Occupy Praha

(Kristin Kretzschmar)

Überquert man momentan die Moldau vom Rudolfinum aus kommend über die Manes Brücke, hat man nicht nur einen schönen Blick auf die Karlsbrücke und die Prager Burg sondern auch auf das Prager Occupy Camp.

Hinter dem Mahnmal des 2. Weltkrieges ist das noch kleine Occupy Camp.
Als im letzten Herbst in Frankfurt oder Berlin Occupy Camps im Sinne der Occupy Bewegung eingerichtet wurden, tat sich in Prag kaum etwas. Neben Berichten einiger Think Tanks nahmen die Medien nur marginal Notiz von der neuen Bewegung.
Doch seit inzwischen nun mehr als einer Woche besteht ein Occupy Camp in Prag. Unweit der Metro- und Tramstation Malostranska haben die Aktivisten eine Wiese besetzt. Das Camp wirkt zunächst unscheinbar: ein Dutzend Zelte, ein kleiner Informationsstand an dem nur tschechisch gesprochen wird und Petitionen zu verschiedenen Themen ausliegen und einige Plakate. Der Tatendrang ist allerdings unübersehbar. Jeden Abend finden ab 18.00 Uhr Diskussionsrunden statt, zum Teil mit Simultanübersetzung. Die Besetzer wollen sichtbar sein und ihren Anliegen (Spektrum von Banken-Kritik bis Umweltschutz) eine Stimme verleihen.

Wir sin 99%
Dieses noch kleine Camp, aber auch vorherige durch Gewerkschaften organisierten Großdemonstrationen, verleihen den Eindruck, dass die Zivilgesellschaft Tschechiens aus ihrem Schlaf erwacht ist und bereit ist für Änderungen einzustehen.

Bericht über ein Praktikum in Prager Büro der OSZE

(Kristin Kretzschmar) 

Ort, Zeitpunkt und wöchentliche Arbeitszeit

Im Sommer 2011 habe ich im Prager Büro des Sekretariats der OSZE ein siebenwöchiges Praktikum absolviert. Dieses umfasste eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden; täglich von 9.00 bis 17.00 Uhr. Das Praktikum wurde nicht vergütet.

Bewerbungsverfahren

In meinem Fall verlief das Bewerbungsverfahren noch recht informell. Ich habe mich auf eigene Initiative per E-Mail beworben. Etwa zwei Monate später erhielt ich eine Antwort; mir wurde mitgeteilt, dass ich Anfang Juli beginnen könnte und nur noch ein Motivationsschreiben nachreichen soll.

Inzwischen ist es nicht mehr ganz so locker. Bewerbungen sind nur noch möglich, wenn Stellen ausgeschrieben wurden. Das heißt: wenn das Prager Büro Bedarf hat, wird eine Stellenausschreibung an das Sekretariat in Wien weitergegeben. Diese Stellenausschreibungen findet man auf der Hauptseite der OSZE. Trotz alledem kann es sich lohnen, vorab in Prag telefonisch anzufragen, ob vielleicht schon Stellen für einen bestimmten Zeitraum vorgesehen sind. 

Informationen zur OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) ist die institutionalisierte Weiterführung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Am bekanntesten ist die OSZE für die Wahlberichte, wie beispielsweise der Bericht zur Russischen Präsidentschaftswahl 2012. Daneben ist die OSZE noch in vielen andern Bereichen aktiv – beispielsweise Konfliktprävention, Umweltforen…

Besonders interessant war für mich der umfangreiche Sicherheitsbegriff der OSZE. Auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einigte man sich, Sicherheit in drei Körben (inzwischen umbenannt in Dimensionen) zu definieren: neben der politisch-militärischen Dimension auch in der Wirtschafts- und Umweltdimension und der menschlichen Dimension.

Weitere Informationen zur OSZE im Allgemeinen findet man im Faltblatt „Was ist die OSZE“  und etwas umfangreicher im Handbuch.

Das Prager Büro

Das Prager Büro der OSZE ist eine Außenstelle des Sekretariats, welches inzwischen seinen Sitz nach Wien verlegt hat. Dieser Standort ist historisch gewachsen und beherbergt nun die Archive der OSZE. Des weiteren wird hier das jährliche Wirtschafts- Und Umweltforum organisiert.

Aufgaben konkret

Die Arbeit war sehr an den Bedürfnissen der PraktikantInnen orientiert und ist stark von der Archivfunktion des Prager Büros gepräg . Das heißt, dass es sogar erwünscht war, neben den notwendigen Aufgaben, auch ein eigenes Projekt zu bearbeiten. 

Ich habe die ersten zwei Wochen des Praktikums nach Unterlagen und Dokumenten der Überprüfungskonferenz in Astana gesucht (in diesem Falle hauptsächlich in elektronischen Datenbanken, da die Konferenz 2010 war), und diese Dokumente so aufgearbeitet, dass sie eine vollständige Dokumentation der Konferenz darstellen. Des Weiteren ist es eine Aufgabe der PraktikantInnen den WissenschaftlerInnen (Researcher In Residence Programme http://www.osce.org/employment/43289) zuzuarbeiten, das heißt: für diese Dokumente in den Datenbanken oder den Archiven zu suchen. 

Daneben übernehmen PraktikantInnen auch die üblichen Büroaufgaben, beispielsweise E-Mailverkehr oder Übersetzung von Briefen. Eine weitere Aufgabe, die den PraktikantInnen anvertraut wird, ist die Vorbereitung und Durchführung von Präsentationen über die OSZE für deutsche RechtsreferendarInnen, die das Büro besuchen. 

Mein persönliches Projekt war die Anfertigung einer thematischen Dokumentation der Arbeit der OSZE in der Republik Moldau. Da ich mich schon im vorherigen Semester umfangreich mit dieser Thematik (siehe Ost-IA: Föderalisierung Moldawiens) befasst habe, stellte dies für mich eine sinnvolle Fortführung dar. Für diese Dokumentation habe ich erneut Dokumente (in diesem Falle auch tatsächlich in Archiven und nicht nur am Computer) in einer Sammlung zusammengetragen. Diese wird es in Zukunft Wissenschaftlern, die sich mit diesem Thema befassen, die Arbeit erleichtern.

Als Highlight des Praktikums stand eine Reise nach Wien und Besuch des Ständigen Rates sowie des Sekretariats und Treffen mit verschiedenen MitarbeiterInnen auf dem Programm. Die Kosten dafür wurden von der OSZE getragen.

Fazit

In diesem Praktikum konnte ich meine Kompetenzen und Fähigkeiten auf verschiedenen Gebieten erweitern.  Vor einer Bewerbung gilt es allerdings zu bedenken, dass die Arbeit in Archiven im Zentrum steht. Das heißt: ein gewisser Hang zur Genauigkeit und Durchhaltevermögen sind hilfreich, wenn man mal wieder drei Tage in Folge im Archiv im Keller nach einem bestimmten Dokument aus dem Jahre 1992 sucht. 

 Da im Prager Büro darauf geachtet wurde, dass nicht ein Praktikant allein ist, sondern wir zu viert waren, kam auch das soziale Leben nicht zu kurz. 

Auch nach Abschluss meines Praktikums stehe ich noch mit der OSZE in Kontakt; so besuchte ich beispielsweise des Wirtschafts- und Umweltforum und unterstütze aktuell ein Forschungsprojekt.

 

100 Bücher – kultureller Klebstoff für die russische Nation?

(Kristin Kretzschmar)

Aktuellen Meldungen zufolge plant der russische Präsident Putin die Ausarbeitung einer umfangreichen Bücherliste, deren Lektüre für jeden russischen Schüler verpflichtend werden soll. Ein solcher Lesekanon im Rahmen der Schulbildung erscheint zunächst wohlbekannt, doch diese Liste ist aufgrund von Umfang und Hintergrund der Idee doch außergewöhnlich.

Vor einer Woche erschien in der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta ein programmatischer Artikel Putins zum Nationalitätenkonflikt. Hierbei erklärt Putin welche Rolle der russischen Kultur in der Beilegung dieses Konflikts zukommt. In dem umfangreichen Schriftstück erwähnt Putin auch die Zusammenstellung einer Liste mit 100 Büchern, die jeder Schüler gelesen haben muss. Allerdings soll dies nicht im Rahmen des Unterrichts geschehen, sondern im Selbststudium. Überprüfung erfolgt dann in Essays, Prüfungen oder Schülerwettbewerben. Putins Erklärung hierzu lautet: „Die Aufgabe des Bildungswesens besteht darin, einem jeden den absolut obligatorischen Umfang an humanitärem Wissen zu vermitteln, der die Grundlage der Selbstidentifizierung eines Volkes darstellt. In erster Linie muss es um eine Verstärkung der Rolle solcher Fächer wie russische Sprache, russische Literatur und russische Geschichte im Bildungsprozess gehen – natürlich im Kontext des gesamten Reichtums der nationalen Ideen und Kulturen“.  An anderer Stelle wird dann aber darauf verwiesen, dass mit dieser Liste die Dominanz der russischen Kultur erhalten werden soll. Hierbei gilt es zu bedenken, dass in Russland 160 verschiedene Völker leben. Kann in dieser Konstellation ein staatlich diktierter Lesekanon die Schüler auf die russische Nation einschwören? Die Sprache und Kultur die in diesen Büchern vermittelt werden, sollen laut Putin diese Völker zusammenhalten und letztendlich einen Staat bilden „in dem es keine nationalen Minderheiten gibt“.

Kritiker warnen: „Social engineering through state mandated literature: Nothing else that Putin has done has been quite so nakedly Soviet in its desire to manipulate the human intellect into docility.“  Was meint ihr: Social Engineering oder Erfüllung des Bildungsauftrages? Welche Erinnerungen habt ihr an den Lesekanon der Schule?

Gedenken an Vaclav Havel

(Kristin Kretzschmar)

Dissident und Präsident, Schriftsteller und moralische Führungsrolle. Dies ist nur ein Teil von dem, was Tschechen mit Vaclav Havel verbinden. Viele haben Erinnerungen oder Geschichten, die in direkter Verbindung zu Havels Person oder seinem Wirken stehen. Seit seinem Tod am Sonntag (18.12.2011) tauschen sie sich über diese Erinnerungen aus und gedenken einer großen Persönlichkeit. Aus diesem Anlass werden auch hier verschiedene Gedanken und Erinnerungen lose zusammengefasst.

Schon am Sonntag kurz nach Bekanntwerden des Todes, wurden in verschiedenen sozialen Netzwerken zu  Treffen und Andachten an zentralen Plätzen der Samtenen Revolution aufgerufen. Zum entsprechenden Facebook  Aufruf meldeten sich mehr als 800 Teilnehmer an. Tatsächlich waren es mehr.  Dieses Video stellt die Atmosphäre  in der Stadt am Sonntagabend dar.

2009 erhielt Vaclav Havel den Internationalen Demokratiepreis. In der Rede anlässlich der Verleihung, äußerte sich der damalige  Außenminister Frank Walter Steinmeier wie folgt: Er steht wie kaum ein anderer für den Geist, der 1989 geprägt hat: unerschrockener Bürgersinn, Glaube an das befreiende Wort, eine gesamteuropäische Perspektive, die Ideologien, Blöcke und Mauern sprengt.“ Und weiter Und wir spürten, dass dort im Osten die Stimme der Demokratie und der Freiheit mit neuer Kraft und Frische erklang. Eine Stimme der Demokratie und der Freiheit, die in kaum jemandem einen klareren Ausdruck fand als in Ihnen, lieber Vaclav Havel.“

Laut Auswärtigen Amt würdigte Westerwelle Havel mit folgenden Worten: „Wir trauern um einen großen Europäer, einen Wegbereiter der europäischen Wiedervereinigung, einen großen Staatsmann und einen bedeutenden Bürgerrechtler. Wir Deutschen haben Václav Havel viel zu verdanken.“

Die Frankfurter Allgemeine kommentiert seine Haltung zu Politik und seine Aufstieg wie folgt: „ Politik definierte er als ‚Moral in Aktion‘, als ‚die Kunst, sich selbst und die Welt besser zu machen‘. Die platonische Auffassung der Wahrheit als Staatszweck ordnete er ein in die ‚Tradition von Kyrill und Method über Hus bis zu Masarýk, Stefaník und Patočka‘. In den Augen der Tschechen schloss sich ein Kreis: auf den ‚Philosophen-Präsidenten‘ Masarýk am Anfang des Jahrhunderts folgte der ‚Schriftsteller-Präsident‘ Havel an seinem Ende.“

Laut News24 ehrte Obama Havel mit folgenden Worten; „Having encountered many setbacks, Havel lived with a spirit of hope, which he defined as ‚the ability to work for something because it is good, not just because it stands a chance to succeed‘.“ Verschiedene Quellen vermuten, dass Obama zur Beisetzung am Freitag (23.12.2011) anreisen wird.

Schon in der Vergangenheit hat ein bestimmtes Zitat Havels vielen Trauernden über ihren Schmerz hinweg geholfen (So wurde es beispielsweise in der Traueranzeige Robert Enkes verwendet): „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht„. Nun hilft es auch denen, die um Havel trauern.