„Eine erinnerungskulturelle Zerreißprobe: Wie das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung ein neues nationalukrainisches Narrativ konstruiert“ von Christian Hörbelt

Christian Hörbelt studierte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) im Master European Studies mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Er ist Mitglied des AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung und hat für die Ukraine Analysen (Nr. 193 vom 13.12.2017) eine Zusammenfassung seiner spannenden Abschlussarbeit verfasst, auf die wir hier gerne hinweisen.

Der Text setzt sich mit der Konstruktion eines nationalukrainischen Narrativ seitens des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung auseinander. Was das für den Dialog mit Russland und den post-sowjetischen Republiken bedeutet, könnt ihr hier (auf den Seiten 11 bis 15) nachlesen.

Il’ja Kalinin: Antirevolutionäre Revolutionserinnerungspolitik (Beitrag der Zeitschrift Osteuropa)

In diesem Jahr jährt sich die russische Oktoberrevolution zum 100. Mal. Die Zeitschrift Osteuropa widmet sich in ihrer Ausgabe 6-8/2017 der Revolution und wie immer ist ein Beitrag online nachzulesen. Il’ja Kalinin beleuchtet darin die Herausforderung, vor der Russlands Führung steht, wenn sie an die Oktoberrevolution und Geschichte Russlands erinnern will, gleichzeitig aber „Revolutionen als solche ablehnt“. Den Link zum Volltext des Artikels findet ihr hier: https://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2017/6-8/antirevolutionaere-revolutionserinnerungspolitik/

 

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Gibt es einen „hybriden Krieg“? Zu den sicherheitspolitischen Implikationen aus der inflationären Verwendung des Begriffs seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise. Eine Hausarbeit von Elen Budinova

Einleitung: Die Krim-Annexion im März 2013 und die darauffolgende Unterstützung prorussischer separatistischer Kräfte in den östlichen ukrainischen Verwaltungsbezirken Donezk und Luhansk seitens Russlands haben zu einem krisenhaften Zustand der Ukraine geführt. Ferner lässt sich seit dem Ausbruch der Krise ein quantitativer Anstieg der wissenschaftlichen, militärstrategischen und journalistischen Auseinandersetzung mit dem Thema „hybrider Krieg“ beobachten. Der Begriff zeichnet sich durch eine gefährliche Schattenhaftigkeit aus, die die Verwischung der Grenzen zwischen Krieg und Frieden impliziert (vgl. Schmid 2016: 115). Diese unscharfen Trennlinien manifestieren sich in einer dynamischen und kreativ synchronisierten Mischformel aus vielfältigen Arten der Kriegsführung, wobei traditionell als nicht-militärisch begriffene Methoden zum Ziel der Destabilisierung von der gegnerischen Partei einen hohen Stellenwert einnehmen (vgl. Hoffman 2007: 14).

Hybridität ist heutzutage zu einem Schlagwort geworden, das als eine Diagnose von den neusten sicherheitspolitischen Herausforderungen im Zentrum der Debatte um den Formenwandel der Kriegsführung im 21. Jahrhundert platziert wird. Im gleichen Atemzug wird das russische Vorgehen während der andauernden Ukraine-Krise als Leitbild der Implementierung einer „hybriden“ Strategie im öffentlichen Diskurs der NATO-Staaten präsentiert. Dabei wird Kremls Strategie mit sowohl verdeckter militärischer Involvierung als auch der Verbreitung von Desinformationen zum Zweck der Meinungsmanipulation in Verbindung gebracht. Die militärischen, zuerst auf der Krim und dann auch im Osten der Ukraine stationierten Kräfte ohne Hoheitsabzeichen- die nach der Farbe ihrer Uniform ironisch genannten „grünen Männchen“ (vgl. Giegerich 2016: 65) – sowie die im Internet operierende Propagandamaschinerie des Kremls, nämlich „Putins Troll-Armee“, dienen als Versinnbildlichung der russischen Taktik. Auf dem ersten Blick scheint die Subsumierung russischer Aktionen unter dem analytischen Rahmen des Konzepts vom „hybriden Krieg“ eine logische Interpretation zu sein. Sie hat auch zu einer Kettenreaktion der Verabschiedung von neuen strategischen Entwürfen in den Nordatlantikpakt Organisation (NATO)-Kreisen zum Zweck der zeitnahen Implementierung von Gegenmaßnahmen beigetragen (vgl. ebd.). Im Gegensatz dazu wird der Westen als ein „hybrider“ Akteur, der Länder mit Hilfe von Regimestürzen destabilisiert, in Russland betrachtet (vgl. Gerassimow 2017).

Das exponentielle Wachstum der Anzahl an Publikationen rund um das Thema „hybrider Krieg“ bedeutet aber nicht unzweifelhaft, dass die Qualität der darin ausgeführten Analysen auf so einem hohen Niveau ist wie ihre Quantität. Zu den Hauptaufgaben einer kritischen  Wissenschaft zählt, im menschlichen Verstand etablierte Konstrukte näher zu untersuchen und ferner sie auch zu hinterfragen, damit keine irreführenden Schlussfolgerungen gezogen werden, die potentielle negative Konsequenzen hervorrufen könnten. Von dieser Überzeugung ausgehend, fällt der Forschungsfokus in der vorliegenden Arbeit auf die kritische Diskursanalyse des verbreiteten Gebrauchs vom Begriff „des hybriden Krieges“ seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus folgenden Implikationen für die Rekonstruierung von Legitimationswegen, die sicherheitspolitische Maßnahmen rechtfertigen. Die Untersuchung erfolgt in drei Schritten, die auf die Beantwortung der folgenden Forschungsfrage konzentriert ist:

Warum ist es (un)angemessen, den Begriff „des hybriden Krieges“ in sicherheitspolitischen Debatten aufzunehmen?

In Anbetracht des Forschungsvorhabens werden nicht nur durchgängige Interpretationen von Vertretern des Konzepts, sondern auch kritische Analysen als Literaturquellen benutzt. Sowohl Beiträge von Militärstrategen als auch von Analytikern in Bereichen der politischen Beratung, Vermittlung und Forschung kommen infrage, damit eine Skizzierung der sicherheitspolitischen Diskursen in NATO-Staaten und in Russland ermöglicht wird und entgegengesetzte Positionen bezüglich der Forschungsfrage gegenübergestellt werden.

Im Kapitel 2. wird die Genese vom Begriff des „hybriden Krieges” verfolgt. Dabei werden sicherheitspolitische Herausforderungen im 21. Jahrhundert thematisiert. Parallel dazu erfolgt eine grobe Darstellung der Charakteristiken von einigen Kriegsführungsformen, die in der Definition „des hybriden Krieges“ auch präsent sind, sowie eine kurze Vorstellung von thematisch verwandten Konzepten, die sich auch zu der Erforschung eines aktuellen Kriegswandels bekennen. Danach werden Kernaussagen aus der Definition vom „hybriden Krieg“ dargestellt und ferner im Unterkapitel 2.3. kritisch im Hinblick auf ihre Implikationen für die internationale Sicherheit betrachtet.

Nach dem theoretischen Überblick erfolgt die empirische Untersuchung der Debatten in NATO sowie in Russland mit Rücksicht auf die Adoption vom Begriff „des hybriden Krieges“ in entscheidungspolitischen und militärstrategischen Prozessen. Dadurch wird sich feststellen, wie das theoretische Konzept an empirisch untersuchende Legitimationsnarrative zum Zweck der Adoption von sicherheitspolitischen Reformen und neuen Militärstrategien nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise angepasst wird. Im Unterkapitel 3.3. wird eine alternative Sichtweise angeboten, die die aufgestellten Thesen sowohl im westlichen als auch im russischen Diskurskontext zu widerlegen in der Lage ist und die Angemessenheit der bereits verabschiedeten sowie zukünftig geplanten sicherheitspolitischen Maßnahmen in NATO-Ländern und in Russland kritisch evaluiert.

Der darauffolgende analytische Teil beschäftigt sich mit der Ausführung der Ergebnisse aus den oben dargestellten Untersuchungslinien. Es geht um die Bestimmung der Kapazität vom Konzept „des hybriden Krieges“ zur Erklärung der Konfliktdynamiken in der Ukraine sowie um kritische Schlussbemerkungen im Zusammenhang mit einigen im Laufe der Diskursen- Analyse identifizierten Problemstellungen aufgrund der unbedachten Begriffsverwendung.

Weiterlesen: Elen Budinova_Gibt es den hybriden Krieg?

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Wie lässt sich die sino-russische sicherheitspolitische Kooperation seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise charakterisieren? Von Elen Budinova

von Elen Budinova

Als eine bittere geopolitische Konsequenz für Russland nach der Krim-Annexion sowie wegen Moskaus Unterstützung prorussischer Kräfte, die für eine Sezession der ukrainischen östlichen Verwaltungsbezirke Donezk und Lugansk seit 2014 kämpfen, kann das Ende einer zukunftsträchtigen russisch-westlichen Kooperation bezeichnet werden. Die verhängten wirtschaftlichen Sanktionen sowie die völkerrechtliche Kritik an Russlands Außenpolitik in der Ukraine seitens insbesondere der Europäischen Union (EU), die der größte Handelspartner von der Russischen Föderation (RF) noch bleibt, und der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) haben zu der Schwächung der russischen Wirtschaft sowie für Moskau einem sicherheitspolitisch gefährlichen Prozess der Isolation aus westlich geprägten Kooperationsmechanismen beigetragen (vgl. Noesselt 2015: 2f.). Der heutzutage zu beobachtende Tiefpunkt der russisch-westlichen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges korreliert zeitlich mit einem Aufschwung der Kooperation zwischen Russland und China, das auf die proklamierte russische Wende nach Asien mit einer Bereitschaft der Festigung der Beziehungen zu Moskau reagiert und sich der Kritik an Kremls Politik in der Ukraine öffentlich enthalten hat (vgl.: ebd.).

Seit der Inauguration vom chinesischen Präsidenten Xi Jingping in 2013 artikuliert die Regierung in Peking ihre geopolitische Ansprüche bei Territorialkonflikten mit anderen Anliegerstaaten im Südchinesischen Meer sowie mit Japan um die Senkaku- (auf Chinesisch: Diyao) Inseln auch anhand hard-power Demonstrationen (vgl. Baohui 2014: 76f.). Diese Willenskraft der Volksrepublik China (VRC) zu Machtprojektion wird von der amerikanischen Regierung, die ihre eigene geopolitische Wende nach Asien-Pazifik heutzutage betreibt, zunehmend mit Besorgnis betrachtet. Dabei werden Prognosen über einen von den chinesischen politischen Eliten traditionell vertretenen friedlichen Großmacht-Aufstieg vermehrt als unrealistisch kritisiert (vgl. ebd: 75). Der Ukraine-Konflikt hat China die Chance eröffnet, die sicherheitspolitisch wichtige Kooperation im militärischen und Energiesicherheitsbereich mit der RF intensiver aufzubauen, da Russland auf eine Neuorientierung weg von den blockierten Investitionsquellen sowie Energieabsatzmärkten angewiesen ist, und eine Partnerschaftsalternative braucht, um destabilisierenden Faktoren nach dem Bruch der Beziehungen mit dem Westen entgegenzuwirken.

Welches Potential hat aber der sino-russische sicherheitspolitische Schulterschuss seit der Ukraine-Krise, die als ein induzierender Faktor bei der Betrachtung der Annäherung zwischen Moskau und Peking in vorliegender Arbeit untersucht wird? Diese Fragestellung von hoher aktueller politischer Relevanz steht im Forschungsfokus der Analyse, welche sich auf den Charakter der sino-russischen Beziehungen konzentriert.

Dabei wird zuerst die Gegenüberstellung zu westlichem Führungsanspruch als gemeinsames Ziel analytisch überprüft. Zweitens richtet sich der Forschungsvorgang auf die sich als sicherheitspolitisch bedeutende Indikatoren in der Analyse herauskristallisierenden bilateralen militärischen sowie Energiebeziehungen. Drittens werden die Grenzen und Chancen des Ausbaus der sino-russischen Koordination von regionalen Hegemonieambitionen in Zentralasien herausgestellt. Die Möglichkeit des Ausbruchs einer offenen geopolitischen Konkurrenz in dieser Region wird als potentielles Hindernis der Festigung der Partnerschaft untersucht.

Alle von den oben aufgelisteten Einflussfaktoren auf die sicherheitspolitische Kooperation zwischen der VRC und der RF werden aus den Perspektiven des Neorealismus sowie des Neoliberalen Institutionalismus in zwei Inhaltsblöcken analysiert und danach erfolgt eine vergleichende Erforschung der Untersuchungsergebnisse. Die Wahl genau dieser Theorien für das methodologisch-vergleichende Vorgehen ist dadurch begründet, dass sie sich bezüglich der für die fallorientierte Untersuchung relevanten Operationalisierung des Kooperationsbegriffs unterscheiden (vgl. Keohane 1984: 9; vgl. auch: Grieco 1988: 117f.). Der Neorealismus geht von einer relativen Gewinn-Kalkulation in zwischenstaatlichen Beziehungen aus, wobei die eigenen Profitindikatoren nur im Vergleich zu dem Verlieren der anderen Seite evaluiert sind und Kooperation eher als ein kurzfristiges Balanceakt zu der gemeinsamen sicherheitspolitischen Bedrohung seitens einer dritten starken Macht bezeichnet wird (vgl. Mearsheimer 2001: 33f). Der Neoliberale Institutionalismus betont eine positive Funktion von Kooperationsmechanismen als Stärkung des gegenseitigen Vertrauens, die eine Orientierung an absoluten Gewinnen in win-win Situationen impliziert (vgl. Keohane 1993: 276f).

Die Analyse erzielt jedoch keine deterministischen Schlussfolgerungen zu ziehen, welche die komplexe Vielfältigkeit möglicher Blickwinkeln auf die Charakterisierung sino-russischer Kooperation nicht zu Recht widerspiegeln würden. Der Forschungszweck ist die kritische Auseinandersetzung mit der Reichweite der Aussagekraft der beiden Theorien, um die empirischen Ergebnisse von der beobachteten Annäherung zwischen Moskau und Peking seit der Ukraine-Krise aus diesen zwei analytischen Perspektiven interpretieren zu können.

Elen Budinova: Wie lässt sich die sino-russische sicherheitspolitische Kooperation seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise charakterisieren?