Zwischen Einschusslöchern und Dolma – ein Kurzbesuch in Bosnien und Herzegowina

(Alice Greschkow)

Geografisch gar nicht so weit weg, doch im Kopf auf einem anderen Stern: Bosnien und Herzegowina. Im Mai 2013 hatte ich die Gelegenheit für zehn Tage in das Balkanland zu reisen, das zwischen dem jüngsten EU-Mitgliedsstaat Kroatien, Serben und Montenegro liegt, um Interviews für meine Bachelorarbeit durchzuführen.  Einige Beobachtungen, die ich machen konnte, werde ich im Folgenden darlegen.

Nach der Landung auf dem kleinen Flughafen Sarajevos fällt zuallererst die Landschaft auf – waldbedeckte Bergketten und grüne Wiesen erstrecken sich durch das Land und die kleinen Einfamilienhäuser am Stadtrand zeichnen ein Bild, das bekannt ist aus anderen Balkanländern: man versucht sich ein kleines, hübsches und sicheres Reich aufzubauen. Liebevolle Details werden in Gärten und Dekorationen eingearbeitet, sodass man sich zu Haus wohl fühlen kann.

Zu Haus – ein gar nicht so einfacher Begriff in Bosnien und Herzegowina. Unvergessen ist der Krieg in den 1990-ern, bei dem zehntausende Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen. Viele verließen das Land, wurden aus ihren Häusern vertrieben oder flohen auf der Suche nach Sicherheit – in ihre Häuser konnten sie später selten zurück. Inzwischen scheint sich die Lage normalisiert zu haben.

Besonders Sarajevo überzeugt durch Vielfalt und Sehenswürdigkeiten. Im Stadtkern kann man orthodoxe und katholische Kirchen, aber auch Moscheen und eine Synagoge finden. Die Religionen scheinen tatsächlich nebeneinander existieren zu können, über die alten Konflikte, die mit Religion und ethnischer Zugehörigkeit in Verbindung stehen, will keiner reden, besonders die jungen Menschen nicht.

Sarajevo blüht bei gutem Wetter auf – die Straßen, Cafés und Plätze im Zentrum sind voller Menschen, die ihren Nachmittag in der Sonne genießen wollen. Das Zentrum bietet eine interessante Symbiose zwischen einem alten und traditionellen Teil, in dem kleine Häuschen, traditionelle Cafés und Kebab-Buden aufzufinden sind, und einem modernen City-Teil, der so aussieht wie in jeder größeren Stadt in Europa: Bekleidungsketten und schicke Restaurants dominieren im neuen Teil des Zentrums.

Leider kostet dieser moderne Einfluss auch etwas Charme, denn selbst im traditionellen Bereich hat man das Gefühl, man sei in einem Touristenort – zu viele Postkarten- und Souvenirstände stechen hervor. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Backpacker auf den Geschmack gekommen und wollten die „fremde Nähe“ besuchen, daher ist es verständlich, dass die Bewohner dies auskosten wollen, besonders in Anbetracht der schwachen wirtschaftlichen Lage.

Geschmack ist ein gutes Stichwort: wer gerne und gut isst, wird in Sarajevo auf keinen Fall verzweifeln, allerdings sollte man sich vorher auf Touristenseiten wie tripadvisor.com einige Tipps anschauen, denn die touristenlockenden Angebote wie Kebabtaschen, Börek und der Touri-Version der traditionellen Küche sind nach einigen Tagen eintönig. Die landestypischen Gerichte sollten dennoch probiert werden – bspw. die Dolma. Man bekommt gefüllte Weißkohlblätter mit Hackfleisch und Reis in Sauce, wenn man dieses Gericht bestellt, allerdings gibt es auch andere Varianten: gefüllte Paprika, gefüllte Zwiebel, gefüllte Weinblätter. Auch die Süßigkeiten wie Baklava, Lokum,  Halva und Kadayif, die manch einer aus dem Türkei-Urlaub kennt, gibt es in der bosnischen Version in vielen Cafés zum bosnischen Kaffee. Vegetariern und Reisenden mit besonderen Vorlieben empfiehlt sich allerdings tatsächlich ein Blick in einen Reiseführer.

Es ist allerdings wirklich nicht alles do friedlich, wie ich es bisher beschrieb. Das Stadtbild ist bei genauem Hinsehen noch immer von den Spuren des Krieges gezeichnet: Einschusslöcher an Fassaden von Gebäuden im Zentrum, die die Häuser nahezu durchsiebt haben, sind noch immer deutlich erkennbar – wohlmöglich wurden sie auch beabsichtigt nicht beseitigt, um weiterhin an die Kriegsverbrechen zu erinnern. Auch die so genannte „Sarajevo Rose“ fällt nach wiederholtem Spazieren durch die Innenstadt auf – es handelt sich dabei um kleine Löcher im Bodenbelag, die oft durch Granatsplitter verursacht wurden. Die Bewohner haben diese Stellen mit rotem Harz gefüllt,  um daran zu erinnern, dass an diesen Stellen Menschen ums Leben gekommen sind. Diese Stellen erinnern ein wenig an rote Rosen, allerdings auch an Blutspuren, was ein unglaublich beklemmendes Gefühl hinterlässt.

Noch immer sieht man auch Graffitis mit der Aufschrift „Don’t forget Srebrenica“, die offensichtlich gegen das Vergessen des Massakers im Jahr 1995 wirken sollen. Allerdings gibt es auch Graffitis, die „Gleichheit“ fordern. Insgesamt bekommt man das Gefühl, dass – vielleicht unbewusst – Sarajevo eine politische Stadt ist. Die politische Lage ist zwar noch immer von ethno-nationalistischen und populistischen Strömungen dominiert, es gibt Probleme mit Minderheiten und der Verfassung, allerdings wollen besonders junge Menschen zu einer progressiven Entwicklung beitragen. Die Lasten des Krieges, seien es persönlicher Verlust oder erschwerte Aufstiegschancen, sind  zum Teil aber auch bei der Generation zu merken, die den Krieg gar nicht miterlebt hat.

Die ethnische Teilung ist nicht nur innerhalb des Landes zu spüren, sondern auch in Sarajevo. Das Land Bosnien und Herzegowina besteht aus den drei Gruppen der bosnischen Kroatinnen und Kroaten (römisch-katholisch), der Bosniakinnen und Bosniaken (moslemisch) und den bosnischen Serbinnen und Serben (orthodox). Ebenfalls gibt es Roma und eine jüdische Gemeinde.

Innerhalb des Landes gibt es manchmal noch immer Konflikte anhand der Trennlinien der verschiedenen Gruppen und auch in Sarajevo ist es ein auffälliges Statement, dass der östliche (bosnisch-serbische) Teil der Stadt kyrillische Schriftzeichen benutzt, im Gegensatz zum Rest der Stadt, in dem die lateinischen verwendet. Die Religion gilt in der Provinz bis heute als Trennungsmerkmal.

Ich bin mit dem Auto in die naheliegenden Städte Visoko und Zenica gefahren. Auf dem Weg dorthin, fallen die verlassenen Fabriken aus jugoslawischer Zeit auf, aber erneut auch die Teilung des Landes, denn Eigenbezeichnungen der Gruppen oder die unterschiedliche Verwendung von Schriftzeichen, ist oft ein klares Anzeichen der Abgrenzung.

Interessant war es zu sehen, dass in Zenica, genauso wie in Sarajevo, eine riesige Shopping-Mall steht. Ich habe mir sagen lassen, diese Einkaufszentren seien gute Geldwaschmaschinen, denn die Korruption ist weiterhin eine belastende Hürde auf dem Weg zur Stabilität des Landes.
Insgesamt bekam man den Eindruck in Bosnien und Herzegowina, dass es ein unglaublich komplexes Land ist, was nicht zuletzt an der schwierigen Geschichte und der politischen Situation liegt, der vor allem Ethno-Nationalismus schwer wiegt. Damit eine Entwicklung möglich ist, bedarf es noch viel Zeit und Geld, vielleicht aber auch wieder ein wenig mehr Beachtung der internationalen Gemeinschaft, schließlich haben nach dem Krieg neben der damaligen Konfliktparteien auch Ex-US-Präsident Bill Clinton, Alt-Kanzler Helmut Kohl und auch der ehemalige französische Präsident Jaques Chirac den Friedensvertrag, das sog. Dayton-Abkommen, als amtierende Staatsoberhäupter unterzeichnet, allerdings ist das Interesse dieser Länder lange abgesunken.