpräsident Sali Berisha (DP) oder seinen Herausforderer Edi Rama (SP) mit ihrer Stimme zu unterstützen. Es ist ein Lagerwahlkampf, der eindeutig auf die beiden Parteiführer zugeschnitten ist.
Der Wahlkampf selbst begann mit einem Paukenschlag. Die bis dahin mit der konservativen DP regierende LSI wurde am 2.April 2013 von der oppositionellen SP zu Gesprächen über eine Wahlkoalition eingeladen. Danach schloss sich die LSI der Opposition an und verließ während der laufenden Amtsperiode ihr fragiles Regierungsbündnis mit der DP. Nur knapp gelang es Ministerpräsident Berisha Anfang April dennoch im Amt zu bleiben, da ein Koalitionsaustritt gemäß der Verfassung von 2008 nicht automatisch die Auflösung der Regierung nach sich zieht. Wenn genügend Abgeordnete dem Ministerpräsidenten ihr Vertrauen aussprechen, kann er im Amt bleiben. Dies ist geschehen – wohl auch mit Stimmen abtrünniger SP-Abgeordneter.
Das oppositionelle Lager wurde durch diese Entscheidung klar gestärkt und darf sich schon deshalb nun große Hoffnungen machen, aus den Wahlen als Sieger hervorzugehen. Die LSI spielte schon bei den vergangenen Wahlen die Rolle des „Königsmachers” – damals jedoch zu Gunsten der DP. Der Schulterschluss mit der LSI hat allerdings für Unmut in der SP gesorgt. So verließen z.B. zwei SP-Abgeordnete aus Protest die Partei. Der LSI wurde in den vergangenen Jahren regelmäßig Korruption vorgeworfen. In diesem Zusammenhang kam es am 21. Januar 2011 zu Protesten gegen den LSI-Vorsitzenden Ilir Meta, der wegen Korruption gar vor Gericht gestanden hatte und auf sehr dubiose Weise freigesprochen worden war. Auf dieser Demonstration wurden vier SP-Anhänger erschossen. Edi Rama selbst verteidigte das Kooperationsangebot dennoch und plädierte dafür, sich nicht länger durch die “Schatten der Vergangenheit” von einer Koalition mit der LSI abhalten zu lassen. Es bleibt abzuwarten, wie viele (Stamm-)Wählerstimmen dies kosten wird. In Umfragen konnte man allerdings keine großen Verluste für die SP beobachten.
Längere Verhandlungen über eine Wahlkoalition zwischen den Sozialisten und der AK waren erst in letzter Sekunde gescheitert. Als Grund dafür nannte der AK-Vorsitzende Kreshnik Spahiu die Zusammenarbeit der SP-geführten „Allianz für ein europäisches Albanien“ mit der Partei der griechischen Minderheit, der PBDNJ. Eine Kooperation mit der PBDNJ kommt laut Spahiu für die AK nicht in Frage, da dies einen „Verrat an der nationalen Sache“ darstellen würde. Es gibt aber starke Zweifel daran, dass darin der eigentliche Grund für den erfolglosen Abschluss der Gespräche mit der SP zu sehen war. Aufgrund der bekannten „Sprunghaftigkeit“ der LSI wäre es für die SP dennoch wünschenswert, eine Regierungskoalition auf eine breite und stabile Basis zu stellen. Um dann nicht von der LSI abhängig zu sein, wäre die AK ein durchaus interessanter Partner, da sie einen Gegenpol zur LSI bilden würde. Daher wird Edi Rama wie auch Sali Berisha bis zuletzt versuchen, die AK noch auf die jeweilige eigene Seite zu ziehen.
Die FRD geht ebenfalls ohne Koalitionsaussage in die Parlamentswahlen. Sollten sich AK und FRD nach den Wahlen der DP-Koalition anschließen, um die Wiederwahl Sali Berishas zu garantieren, könnten sich Stimmen bestätigt sehen, die bereits seit den Neugründungen der Parteien behaupten, es handele sich lediglich um Phantomparteien, die enttäuschte DP-Anhänger akquirieren sollen, um eine Mehrheit der Sozialisten zu verhindern.
Harte Bandagen im aktuellen Wahlkampf
Täglich ein neuer „Skandal“
Seit Beginn des Jahres hat der Wahlkampf in aller Härte begonnen. Nahezu täglich wurde seither die Bevölkerung mit gegenseitigen Korruptionsvorwürfen der Parteien und ihrer Vertreter überschüttet. Die Regierung bediente sich zur Diskreditierung von Oppositionspolitikern und ihren Angehörigen u.a. gar des Geheimdienstes.
Im Mai beschäftigte ein Zwischenfall das Parlament, der sich zwischen Edi Rama und dem Diplomaten Egin Ceka am 24. April in Wien ereignet haben soll. Dieser hochstilisierte Vorgang verdeutlicht den schmutzigen Wahlkampf und die Spaltung des Landes in zwei sich gegenseitig kompromittierende Lager. Das albanische Außenministerium erklärte offiziell, Rama habe Ceka in Folge einer hitzigen Debatte attackiert und ihn dabei am Ohr gezogen. Am 29. April beschloss eine knappe DP-Mehrheit von 71 Abgeordneten sogar die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Bei seiner Anhörung am 8. Mai entschärfte Egin Ceka selbst jedoch die Vorwürfe.
In den letzten Wochen häufen sich derlei Anschuldigungen und es scheint mehr und mehr von Bedeutung zu sein, die Glaubwürdigkeit des politischen Gegners zu erschüttern, anstatt sich um die Belange des albanischen Volkes zu kümmern oder eigene programmatische Aussagen in den Vordergrund zu stellen. Die – oft parteinahen – Medien produzieren täglich neue Berichte über Korruption oder unangemessenes Verhalten von gegnerischen Politikern. Tags darauf gibt es schon den nächsten „Skandal“. Einen weiteren Tag später ist auch dieser schon wieder vergessen. Die mit großem Tamtam vorgestellten Wahlprogramme und Versprechen für die nächste Amtsperiode treten demgegenüber mehr und mehr in den Hintergrund.
Die nationalistische Partei "Allianz Rot und Schwarz" macht Werbung für eine Demonstration gegen die konservative Regierung. (Foto: Christopher Forst)
Unwürdiges Schauspiel um die Besetzung der Wahlkommission
Eine entscheidende Rolle für die Anerkennung eines rechtmäßigen Ablaufs des Urnengangs spielt die Zentrale Wahlkommission Albaniens (CEC). Dabei handelt es sich um ein siebenköpfiges Gremium, das die Wahlen überwachen soll. Obwohl die CEC als unabhängige Institution gilt und ihre Mitglieder dem Gesetz nach nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, wird ihre Zusammensetzung rein politisch festgelegt. Bei vergangenen Wahlen spielte die CEC mitunter ebenfalls eine umstrittene Rolle.
Durch den Austritt der LSI aus der Regierung trat innerhalb der CEC eine Situation ein, die von der albanischen Verfassung nicht vorhergesehen worden war. Laut Gesetz sollen vier der sieben Mitglieder der CEC aus den Reihen der gewählten Regierung und drei Mitglieder aus der Opposition kommen. Im Falle eines Koalitionswechsels ist eine Abberufung der gewählten Mitglieder der CEC eigentlich nicht vorgesehen. Ohne sich auf die Verfassung stützen zu können, setzte die DP jedoch nach dem Austritt der LSI aus der Regierungskoalition eine Neubesetzung der CEC durch und zog somit den Unmut der Opposition und großer Teile der internationalen Gemeinschaft auf sich: Das CEC-Mitglied der LSI wurde vom Parlament am 15. April seines Amtes enthoben und durch ein Regierungsmitglied ersetzt. Die DP argumentierte zunächst, dass die von der Verfassung vorgesehenen Kräfteverhältnisse in der CEC durch den Seitenwechsel der LSI nicht mehr gewährleistet seien. Während der Debatte realisierte sie dann wohl die Verfassungswidrigkeit ihres Vorstoßes. In der Folge rechtfertigte sie ihren Antrag mit der Begründung, dass der LSI-Vertreter im Jahr 2003 seinen Beruf als Staatsanwalt wegen Verfehlungen habe aufgeben müssen, was laut Wahlgesetz nicht mit einem Amt in der CEC vereinbar sei. Diese Geschehnisse liegen aber nicht nur schon lange zurück, der Betreffende wurde auch rehabilitiert und die Vorwürfe gegen ihn wurden fallen gelassen. Dies bestätigt den Verdacht, dass seine Abberufung rein politisch motiviert ist und eine Manipulation des Wahlergebnisses zu Gunsten der DP für deren Machterhalt in Kauf genommen werden könnte.
Aus Protest gegen diesen Schachzug der Regierung verließen die drei Oppositionsmitglieder (zwei von der SP, einer von der griechischen Minderheitenpartei PBDNJ) die CEC. Es wurden seither keine neuen Mitglieder an ihrer Stelle nominiert. Mit nur vier verbliebenen regierungstreuen Mitgliedern ging die CEC ungeachtet aller Kritik schon am 19. April wieder zur Tagesordnung über. Eine Einigung mit der Opposition ist jedoch unabdingbar. Wenn die Kommission nicht aus mindestens fünf Personen besteht, kann sie beispielsweise nicht wirksam über Wahlanfechtungen entscheiden und die Wahlen auch nicht für ungültig erklären. Ministerpräsident Berisha und seine Partei lehnen bislang einen Kompromissvorschlag der SP vehement ab, der einen unabhängigen Experten an der Spitze einer paritätisch besetzten CEC vorsieht.
Besonders problematisch an dieser Situation ist die Tatsache, dass gerade die CEC freie und faire Wahlen garantieren soll. Ein wenig Hoffnung bleibt dennoch, dass die Wahlen am 23. Juni zumindest fairer sein werden als vergangene Parlamentswahlen, da 400 internationale Wahlbeobachter berufen wurden, die dafür Sorge tragen sollen. Doch selbst die OSZE scheint in den Augen der SP nicht ganz frei vom Verdacht, der jetzigen Regierungskoalitionen zu nahe zu stehen. Ihren Abschlussbericht wird Roberto Battelli verfassen, ein Intimus von Wolfgang Großruck, dem Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Dem ÖVP-Mann Großruck wird von den Sozialisten nachgesagt, mit Sali Berisha zu sympathisieren. Keine besonders guten Voraussetzungen, um ggf. notwendige Anmerkungen oder Monita der OSZE allseits anerkannt zu wissen. Obwohl beide politischen Blöcke weiterhin ihre Bereitschaft beteuern, das Ergebnis am 23. Juni auch im Falle einer Niederlage anzuerkennen, herrscht auch deshalb Besorgnis hinsichtlich der Situation im Land nach den Parlamentswahlen.
Die Zusammenstellung der Kandidatenlisten wird in Albanien durch die Parteivorsitzenden vorgenommen. Ihr liegt kaum ein demokratischer innerparteilicher Prozess zu Grunde – schon gar nicht bestimmen die Menschen im Lande ihre Parlamentskandidaten. Dies hat den Effekt, dass unliebsame “Parteifreunde“, auch wenn sie populär sind, mitunter nicht den Weg auf die Listen bzw. die oberen Listenplätze und somit auch nicht den Weg ins Parlament finden. Die Parteivorsitzenden, die traditionell zugleich die Spitzenkandidaten sind, können zwar kaum umhin, auch populäre Kandidaten zu nominieren – diese sichern schließlich wichtige Mandate für die Parteien. In der Praxis kalkulieren die Funktionäre aber beide Aspekte, Gefolgschaft und Popularität, mit ein und versuchen die richtige Mischung aus beliebten und gefügigen Politikern zu nominieren.
Sowohl SP als auch DP haben ihre Listen erst in letzter Sekunde veröffentlicht. Sie beinhalten einige überraschende Namen. Denn 48 der 140 bisherigen Abgeordneten tauchen auf den Wahllisten für den 23. Juni nicht mehr auf und werden somit dem nächsten Parlament nicht mehr angehören. Es treten daneben drei unabhängige Kandidaten an, unter ihnen Arben Malaj in Vlora, der viele Jahre ein führender Vertreter der SP war. Die Kampagne des bekannten früheren Wirtschaftsministers wird von dem umstrittenen Ex-SP-Ministerpräsidenten Fatos Nano unterstützt, der sich nach einiger Zeit auf der politischen Bühne zurück meldete. Malaj war vom SP-Vorsitzenden Rama nicht mehr auf die Liste seiner Partei gesetzt worden. Dies wurde damit begründet, dass er Positionen vertreten habe, die nicht im Einklang mit der Linie der Partei stünden. Auf den Listen der Demokraten sucht man vergebens nach Vertrauten der jetzigen Parlamentspräsidentin Jozefina Topalli. Es wird spekuliert, dass sie ihrem Vorsitzenden Sali Berisha innerparteilich zu einflussreich geworden ist. Dafür hat die DP sechs Vorsitzende verbündeter Parteien auf ihren Listen, darunter den Republikaner Fatmir Mediu. Für die Sozialisten kandidieren hingegen mit Ausnahme eines LSI-Funktionärs und eines Vertreters der griechischen Minderheitenpartei PBDNJ nur eigene Mitglieder.
Ausblick
Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage vor den Wahlen
Die albanische Bevölkerung hat eigentlich ganz andere Prioritäten, als die Parteipolitiker, die momentan vor allem damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu diskreditieren.2 Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage des Landes ergeben sich eine Reihe von „Schicksalsfragen“, die nach der Wahl, egal von wem sie gewonnen wird, unbedingt geklärt werden müssen. In einer gerade veröffentlichten Umfrage des Albanischen Instituts für Internationale Studien (AIIS) für die FES benennen übergroße Mehrheiten der Menschen in Albanien vor allem die Themen Wirtschaftsentwicklung, soziale Sicherheit, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit (hier besonders von Jugendarbeitslosigkeit) und Bekämpfung von Korruption als zentrale Prioritäten, die die neue Regierung haben sollte.
Die wirtschaftliche Entwicklung wird von der jetzigen Regierung weiterhin als positiv bezeichnet. Eine Umfrage der DIHA (deutsche Repräsentanz der Wirtschaft in Albanien) bei auswärtigen Investoren zeigt aber deutlich, dass sogar das gegenwärtig schon recht geringe Interesse an Albanien noch weiter gesunken ist. Gründe dafür sind – nach Aussage der Studie – u.a. Korruption, schlechte Administration sowie schlecht oder falsch ausgebildete Arbeitskräfte. Die sozialen Sicherungssysteme sind vollkommen marode, so dass sie keinerlei Sicherheit im Krankheitsfall oder im Alter bieten. Die reale Arbeitslosigkeit übersteigt die offiziellen Zahlen von ca. 13% beträchtlich, und die Jugendarbeitslosigkeit kann auf über 60% geschätzt werden3. Als weitere Kernprobleme stehen die Fragen nach der Implementierung von Rechtssicherheit, der Bekämpfung von Korruption und dem Vorantreiben der Demokratisierung in Albanien auf der Tagesordnung.
Die kommende Regierung wird wohl daran gemessen werden, ob sie an den bisherigen Zuständen grundsätzlich etwas ändern will und kann. Schließlich rutschte Albanien im jüngsten Ranking von Transparency International hinsichtlich der Korruption im Lande noch einmal um weitere18 Plätze nach unten auf Rang 113.4 Rechtsunsicherheit und Korruption sind eng miteinander verwoben. Solange Beziehungen und/oder Geldzahlungen darüber bestimmen, ob, wie und wann man Recht bekommt und solange auch höchste politische Repräsentanten ungestraft Recht beugen, solange darf man nicht davon ausgehen, dass sich hier grundsätzlich auch im Verhalten der Bevölkerung etwas ändert oder ändern kann.
Wesentlich wird es auch sein, dass sich die politische Landschaft entscheidend ändert. Die politischen Parteien selbst haben kaum eine echte demokratische Basis oder gar eine innerparteiliche Demokratie. So gibt es weder ein transparentes Budget mit einer transparenten Ausgabenpolitik, noch gibt es eine erkennbare Mitbestimmung der Parteibasis. Folgerichtig verhindern derartige Strukturen auch eine demokratische und transparente Regierungspolitik. Die beherrschende politische Mentalität des „The Winner Takes It All“ bewirkt des Weiteren einen Mangel an Dialog- und Kompromissfähigkeit – sowohl intern als auch mit der Zivilgesellschaft. Fortschritte und notwendige Lösungen bleiben in einem solchen Klima aus und bewirken sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich nichts anderes als Stagnation.
Albaniens Potenziale müssen genutzt werden
Albanien hat eine ganze Reihe von Potentialen. Die neue Regierung sollte sie unbedingt nutzen, um das Land weiter voranzubringen. Zum einen verfügt Albanien mit einem Durchschnittsalter von ca. 30 Jahren über eine ausgesprochen junge Bevölkerung, die trotz aller Enttäuschungen noch immer willig ist, in ihre Ausbildung zu investieren.5 Dieses Potential wird bisher in keiner Weise ausgeschöpft. Wirtschaftliche Wachstumschancen bestehen im Bereich des Tourismus, der Lebensmittel- und Heilmittelproduktion, in der Leichtindustrie, der Ausbeutung von Bodenschätzen und besonders in der Energieerzeugung. Albanien ist das zweitwasserreichste Land Europas und könnte als zudem sehr sonniges Land auch erneuerbare Energien erzeugen und sie zumindest in die Region ertragreich exportieren (zurzeit wird hingegen Energie importiert). Die politischen Eliten des Landes vermochten bislang nicht, Programme für eine nachhaltige Nutzung der eigenen Ressourcen zu erarbeiten, geschweige denn sie umzusetzen. Es bleibt fraglich, ob die neue Regierung nach den Wahlen etwas an dieser Situation ändern wird.
In Umfragen liegt die Koalition der SP vor der DP-Koalition. Die Werte der AK und der FRD bewegen sich um die 5%-Hürde. Umfragen in Albanien sind aber generell mit Vorsicht zu genießen und oft stark von ihren jeweiligen Auftraggebern beeinflusst. Nichtdestotrotz kann das Meinungsbild als Indiz dafür herangezogen werden, dass die Sozialisten zwar wahrscheinlich derzeit in Führung liegen, ihr Sieg am Wahlabend aber keinesfalls schon als sicher gelten kann. Unabhängig davon, wer aus den Wahlen als Sieger hervorgeht: Eine künftige Regierung wird selbst mit bestem Beispiel voran auf eine neue politische Kultur im Land hinwirken müssen. Sollte Berisha die Wahlen gewinnen, ist davon eher nicht auszugehen. Die internationale Gemeinschaft hat ihm bereits – mehr oder weniger – die „rote Karte“ gezeigt, nachdem er sich im Herbst 2012 populistische und nationalistische Ausfälle rund um den 100.Jahrestag der Unabhängigkeit leistete. Aber auch ein Wahlsieg Edi Ramas würde nicht automatisch bedeuten, dass sich die Situation von Grund auf ändert. Zunächst muss auch er die Verhältnisse innerhalb seiner eigenen Partei verändern, Spannungen abbauen und mehr Pluralismus zulassen. Überdies müssten sich künftig Vertreter beider Blöcke gemeinsam an einen Tisch setzen und miteinander arbeiten. Ob dies Rama in absehbarer Zeit gelingen kann, bleibt fraglich. Immerhin geben seine Zielsetzungen Anlass zur Hoffnung.
Über die Autoren
Christopher Forst hat ein Bachelorstudium der Regionalstudien Ost- und Mitteleuropa an der Universität zu Köln abgeschlossen. Er ist aktives Mitglied des Stipendiatischen Arbeitskreises Osteuropa der FES.
Frank Hantke ist Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Albanien.
1Kommunistischer Diktator Albaniens von 1944 bis zu seinem Tod im Jahre 1985.
2Siehe hierzu: FES-AIIS-Studie “The State of Albanian Democracy at the eve of 2013 General Elections“, online unter: www.fes-tirana.org.
4Quelle: Transparency International, Korruption Perzeptions Index 2012.
Albanien lag dort 2010 auf Rang 87, 2011 auf 95; Nachbarstaaten liegen 2012 wie folgt: KOS 105, GR 94, SRB 80, BiH 73, FYROM 69; „Nachbarn“ auf der Liste: Osttimor, Äthiopien, Guatemala, Niger.
Die tschechische Regierung möchte ein neues Gesetz über die Staatsbürgerschaft verabschieden lassen. Der Entwurf der Regierung vom Oktober 2012 ist nun nach drei Lesungen im Abgeordnetenhaus und Auschussberatungen vom Senat zur endgültigen Beschlussfassung an die Abgeordneten zurückverwiesen worden.
Ein vereinfachtes Verfahren für den Erwerb, wie es bisher für Bürger der Slowakei galt, soll laut Entwurf auch für alle EU-Bürger gelten. Miteinbezogen werden auch Bürger der Schweiz und anderer Drittstaaten. Insbesondere wird der Kreis der Personen erweitert, die die Staatsbürgerschaft durch einfache Erklärung erhalten können. Das Entstehen von doppelter Staatsbürgerschaft bei Erwerb einer anderen als der tschechischen wird vom Entwurf nicht verhindert. Auch soll endgültig der Erwerb der Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit dem Untergang der Tschechoslowakischen föderativen Republik und der Gründung der Tschechischen Republik geklärt werden.
Der Senat hat den Entwurf mit zwei Änderungswünschen an die Abgeordnetenkammer zurückverwiesen:
Die Möglichkeit, ohne Kenntnisse der tschechischen Sprache und über Grundlagen des tschechischen Staatswesen sowie der Kultur, Geschichte und Erdkunde die Staatsbürgerschaft zu erhalten soll gestrichen werden. Der ursprüngliche Entwurf sah Erleichterungen z.B. für Personen vor, die mindestens 3 Jahre in Tschechien auf Tschechisch eine Mittel- oder Hochschule besucht haben.
Viel interessanter aber: der ursprüngliche Entwurf sieht vor, dass die Entscheidung über die Staatsbürgerschaft nicht gerichtlich überprüft werden kann.
Der Senat fordert nun, dass die Ablehnung aus Gründen von Sicherheitsgefahren für den Staat durch Gerichte überprüfbar bleibt. Dafür schlägt er ein Verfahren vor, das einen Ausgleich zwischen Geheimhaltungsinteressen und gerichtlicher Kontrolle sucht.
Einen solch wichtigen Teil der Tätigkeit der Exekutive von der Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle auszunehmen, wie es der Regierungsentwurf vorsah, ist bereits für sich genommen heikel. Öffentlicher Protest wurde aber insbesondere im Zusammenhang mit Stellungnahmen des Geheimdienstes laut. Diese Stellungnahmen haben, soweit dies überhaupt von außen zu beurteilen ist, großen Einfluss auf die Entscheidung über die Erteilung der Staatsbürgerschaft. Ihre Einholung und Beachtung wird vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen. Sollte es sich um geheime Informationen handeln, wird die Stellungnahme nicht Teil der Bearbeitungsakte. Im Fall von Sicherheitsgefahren für den Staat ist laut Gesetzesentwurf keine Begründung notwendig – es reicht der Vermerk, dass der Antrag aus Gründen der Staatssicherheit abgelehnt wurde. Für viele Beobachter ungeklärt ist, ob diese Einflussmöglichkeit des Geheimdienstes als Druckmittel bei der Gewinnung von Informanten in Einwandererkreisen genutzt wurde oder werden wird.
Das Abgeordnetenhaus berät in der heute beginnenden Sitzung abschließend über das Gesetz.