Besuch des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tiflis am 24. Mai 2016

(Alexander Astapczyk)

Am ersten Programmtag unserer Georgien-Reise führte uns das zweite Gespräch zum FES-Regionalbüro in Tiflis. Mit der dortigen Leiterin, Julia Bläsius, konnten wir uns intensiv über die Tätigkeit der FES und die aktuellen politischen Entwicklungen austauschen.

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Das FES Büro in Tiflis betreut neben Georgien ebenfalls den Standort in Armenien und hatte auch bis vor kurzem die politische Arbeit des FES in Aserbaidschan betreut. Dieser Fokus auf die regionale südkaukasische Zusammenarbeit war für uns auch von großem Interesse und wurde dementsprechend ebenfalls einer der Schwerpunkte unserer Gesprächs- und Diskussionsrunde. Vor allem die Tatsache, dass die politischen Gegebenheiten in Aserbaidschan den Rückzug aus dem Land unumgänglich gemacht haben, führte uns zu einer intensiven Debatte über die verschiedenen Möglichkeiten, offene Kanäle auch aus dem Ausland zu betreiben ohne dabei lokale Partner vor Ort zu diskreditieren.

Die Thematik rund um die südkaukasische Zusammenarbeit führte uns letztlich auch zu unserem Schwerpunkt der Reise, nämlich der fünfundzwanzigjährigen Unabhängigkeit Georgiens sowie der Rolle und Lage von Minderheiten und der zivilgesellschaftliche Blick vor Ort. Julia konnte uns vieles über die Arbeit der FES in diesen Bereichen berichten als auch interessante Einblicke in die Thematiken darüber hinaus gewähren.

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Gerade im Bezug zu Minderheitenrechten haben wir intensiv über die Ereignisse in Georgien rund um den IDAHOT, den internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie gesprochen, der nur wenige Tage zurücklag und von dem Julia uns auch aus vergangenen Jahren einen Einblick gewähren konnte. Der Tag wurde vor einigen Jahren von radikal rechten als auch radikal religiösen Fanatikern genutzt, um friedlich demonstrierende Anhänger der LQBTIQ-Community prügelnd durch die Stadt zu jagen. Dieses Jahr wurde eine friedliche Demonstration für die Rechte der LQBTIQ-Community bereits im Vorfeld verboten.

Die anstehenden Wahlen in Georgien wurden von uns allen zum Anlass genommen, über die weitere politische Ausrichtung des Landes als auch mögliche Reformansätze zu diskutieren. Als wohl einer der größten, noch weithin vernachlässigten Punkte wurden die Reformen der Sozialsysteme erörtert, die noch nicht im Fokus der politischen Agenda stehen, aber deren Stellenwert in Georgien bald politisch als auch gesellschaftlich einen enormen Zuwachs erfahren dürfte.

Bezüglich des Themas Krisenprävention und ziviler Konfliktbearbeitung war das Hauptthema der vergleichsweise kurz zurückliegende Konflikt mit Russland um die Regionen Südossetien und Abchasien, der immer noch, vor allem für die Zivilgesellschaft in den angrenzenden Gebieten, große Herausforderungen mit sich bringt und dementsprechend für uns auch nicht nur im Rahmen des Austauschs mit Julia von großem Interesse war.

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Julia Bläsius hat sich viel Zeit genommen für unsere Fragen, wofür wir Ihr sehr dankbar sind. Gerade im Hinblick auf die genannten Thematiken waren wir sehr froh zu sehen und zu hören, was die FES vor Ort mit anderen Akteuren gestaltet und welche Perspektiven sich auch in nächster Zeit ergeben.

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Wenn Liebe so einfach wäre…

Montag, 23. Mai 2016

Ein Straßen-Graffiti in Tiflis
Ein Straßen-Graffiti in Tiflis

Es springt einem förmlich ins Gesicht, wenn man durch die georgischen Straßen wandert – in mannigfaltiger Form: Graffitis, sich tief verbeugende Menschen vor dem Haus des Patriarchen, eng aneinander gehende heterosexuelle Pärchen. Georgien ist ein Land, das an seinen Traditionen festhält. Die Familie ist stark in Georgien. Und die Familie ist fest an bestimmte Werte und Verhaltensweisen gebunden, an aller erster Stelle die Rollenverteilung von Mann und Frau. Die Vorstellung einer Frau, keine Mutter sein zu wollen, ist undenkbar. Die Vorstellung einer Frau mit einer anderen Frau zusammen zu sein ebenfalls.

Foto: Bibi Ritter
Im Gespräch mit Beka Gabadadze (links)

Beka Gabadadze ist studierter Sozialarbeiter und Vorsitzender der NGO LGTB Georgia. Er ist ein schlanker, fröhlicher Mann – trägt eine Cap mit der Aufschrift „Boy“ und schämt sich für sein schlechtes Englisch – grundlos! Der AK Osteuropa hat keine Probleme ihn zu verstehen, als er beginnt zu erzählen: LGTB Georgia setzt sich für die Gleichberechtigung von homosexuellen, transsexuellen und bisexuellen Menschen in Georgien ein. Seit 2011 ist LGTB Georgia eine von vielen Organisationen, die sich dieses Ziel auf die Fahnen schreibt. Im Jahr 2000 wurde Georgien das erste post-sowjetische Land, das Homosexualität offiziell legalisierte. Seit 2006 gibt es erste Anti-Diskriminierungsgesetze, die sich zunächst auf die Diskriminierung am Arbeitsplatz (2006) und anschließend auf jegliche Lebensbereiche (2014) beziehen sollten. Auf der anderen Seite stehen enorme Bemühungen, diese Fortschritte zu neutralisieren: die Verfassung definiert die Ehe explizit als Vereinigung von Mann und Frau (Article X, Section 1, Paragraph 2; Alexander, Shannon, Schafer, Heather, 2004). Eine eingetragene Partnerschaft (wie in Deutschland), geschweige denn eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen ist undenkbar, operative Geschlechtsumwandlungen eine Sünde.

Der 17. Mai 2013 – der internationale Tag gegen Homophobie – ist ein dunkler Tag. In Tiflis wird ein friedlicher Demonstrationsmarsch der Bürgerrechtsorganisation Identoba von über 15.000 orthodoxen Gegendemonstranten überfallen. Gewalt bricht aus, Homosexualität und orthodoxe Kirche als unvereinbare Entitäten. Doch das ist nicht das einzige, was unvereinbar ist: Georgien als stolzes EU Assoziierungsmitglied versucht mit ihren Anti-Diskriminerungsgesetzen Sympathien der westlichen Länder zu erlangen.

Foto: Bibi Ritter
Der Flughafen Tiflis begrüßt seine Gäste mit einer klaren Botschaft

Leider steht die Realität im krassen Gegensatz dazu. Denn offiziell bezeichnet die Polizei die Übergriffe als gewöhnliche Straßenübergriffe. Seitdem die LGTB Organisationen wie Pilze aus dem Boden schießen, steigt laut Identoba vor allem für homosexuelle Männer das Risiko an sogenannten „hate crimes“ zum Opfer zu fallen. Auch „femicide killings“ nehmen zu. Dabei handelt es sich um die Ermordung von Frauen, die nicht dem gängigen Rollenbild entsprechen, z.B. Dozentinnen an der Uni, die besser ihren ehelichen Pflichten nachgegangen wären. Dies gilt auch für heterosexuelle Frauen und alle Menschen, die das Fundament der Kirche und des Staates mit ihren alternativen Lebensformen bedrohen.

Eines der größten Probleme der Pro-LGTB-Organisationen ist ihr ausgeprägtes Top-Down-Prinzip. Oft werden Entscheidungen nicht von der Basis aus getroffen. Dies möchte Beka ändern. Laut ihm formiere sich gerade eine Studentenbewegung, die das Potenzial haben könnte LGTB Rechte stärker zu legitimieren. Für die Zukunft wünscht sich Beka weniger Unterdrückung und Stigmatisierung. LGTB Georgia besteht aktuell aus ca. 30 Mitgliedern und kämpft mit zahlreichen Projekten für LGTB-Rechte: „Strenghening LGTB community with the aim of HIV/AIDS prevention“ wird finanziert vom National Center of Disease Control and Public Health. Weitere Unterstützung erhalten sie von der amerikanischen Botschaft, der ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans & Intersex Association), der Women’s Initiative Supporting Group bzw. dem georgischen Women’s Fund. Die Organisation versucht zudem ins Herz des Problems zu zielen – in die Familien: Im Rahmen des Projekts „Parents for Equality“ wurde beispielsweise der Mother’s Club gegründet, in dem sich Mütter austauschen und Erfolgs-Stories über das Coming-Out ihrer Kinder unterstützen.

Die zentrale Arbeit der LGTB Georgia findet allerdings in den „Community Centern“ statt, die allen LGTBs eine sichere Anlaufstelle für Austausch und Kennenlernen bietet. Das LGTB Georgia Hauptquartier liegt mitten im Herzen von Tiflis.

AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia
AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia

Als wir, als AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Gebäude verlassen, stehen uns 15 junge Männer entgegen und verfolgen misstrauisch jeden einzelnen Schritt bis wir um die Ecke gegangen sind. Weil wir die Befürchtung haben, dass sie auf Beka und seine KollegInnen warten, gehen wir zurück, um diese zum Mitgehen zu bewegen. Doch Beka winkt ab. Vielleicht ist es keine Besonderheit für ihn. „Daily work is not easy“, sagt er und wünscht uns einen schönen Abend.

https://www.youtube.com/watch?v=E1PPKywjxDQ

Text und Bilder: Bibi R.

Das Community Development Institute in Tetovo

(Kristin Kretzschmar)

Das  Community Development Institute in Tetovo (CDI) besteht seit nunmehr 15 Jahren und wurde durch den jetzigen Direktor Sreten Koceski gegründet. In diesem Bericht sollen die Eindrücke und Inhalte eines Treffens mit Vertretern des CDI im Oktober 2012 wiedergegeben werden.

Zunächst gab uns der Mitarbeiter Damir Neziri eine Einführung in die interethnischen Beziehungen in Mazedonien, besonders mit Blick auf die Lage in Tetovo und die Arbeit des CDI. Hierbei warf er auch die Frage auf, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen 2001 ein Bürgerkrieg oder ein Aufstand der albanischen Minderheit waren. Schon bei dieser Frage wurde deutlich, wie viel Bedeutung Terminologie in Mazedonien hat: Man spricht nicht von Minderheiten sondern von „non-majority groups“, also Nicht-Mehrheiten.

Sreten Koceski spricht über die Probleme der CICRs. Bild: Kristin Kretzschmar

Unabhängig von der genauen Bestimmung der Art der Auseinandersetzung, stellt das Jahr 2001 einen Meilenstein in der Arbeit des CDI dar. So scheint es, dass sich das CDI zuvor noch in einer Selbstfindungsphase befand. Mitte der 1990er Jahre gab es in Mazedonien kaum Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen: „There was kind of an empty space and were eager to fill it and find out how it works with projects and funding.“ Während in den ersten Jahren Unterstützung von vielen Seiten kam, nimmt dies immer weiter ab. Momentan werden die Projekte des CDI unter anderem durch die FES und den Deutschen Volkshochschul-Verband unterstützt.

Danach gab uns der Gründer und Direktor des CDI Sreten Koceski einen Überblick über die aktuellen Tätigkeiten. Fokus lag in seiner Präsentation auf den sogenannten Committees for Inter-Community Relations (CICR), da sich der Arbeitskreis schon zuvor mit diesen beschäftigt hatte. Hierbei handelt es sich um ständige Beiräte der Gemeinderäte in Bezug auf interethnische Beziehungen. Die Einrichtung eben dieser ist seit 2002 verpflichtend in Gemeinden, in denen mindestens eine der Nicht-Mehrheitsgruppen einen Anteil von 20 % erreicht. Inzwischen wurden CICRs in 20 Gemeinden und Skopje eingerichtet und decken somit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mazedoniens ab. Die Beiräte wurden eingerichtet um den Minderheitenschutz auf der lokalen Ebene abzusichern. Lokale Entscheidungen, die die Nutzung von Sprache oder Symbolen betreffen, müssen mit den CICRs abgesprochen werden. Dies betrifft beispielsweise die Umbenennung von Straßen oder öffentlichen Einrichtungen. Die CICRs geben in diesen Fragen dann nicht-verbindliche Entscheidungen an die Gemeinderäte. Die Mitglieder der CICRs werden gewählt.

Unterschied zu den Gemeinderäten ist, dass sie eben nicht die Vertreter einer Partei oder politischen Ideologie sind, sondern Vertretern einer Ethnie. In den letzten Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass die CICRs leider nicht dem Anspruch die Kommunikation zwischen den Ethnien zu verbessern, gerecht werden konnten. In einigen Fällen wurden die CICRs in Entscheidungen übergangen. In anderen Fällen konnten die CICRs nicht arbeiten, da kein institutionelles Gedächtnis aufgebaut wurde und die Mitglieder nicht ausreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden.

Besuch des CDI. V.l.n.r.: Stefan Schneider (Praktikant der FES Skopje), Benedikt Paulowitsch, Marcel Hagedorn, Ruben Werchan, Michael Meissner, Tobias Endrich und Damir Neziri. Bild: Kristin Kretzschmar

Genau in diesen Bereichen versucht das CDI einzuspringen und bietet beispielsweise Training und Foren zum Austausch zwischen Mitgliedern der CICRs in verschiedenen Gemeinden an. Da CICRs erst verpflichtend werden wenn eine ethnische Gruppe mehr als 20% der Bevölkerung einer Gemeinde ausmacht, kam die Frage auf, warum 2011 der Zensus abgebrochen wurde. Eine endgültige Antwort darauf konnten wir nicht finden. Allerdings äußerte Damir Kritik an der „magischen Zahl“ 20. Diese sei eine „Wurzel weiterer Teilung“.

Der Anteil spiele im Zusammenleben keine Rolle, da die Rechte eines jeden Einzelnen geachtet werden müssen. „Wir sind Geißeln der Prozente. Es ist egal ob 19,9 % oder 26 % – wir müssen einen Weg finden friedlich zusammenzuleben.“ Leider ist das Alltagsleben weiterhin stark entlang ethnischer Linien geteilt. Auch wenn es gemischte Schulen gibt, heißt das nicht, dass Mazedonier gemeinsam mit Albanern in einer Klasse sitzen. Die Klassen sind weiterhin geteilt und werden teilweise sogar im Schichtsystem unterrichtet um Konflikte auf dem Schulhof zu vermeiden. Ähnliches gilt für die Nutzung der Sprache: Albaner lernen zwar Mazedonisch, aber kaum ein Mazedonier lernt Albanisch. Ältere Menschen sprechen häufig noch beide Sprachen; jüngere sehen die Sprache der jeweils anderen Ethnie oft als „enemy“.

Die unflexible 20% Lösung des Ohrider Rahmenabkommens hat die sprachliche Trennung weiter vertieft. De facto handelt es sich in Mazedonien um eine geteilte Gesellschaft, doch eine Teilung würde mit Sicherheit zu blutigen Konflikten führen. Sich dessen bewusst kommt es immer wieder zu Friedensbewegungen. Im Mai versammelten sich Bürger aus dem ganzen Land, verschiedenen Ethnien angehörig, in Skopje, um einen „March for Peace“ zu veranstalten und den Willen zum friedlichen Zusammenleben offen zu zeigen. Leider versiegen diese Bewegungen meistens sehr schnell.

Gespräch mit Vertretern der Gemeinde von Tetovo

(Marcel Röthig)

Wir trafen uns in der Gemeindeverwaltung mit Beratern des Bürgermeisters von Tetovo aus den Bereichen PR, Protokoll und Öffentlichkeitsarbeit. Die Verwaltung umfasst drei Sektoren (Kultur, Sport und Bildung; Infrastruktur sowie Steuern und Investitionen). Das Kabinett berät den Bürgermeister in ethnischen Fragen und hat eine multiethnische Zusammensetzung. Zudem gibt es einen multiethnischen Gemeinderat mit 41 Mitgliedern und einem Ausschuss für ethnische Fragen.

Der AK Osteuropa gemeinsam mit Vertretern der Gemeindeverwaltung. Bild: Tijana Angjelkovska

 

Während der Diskussion gab es Kritik am laufenden Dezentralisierungprozess, der laut den Gesprächspartnern als unvollständig und hinderlich für die Arbeit der Stadt angesehen wird. So gingen alle Steuern direkt nach Skopje und werden von dort aus umverteilt und Tetovo habe keine eigene Finanzhoheit. Zudem gäbe es keine bedarfsorientierte Verteilung derFinanzen, da alle Gemeindefinanzen gleich verteilt werden.

Weiterhin gab es Diskussionspunkte zur Integration der Roma-Minderheit, die in Tetovo 4 Prozent umfasst. Hierzu gäbe es Sensibilisierungsbemühungen an den Schulen. Besonders positiv für das multiethnische Zusammenleben wurde die Funktion des Sports gewürdigt. So gäbe es multiethnische Sportturniere und Infrastrukturprojekte zur Stärkung des Sports bewertet. Kritisiert wurde das umstrittene Projekt Skopje 2014. Hierbei wurde der Vorwurf erhoben, die Deutsche Bank würde dieses mit einem Kredit in Höhe von 800.000 Euro mitfinanzieren. Laut späterer Aussage von Botschafterin Steinacker zu diesem Punkt liegt hier ein fehlendes Verständnis der Deutschen Bank vor. Diese sei eine Geschäftsbank und keine staatliche Institution, könne also ohne politische Zustimmung jederzeit solche Kredite vergeben.

Während der Diskussion wurden zudem die Intervention der NATO und besonders die Beteiligung der Bundeswehr mit 800 Soldatinnen und Soldaten im Jahr 2001 gewürdigt und der Wunsch nach einem baldigen Beitritt Mazedoniens zu EU und NATO geäußert. Dabei wurde auch Kritik an der mazedonischen Regierung deutlich, die sich nicht ausreichend um eine euro-atlantische Integration bemühe. Zudem wurde der exklusive und nationalistische Politikstil, der die multiethnischen Spannungen gefährlich anheize, als spaltend beschrieben. Die Situation in Tetovo kann nach wie vor als kritisch betrachtet werden. Im Anschluss daran gab es auf Einladung der Gemeindeverwaltung ein Mittagessen.

 

 

 

 

 

 

 

Treffen mit VertreterInnen der Sozialdemokratischen Union Mazedoniens

(Marcel Hagedorn)

Den Ausklang des Programms in Mazedonien bildete ein Treffen der Stipendiaten mit Vertretern der Sozialdemokratischen Union Mazedoniens (maz.: Socijaldemokratski Sojuz na Makedonija, kurz: CДCM). Die Stellvertretende Parteivorsitzende Anna Pawlowska-Danewa stellte sich den durchaus kritischen Fragen. Ein weiterer Vize und die Sekretärin für Internationales waren auch zugegen, schienen jedoch nur schmuckes Beiwerk zu sein – Anna Pawlowska-Danewa gab souverän die Einleitung und antwortete auf sämtliche Fragen

VertreterInnen des stipendiatischen Abrbeitskreies Osteuropa der FES mit VertreterInnen der SDSM.

Die SDSM hat nach dem Bürgerkrieg in Mazedonien 2001 die Ohrider Rahmenvereinbarung mitunterzeichnet. Diese sah weitreichende Verfassungsänderungen vor, so eine paritätische Beteiligung der albanischen Minderheit an Kommunalverwaltungen in Gemeinden mit über 25% albanischen Einwohnern, Anerkennung ihrer Sprache als Amtssprache in diesen Gebieten und generell eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.

„It’s less perfect than on paper“, so Pawlowska-Danewa. Die Gleichstellung aller ethnischen Gruppen ist noch längst nicht abgeschlossen und wird ein zentrales Thema künftiger Regierungen sein. Dies liegt vor allem an der unterschiedlichen Auslegung des Abkommens. Albaner fordern weitere Rechte auf Grundlage des Abkommens, Mazedonier sehen es als umgesetzt an.

Die SDSM wird den mazedonischen Parteien zugeordnet, sie sieht sich selbst hingegen als multiethnische Partei. Immerhin 20% ihrer Mitglieder entstammen einer ethnischen Minderheit. Von Albanern werde sie trotzdem selten gewählt, höchstens von albanischen Akademikern und Gebildeten. Daher habe man für die kommenden Kommunalwahlen eine Zusammenarbeit mit der nationalistischen DPA beschlossen. Im zweiten Wahlgang sollen Bürgermeisterkandidaten der DPA unterstützt werden, wenn der eigene Kandidat keine Mehrheit erreicht hat. Anna Pawlowska-Danewa betonte, dies sei eine rein technische Zusammenarbeit, keine programmatische.

Das Ziel sei natürlich, irgendwann nur noch eine sozialdemokratische Kraft in Mazedonien zu haben, aber aufgrund des Wahlverhaltens der albanischen Minderheit ist dies in naher Zukunft nicht denkbar. Daran ändern auch keine albanischen Kandidaten auf SDSM-Listen, meint die Parteivize. Programme oder Initiativen, um dieses Ziel zu erreichen gibt es nicht.

Die SDSM befindet sich momentan in der Opposition. Es ist ungeschriebenes Recht, dass die Regierungskoalition aus einer der großen mazedonischen Parteien und aus eine der kleinen albanischen Parteien besteht. Seit 2008 regieren die konservative VMRO-DPMNE mit der marxistischen DUI. In dieser Rolle setzt sich die SDSM entschieden gegen das von dieser Regierung beschlossene Städtebauprogramm „Skopje 2014“, welches in Skopje in einem Umfang von 500 Millionen Euro in den Bau von Denkmälern mazedonischer Persönlichkeiten, Fassadenrenovierung und Stadtverschönerung investiert. Das Problem an Skopje 2014, so Pawlowska-Danewa, ist nicht nur, dass das Geld besser zur Armutsbekämpfung eingesetzt wäre, sondern die Stadt auch weiter spaltet. Auf der Seite der Flusses Varda, der durch Skopje fließt, in dem die mazedonische Bevölkerung in der Mehrheit ist, werden vor allem mazedonische Berühmtheiten aufgestellt – auf der albanischen Varda-Seite kleinere Monumente albanischer Helden. „If SDSM is on gouvernment after the next elections, Skopje 2014 will be stopped“, versprach sie. Dennoch ist schon ein Großteil des Geldes investiert.

Gegen das Projekt gibt es bislang keine größere Bürgerbewegung. Die Bürger befürchten, nicht ein genügend großes Echo in den beeinflussten Medien zu bekommen. Kleinere Proteste finden dienstags statt, es wird allerdings nur von den Veranstaltungen berichtet, die für das Projekt sind

Zentrale der SDSM in Skopje. Bild: Marcel Röthig

Wenn die SDSM die nächste Wahl gewinnt, will sie nicht nur Skopje 2014 stoppen, sondern auch die Korruption bekämpfen und sich für eine bessere wirtschaftliche Situation des Landes einsetzen. Außerdem will sie freie Medien ermöglichen. Ihr zentrales Ziel sei es aber, mit der DPA eine erneute Koalition zwischen VMRO-DPMNE und DUI zu verhindern. Inhalte spielen offenbar keine große Rolle in der nächsten Legislaturperiode des mazedonischen Parlaments. Zentrale Projekte oder Visionen konnte die Vize nicht nennen.

Auch ihr Konzept zur Armutsbekämpfung scheint nicht ganz ausgereift zu sein. Es sei genügend Geld vorhanden, nur falsch verteilt, so in Skopje 2014. Die Armut werde zurückgehen, wenn endlich Rechtssicherheit herrsche, die Bürokratie abgebaut werde  und sich so Investoren für Mazedonien finden. Auch die Steuereinziehung müsse effektiver gestaltet werden.

So verspricht sich die SDSM auch die Sozialhilfeleistungen ausbauen zu können.

„Das größte Problem in Mazedonien ist nicht die multiethnischen Bürger, sondern die Politiker.“ sagte ein junger Albaner. Und er scheint recht zu haben. Der Besuch wirkte mehr als geschauspielt. Die Parteivize präsentierte sich als von einer neuen, jungen Generation von Politikern entsprungen und stellte ein Wischi-Waschi-Programm ihrer Partei vor. Die SDSM gehört eben zum Establishment – die aus der ehemaligen kommunistischen Regierungspartei hervorgegangene Partei macht nicht den Eindruck, wirkliche Reformen für Mazedonien auf den Weg bringen zu wollen. Ausweichende Antworten auf kritische Nachfragen und nicht zuletzt auch die beiden Ferraris hinter der Parteizentrale in Skopje festigten diesen Eindruck.

Nach dem Besuch der SDSM scheint tatsächlich nur eine neue Partei Hoffnung für Mazedonien zu versprechen. Eine wirkliche Alternative, die ernsthaft Reformen auf den Weg bringt, vielleicht wie die Sozialdemokraten in Polen, die das Land aufbauten und auf starke Füße stellten – zum Preis der Bedeutungslosigkeit heute.