Ukrainisches Versammlungsrecht und EMRK – Teil 1

(Yasar Ohle)

Das Ukrainische Versammlungsrecht im Lichte der EMRK

Teil 1: Das ukrainische Versammlungsrecht

Euromaidan, Barrikaden und Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstrant_innen – in der jüngsten Vergangenheit war die Berichterstattung über die Ukraine besonders von Demonstrationen geprägt. Doch was gilt eigentlich rechtlich in Bezug auf Demonstrationen? Wie sind öffentliche Versammlungen in der Ukraine geregelt? Dieser Beitrag soll einen ersten kurzen Überblick über die Versammlungsfreiheit und das Versammlungsrecht in der Ukraine geben.

a. Sowjetzeit

Das Versammlungsrecht in der Ukraine wurde noch in der Sowjetzeit vom Dekret von 1988 geregelt. Danach sollten Versammlungen spätestens 10 Tage vor dem geplanten Datum bei zuständigen lokalen Sowjetbehörden angemeldet werden. Die Genehmigung konnte verweigert werden, wenn der Zweck der Versammlung nicht mit den Zielen und der Verfassung der Sowjetunion bzw. seiner Republiken im Einklang stand.[1]

b. Seit dem Ende der Sowjetunion

Nach dem Ende der Sowjetunion wurde zunächst kein neues Versammlungsrecht erlassen. Vielmehr galten die Gesetze aus der Sowjetzeit fort, bis ihre Regelungsgegenstände durch den neuen, souveränen Gesetzgeber der Ukraine geregelt wurden. Dies wurde von der Werchowna Rada am 12. September 1991 durch die Resolution zur zeitweiligen Anwendung von bestimmten sowjetischen Gesetzen festgelegt.[2]

Der Entwurf über die Verfassung der Ukraine wurde dann am 28. Juni 1996 durch die Werchowna Rada, das Parlament der Ukraine, angenommen. Diese Verfassung ersetzte die noch bis 1995 gültige Verfassung der Ukrainischen SSR.

Artikel 39 der Verfassung regelt die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit:

„Die Bürger haben das Recht, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln und Versammlungen, Meetings, Aufzüge und Demonstrationen durchzuführen, deren Durchführung rechtzeitig den Organen der vollziehenden Gewalt oder den Organen der örtlichen Selbstverwaltung mitgeteilt wird.

Eine Beschränkung hinsichtlich der Wahrnehmung dieses Rechts kann durch ein Gericht gemäß dem Gesetz und nur im Interesse der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung mit dem Ziel der Verhinderung von Unruhen oder Straftaten, im Interesse des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten dritter Personen festgelegt werden.“[3]

Die Versammlungsfreiheit darf also nur aus bestimmten, von der Verfassung genannten Gründen, und nur auf Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden. Ein Gesetz, das eine rechtsstaatliche Grundlage für die oben genannten Beschränkungen dieser Freiheit hätte bilden können (vergleichbar etwa mit dem deutschen Versammlungsgesetz), wurde jedoch auch in der Zeit nach der Verfassungsgebung nie erlassen. Noch immer gilt in der Ukraine das Sowjet-Dekret von 1988.

c. Jüngste Veränderungen im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten

Auch heute besteht in der Ukraine kein einfachgesetzliches Versammlungsrecht. Dieses wird lediglich durch die Verfassung geregelt. Allerdings wurde im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten am 16. Januar im Schnelldurchlauf ein „Gesetzespaket“ erlassen, wodurch bürgerliche Freiheitsrechte, wie auch die Versammlungsfreiheit, eingeschränkt wurden.[4] So wurden mehr Aspekte von Versammlungen unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt und mögliche Strafen für Teilnehmende solcher Versammlungen erhöht. So sind danach Genehmigungen für Bühnen, Zelte und Lautsprecher erforderlich. Wird keine Genehmigung eingeholt, kann die Versammlung aufgelöst werden und dem Leiter eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Tagen drohen. Für die Teilnahme an einem Konvoi mit mehr als fünf Autos kann der Führerschein bis zu zwei Jahre entzogen werden.[5]

d. Fazit

Es lässt sich feststellen, dass der Bereich der Versammlungen in der Ukraine nicht umfassend geregelt ist und dass die bestehenden Regelungen außerdem sehr einschränkend gestaltet sind. Eine wirkliche Versammlungsfreiheit, die auch die Veranstaltung einer spontanen Versammlung beinhaltet und im Rahmen derer die Demonstrierenden nicht kriminalisiert werden, besteht hingegen nicht. Wie dies vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention aus der menschenrechtlichen Perspektive zu bewerten ist, wird im zweiten Teil des Beitrags dargestellt.

Das ABC der Krim-Krise

(Galja Spodarets)

Für diejenigen, die die Ereignisse auf der Krim nicht so richtig verfolgt haben, aber trotzdem verstehen wollen, was auf der Halbinsel passiert und warum das für die internationale Gemeinschaft Thema Nr.1 für eine ungewisse spannungsgeladene Zeit bleiben wird.

 

 

1. Die Situation in der Ukraine, die ganz Europa in Atem hält, hat nichts mehr mit der eigentlichen Revolution zu tun, sondern ist als deren direkte Folge zu verstehen. Die Revolution ist bereits ein historischer Fakt. Der Maidan hat in der Ukraine gewonnen. Das Regime von Janukowitsch ist weg und das Parlament hat den Präsidenten seines Amtes enthoben. Mehr als 100 Ukrainier haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Und noch viele mehr mit ihrer Gesundheit. Dieser Sieg wurde nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Westen gefeiert.

2. Die Übergangsregierung wurde durch 82% der Abgeordneten unterstützt (371 Stimmen, u.a. mit der Mehrheit von Janukowitschs „Partei der Regionen) und ist somit legitim. Es fand also kein „Neonazi Putsch“ statt, wodurch die Russische Föderation nun die Intervention auf der Krim zu legitimieren versucht. Der ehemalige ukrainische Präsident ist am 22. Februar aus Angst vor Strafverfolgung nach Russland geflohen. Seitdem hat er sich nur einmal bei der bekannten Pressekonferenz in Rostow am Don sehen lassen. Bis jetzt wissen wir aber nicht genau, wo er steckt und was er macht. Was uns aber zur Verfügung steht, ist seine Residenz und dessen Hinterlassenschaft, die da aufgefundenen Dokumente und Hinweise auf zahlreiche Verbrechen, worüber die Journalistin Natalie Sedletska im diesem Video kurz erzählt.

3. Bis Mai wird die Ukraine von der Übergangsregierung geführt. Am 25. Mai werden Neuwahlen stattfinden, bei denen alle Ukrainer über die Zukunft des Landes mitbestimmen können. Die Europawahlen sind übrigens auch für dieses Datum gesetzt worden. Ein gutes Zeichen.

4. Die EU hat die neue ukrainische Regierung anerkannt und am 6. März 2014 angekündigt, dass das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine bald unterzeichnet werden soll. Dagegen wurden zwei geplante Abkommen mit Moskau von den 28 EU-Länderchefs suspendiert.

5. Wir sind bereits im Krieg. Es handelt sich um einen Propagandakrieg. Warum ist das russische Propagandainstrument so mächtig? Es wirkt systematisch und einheitlich, provokativ und hasserzeugend, und das täglich auf der staatlichen Ebene und weltweit durch das Mediennetzwerk Russia Today. Nicht alle Journalisten wollen aber ihre Zuschauer weiter belügen, manche kündigen den Job on Air. Die ukrainische Medienlandschaft hat gegen diese Propagandamaschine einfach keine Chance. Die Ukrainer müssen alle die Lügen ständig widerlegen, womit das eigene Volk und die Welt zielgerichtet gefüttert werden. Somit sind die ukrainischen Medien immer einen Schritt hinter den russischen.

6. Eine vielseitige Berichterstattung gehört aber zur Demokratie, oder? Hier ist nun Euer Vorwissen gefragt. Und Resistenz gegen offensichtliche Provokationen. Ein ausländischer Leser, der schlicht aufgrund anderer Interessenschwerpunkte keine große Ahnung über die Geschichte der Ukraine und Ereignisse vor Ort hat, kann sehr leicht manipuliert werden, wenn man jedem geschriebenen Wort glaubt. Meine Bitte an Euch: hinterfragt jede sensationelle Nachricht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Unwahrheiten oder verdrehte Fakten beinhaltet, ist sehr groß. Der Vorsitzende des Internationalen Ukrainistenverbandes Prof. Michael Moser hat im diesem Zusammenhang einen offenen Brief an den Spiegel geschrieben.

7. Die Forscher des ukrainischen Nationalismus haben in einer kollektiven Stellungnahme unterstrichen, dass der ukrainische Maidan eine liberale und keine extremistische Protestaktion ist.  Ihrer Meinung nach wäre es besser, das Land selber zu besuchen, um das Geschehen objektiver darstellen zu können.

8. Objektivität ist nun wohl nicht im Trend. Ukraineexperten (Umland, Moser u.a.) kämpfen dafür. Da die Diktatoren ihren Einfluss in Kiew verloren haben, versucht man nun mit allen Mitteln das Bild zu erzeugen, dass die Übergangsregierung unter dem Einfluss von Extremisten steht. Für alle, die sich Sorgen um den ukrainischen Nationalismus machen: Vom 25. Februar bis zum 4. März 2014 wurden in der Ukraine die ersten Umfragen zu einem möglichen Staatschef durchgeführt. Für die nationalistische Partei „Svoboda“ würden 2,5% der Befragten ihre Stimme geben, nach anderen Angaben – nur 1,7%.
Sogar der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy fühlte sich verpflichtet, gezielte Fehlinformationen über die ukrainische Revolution zu entlarven. 

9. Wie oft haben wir von europäischen Politikern Diskussionen über die ukrainische neonazistische Regierung gehört? Solche Diskussionen führen meistens Menschen, die sehr verschwommene Vorstellungen vom politischen Umfeld der Ukraine haben, keine andere Argumente haben oder die Protestbewegung diskreditieren wollen. Juden, Russen, Ukrainer, Belarussen, Armenier, Georgier, Krimtataren, Vertreter anderer Nationalitäten, kultureller Traditionen und Religionsbekenntnisse haben auf dem europäischen Maidan aktiv mitprotestiert. Dieses Faktum wie auch Multikulturalität der Ukraine werden gerne ausgeblendet (z.B. das erste Todesopfer der Proteste in Kiew war Sergej Nigojan, ein Armenier aus dem ostukrainischen Dnjepropetrowsk wurde am 22. Januar erschossen, der zweite – ein Weißrusse Michail Zhiznewskiy… Link, man weist immer weiter auf den „proto-faschistischen Charakter“ der Opposition hin. Was sagen denn die ukrainischen Juden dazu? Dies wurde am Tag des Abtauchens von Viktor Janukowitsch bekannt gegeben. Haben die Juden tatsächlich zusammen mit Ukrainern auf dem Maidan gelebt? 

10. Anstatt von dem bedrohenden Krim-Krieg zu sprechen und dem daraus folgenden Ost-West-Konflikt, gar dem dritten Weltkrieg, wird der Fokus auf diesen Populismus über Nationalismus gelenkt.

11. Nun zur Souveränität der Ukraine. Die Ukraine ist ein souveräner unabhängiger Staat, in dem jegliche separatistische Bestrebungen strafrechtlich verfolgt werden (Artikel 111 des Strafgesetzbuches). Nach dem Zerfall der Sowjetunion verfügte das Land über die drittgrößte Anzahl von Nuklearsprengköpfen auf der Welt (nach USA und Russland). Mit dem so genannten “Budapester Memorandum” von 1994 verzichtete die Ukraine auf diese Arsenale zugunsten Russlands als Rechtsnachfolger der UdSSR. Als Gegenleistung hat Kiew Sicherheitszusagen von Russland, USA und Großbritannien erhalten, die die territoriale Integrität und die Grenzen der Ukraine respektieren und sicherstellen sollten. Somit hat das Land die Anerkennung ihrer Grenzen in einem völkerrechtlich relevanten Vertrag bekommen. Die Budapester Abmachung versichert explizit, dass militärische oder ökonomische Druckausübung unzulässig ist.

Wichtig: wenn ich Russland sage, meine ich die autoritäre Staatsmacht und um Gottes Willen nicht das Volk. Wie der ehemalige Berater von Putin Andrej Illarionov das ausdrückte, ist der größte Verbündete der Ukrainer in diesem Moment das russische Volk. (http://www.youtube.com/watch?v=ge69W7NY-gg).

12. Mit seinem Vorgehen auf der Krim verletzt die Atommacht Russland internationales Recht. Seitens der Russischen Föderation wird nun amerikanisches und europäisches Engagement rund um die Ukraine als ein Zeichen der Einmischung in die eigene Interessenssphäre interpretiert. Die westlichen Garantiemächte des Memorandums dürfen aber nicht einfach zusehen, wie Russland die Zukunft und Einheit der Ukraine untergräbt. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit und Verantwortung der führenden Mächte. Russland, ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates hat mit dem Vorgehen auf der Krim die UN-Charta gebrochen. Warum sollte ein Staat jemals wieder einem „Papier“ vertrauen, wenn gegen die geschlossenen Vereinbarungen so einfach verstoßen wird? Wozu brauchen wir internationale Verträge, wenn sich an die sowieso nicht gehalten wird? Funktioniert noch das gemeinsame weltweite Sicherheitssystem?

13. Der Imageverlust für ihr Land scheint der russischen Regierung völlig egal zu sein. Schließlich hat Russland ein mächtiges staatlich gesteuertes Propagandainstrument und in den Augen der breiten Bevölkerungsgruppen gilt der Präsident nicht als Verbrecher und Aggressor, sondern als Retter und Befreier. Denn seit vielen Monaten wird der Ukraine aggressiver Nationalismus vorgeworfen und das Volk genießt die Rhetorik über Neonazis, Nationalisten und Judenfeinde auf dem Maidan (http://ukraine-nachrichten.de/prorussische-netzwerk-hinter-medialen-diffamierung-ukrainischen-proteste-eine-rechtsextreme-bewegung_3926_meinungen-analysen). Putin hat alle diese Wörter in seiner Pressekonferenz am 4. März 2014 (mit ausgewählten russischen Journalisten, ausländische Medien waren nicht eingeladen) in einem Satz als Synonyme benutzt (Zitat: „мы видим разгул неонацистов, националистов, антисемитов“). Nach dem Motto: Krimbewohner, wir werden euch von Neonazis befreien! Putin meint: „Wenn die ukrainische Armee auf Frauen und Kinder schießt, werden wir uns vor sie stellen und sie beschützen.“ Die Verteidigung der russischsprachigen Ukrainer und der ethnischen Russen auf der Krim ist das Hauptargument der Intervention.
14. In der Tat sieht es aber auf gar keinen Fall so aus, als ob die russischsprachigen Menschen jetzt unter Lebensgefahr sind. Provokation und Lüge! Auf der Halbinsel mit 2. Mio. Bewohner wohnen beispielsweise 250 000 Tataren, die Ureinwohner der Krim und große Patrioten der Ukraine, friedlich mit Ukrainern, Russen, Juden usw. in einer bunten Kulturlandschaft zusammen. Der Vertreter der jüdischen Gemeinde sagte: zwanzig Jahre haben die Juden auf der Krim ruhig und friedlich gelebt. Als die russischen Soldaten kamen, erschien auf der Synagoge „Tod den Juden“. Überraschend? Oder doch nicht? Hier brauchen jetzt nicht die Russen Schutz, sondern die Ukrainer und Tataren, die den Maidan und die Protestbewegung unterstützt haben, stellt die Beauftragte für nationale Minderheiten fest.

15. Die Behauptung, dass das Russische in der Ukraine unterdrückt wird, ist absurd. Es gibt keinen einzigen Beweis, dass die ethnischen Russen bedroht seien oder russischsprachigen Ukrainern vernachlässigt würden. Das sagt euch eine russischsprachige in Odessa geborene Ukrainerin. Bei uns an der Schwarzen Meer witzt man nur drüber in der Art „In der Ukraine können Sie Russisch reden, in Russland dürfen Sie auf Russisch schweigen.“

16. Der russische Präsidenten provoziert aber gerne. Die Protestbewegung als rechtsradikal zu denunzieren? – Check. Das verbrecherische Regime von Janukowitsch zu decken? – Check. Internationale Verträge und Völkerrecht zu brechen? – Check. Die territorialen Grenzen der souveränen Ukraine anzuzweifeln? – Check. Den Einsatz russischer Truppen auf der Krim zu leugnen? – Check. Wer sind die 30 000 Soldaten, die weiterhin ukrainische Militäreinheiten auf der Krim blockieren? Die Kontrolle über strategisches Gelände auf der Krim (Flughäfen, ukrainische Flottenstützpunkte, Regionalverwaltung) wurde von bewaffneten vom Kreml gesteuerten Gruppen übernommen. Die Gruppen nennen sich „Volksmiliz der Krim“, in zahlreichen Interviews verraten aber ruhig ihre Identität. Sie wollen die Ukraine vom „Faschismus“ befreien. Wenn mindestens ein russischer Soldat/Einwohner gelitten hätte, würde man ihn schon längst zu einem Märtyrer machen. Solche Beispiele gibt es einfach nicht.

17. Die Politik muss und wird von diesem Fakt ausgehend betrieben werden. So wurden die jüngsten Aktivitäten Russlands auf der Krim von der internationalen Gemeinschaft, der EU und dem UN-Sicherheitsrat als militärische Intervention und Verletzung internationaler Abkommen verurteilt. Was steht jetzt auf dem Spiel? Der territoriale Zusammenhalt der Ukraine. Russland unternimmt dabei alle möglichen Destabilisierungsmaßnahmen (tausende Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, Lügen über die humanitäre Notlage, gezielte Provokationen, destabilisierenden Aktionen, Fehlinformationen, großrussische Rhetorik.

18. Manche Beobachter zogen in Bezug auf den Maidan den Vergleich mit der Machtergreifung von 1933? Vielleicht wäre im Zusammenhang mit der Krim-Krise eine andere Assoziation angebracht? Der Anschluss Österreichs? Ich empfehle hierzu den Beitrag eines russischen Geschichtswissenschaftlers Prof. Andrey Zubov, der übrigens unmittelbar nach seiner Veröffentlichung vom Moskauer Institut für Internationale Beziehungen gefeuert wurde.

19. Die Ukrainer sind keine Separatisten. Im Osten des Landes gibt es Ukrainer, die sich eine engere Anbindung an Russland wünschen. Man muss ehrlich sagen: Die politische Bildung ist in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken sehr schlecht. Dagegen übernehmen die monopolisierten staatlichen Medien die Aufgabe, klare Botschaften zu transportieren. Es ist unheimlich wichtig, diese Hassbilder medial tagtäglich zu verbreiten, um die Invasion in die Ukraine zu rechtfertigen. Selbst auf der Krim findet sie jedoch keine Unterstützung in der Bevölkerung. Nirgendwo werden die russischen „Befreier“ einheitlich bejubelt.  Teilung und Krieg, worauf Putin jetzt hinsteuert, wollen die Ukrainern nicht. Das muss man an der Stelle klar ausdrücken: auch nicht alle ethnischen Russen in der Ukraine wünschen sich solche brüderliche „Hilfe“. Am vorigen Wochenende protestierten vor allem im Osten und Süden des Landes viele Demonstranten gegen den möglichen Krieg. In meiner Heimatstadt Odessa (im absolut russischsprachigen Gebiet des Landes) gingen über 10.000 Menschen auf die Straßen mit der Aufforderung an die russische Regierung, den Halbinsel Krim und das Land zu verlassen. (Videos dazu)

20. In der Ukraine sind gerade viele „Touristen auf Tour“ die an prorussischen Demonstrationen teilnehmen. So ist beispielsweise der „Befreier“ mit der russischen Flagge über der Stadtverwaltung in Charkiw ein in Moskau wohnhafter russischer Staatsbürger.

21. Es finden alarmierende Demos statt!  „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ sagte Heine nicht ohne Grund. Andreas Umland, der Ansprechpartner für die stipendiatische FES-Ukraine-Reise, kennt sich mittlerweile nicht nur mit der Politik gut aus, sondern auch mit der Schauspielkunst.

22. Um die Aufmerksamkeit der Menschen hier in Deutschland zur ukrainischen Krise zu wecken, hat Dr. Umland diese witzige Petition gestartet. Vielleicht verjagt Humor die bisherige Ignoranz?

23. Am 6. März 2014 hat sich das Krim-Parlament, dessen Regierungschef vor zwei Wochen durch die russlandfreundlichen Trupps an die Macht kam, für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen. Die illegale Volksabstimmung wurde bereits mehrmals vorverlegt (vom 25. Mai auf den 30. März, vom 30. März auf den 16. März) und wird nun in einer Woche stattfinden. Die Russischen Parlamentsabgeordneten haben sich dazu ein Gesetzt überlegt, wonach der Beitritt einzelner Landesteile zu Russland vereinfacht werden soll. Der von Russland initiierte Bruch des Völkerrechts soll also demokratisch legitimiert werden. Die Ukraine und die EU wird dieses Referendum und diese Umwälzungen nicht anerkennen, da es gegen die Verfassung ist. Daher müssten sich der prorussische Krim-Regierungschef Aksjonov sowie der Präsident des Regionalparlaments Konstantinow für Verbrechen gegen den Staat durch einen Angriff auf die territoriale Unversehrtheit der Ukraine vor dem Strafgericht verantworten. Die ukrainische Verfassung sieht jegliche Veränderung der territorialen Grenzen des Landes ausschließlich durch ein nationales und nicht lokales Referendum vor. Und wer in Russland leben will, kann auch gerne nach Russland gehen.

24. Falls es eine Volksabstimmung auf der Krim geben wird, können wir mit weiteren Folgen rechnen. Was kommt nach der Halbinsel? Donezk? Charkiw? Odessa? Und nach der Ukraine? Moldawien? Georgien?

25. Einen echten Krieg wünscht sich in Russland auch niemand. Viele Russen protestieren gegen den Krieg. Dies wird aber aus der Wahrnehmung vollkommen ausgeblendet. Die Protestierenden werden schnell weggesperrt. 

26. Warum betrifft dieses Thema uns alle? Es handelt sich gerade um ein mächtiges geopolitisches Spiel, das die Beziehungen zwischen Ost und West für die nächsten Jahre wenn nicht Jahrzehnte gefährden kann. Im Ost-West-Verhältnis droht ein neuer kalter Krieg. Brauchen wir diese neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen?  Diese Konfrontationspolitik muss baldmöglichst aufhören. Wie Gorbatschow das einmal vorgemacht hat. Hier wird sie leider immer weiter aufgebaut. Die Spannungen auf der Krim werden weiter verschärft, UN-Sondergesandte und internationale Beobachter werden von Krim durch Warnschüsse verjagt und die ukrainischen Reservisten wurden als Folge dessen bereits zur Mobilisierung aufgerufen.

Die Aufklärung über das Thema wird dringend benötigt.  Noch ist die Zeit der Diplomatie nicht vorbei. Informiert zu bleiben ist die beste Waffe in diesem Informationskrieg.

 

 

[Die Verantworlichkeit für die Inhalte des Artikels liegt bei der Autorin.  Die auf den gelinkten Seiten wiedergegebenen Meinungsäußerungen und/oder Tatsachenbehauptungen liegen in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Autorin oder des jeweiligen Autors und spiegeln nicht die Meinung des stipendiatischen Arbeitskrieses Osteuropa der FES wider.]

Zwischen Einschusslöchern und Dolma – ein Kurzbesuch in Bosnien und Herzegowina

(Alice Greschkow)

Geografisch gar nicht so weit weg, doch im Kopf auf einem anderen Stern: Bosnien und Herzegowina. Im Mai 2013 hatte ich die Gelegenheit für zehn Tage in das Balkanland zu reisen, das zwischen dem jüngsten EU-Mitgliedsstaat Kroatien, Serben und Montenegro liegt, um Interviews für meine Bachelorarbeit durchzuführen.  Einige Beobachtungen, die ich machen konnte, werde ich im Folgenden darlegen.

Nach der Landung auf dem kleinen Flughafen Sarajevos fällt zuallererst die Landschaft auf – waldbedeckte Bergketten und grüne Wiesen erstrecken sich durch das Land und die kleinen Einfamilienhäuser am Stadtrand zeichnen ein Bild, das bekannt ist aus anderen Balkanländern: man versucht sich ein kleines, hübsches und sicheres Reich aufzubauen. Liebevolle Details werden in Gärten und Dekorationen eingearbeitet, sodass man sich zu Haus wohl fühlen kann.

Zu Haus – ein gar nicht so einfacher Begriff in Bosnien und Herzegowina. Unvergessen ist der Krieg in den 1990-ern, bei dem zehntausende Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen. Viele verließen das Land, wurden aus ihren Häusern vertrieben oder flohen auf der Suche nach Sicherheit – in ihre Häuser konnten sie später selten zurück. Inzwischen scheint sich die Lage normalisiert zu haben.

Besonders Sarajevo überzeugt durch Vielfalt und Sehenswürdigkeiten. Im Stadtkern kann man orthodoxe und katholische Kirchen, aber auch Moscheen und eine Synagoge finden. Die Religionen scheinen tatsächlich nebeneinander existieren zu können, über die alten Konflikte, die mit Religion und ethnischer Zugehörigkeit in Verbindung stehen, will keiner reden, besonders die jungen Menschen nicht.

Sarajevo blüht bei gutem Wetter auf – die Straßen, Cafés und Plätze im Zentrum sind voller Menschen, die ihren Nachmittag in der Sonne genießen wollen. Das Zentrum bietet eine interessante Symbiose zwischen einem alten und traditionellen Teil, in dem kleine Häuschen, traditionelle Cafés und Kebab-Buden aufzufinden sind, und einem modernen City-Teil, der so aussieht wie in jeder größeren Stadt in Europa: Bekleidungsketten und schicke Restaurants dominieren im neuen Teil des Zentrums.

Leider kostet dieser moderne Einfluss auch etwas Charme, denn selbst im traditionellen Bereich hat man das Gefühl, man sei in einem Touristenort – zu viele Postkarten- und Souvenirstände stechen hervor. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Backpacker auf den Geschmack gekommen und wollten die „fremde Nähe“ besuchen, daher ist es verständlich, dass die Bewohner dies auskosten wollen, besonders in Anbetracht der schwachen wirtschaftlichen Lage.

Geschmack ist ein gutes Stichwort: wer gerne und gut isst, wird in Sarajevo auf keinen Fall verzweifeln, allerdings sollte man sich vorher auf Touristenseiten wie tripadvisor.com einige Tipps anschauen, denn die touristenlockenden Angebote wie Kebabtaschen, Börek und der Touri-Version der traditionellen Küche sind nach einigen Tagen eintönig. Die landestypischen Gerichte sollten dennoch probiert werden – bspw. die Dolma. Man bekommt gefüllte Weißkohlblätter mit Hackfleisch und Reis in Sauce, wenn man dieses Gericht bestellt, allerdings gibt es auch andere Varianten: gefüllte Paprika, gefüllte Zwiebel, gefüllte Weinblätter. Auch die Süßigkeiten wie Baklava, Lokum,  Halva und Kadayif, die manch einer aus dem Türkei-Urlaub kennt, gibt es in der bosnischen Version in vielen Cafés zum bosnischen Kaffee. Vegetariern und Reisenden mit besonderen Vorlieben empfiehlt sich allerdings tatsächlich ein Blick in einen Reiseführer.

Es ist allerdings wirklich nicht alles do friedlich, wie ich es bisher beschrieb. Das Stadtbild ist bei genauem Hinsehen noch immer von den Spuren des Krieges gezeichnet: Einschusslöcher an Fassaden von Gebäuden im Zentrum, die die Häuser nahezu durchsiebt haben, sind noch immer deutlich erkennbar – wohlmöglich wurden sie auch beabsichtigt nicht beseitigt, um weiterhin an die Kriegsverbrechen zu erinnern. Auch die so genannte „Sarajevo Rose“ fällt nach wiederholtem Spazieren durch die Innenstadt auf – es handelt sich dabei um kleine Löcher im Bodenbelag, die oft durch Granatsplitter verursacht wurden. Die Bewohner haben diese Stellen mit rotem Harz gefüllt,  um daran zu erinnern, dass an diesen Stellen Menschen ums Leben gekommen sind. Diese Stellen erinnern ein wenig an rote Rosen, allerdings auch an Blutspuren, was ein unglaublich beklemmendes Gefühl hinterlässt.

Noch immer sieht man auch Graffitis mit der Aufschrift „Don’t forget Srebrenica“, die offensichtlich gegen das Vergessen des Massakers im Jahr 1995 wirken sollen. Allerdings gibt es auch Graffitis, die „Gleichheit“ fordern. Insgesamt bekommt man das Gefühl, dass – vielleicht unbewusst – Sarajevo eine politische Stadt ist. Die politische Lage ist zwar noch immer von ethno-nationalistischen und populistischen Strömungen dominiert, es gibt Probleme mit Minderheiten und der Verfassung, allerdings wollen besonders junge Menschen zu einer progressiven Entwicklung beitragen. Die Lasten des Krieges, seien es persönlicher Verlust oder erschwerte Aufstiegschancen, sind  zum Teil aber auch bei der Generation zu merken, die den Krieg gar nicht miterlebt hat.

Die ethnische Teilung ist nicht nur innerhalb des Landes zu spüren, sondern auch in Sarajevo. Das Land Bosnien und Herzegowina besteht aus den drei Gruppen der bosnischen Kroatinnen und Kroaten (römisch-katholisch), der Bosniakinnen und Bosniaken (moslemisch) und den bosnischen Serbinnen und Serben (orthodox). Ebenfalls gibt es Roma und eine jüdische Gemeinde.

Innerhalb des Landes gibt es manchmal noch immer Konflikte anhand der Trennlinien der verschiedenen Gruppen und auch in Sarajevo ist es ein auffälliges Statement, dass der östliche (bosnisch-serbische) Teil der Stadt kyrillische Schriftzeichen benutzt, im Gegensatz zum Rest der Stadt, in dem die lateinischen verwendet. Die Religion gilt in der Provinz bis heute als Trennungsmerkmal.

Ich bin mit dem Auto in die naheliegenden Städte Visoko und Zenica gefahren. Auf dem Weg dorthin, fallen die verlassenen Fabriken aus jugoslawischer Zeit auf, aber erneut auch die Teilung des Landes, denn Eigenbezeichnungen der Gruppen oder die unterschiedliche Verwendung von Schriftzeichen, ist oft ein klares Anzeichen der Abgrenzung.

Interessant war es zu sehen, dass in Zenica, genauso wie in Sarajevo, eine riesige Shopping-Mall steht. Ich habe mir sagen lassen, diese Einkaufszentren seien gute Geldwaschmaschinen, denn die Korruption ist weiterhin eine belastende Hürde auf dem Weg zur Stabilität des Landes.
Insgesamt bekam man den Eindruck in Bosnien und Herzegowina, dass es ein unglaublich komplexes Land ist, was nicht zuletzt an der schwierigen Geschichte und der politischen Situation liegt, der vor allem Ethno-Nationalismus schwer wiegt. Damit eine Entwicklung möglich ist, bedarf es noch viel Zeit und Geld, vielleicht aber auch wieder ein wenig mehr Beachtung der internationalen Gemeinschaft, schließlich haben nach dem Krieg neben der damaligen Konfliktparteien auch Ex-US-Präsident Bill Clinton, Alt-Kanzler Helmut Kohl und auch der ehemalige französische Präsident Jaques Chirac den Friedensvertrag, das sog. Dayton-Abkommen, als amtierende Staatsoberhäupter unterzeichnet, allerdings ist das Interesse dieser Länder lange abgesunken.

 

Sommeruni im Herzen Zentralasiens

(Ruben Werchan)

Bericht über den Besuch der Sommeruni zum Thema „Ressourceneffizienz in Zentralasien“ in Almaty, Kasachstan

Die orthodoxe Zenkov Kathedrale im Panfilov Park in Almaty

Ausgestattet mit einem Stipendium des DAADs nahm ich vom 12. bis 24. August 2013 an der XII. Internationalen Sommeruniversität an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty (Kasachstan) teil. Thema der Sommeruni war „Nachhaltige Entwicklung und effektive Ressourcenpolitik“. Diesem Oberthema näherten wir uns in drei Gruppen. Eine Gruppe beschäftige sich mit den ökonomischen Aspekten der Thematik, eine weitere Gruppe mit den ökologischen Aspekten und die dritte Gruppe explizit mit der effektiven Verwaltung der Wasserressourcen in Zentralasien. Während die Unterrichtssprache in den ersten beiden Gruppen Deutsch war, wurde das dritte Thema auf Russisch unterrichtet. Die Entscheidung ein russischsprachiges Modul anzubieten, war getroffen worden, da es nicht genug Anmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Zentralasien gegeben hatte. Dies war darauf zurückgeführt worden, dass Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Bewerbung waren und es offensichtlich nicht ausreichend interessierte Zentralasiatinnen und Zentralasiaten mit Deutschkenntnissen gegeben hatte. Die Teilnehmenden setzten sich nämlich aus Studenten und Studentinnen aus allen zentralasiatischen Ländern (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan), sowie aus Deutschland zusammen.

Blick auf Almaty von Kok-Tobe, dem höchsten Berg im Stadtgebiet

Zunächst ein paar Worte zu Almaty. Almaty ist die größte Stadt Kasachstans und war bis 1997 die Hauptstadt des Landes. Sie hat ca. 1,5 Millionen Einwohner und liegt im Südosten Kasachstans nahe der Grenze zu Kirgistan. Im Norden wird die Stadt von Steppe eingeschlossen und im Süden reicht sie bis an das Gebirge heran, welches das Grenzgebiet zu Kirgistan darstellt. Aufgrund diese Lage ist die Stadt konstant von Süden nach Norden abschüssig, weswegen sämtliche Stadtpläne von Almaty mit vertauschten Himmelsrichtungen gedruckt werden. Wenn der Süden auf dem Plan oben ist, dann entspricht dies auch dem geologischen Oben und macht so eine Orientierung in der Stadt äußerst intuitiv. Ansonsten macht die Stadt einen sehr sowjetischen Eindruck, zu dem sowohl die rasterförmig verlaufenden Straßen also auch die Architektur beitragen. Dabei ist die Stadt allerdings sehr grün mit vielen Parks und Alleen, was das Lebensgefühl signifikant steigert und zumindest etwas die Abgase der im Übermaß vorhanden SUVs kompensieren kann. Letztere zeugen davon, dass das Wohlstandsniveau in Almaty im Vergleich zum Großteil des Landes sehr hoch ist.

Leider wurden derartige offensichtliche Beispiele für den eher verschwenderischen Umgang mit Ressourcen, in diesem Fall Benzin, in der Sommeruni nur in Ausnahmefällen behandelt. Vermutlich um dem unterschiedlichen Wissenstand der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gerecht zu werden, war der Inhalt der Lehrveranstaltungen sehr grundlegend und allgemein gehalten, was zumindest auf Seite der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe der zwei Wochen mit zunehmender Enttäuschung aufgenommen wurde. Ein weiterer Stein des Anstoßes war die starke Fokussierung der Lehrveranstaltungen auf Deutschland. In einem Land, welches viele Beispiele für die Problematik von Ressourcennutzung bietet, wie das Austrocknen des Aralsees (Ressource Wasser), den sowjetischen Atomtests (Ressource Land), dem Umgang mit Bodenschätzen und vielen mehr, war es wenig nachvollziehbar, dass diese Problematiken meist nur am Rand geschnitten wurden und deutschlandspezifischen Beispielen sehr viel Raum eingeräumt wurde. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Zentralasien von diesen Beispielen profitiert haben.

Picknick in den Bergen

Aber die Universität beschränkte sich nicht auf klassische Lehrveranstaltungen, sondern überzeugte mit einem weitaus umfangreicheren Programm. Fachvorträge von Vertretern aus der Praxis (von der Arbeit im Nichtregierungssektor über Landwirtschaft bis zum Ökotourismus) halfen den thematischen Wissensgewinn der Universität zu steigern. Und vielleicht ist es auch ein offenes Geheimnis, dass nicht der Wissensgewinn im klassischen Sinne bei einer solchen Sommeruniversität im Vordergrund steht, sondern das Kennenlernen einer anderen Kultur. Auch hierbei wurden wir von den Organisatoren und Organisatorinnen der Sommeruni kräftig unterstützt. Oft gab es am Nachmittag ein fakultatives Kulturprogramm, bei dem wir Museen, Konzerte und Sehenswürdigkeiten besichtigen konnten. Für viele ein Höhepunkt waren ohne Frage die Exkursionen in die Natur um Almaty. Bei zwei Wanderungen ins Gebirge, wobei bei der ambitionierteren der beiden 2.000 Höhenmeter überwunden wurden, und einer Fahrt zum Fluss Ili in die Steppe nördlich der Stadt, bekamen wir einen wunderbaren Eindruck von der Vielseitigkeit der kasachischen Landschaft.

Der Fluss Ili und die kasachische Steppe

Von den dabei gewonnenen Eindrücken begeistert, versuchten sich einige von uns an einer Radtour, was sich allerdings angesichts von konstanten 12% Steigung als wenig empfehlenswert herausstellte, auch wenn wir am Ende mit dem Anblick des Großen Almatysees und einem sehr unterhaltsamen Gespräch mit vier Grenzsoldaten belohnt wurden. Diese erzählten uns, dass angeblich islamistische Terroristen vor einem Jahr mehrere Grenzsoldaten umgebracht hätten, beim Versuch den Damm des Sees zu sprengen und somit die Trinkwasserversorgung Almatys zu boykottieren. Derartige Berichte bekommt man mit Sicherheit nur zu hören, wenn man die Möglichkeit hat, sich in einem Land aufzuhalten und es selbstständig zu erkunden.

Internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Selbstverständlich kam auch der sozialkommunikative Aspekt der Sommeruniversität nicht zu kurz. Wir tauschten uns über die unterschiedlichen Lebensrealitäten aus, die vor allem bei den usbekischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen teilweise sehr krass waren, da diese in einer Zeit permanenter Unruhen und gewaltsamer Auseinandersetzungen aufgewachsen waren. Gerade in Hinblick auf das Knüpfen von Kontakten stellte die Sommeruni eine perfekte Plattform dar. Am Ende der zwei Wochen waren neue Freundschaften entstanden und wir verließen uns unter der Beteuerung gegenseitigen Einladungen und dem Versprechen, diese auch anzunehmen. Wobei natürlich zu befürchten steht, dass dies aufgrund der großen geographischen Entfernungen teilweise ein frommer Wunsch bleiben wird, aber angeblich sieht man sich ja immer mindestens zweimal im Leben.

Der Hochgeschwindigkeitszug "Zhetysu"

Nach Ende der Sommerschule nutzte ich die Verbleibende Zeit, um mir auch die neue Hauptstadt Astana anzuschauen. Schon die Hinfahrt mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug der Kasachischen Eisenbahn war ein Erlebnis. Erstmals konnte ich bewundern, wie es ist, die Vorteile des Bahnreisens in der ehemaligen Sowjetunion (mindestens eine Nacht fahren und unterwegs ein halbwegs bequemes Bett und kochendes Wasser zu haben) mit modernen Wagons zu kombinieren. Ein Konzept, das mich durchaus überzeugen konnte und auch für den innerwesteuropäischen Bahnverkehr ein Ansatz sein kann, der in der Lage wäre eine komfortable und klimaverträgliche Alternative zum Flugzeug darzustellen. Nach erholsamen zwölf Stunden Zugfahrt kam ich erholt morgens in Astana an.

Die Prunkmeile von Astana

Astana selbst ist zweigeteilt, wobei die beiden Teile von den Einheimischen immer mit rechts und links des Flusses bezeichnet werden. Rechts des Flusses Ischim ist die alte Stadt, das ehemalige Aqmola (Astana heißt auf Deutsch Hauptstadt und ist erst seit 1997 der Name der Stadt) und links des Flusses ist all das, was seit dem Umzug der Hauptstadt entstanden ist. Die rechte Seite sieht größtenteils aus wie die meisten postsowjetischen Städte mit Plattenbauten, Supermärkten und scheinbar unnötig breiten Straßen und einer betriebsamen Lebhaftigkeit. Die linke Seite dagegen hat alles, was eine Retortenstadt mit Leib und Seele benötigt. Eine Ballung monumentaler zeitgenössischer Architektur, wie man sie sonst nur aus dem Legoland kennt, großzügig angelegte Parkanlagen und Fußgängerzonen, Einkaufszentren, die sich in keiner US-amerikanischen Großstadt verstecken müssten und eine erdrückend auffällige Abwesenheit von Menschen. Tatsächlich scheint sich das gesamte Leben auf der rechten (in Fließrichtung) Seite des Flusses abzuspielen, während sich auf der linken Seite erhabene Architektur und erhabene Leere gegenseitig verstärken. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Zweiteilung der Stadt mit dem kontinuierlichen Zuzug neuer Bürger und Bürgerinnen und dem Fortsetzen der Bauaktivitäten (erst 30% der geplanten Bebauung sind fertiggestellt) in Zukunft auflösen wird.

Das Unterhaltungs-Center "Khan Shatyr". Entworfen von Norman Foster.

Abgesehen von der Frage der Sinnhaftigkeit eine Großstadt in ein Steppengebiet mit wenig Wasser und einem eher schwierigen Klima (kontinentales Klima in Perfektion: sehr heiße trockene Sommer und sehr kalte windige Winter) zu setzten, ist es beeindruckend, was den Planern und Erbauern der Stadt gelungen ist. Die Knappheit des Wassers ist nur zu erahnen, denn der Fluss und die üppig angelegten (und bewässerten) Grünflächen suggerieren etwas anderes. Die Möglichkeit uneingeschränkten Bauens hat namhafte Architekten angezogen, so plant Sir Norman Foster bereits sein drittes Bauwerk in Astana. Das Ergebnis ist ein Stadtbild, welches aus einer Ansammlung an Gebäuden besteht, die jedes für sich genommen den meisten anderen Städten weltweit als Wahrzeichen gereicht hätten. Damit ist Astana zu einem Symbol dafür geworden, wie rohstofffinanzierter Aufschwung in der Postsowjetunion aussehen kann. Allerdings wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn sich dieser Aufschwung weniger in Form prestigeträchtiger Baudenkmäler materialisieren würde, sondern in Projekten, die dezentral angesiedelt wären und eine nachhaltige Wohlstandssteigerung der gesamten Bevölkerung zur Folge hätten. Ob und inwiefern ganz Kasachstan und eventuell sogar die gesamte Region Zentralasien vom Rohstoffreichtum profitieren kann und wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in der Region nachhaltig gestaltet werden kann, wird ein Schwerpunktthema der Expo 2017 in Astana sein. Spätestens dann lohnt sich eine Reise nach Kasachstan auf jeden Fall und wir dürfen mit Spannung auf die dort vorgestellten Lösungsansätze warten.

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