Ein neues Projekt für Polens Sozialdemokratie?

(Falk Froehlich und Benedikt Mediger)

Dass die sozialdemokratischen Parteien in den postkommunistischen Staaten oftmals eine Sonderrolle in der europäischen Parteienfamilie einnehmen, überrascht angesichts ihrer Vergangenheit kaum. Viele von ihnen waren in die totalitären und autoritären Regimes integriert. Andernorts fällt den potentiellen Wähler_innen die Unterscheidung von kommunistischem und sozialdemokratischem Staatsverständnis sichtbar schwer. Historische und kulturelle Ursachen tragen dabei ebenso zu den Schwierigkeiten der Sozialdemokratie in den zentral- und osteuropäischen Ländern bei Fuß zu fassen, wie zahlreiche Skandale der vergangen Jahre. Im Rahmen des FES-Seminars „Ausgemarxt – Warum die Sozialdemokratie in den postsowjetischen Staaten so schwer Fuß fassen kann“ erläuterten Bartosz Rydlinski und Gert Röhrbrorn die Besonderheiten der polnischen Sozialdemokratie.

 

 

 

 

Auffällig war dabei insbesondere die überaus erfolgreiche Phase der SDL (Sojuz Lewiczy Demokratycznej – übersetzt etwa „Bündnis der Demokratischen Linken“) während der Präsidentschaft Aleksander Kwasniewskis, dem es 1995 gelang, den früheren Solidarnosc-Vorsitzenden Lech Walesa aus dem Amt zu drängen und diesen Wahlerfolg 2001 zu erneuern. Den Sozialdemokrat_innen gelang es infolgedessen unter Präsident Kwasniewski und dem späteren Parteivorsitzenden Leszek Miller zwei zentrale Projekte zu realisieren, als die zu nennen wären: 1.) die demokratische Verfassung von 1997, die eine sozialdemokratische Handschrift trägt, sowie 2.) die mit dem Eintritt in die EU und die NATO verbundene, stärkere Westintegration Polens. Infolge der einsetzenden Wirtschaftskrise 2001 und der damit verbundenen leeren Kassen kam jedoch auch die SLD schnell an die Grenzen ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Diskussionen über die Weiterverfolgung des Mitte-Links-Kurses oder eines klassisch linken Kurses spalteten die Partei dabei ebenso wie persönliche Differenzen zwischen Kwasniewski und Miller. Bartosz Rydlinski fasste die große Herausforderung der polnischen Sozialdemokratie schlagwortartig zusammen: „Third Way, Pragmatismus, Skandale!“ Die SLD wurde infolge letzterer zunehmend als Teil der bestehenden, korrumpierten, politischen Elite angesehen, was durch die exponierte Stellung neoliberaler und SLD-kritischer Medien zusätzlich verstärkt wird. Entscheidend sei, so Rydlinski, aber insbesondere der Mangel an visionären Projekten in der polnischen Linken.

Hier lohnt ein Blick in die gegenwärtige Programmatik der SLD, die sich ganz im Sinne ihrer westlichen Nachbarparteien für eine progressive Einkommenssteuer, eine Finanztransaktionssteuer und einen gesetzlichen Mindestlohn starkmacht. Auch ist eine Mischwirtschaft aus privaten und staatlichen Akteuren eine der zentralen Forderungen der polnischen Sozialdemokrat_innen. Überraschend erscheinenin dem katholisch und konservativ geprägten Polen (rund 90% der Polinnen und Polen sind Katholik_innen) die Forderungen nach einer klareren Trennung von Kirche und Staat, sowie die zumindest in Teilen der Partei unterstützte Forderung nach einer Ausweitung der LGBT-Rechte. Auffällig war auch, wie stark beide Referenten die Bedeutung Europas für die polnische Politik in den Vordergrund rückten („Wahlen in Europa sind für uns wichtiger als Wahlen in Polen. 80% der Gesetze in Polen kommen aus Brüssel.“). Bietet sich hier etwa ein Anknüpfungspunkt für ein neues Projekt der polnischen Linken? Kann in Zeiten marktstaatlicher Hegemonie in Europa gerade die SLD ein Alternativkonzept zum institutionalisierten, supranationalen Neoliberalismus entwerfen?

Um die polnische Gesellschaft entsprechend gestalten zu können, bedarf es einer Verbesserung der politischen Ausgangssituation. Sowohl Rydlinski als auch Röhrbrunn wiesen auf die Notwendigkeit einer verbesserten politischen Bildungsarbeit hin. So fehle es über die allgemeine politische Lethargie hinaus an einem jungen, gut ausgebildeten politischen Nachwuchs und der Einbettung der sozialdemokratischen Idee in gesellschaftlichen Institutionen jenseits der Parteien (z.B. in den Gewerkschaften).

Insgesamt boten beide Referenten den zahlreichen Teilnehmer_inneneinen umfassenden Einblick in die Lage der Sozialdemokratie in Polen und standen anschließend noch für Diskussionen in Kleingruppen zur Verfügung. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung und des stipendiatischen Arbeitskreises „Osteuropa“ werden die künftigen Entwicklungen sicherlich mit viel Aufmerksamkeit und Interesse verfolgen

 

 

Bartosz Rydlinski promoviert in Politikwissenschaften und engagiert sich für die Soziale Demokratie in seinem Heimatland Polen. Als Kandidat der Partei „Bündnis der demokratischen Linken“ (Sojuzlewiczydemokratycznej, SLD) trat er bereits zu den Wahlen für das Europaparlament und auf lokaler Ebene an. Als Mitarbeiter der „Fondation Amicus Europae“ setzt er sich für Europäische Integration und politische Jugendbildung ein.

 

Gert Röhrborn ist Mitarbeiter der polnischen Robert-Schuman-Stiftung, deren Ziel ebenfalls die Förderung europäischer Integration ist. Er hat Politikwissenschaften studiert und lebt in Polen.

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