Zur Situation der LGBT Gemeinde in der Ukraine

(anonymus)

Kommentar zur Situation der LGBT Gemeinde in der Ukraine

Die politische Landschaft der Ukraine erscheint zunächst unübersichtlich. Ein maßgebliches Ziel unserer Studienreise ist es, mehr Einsicht in politische Positionen in der Ukraine zu erhalten und damit ein wenig mehr Klarheit zu gewinnen. Ich möchte in diesem Rahmen fragen: Welche Positionen vertritt die LGBTQI-Community in der Ukraine?

I. Akteure

21 LGBTQI- und LGBTQI-freundliche Organisationen haben am 8. Januar 2014 ein Statement zur soziopolitischen Situation in der Ukraine unterschrieben, worin sie generell alle politischen Strömungen an Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit erinnern, dabei Gewalt gegen friedliche DemonstrantInnen und Hate Speech, aber auch ganz spezifisch Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Gender Identity verurteilen. Die Einhaltung ersterer Rechte sowie die Verhinderung von Diskriminierung und Gewalt müsse unabhängig von Außenpolitik umgesetzt werden. Die Organisationen würden angesichts der Krise zwar nicht bedingungslos jegliche politische Kraft unterstützen, aber doch jeden Schritt in Richtungen Stärkung von Menschenrechten und Freiheit, sowie europäische Integration. Insofern bleibt das Statement trotz vorsichtiger Formulierung nicht neutral. Es ist mit zahlreichen Anspielungen gespickt: Explizit wird darauf hingewiesen, dass einige politischen AkteurInnen LGBTQI Themen missbrauchen, um von anderen wichtigen Themen abzulenken.

Das Statement wurde vom Council of LGBTQI-Organizations of Ukraine, einer Dachorganisation, die 19 aktive NGOs  unter sich vereint, um Rechte, Interessen und Bedürfnisse der LGBTQI Community zu vertreten, und dem  LGBT Human Rights Nash Mir Center publiziert. Diese beiden Organisationen sind wichtige Sprachrohre für die LGBTQI Gemeinde in der Ukraine. Eine weitere sehr starke Stimme ist die GAY Alliance Ukraine, die mit Regionalbüros in der gesamten Ukraine vertreten ist.

II. Herausforderungen

Das Statement vom Januar 2014 ist, wie oben angemerkt, mit einigen Anspielungen auf bestimmte PolitikerInnen bzw. Strömungen gespickt. Neutral kann die LGBTQI Gemeinde in der Ukraine nämlich gar nicht sein. Zwar ist Homosexualtität seit 1991 dekriminalisiert, doch explizite Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung von LGBTQIs existiert bis dato nicht. Und es gibt jene politisch einflussreichen Strömungen, die den Status Quo aufrecht erhalten wollen. Das Fazit: LGBTQIs in der Ukraine sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert.

Gesellschaftliche Herausforderungen

Die generelle Einstellung zu sexuellen Minderheiten in der Ukraine ist eher ablehnend. In einer Studie von 2007 gaben 46.7% der Befragten an, Einschränkungen der Rechte von LGBTQIs für richtig zu halten. Eine andere Studie berichtet, dass 78.2% der Befragten LGBTQIs Diskriminierungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Gender Identity erlebt zu haben, hauptsächlich am Arbeitsplatz. Weiterhin ist in den Medien eine homophobe Strömung präsent, die mit ihrer Hate Speech gegen LGBTQIs anstachelt. Dabei ist oftmals die „Love against Homosexuality Initiative“ maßgeblich beteiligt. Alles in allem führt das in der LGBTQI Community zu einer tiefgreifenden Angst davor, mit der eigenen sexuellen Orientierung offen umzugehen.

Politische Herausforderungen

Aus dieser gesellschaftlichen Situation ergeben sich natürlich auch eine Reihe von politischen Herausforderungen für die LGBTQIs. Besonders ablehnend zeigen sich einflussreiche ParlamentarierInnen der religiösen Konservativen. Aber auch VetreterInnen anderer Parteien sind bereits aufgefallen: 2008 wurde der damalige Leiter des parlamentarischen Kommitees für Menschenrechte, Leonid Grach von der Kommunistischen Arbeiter- und Bauernpartei, mit einer Aussage zitiert, in der er Homosexualtät als „Abnormalität“ diffamierte.

Rechtliche Herausforderungen

Angesichts des politischen Unwillens in mehreren einflussreichen Parteien ist es nicht verwunderlich, dass der Gesetzgebungsprozess in den vergangenen Jahren selten zugunsten der LGBTQI Community verlief. 2008 wurde dem Gesetz über Diskriminierung am Arbeitsplatz „sexuelle Orientierung“ dem Katalog für illegitime Gründe für Diskriminierung beigefügt. Es entstand starker Protest in verschiedenen Parteien, etwa dem BYT (Block of Yulia Timoschenko). Dieser stellte den Antrag, das Wort „sexuelle Orientierung“ wieder aus dem Gesetzestext zu streichen. Doch der Protest ging über eine parlamentarische Diskussionen hinaus: Der Oberste Gerichtshof sah die Verfassung gefährdet. Im Oktober 2012, als eine Gesetzesvorlage vor das Parlament gebracht wurde, dass das Sprechen über Homosexualtität in der Öffentlichkeit und in den Medien kriminalisieren sollte. Dieses Gesetz wäre offensichtlich inkompatibel mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und ist noch nicht endgültig entschieden worden. Im Mai 2013 wurde die Entscheidung bzgl. der Diskriminierung am Arbeitsplatz bis auf weiteres vertagt.

Auch auf Seiten der Rechtssprechung bestehen maßgebliche Probleme. 2012 hat Amnesty das mangelhafte Justizsystem mit korrupten Richtern in der Ukraine als eine der drei Hauptherausforderungen für das Land in Bezug auf Menschenrechte identifiziert. Dieser Punkt hat auch für die LGBTQI Community eine herausragende Bedeutung: Im Mai 2013 haben Gerichte die OrganisatorInnen der ersten ukrainischen Gay Pride erschüttert, indem sie deren Durchführung in der Innenstadt verboten. So haben die 100 DemonstrantInnen in einem 40-minütigen Marsch unter immensen Polizeischutz außerhalb der Innenstadt Geschichte geschrieben.

Quellen:

http://www.gay.org.ua/documents/letter29-08-2011eng.pdfhttp://www.metroweekly.com/news/opinion/?ak=8919http://www.refworld.org/docid/492ac7c82d.html

http://upogau.org/eng/inform/ourview/ourview_593.html

http://upogau.org/eng/inform/ourview/ourview_608.html

http://upogau.org/eng/inform/ourview/ourview_696.html

http://www.lgbtnet.ru/en

Ukrainisches Versammlungsrecht und EMRK – Teil 1

(Yasar Ohle)

Das Ukrainische Versammlungsrecht im Lichte der EMRK

Teil 1: Das ukrainische Versammlungsrecht

Euromaidan, Barrikaden und Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstrant_innen – in der jüngsten Vergangenheit war die Berichterstattung über die Ukraine besonders von Demonstrationen geprägt. Doch was gilt eigentlich rechtlich in Bezug auf Demonstrationen? Wie sind öffentliche Versammlungen in der Ukraine geregelt? Dieser Beitrag soll einen ersten kurzen Überblick über die Versammlungsfreiheit und das Versammlungsrecht in der Ukraine geben.

a. Sowjetzeit

Das Versammlungsrecht in der Ukraine wurde noch in der Sowjetzeit vom Dekret von 1988 geregelt. Danach sollten Versammlungen spätestens 10 Tage vor dem geplanten Datum bei zuständigen lokalen Sowjetbehörden angemeldet werden. Die Genehmigung konnte verweigert werden, wenn der Zweck der Versammlung nicht mit den Zielen und der Verfassung der Sowjetunion bzw. seiner Republiken im Einklang stand.[1]

b. Seit dem Ende der Sowjetunion

Nach dem Ende der Sowjetunion wurde zunächst kein neues Versammlungsrecht erlassen. Vielmehr galten die Gesetze aus der Sowjetzeit fort, bis ihre Regelungsgegenstände durch den neuen, souveränen Gesetzgeber der Ukraine geregelt wurden. Dies wurde von der Werchowna Rada am 12. September 1991 durch die Resolution zur zeitweiligen Anwendung von bestimmten sowjetischen Gesetzen festgelegt.[2]

Der Entwurf über die Verfassung der Ukraine wurde dann am 28. Juni 1996 durch die Werchowna Rada, das Parlament der Ukraine, angenommen. Diese Verfassung ersetzte die noch bis 1995 gültige Verfassung der Ukrainischen SSR.

Artikel 39 der Verfassung regelt die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit:

„Die Bürger haben das Recht, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln und Versammlungen, Meetings, Aufzüge und Demonstrationen durchzuführen, deren Durchführung rechtzeitig den Organen der vollziehenden Gewalt oder den Organen der örtlichen Selbstverwaltung mitgeteilt wird.

Eine Beschränkung hinsichtlich der Wahrnehmung dieses Rechts kann durch ein Gericht gemäß dem Gesetz und nur im Interesse der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung mit dem Ziel der Verhinderung von Unruhen oder Straftaten, im Interesse des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten dritter Personen festgelegt werden.“[3]

Die Versammlungsfreiheit darf also nur aus bestimmten, von der Verfassung genannten Gründen, und nur auf Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden. Ein Gesetz, das eine rechtsstaatliche Grundlage für die oben genannten Beschränkungen dieser Freiheit hätte bilden können (vergleichbar etwa mit dem deutschen Versammlungsgesetz), wurde jedoch auch in der Zeit nach der Verfassungsgebung nie erlassen. Noch immer gilt in der Ukraine das Sowjet-Dekret von 1988.

c. Jüngste Veränderungen im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten

Auch heute besteht in der Ukraine kein einfachgesetzliches Versammlungsrecht. Dieses wird lediglich durch die Verfassung geregelt. Allerdings wurde im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten am 16. Januar im Schnelldurchlauf ein „Gesetzespaket“ erlassen, wodurch bürgerliche Freiheitsrechte, wie auch die Versammlungsfreiheit, eingeschränkt wurden.[4] So wurden mehr Aspekte von Versammlungen unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt und mögliche Strafen für Teilnehmende solcher Versammlungen erhöht. So sind danach Genehmigungen für Bühnen, Zelte und Lautsprecher erforderlich. Wird keine Genehmigung eingeholt, kann die Versammlung aufgelöst werden und dem Leiter eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Tagen drohen. Für die Teilnahme an einem Konvoi mit mehr als fünf Autos kann der Führerschein bis zu zwei Jahre entzogen werden.[5]

d. Fazit

Es lässt sich feststellen, dass der Bereich der Versammlungen in der Ukraine nicht umfassend geregelt ist und dass die bestehenden Regelungen außerdem sehr einschränkend gestaltet sind. Eine wirkliche Versammlungsfreiheit, die auch die Veranstaltung einer spontanen Versammlung beinhaltet und im Rahmen derer die Demonstrierenden nicht kriminalisiert werden, besteht hingegen nicht. Wie dies vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention aus der menschenrechtlichen Perspektive zu bewerten ist, wird im zweiten Teil des Beitrags dargestellt.