Sammelband „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“ erschienen!

(Galyna Spodarets)

Ende Mai 2014 unternahm der AK Osteuropa eine Informationsreise in die Ukraine. Die Eindrücke von der Reise nach Kiew und Lwiw waren Anlass, sich näher mit den Hintergründen des aktuellen Konflikts, aber auch mit dem Land an sich auseinanderzusetzen.

Mitglieder des AK Osteuropa bei der EU-Delegation in Kiew Mai 2014
Mitglieder des AK Osteuropa bei der EU-Delegation in Kiew Mai 2014

Auf einem AutorInnen-Workshop im Oktober 2014 kristallisierte sich der übergreifende Begriff der ,Krise‘ heraus, der eine thematische Vielfalt von der aktuellen ,Ukraine-Krise‘ bis hin zu individuellen Krisenverständnissen abdecken sollte. Entstanden ist eine Sammlung von Beiträgen, die von völkerrechtlichen Überlegungen zur sog. ‚Krim-Krise‘ über soziologische Betrachtungen zum Wandel politischer Einstellungen in der Ukraine bis hin zu Analysen von Krisenmigration und literarischen Selbstdarstellungen reicht.

TeilnehmerInnen des AutorInnen-Workshops Oktober 2014
TeilnehmerInnen des AutorInnen-Workshops in Bonn       Oktober 2014

Was zeichnet diesen Sammelband aus?

  1. Die Ukraine selbst und ihre (innen-/außen-)politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und identitätsspezifischen Probleme stehen im Vordergrund der Analysen. Die Distanzierung vom ‚geopolitischen Fatalismus‘ und Hinwendung zu bisher unterbeleuchteten Ukraine-bezogenen Themen gibt dem Leser einen holistischen Überblick über die vielfältigen Krisen eines Landes im Umbruch.
  2. Dank der interdisziplinären Herangehensweise und theoretischen Vielfalt leistet dieser Sammelband einen mehrdimensionalen Beitrag zum Verständnis der komplexen gesellschaftspolitischen Zusammenhänge in der Ukraine.
  3. Die individuelle Definition des Analysegegenstandes (‚Krise‘) erlaubt nicht nur eine auf die aktuellen Umbrüche beschränkte Analyse, sondern auch die Identifikation und Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Ereignissen im Jahr 2014 und bereits bestehenden Krisen.
  4. Gerade wegen der sich überschlagenden Ereignisse hatten die AutorInnen die Absicht, sich nicht auf eine kommentierende, journalistische oder politikberatende, also rein anlassbezogene Herangehensweise zu beschränken, sondern vielmehr wissenschaftliche Hintergrundanalysen vorzustellen.
  5. Durch die Zusammenarbeit mit etablierten WissenschaftlerInnen und akademischem Nachwuchs (Studierende, Promovierende) hat dieser Sammelband durch die Synergie von verschiedenen Perspektiven profitiert.
Umschlag des Sammelbandes „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“
Umschlag des Sammelbandes „Ukraine. Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch“

Wir danken dem AK Osteuropa, dem Organisationsteam der Auslandsreise, den Referenten des Workshops, den AutorInnen des Sammelbandes und den HerausgeberInnen der Impulse-Reihe für die tatkräftige Unterstützung.

Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn dieser Sammelband auf euer Interesse stößt und euch bei der Auseinandersetzung mit dem brennenden Thema weiterhilft. Die bibliographischen Angaben findet ihr unter folgendem Link:

http://www.wvberlin.com/programm/shop/einzelansicht/aktuell/ukraine-krisen-perspektiven/8a2a124d54f0d7aa64dfcded09083fb6/

 

„Alles neu macht der Maidan“ – Call for Papers!

 

„Alles neu macht der Maidan?“

Interdisziplinäre Perspektiven auf eine Ukraine im Umbruch

Call for contributions for an edited volume/Beiträge zu einem wissenschaftlichen Sammelband

 

Die Ukraine ist mit den Geschehnissen auf dem Maidan und der Krim in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mit der brisanten Entwicklung in der Ostukraine und der drohenden machtpolitischen Ost-West-Konfrontation in Europa wuchs ein Bedarf an Analysen zur Lage in der Ukraine.

Die bisherigen Studien haben oft einen exklusiven empirischen oder rein theoretischen Fokus. Viele aktuelle Analysen sind zudem populärwissenschaftlicher Natur und kommentieren die aktuellen Ereignisse, ohne diese in einen breiteren Kontext zu stellen. Normativ-geprägte Ansätze (wie diejenige der Transformationsforschung) hingegen konzentrieren sich auf ausgewählte Aspekte und können die Umbrüche und ihre Komplexität nicht erschöpfend analysieren. Die Ukraine selbst und ihre (außen-)politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sonstigen Probleme rücken gegenüber einer starken Betonung der geo- und außenpolitischen Aspekte oft in den Hintergrund der Analysen. Dabei bleibt das Land mit einer Bevölkerung von knapp 45 Millionen Menschen und dem neben Russland flächenmäßig größtem Territorium des europäischen Kontinents für die westliche Öffentlichkeit, Politik, und sogar Wissenschaft weitgehend unbekannt. Der jüngste Konflikt und die Ereignisse in und um die Ukraine zeigten die Gefahren dieser Vernachlässigung und gleichzeitig die Notwendigkeit umfassender Studien auf, die die Krise(n) der Ukraine einer vielseitigen Betrachtungsweise öffnen und die Ukraine selbst in den Mittelpunkt stellen.

Das Ziel des Sammelbandes ist, analytische Lücken mit Hilfe eines interdisziplinären Ansatzes zu identifizieren und ein holistisches Bild auf die vielfältigen Krisen einer Ukraine im Umbruch zu schaffen. Dank einer interdisziplinären Herangehensweise und einer theoretischen Vielfalt (z. B. Transformations- und Erinnerungsforschung, Oral History und Kontextanalyse, etc.) wird dieser Sammelband einen Beitrag zum Verständnis der gesellschaftspolitischen Zusammenhänge in der Ukraine in ihrer Rückwirkung auf die aktuellen Krisenprozesse leisten.

Inhaltliche Konzeption

Willkommen sind Beiträge aus allen Fachrichtungen, die die Krise(n) der Ukraine aus ihrer disziplinspezifischen Perspektive heraus identifizieren und betrachten. Aus transitionstheoretischer Sicht wird die Ukraine zuletzt als im Graubereich verharrend, die politische Entwicklung des letzten Jahrzehnts als Stillstand beschrieben (vgl. zuletzt Geissbühler, in: ders.(Hg.), Kiew ‑ Revolution 3.0). Im Fokus der Beiträge steht auch deswegen die Frage, ob es sich im Zusammenhang mit den/der identifizierten Krise(n) und aktuellen Umbrüchen potentiell von einer Zäsur oder einer Sackgasse sprechen lässt, und welche Möglichkeiten sich aus der(n) Krise(n) ergeben. Die jeweiligen Krisen (die aktuell und davor entstandenen), die den Analysegegenstand der einzelnen Beiträgen bilden, sind von den AutorInnen selbst zu identifizieren und im Bezug auf die Fragestellung zu untersuchen. Sowohl empirische, als auch theoretische Analysen sind von Interesse. Die individuelle Definition des Analysegegenstandes („Krise“) führt zu einer nicht notwendig auf die aktuellen Umbrüche („Ukraine-Krise“, „Krim-Krise“, „Krieg im Donbass“) beschränkten Analyse, die auch Wechselwirkungen der identifizierten, auch vor den Ereignissen 2014 bestehenden oder entstandenen Krisen untersuchen kann. Durch den Vergleich von unterschiedlichen (auch historischen) Krisenräumen soll ein Dialog der Perspektiven entstehen, während die primär auf den ukrainischen Raum bezogenen Themen durch eine komparatistische Perspektive die notwendige Relativierung bekommen werden. Dieser inklusive interdisziplinäre Ansatz ermöglicht einen holistischen Blick auf eine Vielfalt von Themen- und Problemkomplexen. Einreichungen sind nicht beschränkt auf die unten vorgeschlagenen Fragestellungen:

Gesellschaft in der Krise

–              Mediale, diskursive und semantische Konstruktion der Krise

–              Neue Formen des sozialen Protests

 –             Gesellschaftliche und/oder soziale Trennlinien

–              Identität in der Krise

–              Wahrnehmungen in der Krise: Klischees und Stereotypen und deren Instrumentalisierung

–              Sprache und Sprachnutzung in der Krise: ambivalente sprachliche Identifikation und/oder ethnische Hybridität

–              Gesundheitssystem in der Krise

–              Wertewandel und Krise

–              Natur und Umwelt in der Krise, Ökologische Krise

–              Wirtschaft und Krise/ Wirtschaftskrise/ Wirtschaft in der Krise

(Außen-)Politik in der Krise

–              Krise der multivektoralen Außenpolitik

–              Europäische Integrationsperspektive in der Krise

–              Geopolitik in der Krise: Zuordnung, Orientierung, Einflusssphären und deren Legitimation

–              Politische Kultur und das politische System in der Krise

–              Politische Parteien in der Krise

–              Transformation und Transformationswissenschaft in der Krise

–              Sozialstaat in der Krise

–              Minderheiten in der Krise

 

Recht und Rechtsstaatlichkeit in der Krise

–              Rechtsstaat in der Krise: Korruption, Unabhängigkeit, Vertrauen

–              Völkerrecht in der Krise: Durchsetzbarkeit, Souveränität und Selbstbestimmung

Geschichte der Krise und Geschichte in der Krise

–              Periodisierung der Krise(n)

–              Geschichtspolitik und Krise

Es ist Anliegen dieses Sammelbandes, die terra incognita der Ukraine durch eine Mischung aus empirischen und normativen Perspektiven auf die Krise(n) der Ukraine und problembezogenen Analysen auszuleuchten.

Angaben zur Einreichung von Beiträgen/Hinweise für AutorInnen

Bitte senden Sie Ihre Abstracts (Dateiformat: pdf oder docx) von nicht mehr als 2000 Zeichen bis Montag, den 22. September 2014, per E-Mail an Simone Stöhr (Simone.Stoehr@fes.de). Eine Entscheidung über die Aufnahme in dem Sammelband wird spätestens bis zum 6. Oktober 2014 erfolgen.

Anschließend bitten wir um einen entsprechenden Beitrag, dessen Umfang 20 Seiten, Times New Roman, Schriftgröße 14 (Fußnoten: Schriftgröße 13) nicht überschreiten soll. (Formalie_Reihe_IMPULSE)

Vom 23. bis 24. Oktober 2014 findet mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Promotionsförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung ein AutorInnentreffen in Bonn statt, das vor allem der Verzahnung der Beiträge und einem konstruktiven Austausch zwischen AutorInnen und eingeladenen Gästen dienen soll.

Der Sammelband soll 2015 in der Reihe „IMPULSE – Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft“ im Wissenschaftlichen Verlag Berlin (wvb) erscheinen.

Für weitere inhaltliche und formale Fragen und Anregungen steht Ihnen das Herausgeber-Team gerne zur Verfügung:

Tobias Endrich, Universität Passau, (endrich.tobias@gmail.com)

Khrystyna Schlyakhtovska, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (khrystynaserg@gmail.com)

Galyna Spodarets, Universität Regensburg (galyna.spodarets@gmail.com)

Evgeniya Bakalova, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung/HSFK (bakalova@hsfk.de)

Link zum Call als pdf: Alles neu macht der Maidan

Parlamentarismus in der Republik Moldau

(Kristin Eichhorn)

Vor der Errichtung eines parlamentarischen Regierungssystems durchlief die Republik Moldau sowohl eine präsidentielle (1991-1994) als auch eine semi-präsidentielle Phase (1994-2001). Seit der Implementierung des parlamentarischen Regierungssystems eine zunehmende Autokratisierung zu beobachten. Dies scheint der These Linz‘ von einer höheren Stabilität parlamentarischer Regierungssysteme (insb. in transformationsstaaten) zu widersprechen.

In der vorliegenden Hausarbeit werden zunächst die Funktionscharakeristika parlamentarischer Regierungssysteme analysiert. In einem weiteren Schritt wird überprüft, ob die Republik Moldau die Anforderungen parlamentarischer Regierungssysteme erfüllen kann.

 

Moldau by FES_OstIA


 

Der Kniefall Willy Brandts als deutsch-polnisches Medienereignis

(Vasco Kretschmann)

Am 18. Dezember 2013 wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden. Ein zentraler Punkt der gesellschaftlichen Erinnerung an den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler bleibt der Kniefall am Warschauer Mahnmal für die Opfer des Ghettoaufstandes von 1943 am 7. Dezember 1970. Die Geste ging als eine Bildikone in der Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Jedoch erst mit zeitlichem Abstand wurde Brandts visuelle Geste als ein unumstrittenes und historisch bedeutsames Symbol der Bitte um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg wahrgenommen. Somit griff das Ereignis den gesellschaftlichen Debatten über den angemessenen Umgang mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik voraus. 1970 löste der Kniefall von Warschau in der Bundesrepublik eine breite gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit und den außenpolitischen Kurs gegenüber der Volksrepublik Polen aus.

Gleichzeitig wurde die symbolträchtige Geste zu einem grenzüberschreitenden Medienereignis. Während in der Bundesrepublik Deutschland die Massenmedien das Ereignis mit einer Fülle von Erzählmustern inszenierten, wurde das Ereignis in den staatlichen Medien der Volksrepublik Polen heruntergespielt. Jedoch für die polnische Gesellschaft waren die Geste des deutschen Bundeskanzlers und die folgende Unterzeichnung des Warschauer Vertrages nicht weniger ergreifend. Für das kommunistische Regime allerdings war der Kniefall eines deutschen Kanzlers ausgerechnet am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos kein willkommener Akt. Eine Provokation bedeutete das Symbol sowohl im Kontext des polnisch-jüdischen Opferdiskurses wie auch vor dem Hintergrund der offiziellen Tabuisierung des Warschauer Aufstands von 1944 als ein polnischer Selbstbefreiungsversuch vor einer sowjetischen Besetzung Warschaus. In der Presse der Volksrepublik Polen standen auch daher die Fotos der realpolitisch bedeutsamen Vertragsunterzeichnung im Vordergrund.

Vor diesem Hintergrund bildete im Jahr 2000, 30 Jahre nach dem Kniefall und zehn Jahre nach der Transformation Polens in einen demokratischen Staat, die Entscheidung zur Errichtung eines Willy-Brandt-Denkmals in Warschau für die Durchsetzung der symbolträchtigen Geste Brandts in der gesellschaftlichen Erinnerung Polens einen Wendepunkt.

Der Kniefall markierte den Auftakt zu einem selbstkritischen erinnerungspolitischen Wandel in der Bundesrepublik und der Bereitschaft zum Verzicht auf territoriale Ansprüche gegenüber Polen.

Die hier veröffentlichte Seminararbeit von 2010 aus dem Masterstudiengang Public History an der Freien Universität Berlin befasst sich mit dem Kniefall Willy Brandts als ein deutschen-polnischen Medienereignis. Es wird sowohl die unmittelbare mediale Kommunikation des Ereignisses hinsichtlich der Durchschlagskraft symbolpolitischer Gesten wie auch die langfristige Erinnerung an den Kniefall im Wandel der deutsch-polnischen Beziehungen untersucht.

Als Ergänzung zu den Debatten über den Kniefall im deutsch-polnischen Kontext sei ein Disput von 2011 angemerkt. Im deutsch-polnischen Magazin „Dialog“ verteidigte der polnische Publizist Adam Krzemiński die Bedeutung Willy Brandts Ostpolitik gegen eine politisch motivierte Relativierung durch die deutschen Professoren Gerd Langguth, Heinrich Oberreuter und Michael Wolffsohn. Die leicht polemischen Debatten in den Ausgaben Nr. 94 und 95 (2011) kreisen um die Bewertung der „Verdienste“ der einzelnen deutschen Bundeskanzler in der bundesrepublikanischen Polenpolitik.

Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Brandts Geste und die langfristigen Folgen seiner Politik für die deutsch-polnische Zusammenarbeit widmet sich der Sammelband des Centrum Stosunków Międzynarodowych und der Friedrich-Ebert-Stiftung: Europa – Kontinent der Versöhnung? 40 Jahre nach dem Besuch Willy Brandts in Warschau. Warszawa 2012.

Brandts Kniefall als Medienereignis_Vasco Kretschmann.pdf by FES_OstIA