2 Fäuste für …

(Tobias Endrich)

Normalerweise sind Finanzminister selten für ihre Freigiebigkeit bekannt. Ein ungewollt im Netz gelandetes Filmchen aber zeigt den tschechischen Finanzminister Miroslav Kalousek, wie er großzügig austeilt.

Am 21.9.2011 reagierte er auf die verbale Attacke eines unzufriedenen Bürgers vor dem Parlamentsgebäude mit zwei Ohrfeigen. Der Zeitung Lidové noviny sagte er, er habe nicht als Minister zugeschlagen – sondern „als älterer Herr“, der auf der Straße vulgär angegriffen wurde. Das junge Opfer bezeichnete Kalousek laut eigener Aussage als „Verbrecher, der längst hinter Gitter“ gehöre. Kalousek nannte die Tätlichkeit damals eine „Erziehungsmaßnahme“. Der Körpereinsatz des Ministers wurde im Dezember letzten Jahres in einem verkürzten Ordnungswidrigkeitsverfahren mit der Höchststrafe von 1000 Kronen (40 EUR) geahndet.

Am 4.2.2012 gelangte die Tageszeitung Blesk an das Video und veröffentlichte es auf ihrer Internetseite. Zu sehen ist, wie der Minister nach einem kurzen verbalen Austausch zweimal zuschlägt. Die Frage, wie das Video, das auf youtube bereits über 100.000 mal angeklickt wurde, in die Öffentlichkeit gelangte, bleibt offen.

100 Bücher – kultureller Klebstoff für die russische Nation?

(Kristin Kretzschmar)

Aktuellen Meldungen zufolge plant der russische Präsident Putin die Ausarbeitung einer umfangreichen Bücherliste, deren Lektüre für jeden russischen Schüler verpflichtend werden soll. Ein solcher Lesekanon im Rahmen der Schulbildung erscheint zunächst wohlbekannt, doch diese Liste ist aufgrund von Umfang und Hintergrund der Idee doch außergewöhnlich.

Vor einer Woche erschien in der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta ein programmatischer Artikel Putins zum Nationalitätenkonflikt. Hierbei erklärt Putin welche Rolle der russischen Kultur in der Beilegung dieses Konflikts zukommt. In dem umfangreichen Schriftstück erwähnt Putin auch die Zusammenstellung einer Liste mit 100 Büchern, die jeder Schüler gelesen haben muss. Allerdings soll dies nicht im Rahmen des Unterrichts geschehen, sondern im Selbststudium. Überprüfung erfolgt dann in Essays, Prüfungen oder Schülerwettbewerben. Putins Erklärung hierzu lautet: „Die Aufgabe des Bildungswesens besteht darin, einem jeden den absolut obligatorischen Umfang an humanitärem Wissen zu vermitteln, der die Grundlage der Selbstidentifizierung eines Volkes darstellt. In erster Linie muss es um eine Verstärkung der Rolle solcher Fächer wie russische Sprache, russische Literatur und russische Geschichte im Bildungsprozess gehen – natürlich im Kontext des gesamten Reichtums der nationalen Ideen und Kulturen“.  An anderer Stelle wird dann aber darauf verwiesen, dass mit dieser Liste die Dominanz der russischen Kultur erhalten werden soll. Hierbei gilt es zu bedenken, dass in Russland 160 verschiedene Völker leben. Kann in dieser Konstellation ein staatlich diktierter Lesekanon die Schüler auf die russische Nation einschwören? Die Sprache und Kultur die in diesen Büchern vermittelt werden, sollen laut Putin diese Völker zusammenhalten und letztendlich einen Staat bilden „in dem es keine nationalen Minderheiten gibt“.

Kritiker warnen: „Social engineering through state mandated literature: Nothing else that Putin has done has been quite so nakedly Soviet in its desire to manipulate the human intellect into docility.“  Was meint ihr: Social Engineering oder Erfüllung des Bildungsauftrages? Welche Erinnerungen habt ihr an den Lesekanon der Schule?

Von Jägern und Sammlern – und dem tschechischen Lotteriegesetz

(Tobias Endrich)

Im Januar beginnt in Tschechiens Gemeindezentren und Bürgerhäusern die  Zeit der Bälle – Feuerwehrball, Jägerball, Studentenbälle. Das hat Tradition. Zu dieser gehört neben Polka und Ballkleid als unbedingtes Highlight die Tombola.

Die zu später Stunde errungene Wurstkette, der Kräuterlikör mit Schleife eignen sich – je nach Verwendung – bei Lospreisen um die 10 Kronen zur Kostenminimierung des Abends  oder Schadensbekämpfung am nächsten Morgen.

Ein Fall für gesetzgeberische Betätigung im Sinne eines verstärkten Zockerschutzes also? Laut dem neuen Lotteriegesetz – ja.

Wo früher 10% des Verkauspreises der Lose abgeführt wurden, werden jetzt 20% fällig – plus eine zusätzliche Zahlung von 5000 Kronen im Vorraus. Das ärgert nicht nur die Feuerwehrmänner, die den überschaubaren Gewinn in der Regel sinnvoll einzusetzen wissen – z.B. im Bereich der Jugend. Auch das Finanzministerium ist nicht wirklich glücklich über das „Versehen“ im Gesetzgebungsverfahren und unterbreitete der Regierung bereits eine Gesetzesänderung, die ab 2013 gelten soll. Für die diesjährige Ballsaison bringt das natürlich wenig.

 

Deutsch-tschechischer Studentenball in Pilsen, Bildquelle: www.sojka.cz                 

 

So kommt es zu dem nicht nur in Tschechien selten auftretenden Phänomen, dass der Staat seinen Bürgern Tipps zum Steuersparen gibt. Mit den Feuerwehren und Jägern möchte es sich eben niemand verscherzen. Ein Tip besteht darin, den Preis für ein Los einfach auf den Eintritt zu schlagen, die Eintrittskarte ist dann gleichzeitig die Losnummer. Auch können sich Feuerwehr, Jäger- und Gärtnerverein zusammentun, um für ihre Tombolas gemeinsam nur einmal die 5000 Kronen zahlen zu müssen.

Grund für die harte Vorgaben des Gesetzes ist tatsächlich nicht die Kaffeemaschine oder die Bonboniere, sondern ein „weihnachtlicher Galaabend“ in Brünn/Brno vor zwei Jahren, an dessen Ende ein Regionalpolitiker einen fabrikneuen Ford Fiesta mit nach Hause nehmen durfte; sein Parteifreund gewann eine all-inclusive Reise nach Ägypten.

Preis für ein Los: 300 Kronen.

Gedenken an Vaclav Havel

(Kristin Kretzschmar)

Dissident und Präsident, Schriftsteller und moralische Führungsrolle. Dies ist nur ein Teil von dem, was Tschechen mit Vaclav Havel verbinden. Viele haben Erinnerungen oder Geschichten, die in direkter Verbindung zu Havels Person oder seinem Wirken stehen. Seit seinem Tod am Sonntag (18.12.2011) tauschen sie sich über diese Erinnerungen aus und gedenken einer großen Persönlichkeit. Aus diesem Anlass werden auch hier verschiedene Gedanken und Erinnerungen lose zusammengefasst.

Schon am Sonntag kurz nach Bekanntwerden des Todes, wurden in verschiedenen sozialen Netzwerken zu  Treffen und Andachten an zentralen Plätzen der Samtenen Revolution aufgerufen. Zum entsprechenden Facebook  Aufruf meldeten sich mehr als 800 Teilnehmer an. Tatsächlich waren es mehr.  Dieses Video stellt die Atmosphäre  in der Stadt am Sonntagabend dar.

2009 erhielt Vaclav Havel den Internationalen Demokratiepreis. In der Rede anlässlich der Verleihung, äußerte sich der damalige  Außenminister Frank Walter Steinmeier wie folgt: Er steht wie kaum ein anderer für den Geist, der 1989 geprägt hat: unerschrockener Bürgersinn, Glaube an das befreiende Wort, eine gesamteuropäische Perspektive, die Ideologien, Blöcke und Mauern sprengt.“ Und weiter Und wir spürten, dass dort im Osten die Stimme der Demokratie und der Freiheit mit neuer Kraft und Frische erklang. Eine Stimme der Demokratie und der Freiheit, die in kaum jemandem einen klareren Ausdruck fand als in Ihnen, lieber Vaclav Havel.“

Laut Auswärtigen Amt würdigte Westerwelle Havel mit folgenden Worten: „Wir trauern um einen großen Europäer, einen Wegbereiter der europäischen Wiedervereinigung, einen großen Staatsmann und einen bedeutenden Bürgerrechtler. Wir Deutschen haben Václav Havel viel zu verdanken.“

Die Frankfurter Allgemeine kommentiert seine Haltung zu Politik und seine Aufstieg wie folgt: „ Politik definierte er als ‚Moral in Aktion‘, als ‚die Kunst, sich selbst und die Welt besser zu machen‘. Die platonische Auffassung der Wahrheit als Staatszweck ordnete er ein in die ‚Tradition von Kyrill und Method über Hus bis zu Masarýk, Stefaník und Patočka‘. In den Augen der Tschechen schloss sich ein Kreis: auf den ‚Philosophen-Präsidenten‘ Masarýk am Anfang des Jahrhunderts folgte der ‚Schriftsteller-Präsident‘ Havel an seinem Ende.“

Laut News24 ehrte Obama Havel mit folgenden Worten; „Having encountered many setbacks, Havel lived with a spirit of hope, which he defined as ‚the ability to work for something because it is good, not just because it stands a chance to succeed‘.“ Verschiedene Quellen vermuten, dass Obama zur Beisetzung am Freitag (23.12.2011) anreisen wird.

Schon in der Vergangenheit hat ein bestimmtes Zitat Havels vielen Trauernden über ihren Schmerz hinweg geholfen (So wurde es beispielsweise in der Traueranzeige Robert Enkes verwendet): „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht„. Nun hilft es auch denen, die um Havel trauern.

Die bulgarischsprachigen Muslime nach 1989

Die Minderheit der bulgarischsprachigen Muslime, die so genannten Pomaken, besiedelt weitgehend konzentriert das Pirin-Gebirge und die Rhodopen sowohl auf griechischem als auch auf bulgarischem Territorium. Dazu existieren kleinere Siedlungsräume um Loveč und Teteven in Nordbulgarien. Trotz einiger Differenzen in der Literatur kann von etwa 250.000 in Bulgarien sesshaften Personen ausgegangen werden. In der Türkei als auch in Mazedonien leben weitere Vertreter dieser Minorität, deren Zahl sich jedoch nur schwer bestimmen lässt.
Seit der Gründung des modernen bulgarischen Staates im 19. Jahrhundert waren die Pomaken immer wieder ein „trinationales Streitobjekt“. Sowohl Bulgarien als auch Griechenland und die Türkei waren bestrebt, die Pomaken zu instrumentalisieren bzw. zu assimilieren.
Während an anderer Stelle einige Überlegungen zu ihrer Herkunft angestellt wurden, gibt dieser Artikel einen kurzen Überblick über die Entwicklung in Bulgarien nach dem Jahr 1989. Es handelt sich hierbei um eine leicht veränderte Fassung eines Vortrages an der Karls Universität Prag aus dem Jahr 2005.
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