„Alles neu macht der Maidan“ – Call for Papers!

 

„Alles neu macht der Maidan?“

Interdisziplinäre Perspektiven auf eine Ukraine im Umbruch

Call for contributions for an edited volume/Beiträge zu einem wissenschaftlichen Sammelband

 

Die Ukraine ist mit den Geschehnissen auf dem Maidan und der Krim in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mit der brisanten Entwicklung in der Ostukraine und der drohenden machtpolitischen Ost-West-Konfrontation in Europa wuchs ein Bedarf an Analysen zur Lage in der Ukraine.

Die bisherigen Studien haben oft einen exklusiven empirischen oder rein theoretischen Fokus. Viele aktuelle Analysen sind zudem populärwissenschaftlicher Natur und kommentieren die aktuellen Ereignisse, ohne diese in einen breiteren Kontext zu stellen. Normativ-geprägte Ansätze (wie diejenige der Transformationsforschung) hingegen konzentrieren sich auf ausgewählte Aspekte und können die Umbrüche und ihre Komplexität nicht erschöpfend analysieren. Die Ukraine selbst und ihre (außen-)politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sonstigen Probleme rücken gegenüber einer starken Betonung der geo- und außenpolitischen Aspekte oft in den Hintergrund der Analysen. Dabei bleibt das Land mit einer Bevölkerung von knapp 45 Millionen Menschen und dem neben Russland flächenmäßig größtem Territorium des europäischen Kontinents für die westliche Öffentlichkeit, Politik, und sogar Wissenschaft weitgehend unbekannt. Der jüngste Konflikt und die Ereignisse in und um die Ukraine zeigten die Gefahren dieser Vernachlässigung und gleichzeitig die Notwendigkeit umfassender Studien auf, die die Krise(n) der Ukraine einer vielseitigen Betrachtungsweise öffnen und die Ukraine selbst in den Mittelpunkt stellen.

Das Ziel des Sammelbandes ist, analytische Lücken mit Hilfe eines interdisziplinären Ansatzes zu identifizieren und ein holistisches Bild auf die vielfältigen Krisen einer Ukraine im Umbruch zu schaffen. Dank einer interdisziplinären Herangehensweise und einer theoretischen Vielfalt (z. B. Transformations- und Erinnerungsforschung, Oral History und Kontextanalyse, etc.) wird dieser Sammelband einen Beitrag zum Verständnis der gesellschaftspolitischen Zusammenhänge in der Ukraine in ihrer Rückwirkung auf die aktuellen Krisenprozesse leisten.

Inhaltliche Konzeption

Willkommen sind Beiträge aus allen Fachrichtungen, die die Krise(n) der Ukraine aus ihrer disziplinspezifischen Perspektive heraus identifizieren und betrachten. Aus transitionstheoretischer Sicht wird die Ukraine zuletzt als im Graubereich verharrend, die politische Entwicklung des letzten Jahrzehnts als Stillstand beschrieben (vgl. zuletzt Geissbühler, in: ders.(Hg.), Kiew ‑ Revolution 3.0). Im Fokus der Beiträge steht auch deswegen die Frage, ob es sich im Zusammenhang mit den/der identifizierten Krise(n) und aktuellen Umbrüchen potentiell von einer Zäsur oder einer Sackgasse sprechen lässt, und welche Möglichkeiten sich aus der(n) Krise(n) ergeben. Die jeweiligen Krisen (die aktuell und davor entstandenen), die den Analysegegenstand der einzelnen Beiträgen bilden, sind von den AutorInnen selbst zu identifizieren und im Bezug auf die Fragestellung zu untersuchen. Sowohl empirische, als auch theoretische Analysen sind von Interesse. Die individuelle Definition des Analysegegenstandes („Krise“) führt zu einer nicht notwendig auf die aktuellen Umbrüche („Ukraine-Krise“, „Krim-Krise“, „Krieg im Donbass“) beschränkten Analyse, die auch Wechselwirkungen der identifizierten, auch vor den Ereignissen 2014 bestehenden oder entstandenen Krisen untersuchen kann. Durch den Vergleich von unterschiedlichen (auch historischen) Krisenräumen soll ein Dialog der Perspektiven entstehen, während die primär auf den ukrainischen Raum bezogenen Themen durch eine komparatistische Perspektive die notwendige Relativierung bekommen werden. Dieser inklusive interdisziplinäre Ansatz ermöglicht einen holistischen Blick auf eine Vielfalt von Themen- und Problemkomplexen. Einreichungen sind nicht beschränkt auf die unten vorgeschlagenen Fragestellungen:

Gesellschaft in der Krise

–              Mediale, diskursive und semantische Konstruktion der Krise

–              Neue Formen des sozialen Protests

 –             Gesellschaftliche und/oder soziale Trennlinien

–              Identität in der Krise

–              Wahrnehmungen in der Krise: Klischees und Stereotypen und deren Instrumentalisierung

–              Sprache und Sprachnutzung in der Krise: ambivalente sprachliche Identifikation und/oder ethnische Hybridität

–              Gesundheitssystem in der Krise

–              Wertewandel und Krise

–              Natur und Umwelt in der Krise, Ökologische Krise

–              Wirtschaft und Krise/ Wirtschaftskrise/ Wirtschaft in der Krise

(Außen-)Politik in der Krise

–              Krise der multivektoralen Außenpolitik

–              Europäische Integrationsperspektive in der Krise

–              Geopolitik in der Krise: Zuordnung, Orientierung, Einflusssphären und deren Legitimation

–              Politische Kultur und das politische System in der Krise

–              Politische Parteien in der Krise

–              Transformation und Transformationswissenschaft in der Krise

–              Sozialstaat in der Krise

–              Minderheiten in der Krise

 

Recht und Rechtsstaatlichkeit in der Krise

–              Rechtsstaat in der Krise: Korruption, Unabhängigkeit, Vertrauen

–              Völkerrecht in der Krise: Durchsetzbarkeit, Souveränität und Selbstbestimmung

Geschichte der Krise und Geschichte in der Krise

–              Periodisierung der Krise(n)

–              Geschichtspolitik und Krise

Es ist Anliegen dieses Sammelbandes, die terra incognita der Ukraine durch eine Mischung aus empirischen und normativen Perspektiven auf die Krise(n) der Ukraine und problembezogenen Analysen auszuleuchten.

Angaben zur Einreichung von Beiträgen/Hinweise für AutorInnen

Bitte senden Sie Ihre Abstracts (Dateiformat: pdf oder docx) von nicht mehr als 2000 Zeichen bis Montag, den 22. September 2014, per E-Mail an Simone Stöhr (Simone.Stoehr@fes.de). Eine Entscheidung über die Aufnahme in dem Sammelband wird spätestens bis zum 6. Oktober 2014 erfolgen.

Anschließend bitten wir um einen entsprechenden Beitrag, dessen Umfang 20 Seiten, Times New Roman, Schriftgröße 14 (Fußnoten: Schriftgröße 13) nicht überschreiten soll. (Formalie_Reihe_IMPULSE)

Vom 23. bis 24. Oktober 2014 findet mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Promotionsförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung ein AutorInnentreffen in Bonn statt, das vor allem der Verzahnung der Beiträge und einem konstruktiven Austausch zwischen AutorInnen und eingeladenen Gästen dienen soll.

Der Sammelband soll 2015 in der Reihe „IMPULSE – Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft“ im Wissenschaftlichen Verlag Berlin (wvb) erscheinen.

Für weitere inhaltliche und formale Fragen und Anregungen steht Ihnen das Herausgeber-Team gerne zur Verfügung:

Tobias Endrich, Universität Passau, (endrich.tobias@gmail.com)

Khrystyna Schlyakhtovska, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (khrystynaserg@gmail.com)

Galyna Spodarets, Universität Regensburg (galyna.spodarets@gmail.com)

Evgeniya Bakalova, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung/HSFK (bakalova@hsfk.de)

Link zum Call als pdf: Alles neu macht der Maidan

Nationalismus in der Ukraine als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie

(Magnus Wurm]

Ja, begrabt mich und erhebt euch,
Und zersprenget eure Ketten,
Und mit schlimmem Feindesblute

Möge sich die Freiheit röten!

Und am Tag, der euch die Freiheit
Und Verbrüderung wird schenken,
Möget ihr mit einem stillen,
Guten Worte mein gedenken.“1

So schrieb der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko im letzten Absatz seines Gedichts „Vermächtnis“ von 1945.

Schewtschzenko gilt als Ikone des (positiven) ukrainischen Nationalismus, „in seinem Œuvre kämpfte der im russischen Reich [sic!] als Leibeigener Geborene für die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit2. Im Zuge der Proteste auf dem Kiewer Maidan wurde er wieder populär, die Neue Züricher Zeitung nennt ihn gar den Heiligen Geist des Maidan3 das Deutschland Radio spricht vom Ukrainischen Goethe4, zu seinem 200 Geburtstag wurde ihm auf dem Maidan ein Denkmal gesetzt.5

Doch wie sind seine Worte 169 Jahre später zu verstehen und wie sind sie im aktuellen politischen Kontext zu interpretieren? Kann man Schewtschzenkos Zeilen gar als Aufforderung und Anleitung für Demokratie lesen, Demokratie durch Verbrüderung, als Einigkeit oder Gemeinschaft, ergo durch eine Nation?

Mit der Französischen Revolution 1789 kamen Nationalismus UND Demokratie in die Welt, erst durch nationale Einigkeit konnte die Freiheit in Form der Demokratie umgesetzt werden.

„In Europa und Nordamerika ist die Demokratie überall auf dem Nährboden der Nation gewachsen. Historisch waren Demokratisierung und Nationsbildung eng miteinander verbunden.“6

Konfliktpotential bietet hierbei natürlich die Fehlende ethnischer Homogenität, was gleichzeitig auch das negative Potential von Nationalismus bedeutet, indem radikale Vertreter eine einseitige, exklusive, nationale Identität erzwingen wollen. So aktuell VertreterInnen der Partei Swoboda, die gegen den russischen Einfluss kämpft, während sich dagegen ostukrainische Separatisten einseitig auf die russischen Prägungen berufen und andere Elemente ukrainischer Nationalidentität verneinen.

Lösung und Chance zugleich ist ein „liberaler, inklusiver Nationalismus“7, der einen positiven, einenden Charakter hat und damit zugleich die aktuellen politischen Probleme lösen könnte.

Das würde konkret bedeuten, dass eine Brücke zwischen dem Westen der Ukraine und dem russisch geprägten Osten und Süden der Ukraine geschlagen wird. Dies heißt, ganz im Sinne Schewtschenkos, dass sich diese Landesteile von russischem Einfluss befreien (Schewtschenko Zeile zwei „Und zersprenget eure Ketten, Und mit schlimmem Feindesblute“) und ihre Freiheit nutzen sollen um sich mit dem Westen der Ukraine wieder zu vereinen (Schewtschenko Zeile fünf „Und Verbrüderung wird schenken“).

Politische Identität – und damit Nationalismus – ist folglich als Voraussetzung für Demokratie zu verstehen.

Diesem Nationalismus sollte Russland eine Chance geben, denn in der Realität ist das Gros der Bürger in der Ostukraine gegen einen Anschluss an Russland.8

So ist abschließend festzustellen was Calhoun schreibt: „Wenn die Demokratie blühen soll, darf der Nationalismus kein Feind der Unterschiede sein.“9 Dem würde sicherlich auch der Dichter Taras Schewtschenko zustimmen.

_________________________________

1 Europäische Lyrik in drei Bänden, Dritter Band: Dichtung der UdSSR, Moskva, Progress-Verlag, 1977. Online abrufbar unter: <http://geo.viaregia.org/testbed/pool/editmain/T1_12266_Schewtschenko.Wenn.ich.sterbe.html>

2 Andruchowytsch, Juri: „Der Nationaldichter Taras Schewtschenko – Der heilige [sic!] Geist des Maidan“, 07.03.2014, in Neue Züricher Zeitung, online abrufbar unter dem Internet Auftritt der NZZ: www.nzz.ch (http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur-und-kunst/der-heilige-geist-des-maidan-1.18258225).

3 Vgl. ebenda.

4 Block, Vera: „Der Goethe der Ukraine – Taras Schewtschenkos Verse sind aktueller denn je“, 09.03.2014, in Deutschland Radio Kultur, online abrufbar unter dem Internetauftritt des Deutschlandradios: www.deutschlandradiokultur.de (http://www.deutschlandradiokultur.de/klassiker-der-goethe-der-ukraine.1013.de.html?dram:article_id=279584).

5Gerlach, Thomas: Nationaldichter der Ukraine – Sein Lebensthema war sein Land, 06.03.2014, auf www.taz.de. Onlien abrufbar unter dem Internetauftrtt der Taz: www.taz.de (http://www.taz.de).

6 Simon, Gerhard (2011): „Demokratie und Nation – die Demokratie und ihre Gefährdung“ in: Kappeler, Andreas (Hrsg.): Die Ukraine – Prozesse der Nationsbildung, Böhlau Verlag Köln, S. 361 – 374 (künftig zitiert als Gerhard 2011), S. 364.

7 Ebenda, S. 365.

8 welt.de: Mehrheit in Ostukraine will keinen Russland-Beitritt, 19.04.14, Online abrufbar unter dem Internetauftritt der Welt: www.welt.de (http://www.welt.de/politik/ausland/article127123712/Mehrheit-in-Ostukraine-will-keinen-Russland-Beitritt.html).

9 Gerhard 2011, S. 365.

Meine kanadisch-ukrainisch-deutsche Sicht des Anfangs des Euromaidan

(Alexandra Jadwiga Wößner)

Dieser Beitrag befasst sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung, als die Unruhen in Kiev begannen. Zu jenem Zeitpunkt befand ich mich in Edmonton, Alberta, Kanada und studierte Ukrainistik an der University of Alberta. In Kanada leben mehr als eine Million Menschen ukrainischer Herkunft. Besonders in Edmonton scheinen sie einflussreich zu sein, weil sie dort eine der größten Minderheiten darstellen. Alleine durch mein Studium war ich im engen Kontakt mit Ukrainerinnen und Ukrainern, aber mein großes Interesse an der Ukraine motivierte mich dazu, mich schnell in ukrainischen Kreisen außerhalb der Universität wiederzufinden. Somit konnte ich hautnah die Reaktionen der Kanadier-UkrainerInnen auf die Euromaidan-Proteste miterleben.

Der Euromaidan tauchte als Hashtag zuerst auf Twitter-Accounts auf und gab den Protesten, die sich meist auf dem Majdan Nesaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit) in Kiev seit dem 21. November 2013 abspielten, einen Namen. Wie bereits ersichtlich, setzt sich der Name aus Europa und Maidan zusammen, um auf die proeuropäische Haltung der Demonstrierenden aufmerksam zu machen. Der friedliche Protest wurde durch den Beschluss der ukrainischen Regierung hervorgerufen, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Dieser Beschluss kam sowohl für die Ukrainerinnen und Ukrainer als auch für die Ukrainischstämmigen in Kanada sehr überraschend.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich mit ihren Verwandten, Angehörigen und Freunden in Kanada in Verbindung setzten, gaben an, sich von der Regierung betrogen zu fühlen und fragten sich, wie sich die Regierung anmaßen konnte, über das Volk hinweg eine Entscheidung zu treffen, die nicht mit der Meinung der Mehrheit konform sei. Die Enttäuschung war auch bei den kanadischen Ukrainerinnen und Ukrainern groß, sodass schon am 24. November 2013, also drei Tage nach Beginn der Euromaidan-Proteste in Kiev, bereits eine Demonstration auf dem Churchill Square in Edmonton stattfand. Als Grund für die Demonstration wurde die Solidarisierung mit den Protestierenden in Kiev genannt. Ein Nachrichtendienst war auch vor Ort, berichtete von der Demonstration und interviewte einige Protestierende. Für die Demonstration wurde auf facebook und in den ukrainischen Nationalkirchen im Gottesdienst geworben. Die Protestierenden hatten sich erkenntlich gemacht, indem sie Ukraine- oder Europaflaggen in die Höhe hielten. Die Demonstrierenden sangen ukrainische Volkslieder und hielten Ansprachen, in denen sie ihre Sorgen und ihren Unmut in mündlicher Form darboten. Die Plakate hatten folgende Aufschriften: „Europa braucht die Ukraine“, „Putin – Finger weg von der Ukraine“, „Edmonton unterstützt die Ukraine“, „Die Ukraine ist Europa“ und „Kein Russland zwischen der Ukraine und Europa“. Sie deuteten an, dass Euromaidan nicht nur Kritik an der Entscheidung der Regierung übe, sondern direkt die Regierung kritisiere. Es wurde auch erwähnt, dass der Einfluss von Russland auf die Ukraine durch den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowytsch gewollt sei und bewusst auf diese Weise gelenkt wurde. Rücktrittsforderungen an Präsident Janukowytsch stellten zwar nicht die Kernforderung der Demonstrierenden auf dem Churchill Square dar, aber sie schwangen in den Aussagen der Demonstrierenden mit. Nach circa einer Stunde löste sich die Gruppe der Protestierenden auf und jeder ging seinen Weg – mit der Absicht, so schnell wie möglich wieder Kontakt zu Freunden und Verwandten in der Ukraine aufzunehmen.

Die Höhepunkte der Kiever Proteste sollten bedauerlicherweise erst folgen. Sie lösten noch größere Ängste und Sorgen bei den Ukrainerinnen und Ukrainern in Edmonton aus und führten dazu, dass sich insgesamt mehr Menschen engagierten und es mit jeder Demonstration mehr Demonstrierende gab. Für mich im konkreten Fall hieß es auch, mich mehr über die Ukraine zu informieren und vor meiner Abreise an einer zweiten Demonstration teilzunehmen. Meinen Professorinnen, Professoren und Kommilitoninnen ukrainischer Herkunft hat man die Sorge wirklich angesehen. Sie sagten mir, dass sie nachts nicht schlafen könnten und ihm ständigen Kontakt mit der Ukraine wären. Eine Professorin entschuldigte sich sogar gegen Ende des Semesters (Anfang Dezember), dass die Qualität ihrer Veranstaltung durch die Unruhen in der Ukraine so nachgelassen hätte. Eine Kommilitonin machte sich schwere Vorwürfe, dass sie nicht auf dem Maidan sein könne, um die Protestierenden dort zu unterstützen.

Zu Beginn der Unruhen in Kiev habe ich viel Menschlichkeit in Edmonton erlebt. Ich sah viele Menschen, die sehr besorgt waren um ihre Angehörigen und es nur schwer ertragen konnten, dass in ihrer Heimat die Situation so angespannt war. Von Herzen wünschte ich ihnen alles Gute und hoffte auf einen gewaltfreien und schnellen Ausgang der kritischen Situation. Leider mündete der Euromaidan in die Krim-Krise und den Konflikt in der Ostukraine. Ein Ende ist betrüblicherweise nicht in Sicht. Ich hoffe sehr, dass ich nächste Woche in Kiev und in Lviv (auf der Studienfahrt des AK Osteuropas) wieder auf diese Menschlichkeit stoße, da mir in Deutschland und in der deutschen Presse das Mitgefühl und Verständnis für die protestierenden Menschen in Kiev und anderen Städte dieser Welt unzureichend erscheint.

Möge die Studienfahrt nächste Woche für uns in vielerlei Hinsicht eine hilfreiche Erfahrung sein.

Nationalistische Elemente der ukrainischen Verfassung

(Tobias Endrich)

Der folgende Beitrag beleuchtet ausgewählte, durch nationalistische Vorstellungen geprägte Elemte der ukrainischen Verfassung.

Dabei wird der Begriff Nationalismus als „Ideensystem [verstanden,] das der Schaffung, Mobilisierung und Integration eines größeren Solidarverbands (genannt Nation)“, in erster Linie aber der Legitimierung politischer Herrschaft dient[1] und auf bestimmten Vorstellungen aufbaut, die im Rahmen der jeweiligen Beschreibung im Folgenden benannt werden. Ein weiterer Teil des Beitrags beschäftigt sich mit der Einflussnahme durch (explizit) nationalistische Kräfte auf die Verfassung.

Der Begriff „Nationalismus“ wird im Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen in der Ukraine häufig verwendet. Er scheint sich hervorragend zur Lagerbildung und als Kampfbegriff zu eignen, aber auch Beobachter von außen teilen die ukrainische Welt in „ukrainische Nationalisten“ und „russische Separatisten“ ein.

Mit Blick auf die eben beschriebene aktuelle Gemengelage sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es unter Berücksichtung der europäischen Verfassungskultur kaum überrascht, dass auch die Ukraine in ihrem Transformationsprozess der 90er Jahre auf nationalistische Ideen Bezug nahm. Aus eruopäischer Perspektive ist die sozialintegrative und politik-/staatslegitimierende Kraft des Nationalismus aufgrund der Entfaltungsmöglichkeiten von anderen, postnationalen Legitimationsgrundlagen zwar in vielen Bereichen eingeschränkt worden – bedeutungslos ist sie aber noch lange nicht.[2] In diesem Kontext sind auch die folgenden Betrachtungen zu verstehen, die also die eingangs erwähnten Vorwürfe im Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen weder stützen noch zu widerlegen vermögen.

Die ausgewählten

Briefmarke, gewidmet der Verfassung der Ukraine http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stamp_of_Ukraine_s145.jpg

I. Die Nation als Grundlage des Staates

1. Die Nation führt zum Staat

Der Nationalismus sieht in der Nation die Grundlage und Legitimaitonsbasis des Staates. Mit anderen Worten: “Der Staat muss auf seiner Legitimierung durch den Willen der Nation beruhen.”[3]

In der Präambel heißt es zur Verabschiedung der Verfassung, dass diese auf

„der Jahrhunderte alten Geschichte ukrainischer Staatswerdung und auf dem Selbstbestimmungsrecht, das die ukrainische Nation verwirklicht,“

Die “Legitimationskette” des Staates führt so von der Existenz einer ukrainischen Nation direkt zum Selbstbestimmungsrecht derselben, wobei durch einen Rekurs auf die Geschichte sowohl das Bestehen der Nation allgemein als auch speziell des Selbstbestimmungsrechts (durch die Bezugnahme auf die Geschichte der Staatswerdung) dargelegt wird. Das Selbstbestimmungsrecht wiederum wird durch die Staatswerdung verwirklicht.

2. Der Staat vollendet die Nation

Das nationalistische Ideensystem beinhaltet die Vorstellung, die Nation bestehe seit „archaischen Uhrzeiten“.[4] Diese wird dem vorgestellten Legitimationsansatz der Präambel der UV zugrunde gelegt, wie bereits der Rückgriff auf die Geschichte zeigt. Ab wann und inwieweit von einer “spezifisch ukrainischen Nation”[5] in der Geschichte gesprochen werden kann (an dieser Stelle sei auf die nicht endende Diskussion um das Erbe der Kiewer Rus verwiesen), ist dabei völlig unerheblich. Anders als z.B. die ungarische Verfassung wird kein konreter Anknüpfungspunkt in der Geschichte gewählt. Die Verfassung “begnügt” sich mit der Feststellung, dass die Geschichte der ukrainischen Nation an sich besteht. Konkreter wird erst Art. 20 UV, der die Staatssymbole an die Herrschafftszeichen von Volodymyr dem großen und historischer Kosakenverbände anlehnt. Verbunden ist damit auch die Wertschätzung, die Überhöhung der Nation, ausgedrückt durch den Stellenwert, den die Präambel ihr einräumt.

Das Selbstbestimmungsrecht, dass dieser Nation als historischer, d.h. ihrerseits durch Tradition legitimierter, zukommt, berechtigt dann konsequenterweise auch zur Staatswerdung.

Daran anknüpfend enthält Art. 11 UV folgenden Programmsatz:

„Der Staat soll die Konsolidierung und Entwicklung der ukrainischen Nation, ihres historischen Bewusstseins, ihrer Traditionen und Kultur sowie die Entwicklung der ethnischen, kulturellen,, sprachlichen und religiösen Identität aller indigenen Völker und nationalen Minderheiten der Ukraine fördern.“

Der Begriff der Konsolidierung enthält die Vorstellung der Wiederherstellung bzw. der Vollendung der Nation. Diese ist aus Sicht der Verfassung durch die Existenz des ukrainischen Staates allein noch nicht vollzogen.

Die ukrainische Nation wird aus Sicht der UV also nicht als ein bestehendes Gebilde begriffen, sondern viel mehr als Ziel, als Ideal, das noch nicht erreicht ist. Nur so kann Art. 11 UV als integrative Staatszielbestimmung wirken. Hier tritt die nationalistische Vorstellung der Wiedererweckung der Nation, ihrer Wiederbelebung oder eben wie hier ihrer Vollendung zutage. Diese Vorstellung eignet sich, um Diskontinuitäten in der Staatswerdung, aber auch im Bestehen der Nation selbst “traditionskonform” zu überbrücken. Die Nation wird so mehr Zielutopie denn Bewahrungsidelogie, die Anknüpfungspunkte in der Geschichte können beliebiger und vor allem selektiver gewählt werden, die Existenz der Nation erfordert keine tatsächliche Kontinuität im Bestehen, da sie ja immer als noch zu vollende Idee existierte. Der Ausgangspunkt, das erstmalige Auftreten, wird zu einem frühen Zeitpunkt verortet. Selbst der Einwand, dass vor der Staatswerdung keine (vollendete) Nation bestand, kann das Legitimationskonstrukt nicht erschüttern. Die “ewige Substanz” der Nation wird durch einen (durch die Verfassung nicht näher definierten) Startpunkt in der Geschichte im Ergebnis ausreichend dargelegt.

II. Nation oder Volk – wer trägt den Staat?

Die Verfassung definiert das ukrainische Volk in ihrer Präambel als Einheit der “ukrainischen Bürger aller Nationalitäten”.

Spätestens Art. 11 UV (s.o.) macht aber deutlich, dass es innerhalb und neben der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Bürgerschaft gleichwelcher Nation, eine staatstragende ukrainische Nation geben soll, eine Gesamtheit von Ukrainern, die sich unabhängig von der Staatszugehörigkeit definiert. Diese ukrainische Nation wird durch die Gegenübersetllung mit anderen Teilen des Staatsvolkes “unübersehbar herausgestellt”.[6]

Der Anspruch, einen Staat zu schaffen, der sich aus einer ukrainischen Nation heraus entwickelt, tritt auch in Art. 12 UV deutlich hervor:

“Die Ukraine soll die Erfüllung der nationalen, kulturellen und sprachlichen Bedürfnisse von Ukrainern gewährleisten, die außerhalb der Staatsgrenzen leben.”

Hier wird direkt auf ein kulturell und sprachlich zu definierendes ukrainisches Volk abgestellt, dass sich nicht über den Umweg der Staatsbürgerschaft bildet, sondern ohne staatliches Zutun von vornherein existiert (“natürliche Substanz” der Nation). Der Fürsorgeanspruch des Art. 12 UV entspricht der Vorstellung, ein Nationalstaat vertrete die Interessen der Nation, nicht nur die seiner Bürger. Dieser Fürsorgeanspruch ist in der nationalistischen Legitimationskette notwendig, den nur so wird der ukrainische Staat durch Vertretung der gesamten ukrainischen Nation, durch den (mutmaßlichen) Willen dieser Nation, gerechtfertigt.

Der Formulierung der Präambel (“ukrainische Bürger aller Nationalitäten”) ist anzusehen, dass sie nicht mehr ist als eine Kompromissformel, die bemüht ist, die Position eines Nationalstaats mit der eines Mehrvölkerstaats zu vereinen. Im verfassungsgebenden Prozess standen sich als Vorschläge “das Volk der Ukraine” und “das ukrainische Volk” gegenüber.[7]

Von (überraschender ?) Aktualität ist folgende Analyse von Oliver Vorndran:

“Die Formulierung [der] Verfassung entspricht der ukrainischen Verfassungswirklichkeit, die ien Paradox der ukrainischen Nation widerspiegelt: Die Ukraine kann gegenüber Rußland ihre Existenzberechtigung am einfachsten aus der ethnischen und kulturellen Eigenständigkeit des ukrainischen Volkes ableiten, verfolgte aber stets eine andere Ethnien integrierende Nationalitäten- und Nationalstaatspolitik. Die gefundene Formel drückt auch aus, daß es in der Frage keine voluntaristische “Lösung” geben kann – die ein oder andere Variante bevorzugend – ohne die Einheit des Staates zu gefährden. Gelingt es dem ukrainischen Volk in Anerkennung dieser Paradoxie miteinander zu leben, dann kann diese additive Definition der ukrainischen Nation durchaus zu einer Erfolgsformel werden.”[8]

III. Kulturnationalismus und Sprache

Artikel 10 der Verfassung legt Ukrainisch als Staatssprache fest und enthält zugleich die Gewährleistungspflicht des Staates, die Entwicklung und Funktionsfähigkeit der ukrainischen Sprache auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens auf dem gesamten Staatsgebiet zu gewährleisten.

Die UV verwendet zur Beschreibung der die Nation konstituierenden Elemente ausschlich kulturelle (Sprache, Geschichte), nicht aber eine ethnische Komponente.[9] Die Legitimation wird auf die Kultur der Nation gestützt, umso wichtiger ist dadurch das Alleinstellungsmerkmal der Sprache für den Staat.

IV. Einfluss nationalistischer Kräfte – „nur Symbolik?“

Die Bemühung um Ausgleich zwischen nationalistischen und linken Kräften ist auch an anderer Stelle anzutreffen.

Ein Hauptaugenmerk der nationalistischen Kräfte im verfassungsgebenden Prozess lag auf den Staatssymbolen. Diese sollten nicht durch einfaches Gesetz, sondern durch die Verfassung selbst festgelegt werden. Dem gegenüber wünschte sich das linke Lager eine konkrete Beschreibung durch einfaches Gesetz.

Ergebnis ist Art. 20 UV. Staatssymbole sind Nationalflagge, Nationalwappen und Hymne. Farbe und Gestaltung der Flagge regelt Absatz II. Die übrigen Symbole werden nicht bis ins Detail geregelt. Ausgangspunkt ist das Staatswappen von Volodymyr dem Großen (Dreizack) und das Wappen der Saporoger Kosaken, die Melodie der Hymne wird vorgegeben. Die gewählten Symbole können als Beleg der Einheit des Staates mit der ukrainischen Nation verstanden werden, was die große Bedeutung der Festlegung und damit auch der Frage, ob durch Verfassung oder einfaches Gesetz, aus Sicht der Nationalisten erklärt.

Der Text der Hymne ebenso wie die konkrete Ausgestaltung der Wappen dagegen wird dem „einfachen“ Gesetzgeber erlassen – allerdings mit 2/3 Mehrheit. Insoweit lässt sich tatsächlich feststellen, dass die Regelung hauptsächlich “die Anschauung der Nationalisten reflektiert, aber dennoch der Linken entgegenkommt”[10]. Im Ergebnis ist dieses Entgegenkommen durch das qualifizierte Quorum und die Festlegung der Grundlagen der Staatssymbole in vorgenannter, die Einheit von Nation und Staat darstellenden Weise wohl eher als symbolischer zu bezeichnen.

V. Schlussbemerkung

Die Verfassung der Ukraine ist als vom Nationalismus geprägt zu bezeichnen. Dabei ist die Zerissenheit zwischen National- und Mehrvölkerstaat bzw. die kompromissartige Definition der Nation innerhalb der Verfassung ein Merkmal, das sie von den Verfassungen „klassischer“ Nationalstaaten abhebt.

[1] Entlehnt der Kurzdefinition bei Wehler, Nationalismus, Geschichte, Formen, Folgen, 3. Auflage 2007, S. 13.

[2]Von der Möglichkeit einer globalen Renaissance spricht Salzborn, in: Salzborn (Hg.), Staat und Nation, 2011, S. 11.

[3] Wehler, Fn. 1, S. 36.

[4] Wehler, Fn. 1, S. 36.

[5] Vorndran, Die Entstehung der ukrainischen Verfassung, 1. Auflage 2000, S. 321.

[6] Vorndran, Fn. 4, S. 321.

[7] Vorndran, Fn. 4, S. 297.

[8] Vorndran, Fn. 4, S. 297.

[9] Vorndran, Fn. 4, S. 322.

[10] Zum gesamten Abschnitt vgl. Vorndran, Fn. 4, S. 299.

Gedanken zum Thema „ukrainischer Nationalismus“

(Khrystyna Shlyakhtovska)

Wie wahrscheinlich viele ausländische Studierende habe ich zwei große Sorgen: ob ich frei nach Hause (ins Heimatland) und zurück fahren kann; und ob es meiner Familie dort gut geht. Als Studentin, die Wirtschaft und Jura studiert, würde ich diese Probleme folgendermaßen kategorisieren: Freizügigkeit und wirtschaftliche Lage eines Landes.

Als in der Ukraine am Ende des Jahres 2013 sozialpolitische Umwandlungen angefangen haben, habe ich mir über meine Freizügigkeit noch keine Sorgen gemacht. Eher habe ich mich darauf gefreut, dass in meinem Land eine solch große Bewegung und eventuell auch große Veränderungen stattfinden können. Euromaidan[1] könnte, zum Beispiel, dazu führen, dass in wenigen Jahren meine Eltern kein Visum brauchen werden, um mich zu besuchen.

Ich habe angefangen mir Sorgen zu machen, als der Euromaidan mehrere Monate still stand und aktiv von den Medien diskutiert wurde. Ab und zu (und immer öfter) wurde geschrieben, dass nationalistische Bewegungen einen wesentlichen Bestandteil und sogar eine der wichtigsten Lenkungskräfte des Euromaidan und entsprechend auch der sozialpolitischen Umwandlungen in der Ukraine sind. Dabei wurden diesem Nationalismus die schlechtesten Merkmale von nationalistischer Ideologie zugeschrieben. Die Frage meiner Freizügigkeit ist plötzlich offen geworden. Denn wenn dieser angeblich prägende Nationalismus tatsächlich eine ganz radikale Ausprägungen in meinem Land bekommt, darf ich nicht mehr nach Hause? Solche Menschen wie ich, Menschen, die im Ausland studieren, deren Freunde Ausländer und deren Verwandte Angehörige anderer Nationen sind, wären bei radikalen Nationalisten als Verräter angesehen. Und dann… ich weiß nicht, was dann passieren könnte. Folglich ist die Frage des Nationalismus in der Ukraine sehr wichtig für mich geworden. Welche Rolle spielt der Nationalismus also in der Ukraine?

Nach dieser ersten Frage kam noch eine. Was passiert, wenn tatsächlich Nationalismus in seiner radikalen Ausprägung in der Ukraine auf dem Vormarsch ist? Hat dann meine Familie weiter Mittel für die Lebensunterhaltung zur Verfügung? Welche ökonomischen Auswirkungen könnte ein mögliches Erstarken des Nationalismus in der Ukraine haben?

Um eine Antwort auf meine erste Frage zu finden, habe ich statistische Daten betrachtet. Die Umfragen, die ich gefunden habe, beziehen sich auf das ganze Land und seine Einwohner. Ihnen zufolge haben die „rechten“ Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl -Oleh Tjahnybok und Dmytro Jarosch – zusammen Unterstützung von maximal 3,7 % der Wähler. Die politischen Parteien dieser zwei Kandidaten: „Freiheit“ (Oleh Tjahnybok) und „Rechter Sektor“ (Dmytro Jarosch) haben zusammen die Unterstützung von 6-7 % der Wähler[2]. Diese Daten sind ein erstes Anzeichen dafür, dass die radikalen Nationalisten in der Ukraine gar nicht so eine große Rolle spielen, wie in Medien dargestellt.

Es erscheint mir auch sinnvoll auf die letzte Parlamentswahl in der Ukraine im Jahr 2012 Rücksicht zu nehmen. Damals hat die Partei „Freiheit“ noch 10,44 % Stimmen der Wähler bekommen[3]. Daraus kann geschlossen werden, dass die Unterstützung der „rechten“ Parteien in der Ukraine in den letzten eineinhalb Jahren gesunken ist. Radikaler Nationalismus scheint an Zustimmung zu verlieren.

Wenn Euromaidan in diesem Text als Lenkungskraft von sozialpolitischen Umwandlungen im Land genannt wurde, wäre es sinnvoll, die Beweggründe der Euromaidan-Aktivisten näher zu betrachten. Zu diesen gehörten:

–              Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit EU (seitens des Präsidenten);

–              Repressionen der Regierung gegen die Protestierenden;

–              die Bestrebung, zum Machtwechsel beizutragen;

–              der Wunsch, das Leben in der Ukraine zu verändern;

–              Gefahr, dass die Ukraine der Zollunion beitritt und sich Russland annähert; Rückzug der Demokratie;

–              Gefahr der Etablierung einer Diktatur[4].

Keine der genannten Gründe beinhaltet oder fußt auf nationalistischen Ideen. Darüber hinaus, würde ich persönlich vermuten, hat der radikale Nationalismus keine Chancen, sich in einem Land zu entwickeln, wo die Menschen für Demokratie und gegen Diktatur kämpfen.

Von den oben genannten Beweggründen haben 53,5 % der Befragten Euromaidan-Aktivisten die Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit EU genannt. Das Abkommen sah vor allem die Abschaffung der Zölle und attraktive Bedingungen für die europäischen Unternehmer in der Ukraine vor. Das sollte eine aktive wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ukraine und EU bedeuten. Der deutsche Publizist W. Pfreundschuh hat geschrieben: „Ideologisch und reel wäre er (Nationalismus) aber […] mit der Globalisierung des Kapitals längst überholt. Wer sein Geld international gut anlegen kann fragt nicht mehr nach Nationalität. Als Begriffe einer Konkurrenz verschiedener Staatswelten, die selbst nicht mehr abgeschlossen und klarumschrieben sind, hat Nationalismus kein Sinn.“[5] Bereits daraus würde ich schließen, dass wenn die Wünsche des Euromaidans erfüllt werden und Ukraine eine enge wirtschaftliche Kooperation mit EU hat, es in dem Land gerade keinen Platz für den radikalen Nationalismus gibt.

Also nach einer kurzen Untersuchung würde ich sagen, dass, wenn es oben beschriebenen radikalen Nationalismus in der Ukraine gibt, dann hat er eine untergeordnete und vorübergehende Rolle und wird ganz wenig von der Bevölkerung unterstützt. Ich mag aber denken, dass die Tendenzen der sinkenden Unterstützung des Nationalismus sich fortsetzen. Für mich bedeutet das, dass ich auch in Zukunft nach Hause und zurück fahren könnte.

In dem zweiten Beitrag, der nach der Reise vom AK Osteuropa in die Ukraine folgt, werde ich versuchen, meine zweite Frage zu beantworten: welche ökonomische Ausprägungen könnte ein mögliches Erstarken desNationalismus in der Ukraine haben?

Meine persönliche Leseempfehlung: Die Ukraine-Analysen: kompetente Einschätzungen aktueller politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklungen in der Ukraine, http://www.laender-analysen.de/ukraine/

[1]Euromaidan – eine große Volksversammlung der in der Ukraine wohnenden Menschen, die auf dem Platz in der Hauptstadt der Ukraine Kyiv ab dem 21.11.2013 bis zum 23.02.2014 stattgefunden hat. Führte zum Sturz des vorherigen Präsidenten V. Janukowitsch und sozialpolitischen Veränderungen in der Ukraine.

[2]Vgl. Ukraine-Analysen. Nr.131. 08.04.2014. S. 4-5. http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen131.pdf

[3]Vgl. Ukraine-Analysen. Nr.109. 13.11.2012. S. 11. http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen109.pdf

[4]Vgl. Ukraine-Analysen. Nr.128. 25.ß2.2014. S. 20 http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen128.pdf ; Vgl. Ukraine-analysen. Nr.125. 13.11.2012. S. 16. http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen125.pdf

[5] Pfreundschuh W., Nationalismus, http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=nationalismus