Am 23. Oktober 2018 fand das 19. Deutsch-Polnische Forum in Berlin statt. Paula Lange war vor Ort und hat die Eindrücke der Veranstaltung zusammengefasst.
„Deutschland und Polen – gemeinsam für ein starkes Europa“ – so lautete der Titel des diesjährigen Deutsch-Polnischen Forums in Berlin. Wie „gemeinsam“ und „stark“ die deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2018 aussehen, sollte im Laufe des Tages mehrmals in Frage gestellt werden. Zunächst wurden im Rahmen einer Eröffnungsdiskussion zwischen polnischen und deutschen Politiker*innen die hervorragenden wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder betont. Daraus resultiere eine starke Partnerschaft, die auch Streitigkeiten ertragen könne, welche beispielweise im Rahmen dieses Forums auf Augenhöhe diskutiert und besprochen werden könnten. Zu den positiven Errungenschaften der letzten 25 Jahre zählt laut der Generalkonsulin in Danzig, Cornelia Pieper, besonders der lebendige, zivilgesellschaftliche Austausch zwischen den Nachbarländern.
Neben diesen positiven Unterstreichungen nutzten die Politiker*innen die Eröffnungsdiskussion jedoch vor allem für Kritik: Der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan kritisierte, dass es beim diesjährigen Treffen kein „junges Forum“ gäbe, das die Stimme der jüngeren Generation repräsentieren würde. Diese sollten öfter angehört werden, auch wenn Politiker*innen dazu neigen würden, sich vor allem gerne selbst beim Reden zuzuhören. Diese Aussage stieß vor allem bei den jüngeren Teilnehmer*innen im Publikum auf deutliche Zustimmung. Der Bündnis 90/die Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin sprach als erster das an diesem Tag besonders heikle Thema der Justizreformen in Polen an. Er übte deutlich Kritik an den Reformen und verwies auf das EuGH-Urteil vom 19. Oktober, das dem Antrag der EU-Kommission stattgab und bestätigte, dass die Zwangspensionierung der Richter*innen des Obersten Gerichts in Warschau rückgängig gemacht werden müsse. Sarrazin kritisierte aber auch die Medienberichterstattung in Deutschland, die ein zu negatives Bild auf Polen hervorrufen würden. Von polnischer Seite hagelte es ebenfalls deutlich Kritik: Das dominierende Thema des Tages von polnischer Seite sollte Nord-Stream 2 werden. Durch das deutsch-russische Abkommen zur Energieversorgung durch Erdgas, das durch Pipelines durch die Ostsee nach Deutschland transportiert werden soll, fühlen sich Polen, die Ukraine und das Baltikum in ihren Interessen verletzt und über den Tisch gezogen. Zumal auch die EU das Projekt sehr kritisch sieht. Von deutscher Seite kamen beim deutsch-polnischen Forum diesbezüglich (leere) Entschuldigungen, die aber nichts daran ändern, dass Nord Stream 2 ab Ende 2019 in Betrieb genommen werden soll. Lediglich Manuel Sarrazin kritisierte die Haltung der deutschen Bundesregierung vor allem mit dem Verweis darauf, dass „Nord Stream 2 darauf baut, dass Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen wird“.
Der PiS-Politiker und Staatssekretär des polnischen Außenministerium Szymon Szynkowski vel Sęk sprach ein weiteres heikles Thema an: Die Beziehungen zu Präsident Donald Trump. Er forderte mehr Respekt von deutschen Politiker*innen für den demokratisch gewählten 45. Präsidenten der USA. Die Midterm-Wahlen am 6. November 2018 werden sich vermutlich entschieden auf die deutsch-polnischen Beziehung der näheren Zukunft besonders im Bezug auf EU-Außen- und Sicherheitspolitik auswirken.
Nach dieser etwas nüchternen Bestandsaufnahme der aktuellen Situation sowie einem eher düsteren Ausblick auf die nächste Zeit folgte als nächster Programmpunkt der Austausch in vier verschiedenen Arbeitsgruppen zu folgenden Themen: Sicherheitspolitik, Infrastruktur, Europawahl 2019 und Energiepolitik. Auch hier zeichneten sich in allen vier Arbeitsgruppen mehr Differenzen und Konflikte, als ertragreiche Zusammenarbeit und Verständnis für die jeweils andere Position ab. Als gemeinsamer Nenner wurde jedoch auf beiden Seiten folgender Wunsch deutlich formuliert: Eine schnellere Zugverbindung zwischen Berlin und Warschau unter vier Stunden.
Am Nachmittag diskutieren dann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Präsident Andrzej Duda zum Thema „Europa 1918-2018: Geschichte mit Zukunft“ anlässlich des diesjährigen 100. Jahrestags der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit. Trotz des relativen klaren Bezugs zur Geschichte und Geschichtspolitik im Titel der Veranstaltung nutzten beide Präsidenten den Rahmen anderweitig: Präsident Duda ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, um erneut Nord Stream 2 sowie den Schulterschluss zwischen Deutschland und Russland zu kritisieren, die Angst in Polen und einen Vertrauensverlust auslösen würden. Zudem arbeite die EU nicht mehr nach ihren Grundsätzen, sondern mische sich mit dem EuGH-Urteil in innenpolitische Prozesse ein. Er begründete die Reformen erneut als notwendig, um einen Generationswechsel einzuleiten sowie Richter*innen, die bereits in der Volksrepublik Polen als Richter*innen gearbeitet hätten, aus ihrem Amt zu entheben (auf Nachfrage konnte er allerdings nicht sagen, auf wie viele Richter*innen dies zutreffen würde). Präsident Steinmeier konterte, dass alle Mitgliedstaaten wussten, worauf sie sich einließen, als sie sich bemühten in die EU aufgenommen zu werden, sodass beispielsweise das EuGH-Urteil keine Überraschung, sondern eine logische Konsequenz der Mitgliedschaft darstellen würde. Er warnte zudem davor, die EU als „fremde Macht“ anzusehen und wies darauf hin, dass die Mitgliedstaaten selbst Einfluss auf die EU nehmen würden und aktive Entscheidungsträger seien. In der abschließenden Fragerunde meldete sich eine junge Teilnehmerin, die in Krakau studiert, und fragte die beiden Präsidenten, welches konkrete Angebot sie der jüngeren Generation machen könnten, damit diese sich in den deutsch-polnischen Beziehungen politisch engagieren könnten. Frank-Walter Steinmeier resümierte, junge Menschen hätten „so gute Möglichkeiten wie nie“ um sich zu engagieren, Andrzej Duda ermunterte zur Gründung von Stiftungen, NGOs und Think-Tanks. Diese leeren Aussagen beider Präsidenten, die das Anliegen der jungen Teilnehmerin(*nen) nicht wirklich ernst zu nehmen schienen, war sinnbildlich für das gesamte Forum: Viele leere Worte, keine konkreten Maßnahmenvorschläge, viel Kritik und umso weniger positive Resonanz der binationalen Beziehungen. Weder ein „starkes Europa“ wird zurzeit von beiden Ländern angestrebt, noch arbeiten Deutschland und Polen gerade abgesehen vom wirtschaftlichen Bereich „gemeinsam“ erfolgreich an verschiedenen Themen. Ob das Deutsch-Polnische Forum in diesem Jahr genutzt werden konnte, um Meinungsverschiedenheiten zu klären und Streitigkeiten beizulegen, bleibt abzuwarten. Das immer schwierige Verhältnis zwischen den Nachbarn scheint auf einem neuen diplomatischen Tiefpunkt seit dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten angekommen zu sein. Kurz gesagt: Es kann nur besser werden!