Auf den Spuren der Sudenten: Zappenland

von Michael Meißner 

Ausgehend von Jetřichovice (deutsch: Dittersbach) führte uns unsere Entdeckungstour auf den Spuren der Sudenten tief in die Felsenwelt, welche sich rund um den Ort erstreckt.

Bereits am Ausgang des Dorfes fasziniert uns ein imposantes Gebäude, welches den Eindruck eines ehemaligen herrschaftlichen Ansitzes vermittelt. Ein Schild verschafft jedoch schnell Klarheit: Es handelt sich um ein ehemaliges Kinder- und Erholungsheim, welches in den 1920er Jahren durch die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei begründet wurde. Es diente der Erholung von Kindern aus Industriegebieten, so dass auch sie in den Genuss von Natur und frischer Luft kamen. Diesen Zweck erfüllt es auch noch bis zum Jahr 2005, danach verkaufte der tschechische Staat das Objekt an einen privaten Investor. Seitdem ist es leider zunehmend dem Verfall preisgegeben.

Auffällig sind insbesondere zwei Objekte in der Dittersbacher Felsenwelt, zum einen der Marienfels (Mariina Skála), mit einer Schutzhütte die wie ein Adlernest hoch oben auf einen Felsen platziert ist und der Rudolfstein (Rudolfův kámen), mit einer nicht weniger imposanten Hüttenkonstruktion, jedoch etwas außerhalb der Sichtachsen.

Aufstieg zum Rudolfstein

Der Rudolfstein

Marienfels

Beide wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Mitgliedern des böhmischen Adelsgeschlechts Kinsky benannt, deren Wurzeln bis in das 13. Jahrhundert zurück reichen. Nach der Auflösung des Habsburgerreiches und der Gründung der 1. Tschechischen Republik wurden viele ihrer Besitztümer enteignet. Der übrige Teil ging nach dem 2. Weltkrieg im Zuge der Verstaatlichung auf der Grundlage der Beneš-Dekrete verloren.

Von beiden Felsen bietet sich eine umfassende Panoramaaussicht, die weit über das Zappenland hinaus reicht. Aber es sind vielfach auch die kleineren, weniger spektakulären Details auf dem Wege, die unsere Neugier hervorriefen.

So befindet sich beispielsweise am Weg zwischen Marienfels und Rudolfstein ein sehr großer Felsüberhang, namens „Balzers Lager“.

Balzers Lager

Ob der Name wirklich daher stammt, dass es sich hierbei um einen regelmäßigen Treff- und Rastpunkt von Jägern gehandelt hat, lässt sich heute nicht mehr prüfen. Dennoch erscheint diese Herleitung naheliegender als daraus Rückschlüsse auf einen Biwak schwedischer Truppen während des Dreißigjährigen Krieges zu führen. Für die erste Deutung spricht eine alte Inschrift an der Felsenwand:

„Anno 1632 am Tage S. Johannis Seind dagelegen G.M.V. – M.V. – J.F.G. – A.N.“

Eine weitere Felsinschrift wurde von der 18. Versammlung deutscher Forst- und Landwirte am 15. September 1856 in den Fels gemeißelt: 

Wer ist Meister? Der was ersann. Wer ist Gesell? Der was kann. Wer ist Lehrbursch? Jedermann.“  

Nicht weit davon entfernt, tief im Wald und fernab anderer Dörfer, befindet sich unser eigentliches Etappenziel – die Balzhütten (Na Tokáni).

Diese kleine Siedlung, bestehend aus wenigen Blockhütten, hat ihren Ursprung in Jagdgattern, die im Auftrage der Fürsten von Kinsky unterhalten wurden. In ihnen wurde Wild in einem umzäunten Areal gehalten, um es zu gegebenem Anlass bequem jagen zu können. Ein kleiner, sechs Meter über dem Boden in den Felsen gehauener Raum diente hierbei als sicherer Unterstand für die Forstknechte. Später wurde dieser durch ein einfaches Jagdhaus abgelöst. Im Laufe der Jahrhunderte kamen weitere Gebäude hinzu, welche den Grundstock für die heutige Siedlung bildeten, die auch durch ihre landschaftliche CShönheit zunehmend Gäste anzog.

Na Tokani

Laut dem Schriftsteller Albert Emil Brachvogel soll auch Friedemann Bach, der Sohn des weltbekannten Komponisten Sebastian Bach, als „Aussteiger“ die Umgebung der Balzhütten besucht und hier einem „ungebundenen Leben“ geführt haben

Ab 1904 erfolgte eine umfassende Renovierung und Erweiterung der Siedlung. In den Jahren bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges erfreuten sich die Balzhütten zunehmender Popularität. Die Anzahl der Ausflügler und Besucher stieg stetig an.

Na Tokani

Der Besuch von Lord Walter Runciman im Sommer 1938 hatte weniger touristischen Charakter, sondern resultierte aus der Zuspitzung des Konfliktes rund um die sudetendeutschen Gebiete in der Tschechoslowakei. Runciman war im Auftrag der britischen Regierung unter Chamberlain in der Tschechoslowakei unterwegs und sollte in der „Sudetenkrise“ vermitteln. Im Zuge dessen traf er sich bei den Balzhütten mit dem Fürsten Ulrich Ferdinand Kinsky. 

Welche konkreten Auswirkungen dieses Treffen hatte, muss offenbleiben. Mit dem Münchner Abkommen vom September des gleichen Jahres wurde jedoch auch dieser Teil der Sudetengebiete durch das nationalsozialistische Deutschland annektiert. 

Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs fand die touristische Nutzung der Balzhütten ein jähes Ende. Die einheimische Bevölkerung wurde vertrieben und bis zum Jahr 1968 dienten die Gebäude als Unterkünfte für die tschechoslowakischen Grenztruppen. Im Anschluss daran, wurde das Areal als Betriebsferienheim genutzt, seit 1990 befinden sich die verschiedenen Gebäude in privater Hand.  

Mittlerweile hat auch die Bedeutung als touristisches Ziel wieder deutlich zugenommen. Und wer hier nicht nur in einer Schankwirtschaft einkehrt, sondern sich auch die Zeit nimmt, die Umgebung zu erkunden, wird vielfach Zeugnisse der Geschichte entdecken.

Rückweg nach Vysoka Lipa

Alle Fotos dieses Beitrags: Michael Meißner.

„Eine erinnerungskulturelle Zerreißprobe: Wie das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung ein neues nationalukrainisches Narrativ konstruiert“ von Christian Hörbelt

Christian Hörbelt studierte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) im Master European Studies mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Er ist Mitglied des AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung und hat für die Ukraine Analysen (Nr. 193 vom 13.12.2017) eine Zusammenfassung seiner spannenden Abschlussarbeit verfasst, auf die wir hier gerne hinweisen.

Der Text setzt sich mit der Konstruktion eines nationalukrainischen Narrativ seitens des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung auseinander. Was das für den Dialog mit Russland und den post-sowjetischen Republiken bedeutet, könnt ihr hier (auf den Seiten 11 bis 15) nachlesen.

Il’ja Kalinin: Antirevolutionäre Revolutionserinnerungspolitik (Beitrag der Zeitschrift Osteuropa)

In diesem Jahr jährt sich die russische Oktoberrevolution zum 100. Mal. Die Zeitschrift Osteuropa widmet sich in ihrer Ausgabe 6-8/2017 der Revolution und wie immer ist ein Beitrag online nachzulesen. Il’ja Kalinin beleuchtet darin die Herausforderung, vor der Russlands Führung steht, wenn sie an die Oktoberrevolution und Geschichte Russlands erinnern will, gleichzeitig aber „Revolutionen als solche ablehnt“. Den Link zum Volltext des Artikels findet ihr hier: https://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2017/6-8/antirevolutionaere-revolutionserinnerungspolitik/

 

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Gibt es einen „hybriden Krieg“? Zu den sicherheitspolitischen Implikationen aus der inflationären Verwendung des Begriffs seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise. Eine Hausarbeit von Elen Budinova

Einleitung: Die Krim-Annexion im März 2013 und die darauffolgende Unterstützung prorussischer separatistischer Kräfte in den östlichen ukrainischen Verwaltungsbezirken Donezk und Luhansk seitens Russlands haben zu einem krisenhaften Zustand der Ukraine geführt. Ferner lässt sich seit dem Ausbruch der Krise ein quantitativer Anstieg der wissenschaftlichen, militärstrategischen und journalistischen Auseinandersetzung mit dem Thema „hybrider Krieg“ beobachten. Der Begriff zeichnet sich durch eine gefährliche Schattenhaftigkeit aus, die die Verwischung der Grenzen zwischen Krieg und Frieden impliziert (vgl. Schmid 2016: 115). Diese unscharfen Trennlinien manifestieren sich in einer dynamischen und kreativ synchronisierten Mischformel aus vielfältigen Arten der Kriegsführung, wobei traditionell als nicht-militärisch begriffene Methoden zum Ziel der Destabilisierung von der gegnerischen Partei einen hohen Stellenwert einnehmen (vgl. Hoffman 2007: 14).

Hybridität ist heutzutage zu einem Schlagwort geworden, das als eine Diagnose von den neusten sicherheitspolitischen Herausforderungen im Zentrum der Debatte um den Formenwandel der Kriegsführung im 21. Jahrhundert platziert wird. Im gleichen Atemzug wird das russische Vorgehen während der andauernden Ukraine-Krise als Leitbild der Implementierung einer „hybriden“ Strategie im öffentlichen Diskurs der NATO-Staaten präsentiert. Dabei wird Kremls Strategie mit sowohl verdeckter militärischer Involvierung als auch der Verbreitung von Desinformationen zum Zweck der Meinungsmanipulation in Verbindung gebracht. Die militärischen, zuerst auf der Krim und dann auch im Osten der Ukraine stationierten Kräfte ohne Hoheitsabzeichen- die nach der Farbe ihrer Uniform ironisch genannten „grünen Männchen“ (vgl. Giegerich 2016: 65) – sowie die im Internet operierende Propagandamaschinerie des Kremls, nämlich „Putins Troll-Armee“, dienen als Versinnbildlichung der russischen Taktik. Auf dem ersten Blick scheint die Subsumierung russischer Aktionen unter dem analytischen Rahmen des Konzepts vom „hybriden Krieg“ eine logische Interpretation zu sein. Sie hat auch zu einer Kettenreaktion der Verabschiedung von neuen strategischen Entwürfen in den Nordatlantikpakt Organisation (NATO)-Kreisen zum Zweck der zeitnahen Implementierung von Gegenmaßnahmen beigetragen (vgl. ebd.). Im Gegensatz dazu wird der Westen als ein „hybrider“ Akteur, der Länder mit Hilfe von Regimestürzen destabilisiert, in Russland betrachtet (vgl. Gerassimow 2017).

Das exponentielle Wachstum der Anzahl an Publikationen rund um das Thema „hybrider Krieg“ bedeutet aber nicht unzweifelhaft, dass die Qualität der darin ausgeführten Analysen auf so einem hohen Niveau ist wie ihre Quantität. Zu den Hauptaufgaben einer kritischen  Wissenschaft zählt, im menschlichen Verstand etablierte Konstrukte näher zu untersuchen und ferner sie auch zu hinterfragen, damit keine irreführenden Schlussfolgerungen gezogen werden, die potentielle negative Konsequenzen hervorrufen könnten. Von dieser Überzeugung ausgehend, fällt der Forschungsfokus in der vorliegenden Arbeit auf die kritische Diskursanalyse des verbreiteten Gebrauchs vom Begriff „des hybriden Krieges“ seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus folgenden Implikationen für die Rekonstruierung von Legitimationswegen, die sicherheitspolitische Maßnahmen rechtfertigen. Die Untersuchung erfolgt in drei Schritten, die auf die Beantwortung der folgenden Forschungsfrage konzentriert ist:

Warum ist es (un)angemessen, den Begriff „des hybriden Krieges“ in sicherheitspolitischen Debatten aufzunehmen?

In Anbetracht des Forschungsvorhabens werden nicht nur durchgängige Interpretationen von Vertretern des Konzepts, sondern auch kritische Analysen als Literaturquellen benutzt. Sowohl Beiträge von Militärstrategen als auch von Analytikern in Bereichen der politischen Beratung, Vermittlung und Forschung kommen infrage, damit eine Skizzierung der sicherheitspolitischen Diskursen in NATO-Staaten und in Russland ermöglicht wird und entgegengesetzte Positionen bezüglich der Forschungsfrage gegenübergestellt werden.

Im Kapitel 2. wird die Genese vom Begriff des „hybriden Krieges” verfolgt. Dabei werden sicherheitspolitische Herausforderungen im 21. Jahrhundert thematisiert. Parallel dazu erfolgt eine grobe Darstellung der Charakteristiken von einigen Kriegsführungsformen, die in der Definition „des hybriden Krieges“ auch präsent sind, sowie eine kurze Vorstellung von thematisch verwandten Konzepten, die sich auch zu der Erforschung eines aktuellen Kriegswandels bekennen. Danach werden Kernaussagen aus der Definition vom „hybriden Krieg“ dargestellt und ferner im Unterkapitel 2.3. kritisch im Hinblick auf ihre Implikationen für die internationale Sicherheit betrachtet.

Nach dem theoretischen Überblick erfolgt die empirische Untersuchung der Debatten in NATO sowie in Russland mit Rücksicht auf die Adoption vom Begriff „des hybriden Krieges“ in entscheidungspolitischen und militärstrategischen Prozessen. Dadurch wird sich feststellen, wie das theoretische Konzept an empirisch untersuchende Legitimationsnarrative zum Zweck der Adoption von sicherheitspolitischen Reformen und neuen Militärstrategien nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise angepasst wird. Im Unterkapitel 3.3. wird eine alternative Sichtweise angeboten, die die aufgestellten Thesen sowohl im westlichen als auch im russischen Diskurskontext zu widerlegen in der Lage ist und die Angemessenheit der bereits verabschiedeten sowie zukünftig geplanten sicherheitspolitischen Maßnahmen in NATO-Ländern und in Russland kritisch evaluiert.

Der darauffolgende analytische Teil beschäftigt sich mit der Ausführung der Ergebnisse aus den oben dargestellten Untersuchungslinien. Es geht um die Bestimmung der Kapazität vom Konzept „des hybriden Krieges“ zur Erklärung der Konfliktdynamiken in der Ukraine sowie um kritische Schlussbemerkungen im Zusammenhang mit einigen im Laufe der Diskursen- Analyse identifizierten Problemstellungen aufgrund der unbedachten Begriffsverwendung.

Weiterlesen: Elen Budinova_Gibt es den hybriden Krieg?

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Call for Papers (and Presentations) für Konferenz „Self-positioning of Eastern European Societies in Global Relations“

Bis zum 25. August könnt ihr eure Paper für die Konferenz Self-positioning of Eastern European Societies in Global Relations
– Conceptions of Space and Self-presentations in School Textbooks, die am 6. und 7. November 2017 in Leipzig stattfindet einreichen.

 

Den Link zur Ausschreibung findet ihr hier: https://www.joe-list.de/2017/08/cfp-self-positioning-of-eastern-european-societies-in-global-relations-6-7-11-17-leipzig/