Einblicke in ein Land „das so groß ist wie Bayern, eine Einwohnerzahl wie Berlin und das Bruttoin-lands von Karlsruhe hat“

– Unser Besuch in der Deutschen Botschaft in Tbilisi am 20. Mai 2016

(Susanne Maslanka)

Am ersten Programmtag des Treffens des Arbeitskreises Osteuropa der FES stand ein Besuch in der Deutschen Botschaft auf dem Plan. Bereits der Weg zu dem Treffen war spannend: In drei Taxis wurden wir durch den dichten Verkehr Tbilisis gefahren bis wir an der uns genannten Adresse ankamen. Die Verwirrung war groß: Wir fanden dort kein prachtvolles Botschaftsgebäude vor sondern ein von Bauzaun umzäuntes geschlossenes Hotel. Nach kurzen Orientierungsschwierigkeiten entdeckten wir die deutsche und die EU-Flagge und wir wussten, hier, im Sheraton Metechi Palace Hotel, sind wir richtig. Im Gespräch mit der Botschafterin erfuhren wir, dass die deutsche diplomatische Vertretung dort untergebracht ist, seitdem das vormalige Botschaftsgebäude nach einem Erdbeben zu heftige Schäden erlitten hatte.

Das sich im Umbau befindende Sheraton Metechi Palace Hotel beherbergt die deutsche Botschaft
Das sich im Umbau befindende Sheraton Metechi Palace Hotel beherbergt die deutsche Botschaft

Obwohl die Unterbringung der deutschen diplomatischen Vertretung in Georgien nicht besonders repräsentativ ist, ist Georgien ein langer und wichtiger Partner Deutschlands, wie uns die Botschafterin Frau Bettina Cadenbach versicherte. Bereits 1918, als sich Georgien zum ersten Mal unabhängig erklärte, wurde das Land vom deutschen Reich rasch anerkannt. Nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens im Jahr 1991 war Deutschland das erste Land, das Georgien offiziell anerkannte, weshalb die Autos der deutschen Diplomat*innen mit der Nummer 1 auf ihren Kennzeichnen geschmückt sind.

Die deutsche Botschaft ist daher schon seit 25 Jahren in Georgien aktiv und konzentriert sich in der Zusammenarbeit auf verschiedene Bereiche: Wirtschaft, Kultur und Politik. Auf wirtschaftlicher Ebene versucht die deutsche Seite Standortmarketing für Georgien zu betreiben. Es werden gemeinsam mit georgischen Partnern verschiedene Strategien entwickelt, um die kleine Kaukasusrepublik attraktiv für deutsche Firmen zu machen (place branding). Zudem ist Georgien ein Absatzmarkt für deutsche Produkte, die dort sehr gut ankommen. Deutsche Kulturarbeit macht die Auslandsvertretung meistens gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Tbilisi. So wird im Moment beispielsweise der hochgelobte Roman „Das achte Leben“ der in Deutschland lebenden georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili vom Deutschen, ihrer Arbeitssprache, mit finanzieller Unterstützung ins Georgische übersetzt. Zudem werden verschiedene Konzerte veranstaltet und Schulen oder kleine Projekte im Land unterstützt.

Nino Haratischwilis Buch wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet- Auf Georgisch ist es bisher noch nicht erschienen. Dies wird aber bald soweit sein – mit freundlicher Unterstüt-zung der Deutschen Botschaft Tbilisi
Nino Haratischwilis Buch wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Auf Georgisch ist es bisher noch nicht erschienen. Dies wird aber bald soweit sein – mit freundlicher Unterstüt-zung der Deutschen Botschaft Tbilisi

Georgien spielt auch geostrategisch eine große Rolle, da es sich als Nachbar Russlands in die euro-atlantischen Strukturen integrieren will und zum Teil bereits integriert ist, was von der Botschafterin sehr begrüßt wird. Frau Cadenbach berichtet auch über viele positive Reformentwicklungen des kleinen Landes, auch wenn es noch viel zu tun gibt. Positiv bewertet sie, wie sehr viele unserer Gesprächspartner, die unter Michail Saakaschwili durchgeführte Polizeireform, die die Korruption in Georgien erfolgreich bekämpfen konnte. In anderen Bereichen wird das Erbe des zunächst im Westen sehr hoffnungsvoll begrüßten Ex-Präsidenten, der sich zur Zeit in Odessa als Gouverneur betätigt, sehr kritisch gesehen. Nach dem Machtwechsel der Jahre 2012 und 2013 blicken nun alle Beobachter gespannt auf die Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres und hoffen auf einen friedlichen Wahlausgang.

Der in der Ära Saakaschwili (2004-2013) erbaute Präsidentenpalast. Die Glaskuppel steht symbolisch für die Transparenz, die seine Reformen dem Land bringen sollte.
Der in der Ära Saakaschwili (2004-2013) erbaute Präsidentenpalast. Die Glaskuppel steht symbolisch für die Transparenz, die seine Reformen dem Land bringen sollte

Nachdem die Botschafterin uns wegen eines anderen Termins verlassen musste, hatten wir die Möglichkeit, uns mit Militärattaché Oberstleutnant Bernhard Hopp über die politischen Entwicklungen in Georgien und über Minderheitenrechte auszutauschen. Herr Hopp ist ein Kenner Georgien, da er seit mehr als zehn Jahren auf verschiedenen Posten mit Georgien zu tun hat und sogar georgisch spricht. Von ihm erfuhren wir, dass es in Georgien einige ethnische Minderheiten gibt: Es gibt eine große russische, armenische und aserbaidschanische Minderheit, darüber hinaus lebt in Georgien die Volksgruppe der Kisten, die enge Verbindungen zur tschetschenischen Minderheit in Russland hat. Zudem leben in Georgien jüdische, griechisch-orthodoxe, abchasische und ossetische Menschen. Herr Hopp gab uns auch ausführlich über die Situation von LGBTQI- Personen Auskunft, die in Georgien sehr bedenklich ist.

(Unser Gastgeber würzte zu unserer Freude unsere Diskussion mit einigen Sprüchen aus seinen persönlichen georgischen Erfahrungen, so erfuhren wir, dass Georgien nur so groß wie Bayern ist, dabei die Einwohnerzahl von Berlin erreicht, das Bruttoinlandsprodukt aber nur so groß ist wie die Wirtschaftskraft von Karlsruhe. Herr Hopp macht uns auf die stark patriarchalischen Strukturen der georgischen Gesellschaft aufmerksam, die sehr eng mit der großen Macht der Kirche in Georgien zusammenhängen. Ein beliebter Trinkspruch, den seine georgischen Freunde nicht so gerne hören, lautet folgendermaßen: „Trinken wir auf die georgischen Frauen! Wenn 50% der georgischen Männer Frauen wären, wäre das Land schon viel weiter.“ Zu guter Letzt sprachen wir über das große Selbstbewusstsein des „georgischen Mannes“, das dazu führt, dass auch die georgischen Politiker (mehrheitlich Männer) sich gerne selbst überschätzen. Aus georgischer Perspektive sollte ihr Land bei den ganz großen mitspielen – auf Augenhöhe mit den USA und der EU. Denn wenn dein Freund groß ist, bist du selbst groß.)

Das Gespräch mit Frau Cadenbach und Herrn Hopp war sehr informativ und spannend und stellte mit der guten Mischung aus einem kurzen Überblick über die politische Situation in Georgien, deutsch-georgische Beziehungen, Minderheiten in Georgien und eindrücklichem Insiderwissen über die georgische Gesellschaft einen sehr geeigneten Einstieg in unser abwechslungsreiches Programm dar. Viele der Erfahrungen und Sprüche Herrn Hopps dienten uns zudem als Trinksprüche bei unseren schönen georgischen Abenden.

Hier ein paar Vertreter*innen des AK Osteuropa
Hier ein paar Vertreter*innen des AK Osteuropa nach dem Termin in der Deutschen Botschaft in Tbilisi

 

Postsowjetische Transformation im Südkaukasus – 25 Jahre Unabhängigkeit Georgiens

(Galyna Spodarets)

Bericht über das Treffen des AKs Osteuropa  Stipendiat*innen der FES am 19.-24.05.2016 in Georgien

Organisation: Yves Vincent Grossmann, Susanne Maslanka, Sema Güleryüz, Anneliese Felmet, Mareike Breda, Michael Meissner, Hanne Schneider, Galyna Spodarets

Im Mai 2016 führte das Orgateam des AK Osteuropa eine fünftägige Informationsreise nach Georgien durch. Georgien wurde nicht zufällig als Veranstaltungsort ausgewählt. Die Kaukasus-Region ist im Zuge politischer Entwicklungen der letzten Jahre für die Arbeit des AK Osteuropa immer interessanter geworden. Wie viele andere Länder in Osteuropa durchläuft auch das Land im Südkaukasus verschiedene postsowjetische Transformationsprozesse: Die Umstellung von einer Plan- auf eine Marktwirtschaft, die Wiederauferstehung der georgisch-orthodoxen Kirchen oder die Betonung der Nation als neues einigendes Element sind nur drei (Beispiel-)Aspekte.

Als Anlass zum Auslandstreffen nutzten wir das 25-jährige Jubiläum, das genau dieses Jahr im unabhängigen Georgien gefeiert wurde. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion bewegt sich das Land im Südkaukasus hin und her zwischen Europa und Russland. Georgier*innen bezeichnen ihr Land als den „Balkon Europas“, was zum Ausdruck bringt, dass sich viele zu Europa zugehörig fühlen. Zugleich unterhält Georgien enge wirtschaftliche Verbindungen zu Russland, trotz der eingefrorenen Sezessionskonflikte in Abchasien (1992-1993) und Südossetien (2008).

Obwohl Georgien aufgrund dieser „Frozen Conflicts“ international als vermeintlich instabiles Land wahrgenommen wird, erlebt es seit 2003 einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das „Italien des Ostens“ hat sich zum Boomland entwickelt. Außenpolitisch bleibt Georgien dennoch weitgehend isoliert und unbekannt. Bereits auf dem AK Treffen in Bremen im März 2015 beschäftigten wir uns mit den aktuellen Konfliktlinien des Landes. Beim AK Treffen in Dresden im November 2015 wurde der Schwerpunkt auf die Sezessions- und Minderheitenkonflikte gelegt. Auf Basis dieser Themenbereiche wurde die Studienreise gestaltet, in der wir uns selbst einen Eindruck vom heutigen Georgien machten und erlebten, wie 25 Jahre Unabhängigkeit die Region geprägt haben: Neben einem Überblick über die innen- und außenpolitischen Lage, stand die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle Minderheiten bzw. marginalisierte Gruppen in der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ und zivilgesellschaftlichen Beteiligung spielen.

In diesem Rahmen verbrachten wir fünf äußerst spannende Programmtage in Georgien, drei davon in der Hauptstadt Tbilisi und zwei Tage – im Rahmen inhaltlicher Exkursionen nach Gori und ins Pankissi-Tal, wo wir politische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen trafen und Einblicke in die Rolle der Zivilgesellschaft und der marginalisierten Gruppen gewannen. Des Weiteren erfuhren wir mehr über interkulturelle Beziehungen mit ethnischen Minderheiten, den Umgang mit Binnenflüchtlingen und die Arbeit von LGBTI-Vertreter*innen.

Tag 1:

Anreise in Tbilisi – Ankommen – Kennenlernen – Einführung in das Programm

Der Arbeitskreis Osteuropa der FES landete am Donnerstag, den 19. Mai 2016 in Tbilisi, der Hauptstadt von Georgien. Wir versuchten, möglichst „gebündelt“ in Tbilisi anzukommen und nahmen den Anbindungsflug von Turkish Airlines in Istanbul. Vier Leute aus dem Orgateam kamen zwei Tage vor Veranstaltungsbeginn an, um sich ein Bild von der Lage zu machen und das Programm zu detaillieren.

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Am ersten Abend lernten wir uns kennen, stellten das Orgateam und das Programm vor und klärten organisatorischen Fragen.

Tag 2:

Gesprächspartner in Tbilisi: Deutsche Botschafterin Frau Bettina Cadenbach und Militärattaché Herrn Bernhard Hopp – Leiterin des FES-Büros Tiflis Julia Bläsius – Stadtführung

Der erste Programmpunkt am 20. Mai war ein Besuch der Deutschen Botschaft in Tbilisi. Dort unterhielten wir uns mit der Botschafterin Frau Bettina Cadenbach und dem Militärattaché Herrn Bernhard Hopp über die politischen Entwicklungen und das deutsche Engagement in Georgien.

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Nach einer rasanten Taxifahrt durch den dichten Verkehr der Stadt, besuchten wir das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung, das für den Südkaukasus zuständig ist. Die Leiterin des Büros, Julia Bläsius, stand unseren Fragen Rede und Antwort und zeigte uns die internationalen aber auch gesellschaftlichen Konflikt- und Kooperationsdiskurse im Südkaukasus auf.

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Nach einer Stadtführung, die uns mit einer Seilbahn- und Funikularfahrt die besten Aussichten auf Tbilisi gewährte, konnten wir unser Abendessen auf dem Heiligen Berg (Mtatzminda) über dem nächtlichen Tbilisi genießen.

Tag 3:

Sezessions- und Minderheitenkonflikte verstehen: Felsenstadt Uplisziche – Exkursion nach Gori – IDP Camp – NGO „Bridge of Friendship Kartlosi“ – Dschvari-Kirche – Swetizchoweli-Kathedrale

Unsere Exkursion führte uns über die antike Festungs- und Höhlensstadt Uplisziche nach Gori, den Geburtsort Stalins und einen zentraler Ort der Heldenverehrung, den die Entstalinisierung noch nicht wirklich erreicht hat. Dort besuchten wir das Stalinmuseum, tauschten uns zum Thema „Sezessionskonflikte“ aus und trafen uns, unter anderem, mit der NGO „Bridge of Friendship Kartlosi“, die der größte örtliche Ansprechpartner im Bereich Peacebuiliding ist.

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Auf dem Weg nach Gori sahen wir einige IDP Camps, die in den 90er Jahren im Zuge des Abchasien-Krieges provisorisch aufgestellt wurden, aber dann doch zu permanenten Wohnorten für Geflüchtete geworden sind. Außerdem besichtigten wir die Dschvari-Kirche und die Swetizchoweli-Kathedrale – die UNESCO-Kulturdenkmäler von Mzcheta, der antiken Hauptstadt Georgiens und des religiösen Zentrums des Landes.

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Der Tag gab uns Einblicke in die Geschichte und Kulturschätze des Landes, die uns bisher unbekannt waren und vermittelte Eindrücke von einer widersprüchlichen Erinnerungskultur. Während in Tbilisi überall Fahnen der EU zu sehen waren und das Nationalmuseum eine permanente Ausstellung zum Thema „1921-1991 Soviet Occupation Museum“ den Besuchern anbietet, ist für Gori die Gestalt des „Vaters der Völker“ Soso Dzhugashvili – alias Joseph Stalin – zentral.

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All dies spiegelt das starke Spannungsverhältnis zwischen einer politischen Orientierung (Assoziierungsvertrag mit der EU), wirtschaftlicher Entwicklung (Bezeichnung als eines der fortschrittlichsten Länder der ehemaligen UdSSR) und fehlender Geschichtsaufarbeitung wider.

Leckere lokale Spezialitäten rundeten den Abend ab.

Tag 4:

Sezessions- und Minderheitenkonflikte verstehen: Ausflug in das Pankissi-Tal

Auf dem Programm stand ein Ausflug in das Pankissi-Tal.

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Die Fahrt von Tbilisi aus dauerte mit dem gemieteten Bus zweieinhalb Stunden. Auf dem Weg besuchten wir die mittelalterliche Weinakademie Ikalto, erreichten den höchsten Punkt des Gombori-Ranges, fuhren durch steile Berghänge und wurden anschließend in Akhmeta von unseren Gesprächspartner*innen von „Regional Development Foundation in Kakheti“ (KRDF) herzlich empfangen.

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Im Pankissi-Tal, wo unser Treffen stattfand, gibt es 12 Dörfer, 95% davon bewohnen die Kisten. Die Kisten sind eine ethnische muslimische Minderheit, ein Brudervolk der Tschetschenen, von denen es nur ca. 8.000 gibt. Sie wohnen abgeschottet im Tal, haben ihre eigenen Traditionen und Gesetze und ordnen sich einem Ältestenrat unter. Ein Frauenrat ist eine Neuerscheinung, die sich erst im Laufe der letzten Jahre durchgesetzt hat. Die Mehrheit der Bevölkerung orientiert sich zwar an einer radikalen wahabitischen Strömung, jedoch ist die Landschaft so wunderschön, dass man nicht mehr weg will. Darüber hinaus fesselte uns der wunderbare, tschetschenische Tschak-Tschak-Kuchen und die örtlichen Süßigkeiten, die die Dorfgemeinschaft extra für unsere Teilnehmer*innen vorbereitet hat.

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Nachmittags rief uns dann eine Weinprobe wieder ostwärts in die kakhetische Hauptstadt Telawi. Die dortige Präsentation im Weingut Shumi rundete dann unseren vierten Tag erfolgreich ab.

Tag 5:

Gesprächspartner in Tbilisi: William Boyd und Dr. Kaupo Känd vom EUMM – NGO „Civil Forum for Peace“ – NGO „SIQA“ – NGO „CISV Georgia“ – NGO „EMT“ – NGO „LGBT Georgia“

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Morgens trafen wir uns im Headquarter der European Union Monitoring Mission mit William Boyd (EUMM Monitor, Reporting and Information Officer) und Dr. Kaupo Känd (Head of Analytical Reporting and Outreach Department). Das Gespräch gewährte den Teilnehmer*innen einen wertvollen Einblick in das größte Problem Georgiens – das Entstehen der abtrünnigen Regionen Abchazien und Südossetien als Folge der Kriege gegen Russland von 1992-1993 und 2008.

Der Rest des Tages stand ganz unter dem Zeichen des zivilgesellschaftlichen Sektors. Wir lernten die Arbeit von fünf weiteren georgischen NGOs kennen: „Civil Forum for Peace“ (Georgian and Ossetian Dialogue), „SIQA“ (Georgian Association of Educational Initiatives), „CISV Georgia“ (Building Global Friendship), „EMT“ (Education and Management Team) und „LGBT Georgia“ (die in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat und sich für homo-, bi- und transsexuelle Menschen einsetzt).

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Auch wenn die Unterschiede zwischen der Arbeit der Regierungs- und der Nichtregierungsorganisationen im Bewusstsein der georgischen Bevölkerung noch nicht tief verwurzelt zu sein scheinen und unsere Referent*innen bis heute mit den Fragen à la „Why do you let them use you?“ oft genug konfrontiert werden, leisten die NGOs einen großartigen Beitrag für die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Rechte von Minderheiten und marginalisierten Gruppen. Sie alle fördern den Dialog zwischen Menschen, Regionen und Ethnien, bieten Bildungsangebote an und vermitteln freiheitliche demokratische Werte.

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Nach dem Abendessen führte die Seminarleitung ein kurzes Quiz rund um die erlernten Inhalte und Themen und eine gemeinsame Evaluationsrunde durch. Das Treffen wurde von den Teilnehmenden als sehr positiv evaluiert. Es wurden lediglich wenige Umstände (wenig Zeit für die Reflexion, 1 Tag Vorbereitungstreffen vor Ort einplanen) angemerkt. Die Teilnehmer*innen waren zu den Terminen mit unseren Gesprächspartnern vor Ort gut vorbereitet, u.a. weil das Orgateam im Sinne der Vorbereitung einen umfassenden Reader zum Thema der Reise erstellte. Für die einzelnen Themenblöcke wurden Expert*innen ausgewählt, die das jeweilige Thema speziell für die Exkursion vorbereiteten, d.h., dass jede*r Teilnehmer*in eine besondere Verantwortung für einen der Gesprächstermine getragen hat, indem vor jedem Termin oder Ausflug ein kleines Input-Referat gehalten wurde. Dank der frühzeitigen Vorbereitung (Reader und Blogbeiträge) konnten die Teilnehmer*innen auf speziell vorbereitetes Hintergrundwissen zurückgreifen und aktiv an den Diskussionen teilnehmen.

Besonders freut es uns, dass die Zusammenarbeit der aktuellen und ehemaligen Stipendiat*innen hervorragend funktionierte. Auch viele neue Gesichter stoßen zum ersten Mal beim AK Osteuropa hinzu, worüber wir uns sehr freuten.

Das Treffen in Georgien mit 3 Tagen in Tbilisi und 2 inhaltlichen Exkursionen in die umliegenden Regionen war ein Erfolg. Insbesondere das Konzept die Aktivität mit Inhalt und auch mit der AK-Arbeit zu verbinden, traf auf viel Zustimmung.

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Der Dank des Orga-Teams gilt Marina Pachotnikov für die inländische Betreuung und an Giorgi Nanobashvili für die tatkräftige Unterstützung vor Ort.

Wenn Liebe so einfach wäre…

Montag, 23. Mai 2016

Ein Straßen-Graffiti in Tiflis
Ein Straßen-Graffiti in Tiflis

Es springt einem förmlich ins Gesicht, wenn man durch die georgischen Straßen wandert – in mannigfaltiger Form: Graffitis, sich tief verbeugende Menschen vor dem Haus des Patriarchen, eng aneinander gehende heterosexuelle Pärchen. Georgien ist ein Land, das an seinen Traditionen festhält. Die Familie ist stark in Georgien. Und die Familie ist fest an bestimmte Werte und Verhaltensweisen gebunden, an aller erster Stelle die Rollenverteilung von Mann und Frau. Die Vorstellung einer Frau, keine Mutter sein zu wollen, ist undenkbar. Die Vorstellung einer Frau mit einer anderen Frau zusammen zu sein ebenfalls.

Foto: Bibi Ritter
Im Gespräch mit Beka Gabadadze (links)

Beka Gabadadze ist studierter Sozialarbeiter und Vorsitzender der NGO LGTB Georgia. Er ist ein schlanker, fröhlicher Mann – trägt eine Cap mit der Aufschrift „Boy“ und schämt sich für sein schlechtes Englisch – grundlos! Der AK Osteuropa hat keine Probleme ihn zu verstehen, als er beginnt zu erzählen: LGTB Georgia setzt sich für die Gleichberechtigung von homosexuellen, transsexuellen und bisexuellen Menschen in Georgien ein. Seit 2011 ist LGTB Georgia eine von vielen Organisationen, die sich dieses Ziel auf die Fahnen schreibt. Im Jahr 2000 wurde Georgien das erste post-sowjetische Land, das Homosexualität offiziell legalisierte. Seit 2006 gibt es erste Anti-Diskriminierungsgesetze, die sich zunächst auf die Diskriminierung am Arbeitsplatz (2006) und anschließend auf jegliche Lebensbereiche (2014) beziehen sollten. Auf der anderen Seite stehen enorme Bemühungen, diese Fortschritte zu neutralisieren: die Verfassung definiert die Ehe explizit als Vereinigung von Mann und Frau (Article X, Section 1, Paragraph 2; Alexander, Shannon, Schafer, Heather, 2004). Eine eingetragene Partnerschaft (wie in Deutschland), geschweige denn eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen ist undenkbar, operative Geschlechtsumwandlungen eine Sünde.

Der 17. Mai 2013 – der internationale Tag gegen Homophobie – ist ein dunkler Tag. In Tiflis wird ein friedlicher Demonstrationsmarsch der Bürgerrechtsorganisation Identoba von über 15.000 orthodoxen Gegendemonstranten überfallen. Gewalt bricht aus, Homosexualität und orthodoxe Kirche als unvereinbare Entitäten. Doch das ist nicht das einzige, was unvereinbar ist: Georgien als stolzes EU Assoziierungsmitglied versucht mit ihren Anti-Diskriminerungsgesetzen Sympathien der westlichen Länder zu erlangen.

Foto: Bibi Ritter
Der Flughafen Tiflis begrüßt seine Gäste mit einer klaren Botschaft

Leider steht die Realität im krassen Gegensatz dazu. Denn offiziell bezeichnet die Polizei die Übergriffe als gewöhnliche Straßenübergriffe. Seitdem die LGTB Organisationen wie Pilze aus dem Boden schießen, steigt laut Identoba vor allem für homosexuelle Männer das Risiko an sogenannten „hate crimes“ zum Opfer zu fallen. Auch „femicide killings“ nehmen zu. Dabei handelt es sich um die Ermordung von Frauen, die nicht dem gängigen Rollenbild entsprechen, z.B. Dozentinnen an der Uni, die besser ihren ehelichen Pflichten nachgegangen wären. Dies gilt auch für heterosexuelle Frauen und alle Menschen, die das Fundament der Kirche und des Staates mit ihren alternativen Lebensformen bedrohen.

Eines der größten Probleme der Pro-LGTB-Organisationen ist ihr ausgeprägtes Top-Down-Prinzip. Oft werden Entscheidungen nicht von der Basis aus getroffen. Dies möchte Beka ändern. Laut ihm formiere sich gerade eine Studentenbewegung, die das Potenzial haben könnte LGTB Rechte stärker zu legitimieren. Für die Zukunft wünscht sich Beka weniger Unterdrückung und Stigmatisierung. LGTB Georgia besteht aktuell aus ca. 30 Mitgliedern und kämpft mit zahlreichen Projekten für LGTB-Rechte: „Strenghening LGTB community with the aim of HIV/AIDS prevention“ wird finanziert vom National Center of Disease Control and Public Health. Weitere Unterstützung erhalten sie von der amerikanischen Botschaft, der ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans & Intersex Association), der Women’s Initiative Supporting Group bzw. dem georgischen Women’s Fund. Die Organisation versucht zudem ins Herz des Problems zu zielen – in die Familien: Im Rahmen des Projekts „Parents for Equality“ wurde beispielsweise der Mother’s Club gegründet, in dem sich Mütter austauschen und Erfolgs-Stories über das Coming-Out ihrer Kinder unterstützen.

Die zentrale Arbeit der LGTB Georgia findet allerdings in den „Community Centern“ statt, die allen LGTBs eine sichere Anlaufstelle für Austausch und Kennenlernen bietet. Das LGTB Georgia Hauptquartier liegt mitten im Herzen von Tiflis.

AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia
AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia

Als wir, als AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Gebäude verlassen, stehen uns 15 junge Männer entgegen und verfolgen misstrauisch jeden einzelnen Schritt bis wir um die Ecke gegangen sind. Weil wir die Befürchtung haben, dass sie auf Beka und seine KollegInnen warten, gehen wir zurück, um diese zum Mitgehen zu bewegen. Doch Beka winkt ab. Vielleicht ist es keine Besonderheit für ihn. „Daily work is not easy“, sagt er und wünscht uns einen schönen Abend.

https://www.youtube.com/watch?v=E1PPKywjxDQ

Text und Bilder: Bibi R.

Georgien – Eine Vorbereitung – Eine Reise – eine Tortur?

(Henrik Buschmann)

Fünf Wochen vor dem Start der Reise nach Georgien habe ich die Zusage als Nachrücker bekommen. Ich saß gerade mit Freunden in einer Göttinger Kneipe. Als ich die Zusage las, überwältigte mich das Glücksgefühl – Georgien! Wie geil ist das denn?! Wahrscheinlich haben die Umgebung und die Umstände auch etwas dazu beigetragenber meine Freunde verstanden nicht, warum ich kurzzeitig freudig gestikulierend auf meinem Platz saß und jegliche Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Bis sie auch die E-Mail lasen.

Georgien also.

Nach den großen Glücksmomenten Stand ich am nächsten Morgen auf und musste diese ganze Reise planen. Ich war noch nie so schnell wieder auf dem Boden der Realität angekommen.
Du hast keinen Reisepass, die weiteste Entfernungen von zu Hause, waren Brüssel und Salzburg. Du hast keinen Reise-Rucksack, alle Behördengänge müssten eigentlich gestern erledigt worden sein und du bist noch nie geflogen. Grundbedingungen für Stress sind vorhanden.
Sei es drum. Ich rief Punkt 8 Uhr also das Standesamt an, um mir meine Geburtsurkunde zu organisieren und das Einwohnermeldeamt wegen der Beantrag meines Reisepasses. Dazu kam noch ein Termin beim Fotografen meines Vertrauens. Folgend habe ich dann all meine Freunde und Familie darüber aufgeklärt, dass ich nach Georgien fliegen werde und dass ich noch einiges zu tun habe.

Georgien also. So lautet der Grundtenor bei den meisten.

Ja, Georgien. Was weiß ich eigentlich über Georgien? Es ist eine ehemalige Sowjet-Republik; es sollen dort alle sehr nett sein und eine gewisse Trinkfestigkeit wäre wohl von Vorteil.

Vorsichtig formuliert: Mein Wissen ist begrenzt und nur leicht mit Klischees behaftet.

Let’s take a closer look at Georgia:

Betrachten wir Georgien mal aus einer anderen Sicht: Der ökonomischen. Mit dieser Sichtweise sollte ich mich studienbedingt zumindest ein wenig auskennen.
In Georgien sind der Tourismus und Landwirtschaft ein sehr großer wirtschaftlicher Faktor. Gerade Regionen, die am Schwarze Meer gelegen sind, sind wirtschaftlich gebunden an Tourismus
Durch die große klimatische Vielfalt besteht auch Vielfach die Möglichkeit, eine breitgefächerte Landwirtschaft zu betreiben. So wird das Land auf verschiedenste Möglichkeiten genutzt. Vom Eukalyptus, über Obstplantage mit Äpfeln, Pfirsiche, Aprikosen sowie Zitrusfrüchten bis hin zur in den Bergregionen gelegenen Tierzucht ist in diesem Land alles zu finden.

Georgien – ein bislang unbekanntes Reiseziel

(Linda Günther)

Wenn europäische Ohren Georgien hören, dann verbinden sie in der Regel damit Erinnerungen an die ehemalige Sowjetunion, den Blitzkrieg 2008 mit Russland oder vielleicht auch gar nichts. Das Land südlich des Kaukasus besitzt allerdings nicht nur eine interessante politische Geschichte sondern auch Orte, die es sich lohnen, bereist zu werden.

Allein durch seine Lage hat Georgien sehr viel zu bieten. Das Land erstreckt sich vom Schwarzen Meer im Westen bis zur aserbaidschanischen Grenze im Osten. Im Norden bildet der Große Kaukasus die Grenze zu Russland und im Süden schließen sich Armenien und die Türkei an. Aufgrund dieser geografischen Gegebenheiten lässt sich Georgien ganz vielfältig erleben. Mit etwas Glück kann man im März schon sonnige Temperaturen und sommerliches Flair in Batumi am Schwarzen Meer erleben oder gleichzeitig in den Bergen um Gudauri Ski fahren. Auch andere Städte im Inland ziehen mit interessanten Sehenswürdigkeiten Besucher*innen an. Nicht weit entfernt von Kutaisi, der Stadt des Parlamentssitzes, befindet sich die Prometheus Höhle. Sie wurde erst 1984 entdeckt und zählt zu den ältesten der Welt. Auf einer Länge von 1400 m lassen sich Tropfsteine aller Art bewundern, sogar eine Bootsfahrt ist in der Höhle möglich. Auch die Hauptstadt ist sehenswert. Der Legende nach wurde ein Pfau von einem König abgeschossen und landete in einer heißen Quelle. Durch diese Entdeckung beschloss der König eine neue Stadt zu gründen – Tbilisi. Die Bezeichnung der Stadt bedeutet auch heiße Quelle. Das Aufblühen des Landes kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass es noch unruhig in dem kleinen Land ist. Nach wie vor sind die Regionen Abchasien und Südossetien im Norden Georgiens der Grund für politische Schwierigkeiten. Georgien ist aber auch deshalb spannend, weil es sich trotz seiner sowjetischen Vergangenheit nun mehr dem Westen zuwendet. Es ist ein Land, welches sich lohnt, näher kennengelernt zu werden.