Die Politische Lage (in) der Ukraine. Gespräch mit Dmytro Ostroushko und Viktor Sokolov, Gorshenin Institute Kiew

von Marcel Schmeer

Zweiter Punkt des politischen Programms der Ukraine-Exkursion des AK Osteuropa war ein Treffen mit Dmytro Ostroushko und Viktor Sokolov(First Vice-President) in den Räumlichkeiten des Gorshenin Institute im Zentrum von Kiew. Der Termin sollte in der ursprünglich auf die Bedeutung des ukrainischen Nationalismus für die Demokratisierung des Landes abzielenden Kernfragestellung der Exkursion dazu dienen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Überblick über die politische Lage der Ukraine zwischen der Europäischen Union und Russland aus der Perspektive eines unter anderem auf (ukrainische) Außenpolitik spezialisierten thinktankszu liefern. Die sich aus Frust über die gescheiterte Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der ukrainischen Regierung im November 2013 konstituierendeEuromaidan-Bewegung, die Ablösung der Regierung Janukowytsch und die in unmittelbarer zeitlicher Nähe erfolgte Annexion der Krim durch russische Truppen sowie das Vorrücken pro-russischer Separatisten im Osten des Landes bildeten dann aber den thematischen Rahmen der Diskussion, die ich im Folgenden zusammenfassen möchte. Zuvor soll jedoch die Arbeit des Gorshenin Institute kurz vorgestellt werden.

Das Institut wurde im Jahr 2006 als politischer think tankgegründet, der sich der Erforschung sozialer und politischer Prozesse „in der Ukraine und der Welt“ widmet, seinen Fokus aber insbesondere auf die außenpolitischen Beziehungen des Landes zu der EU und auf Prozesse europäischer Integration und Demokratisierung legt und hier eine dezidiert pro-europäische Haltung vertritt. Die Organisation versteht sich nach eigener Aussage gleichsamals Kommunikationsplattform für einen demokratischen Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit und veranstaltet bzw. bietet Raum für Gespräche, Expertendiskussionen und Pressekonferenzen.[1] Neben dem Hauptstadtbüro unterhält das Institut Niederlassungen in Dnepropetrovsk,Kharkov und Odessa. Forschungsschwerpunkte bilden neben politischen, ökonomischen, soziologischen und juristischen Analysen und Politikempfehlungen auch Risikokalkulationen und (politische) Szenarienentwürfe und –prognosen, die durch selbstständige quantitative Erhebungenergänzt werden. Neben vielfältigen wissenschaftlichen oder publizistischen Veröffentlichungen gibt das Institut ein lesenswertes, wöchentlich auf Englisch erscheinendes Bulletin zur aktuellen politischen Lage in der Ukraine heraus, das GorsheninWeekly,[2]welches sich explizit an nicht-ukrainische Leser richtet.

Durch den Besuch im Auslandsbüro der FES in Kiew und die spannenden persönlichen Eindrücke und Gedanken zur aktuellen politischen Lage bereits für den weiteren Verlauf der unterschiedlichen Debatten zumindest andeutungsweise sensibilisiert (vgl. dazu den vorangegangenen Bericht von Alexandra Wößner), entspannte sich die Debatte im Gorshenin Institute nach freundlichem Empfang in den repräsentativen Räumen des Instituts im Wesentlichen um folgende Themenbereiche: 1) die erwarteten Folgen der Wahl Petro Poroschenkos zum Präsidenten der Ukraine sowohl für die Innenpolitik, aber eng damit verwoben auch 2) die neuen außenpolitischen Policy-Entwürfe für die Bekämpfung des russischen Separatismus und Verhandlungen mit der EU und insbesondere Russland.3)Die Bedeutung der allgegenwärtigen Korruption als Herausforderung für den aktuellen politischen Prozess und 4) die Presselandschaft in der Ukraine und ihre Auswirkungen auf das politische Klima.

Die Wahl Poroschenkos zum Präsidenten am 25.5.2014 wurde von den Vertretern des Instituts einhellig begrüßt und der neue Präsident als Pragmatiker bzw. die Wahl als pragmatische Entscheidung charakterisiert. Poroschenko stehe zwar als „Schokoladen-Milliardär“ auf der einen Seite nach wie vor für die „alte“ Ukraine der Oligarchen, habe auf der anderen Seite aber durch persönliche Netzwerke nach Ost und West und sein Image als Mann der Mitte eine deutliche Mehrheit der Ukrainer als Krisenmanager hinter sich vereinen können. An diesem Anspruch müsse er auch gemessen werden. Für Dmytro Ostroushko war es unzweifelhaft, dass der nächste logische innenpolitische Schritt nun eine rasche Neuwahl des Parlaments sein müsse, um die veränderten politischen Machtverhältnisse auch in derWerchowna Rada, der Repräsentation des ukrainischen Volkes, abzubilden. Gleichzeitig wurde ein besonnenes, gleichsam Handlungsstärke unter Beweis stellendes Vorgehen gegen die russischen Separatisten im Osten des Landes erwartet. Die Nachfrage, wie ein solches aussehen könne, wurde aus der heutigen Perspektive ex posteriori sehr zutreffend beantwortet, indem ein Maßnahmen-Mix aus „anti-terroristischen“ (so Ostroushko) Aktivitäten und Militäreinsätzen und diplomatischen Verhandlungen im Dreieck EU-Ukraine-Russland erwartet wurde. Die Diskussion spürte danach der hypothetischen Frage nach, inwiefern sich Russland[3] gesichtswahrend aus dem Osten der Ukraine zurückziehen könne, worauf keine abschließende Antwort gefunden wurde, außer, die Verhandlungen nicht einzustellen. Hier wurde auch die Erwartung an die westlichen Partner formuliert, neben politischer und ökonomischer Unterstützung im Notfall auch über militärische Manöver in den Grenzregionen zur Ukraine oder eine tatsächliche Intervention nachzudenken. Die Krim – so viel soll abschließend zu diesem Punkt gesagt werden – wurde als vorerst für die Ukraine verloren angesehen.

Innenpolitisch wurden zudem weitere vielfältige Erwartungen an den neuen Präsidenten adressiert, die vor allem ökonomische Aspekte betrafen. Die Vertreter des Instituts sahen hier vor allem wirtschaftliche Prosperität und mehr politische und wirtschaftliche Handlungsspielräume für die ukrainischen Regionen als einen Schlüsselfaktor, die ökonomischen Zweifel der Bevölkerung (v.a. in der Ostukraine) gegenüber einer stärkeren EU-Annäherung abzudämpfen. Gleichzeitig müsse aber auch das in der ukrainischen Gesellschaft allgegenwärtige Problem der Korruption stärker angegangen werden, die unsere Gesprächspartner als eine der Hauptmotive für die Euromaidan-Bewegung ausmachten. Dieses Problem sei allerdings – so das nur vorsichtig optimistische Fazit zu diesem Diskussionspunkt – angesichts der tiefgehenden Verwurzelung in der ukrainischen Gesellschaft und darauf eingestellter Alltagspraktiken vor allem angesichts der außenpolitischen Bedrohungslage nur langfristig in den Griff zu kriegen.

Letzter hier zu behandelnder Diskussionspunkt war die Rolle der ukrainischen Presse, die freilich mit der Debatte über Korruption eng verknüpft ist. Viele Medien in der Ukraine befänden sich in privater Hand (hier wohl insbesondere in der Hand von „Oligarchen“) und seien dementsprechend anfällig für Manipulation. Unsere Gesprächspartner sahen in dieser Hinsicht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung stark gefährdet und plädierten für eine Umstrukturierung der ukrainischen Presselandschaft durch eine neue Regierung. Auch in diesem Punkt betonten sie die Wichtigkeit der Beziehungen zu den Ländern der Europäischen Union in puncto Wissenstransfer und Unterstützung. Nur mit einer freien und unabhängigen Presse sei eine weitergehende Demokratisierung der Ukraine möglich.

 

Leseempfehlungen

 

[1]     Vgl. Website des Gorshenin Institute, About, Mission, http://gorshenin.eu/about/mission/, abgerufen 16.7.2014.

[2]     Online archiviert und abrufbar unter http://gorshenin.eu/programs/weekly/, abgerufen 16.7.2014.

[3]     Hinweis: der russische Einfluss auf die Separatisten im Osten der Ukraine wurde in der Regel in allen Gesprächen als gegeben angesehen, wenngleich an dieser Stelle darauf hingewiesen werden soll, dass hier freilich die „objektive“ wissenschaftliche Ebene und die subjektiven Wahrnehmungen – auch durch die fast ausschließlich berücksichtigte ukrainische Perspektive – in einem spannungsreichen Verhältnis standen und noch stehen.

Zum Weltflüchtlingstag: Binnenflüchtlinge in der Ukraine

(Hanne Schneider)

Am 20.Juni wird weltweit durch internationale Organisationen über Menschen informiert, die im Rahmen einer so genannten „forcedmigration“, also erzwungenen Migration, aus ihrem Heimatland oder –region flüchten mussten. Steht in diesen Tagen oft das Schicksal der vielen tausend Flüchtlingen in Nordafrika im Vordergrund, sollte an dieser Stelle der Blick nochmals auf die Ukraine gerichtet werden. Die Informationsreise Ende Mai zeigte der Reisegruppe des AK Osteuropas bereits die Problematik von Flüchtlingen aus dem Osten beziehungsweise der Krim-Halbinsel auf. Das Bürgermeisterbüro in Lviv etwa versuchte zu diesem Zeitpunkt Strategien zu finden, um mit neuen Flüchtlingswellen umzugehen.

Migrations- und Flüchtlingsbewegungen stellen für die Ukraine keine neue Situation dar. Durch Binnenwanderungen nach dem zweiten Weltkrieg, Umsiedlungen, Grenzverschiebungen oder nach der Katastrophe von Tschernobyl sowie die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung war das vergangene Jahrhundert von starken Bevölkerungsbewegungen geprägt. Die von der Krimhalbinsel zumeist gewaltsam umgesiedelten Krimtataren durften Ende der achtziger Jahre zurückkehren.

Hilfsbedürftige treffen auf schwaches Asylsystem

Auch wenn die Ukraine der Genfer Konvention bereits 2002 beitrat, wurde das erste Paket umfangreicherer Gesetze zum Flüchtlingsschutz erst 2011 verabschiedet – forciert unter anderem durch die EU im Rahmen einer Visa-Liberalisierungspolitik. Dies beinhaltet auch den Status von irregulären MigrantInnen und Staatenlosen näher zu einzuordnen. Das Asylsystem bleibt jedoch bis heute schwach, die Asylverfahren dauern in vielen Fällen jahrelang. Die Versorgungsstruktur für Flüchtlinge wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, ebenso wurden wiederholt Auslieferungsverträge durch die ukrainische Regierung bedient und Flüchtlinge trotz Flüchtlingsstatus entgegen der Genfer Konvention abgeschoben. 2007 unterzeichneten die EU und die Ukraine zudem ein Rücknahmeabkommen, welches die Ukraine zunehmend vom Transit- zum Daueraufnahmeland vonm Flüchtlingen auf dem Weg in die EU macht. Die EU unterstützt im Gegenzug mit Millionensummen das „migrationmanagement“.

Aktuelle Lage

Die Lage im ukrainischen Asylsystem verschärfte sich seit Anfang 2014 durch die Krise auf der Krimhalbinsel und im Osten des Landes. In nur zwei Monaten registrierte das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mehr als 10.000 Flüchtlinge (Stand: 25.Mai 2014), mit mehr als 2.900 die meisten in der Region Kiew sowie 1.300 in Lviv. In der westlichen Ukraine sind mehr als 80% der Flüchtlinge Krimtataren, aber auch viele ethnisch gemischte Gruppen und Familien flüchten in das Zentrum und den Westen des Landes. Der UNHCR dokumentiert in den meisten Regionen gute Unterstützung durch Privatpersonen und Gemeinden, die z.B. provisorische Unterkünfte stellen. Gründe für eine Flucht sind lt. Interviews des UNHCR neben Sicherheitsbedenken auch eine ökonomische Krise, speziell der krimtatarischen Unternehmen, und die damit verbundene Aufgabe von eigenen unternehmerischen Tätigkeiten. Problematisch ist zudem die Aufnahme in das Asylverfahren und die damit verbundenen Rechte.IDP’s (Internallydisplacedperson) haben in der Ukraine bisher hierzu nur beschränkten Zugang.

Quellen und Tipps zum Weiterlesen:

Amnesty International: Jahresbericht 2013. Länderbericht Ukraine. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/ukraine

Golczewski, Frank: Ukraine in: Bade, Emmer, Lucassen, Oltmer (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn/München/Wien/Zürich 2007. S. 333-358.

Human Rights Watch: Buffeted in the Borderland: The Treatment of Asylumseekers and Migrants in Ukraine, 2010.

http://www.hrw.org/reports/2010/12/16/buffeted-borderland

Migration Policy Center: Country Profile Ukraine. June 2013. http://www.migrationpolicycentre.eu/docs/migration_profiles/Ukraine.pdf

Rechitsky, Raphi: Gefangen in der Pufferzone: Migration, Flüchtlinge und die Auswirkungen der EU-Außenpolitik. in: Ukraine-Analysen. 92, Bremen, 14.06. 2011.
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen92.pdf

UNHCR Ukraine: Profiling and Need Assesment of Internally Displaced Persons (IDPs). 23. Mai 2014.

http://unhcr.org.ua/attachments/article/971/IDP.pdf

 

Nationalismus in der Ukraine als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie

(Magnus Wurm]

Ja, begrabt mich und erhebt euch,
Und zersprenget eure Ketten,
Und mit schlimmem Feindesblute

Möge sich die Freiheit röten!

Und am Tag, der euch die Freiheit
Und Verbrüderung wird schenken,
Möget ihr mit einem stillen,
Guten Worte mein gedenken.“1

So schrieb der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko im letzten Absatz seines Gedichts „Vermächtnis“ von 1945.

Schewtschzenko gilt als Ikone des (positiven) ukrainischen Nationalismus, „in seinem Œuvre kämpfte der im russischen Reich [sic!] als Leibeigener Geborene für die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit2. Im Zuge der Proteste auf dem Kiewer Maidan wurde er wieder populär, die Neue Züricher Zeitung nennt ihn gar den Heiligen Geist des Maidan3 das Deutschland Radio spricht vom Ukrainischen Goethe4, zu seinem 200 Geburtstag wurde ihm auf dem Maidan ein Denkmal gesetzt.5

Doch wie sind seine Worte 169 Jahre später zu verstehen und wie sind sie im aktuellen politischen Kontext zu interpretieren? Kann man Schewtschzenkos Zeilen gar als Aufforderung und Anleitung für Demokratie lesen, Demokratie durch Verbrüderung, als Einigkeit oder Gemeinschaft, ergo durch eine Nation?

Mit der Französischen Revolution 1789 kamen Nationalismus UND Demokratie in die Welt, erst durch nationale Einigkeit konnte die Freiheit in Form der Demokratie umgesetzt werden.

„In Europa und Nordamerika ist die Demokratie überall auf dem Nährboden der Nation gewachsen. Historisch waren Demokratisierung und Nationsbildung eng miteinander verbunden.“6

Konfliktpotential bietet hierbei natürlich die Fehlende ethnischer Homogenität, was gleichzeitig auch das negative Potential von Nationalismus bedeutet, indem radikale Vertreter eine einseitige, exklusive, nationale Identität erzwingen wollen. So aktuell VertreterInnen der Partei Swoboda, die gegen den russischen Einfluss kämpft, während sich dagegen ostukrainische Separatisten einseitig auf die russischen Prägungen berufen und andere Elemente ukrainischer Nationalidentität verneinen.

Lösung und Chance zugleich ist ein „liberaler, inklusiver Nationalismus“7, der einen positiven, einenden Charakter hat und damit zugleich die aktuellen politischen Probleme lösen könnte.

Das würde konkret bedeuten, dass eine Brücke zwischen dem Westen der Ukraine und dem russisch geprägten Osten und Süden der Ukraine geschlagen wird. Dies heißt, ganz im Sinne Schewtschenkos, dass sich diese Landesteile von russischem Einfluss befreien (Schewtschenko Zeile zwei „Und zersprenget eure Ketten, Und mit schlimmem Feindesblute“) und ihre Freiheit nutzen sollen um sich mit dem Westen der Ukraine wieder zu vereinen (Schewtschenko Zeile fünf „Und Verbrüderung wird schenken“).

Politische Identität – und damit Nationalismus – ist folglich als Voraussetzung für Demokratie zu verstehen.

Diesem Nationalismus sollte Russland eine Chance geben, denn in der Realität ist das Gros der Bürger in der Ostukraine gegen einen Anschluss an Russland.8

So ist abschließend festzustellen was Calhoun schreibt: „Wenn die Demokratie blühen soll, darf der Nationalismus kein Feind der Unterschiede sein.“9 Dem würde sicherlich auch der Dichter Taras Schewtschenko zustimmen.

_________________________________

1 Europäische Lyrik in drei Bänden, Dritter Band: Dichtung der UdSSR, Moskva, Progress-Verlag, 1977. Online abrufbar unter: <http://geo.viaregia.org/testbed/pool/editmain/T1_12266_Schewtschenko.Wenn.ich.sterbe.html>

2 Andruchowytsch, Juri: „Der Nationaldichter Taras Schewtschenko – Der heilige [sic!] Geist des Maidan“, 07.03.2014, in Neue Züricher Zeitung, online abrufbar unter dem Internet Auftritt der NZZ: www.nzz.ch (http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur-und-kunst/der-heilige-geist-des-maidan-1.18258225).

3 Vgl. ebenda.

4 Block, Vera: „Der Goethe der Ukraine – Taras Schewtschenkos Verse sind aktueller denn je“, 09.03.2014, in Deutschland Radio Kultur, online abrufbar unter dem Internetauftritt des Deutschlandradios: www.deutschlandradiokultur.de (http://www.deutschlandradiokultur.de/klassiker-der-goethe-der-ukraine.1013.de.html?dram:article_id=279584).

5Gerlach, Thomas: Nationaldichter der Ukraine – Sein Lebensthema war sein Land, 06.03.2014, auf www.taz.de. Onlien abrufbar unter dem Internetauftrtt der Taz: www.taz.de (http://www.taz.de).

6 Simon, Gerhard (2011): „Demokratie und Nation – die Demokratie und ihre Gefährdung“ in: Kappeler, Andreas (Hrsg.): Die Ukraine – Prozesse der Nationsbildung, Böhlau Verlag Köln, S. 361 – 374 (künftig zitiert als Gerhard 2011), S. 364.

7 Ebenda, S. 365.

8 welt.de: Mehrheit in Ostukraine will keinen Russland-Beitritt, 19.04.14, Online abrufbar unter dem Internetauftritt der Welt: www.welt.de (http://www.welt.de/politik/ausland/article127123712/Mehrheit-in-Ostukraine-will-keinen-Russland-Beitritt.html).

9 Gerhard 2011, S. 365.

Meine kanadisch-ukrainisch-deutsche Sicht des Anfangs des Euromaidan

(Alexandra Jadwiga Wößner)

Dieser Beitrag befasst sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung, als die Unruhen in Kiev begannen. Zu jenem Zeitpunkt befand ich mich in Edmonton, Alberta, Kanada und studierte Ukrainistik an der University of Alberta. In Kanada leben mehr als eine Million Menschen ukrainischer Herkunft. Besonders in Edmonton scheinen sie einflussreich zu sein, weil sie dort eine der größten Minderheiten darstellen. Alleine durch mein Studium war ich im engen Kontakt mit Ukrainerinnen und Ukrainern, aber mein großes Interesse an der Ukraine motivierte mich dazu, mich schnell in ukrainischen Kreisen außerhalb der Universität wiederzufinden. Somit konnte ich hautnah die Reaktionen der Kanadier-UkrainerInnen auf die Euromaidan-Proteste miterleben.

Der Euromaidan tauchte als Hashtag zuerst auf Twitter-Accounts auf und gab den Protesten, die sich meist auf dem Majdan Nesaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit) in Kiev seit dem 21. November 2013 abspielten, einen Namen. Wie bereits ersichtlich, setzt sich der Name aus Europa und Maidan zusammen, um auf die proeuropäische Haltung der Demonstrierenden aufmerksam zu machen. Der friedliche Protest wurde durch den Beschluss der ukrainischen Regierung hervorgerufen, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Dieser Beschluss kam sowohl für die Ukrainerinnen und Ukrainer als auch für die Ukrainischstämmigen in Kanada sehr überraschend.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich mit ihren Verwandten, Angehörigen und Freunden in Kanada in Verbindung setzten, gaben an, sich von der Regierung betrogen zu fühlen und fragten sich, wie sich die Regierung anmaßen konnte, über das Volk hinweg eine Entscheidung zu treffen, die nicht mit der Meinung der Mehrheit konform sei. Die Enttäuschung war auch bei den kanadischen Ukrainerinnen und Ukrainern groß, sodass schon am 24. November 2013, also drei Tage nach Beginn der Euromaidan-Proteste in Kiev, bereits eine Demonstration auf dem Churchill Square in Edmonton stattfand. Als Grund für die Demonstration wurde die Solidarisierung mit den Protestierenden in Kiev genannt. Ein Nachrichtendienst war auch vor Ort, berichtete von der Demonstration und interviewte einige Protestierende. Für die Demonstration wurde auf facebook und in den ukrainischen Nationalkirchen im Gottesdienst geworben. Die Protestierenden hatten sich erkenntlich gemacht, indem sie Ukraine- oder Europaflaggen in die Höhe hielten. Die Demonstrierenden sangen ukrainische Volkslieder und hielten Ansprachen, in denen sie ihre Sorgen und ihren Unmut in mündlicher Form darboten. Die Plakate hatten folgende Aufschriften: „Europa braucht die Ukraine“, „Putin – Finger weg von der Ukraine“, „Edmonton unterstützt die Ukraine“, „Die Ukraine ist Europa“ und „Kein Russland zwischen der Ukraine und Europa“. Sie deuteten an, dass Euromaidan nicht nur Kritik an der Entscheidung der Regierung übe, sondern direkt die Regierung kritisiere. Es wurde auch erwähnt, dass der Einfluss von Russland auf die Ukraine durch den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowytsch gewollt sei und bewusst auf diese Weise gelenkt wurde. Rücktrittsforderungen an Präsident Janukowytsch stellten zwar nicht die Kernforderung der Demonstrierenden auf dem Churchill Square dar, aber sie schwangen in den Aussagen der Demonstrierenden mit. Nach circa einer Stunde löste sich die Gruppe der Protestierenden auf und jeder ging seinen Weg – mit der Absicht, so schnell wie möglich wieder Kontakt zu Freunden und Verwandten in der Ukraine aufzunehmen.

Die Höhepunkte der Kiever Proteste sollten bedauerlicherweise erst folgen. Sie lösten noch größere Ängste und Sorgen bei den Ukrainerinnen und Ukrainern in Edmonton aus und führten dazu, dass sich insgesamt mehr Menschen engagierten und es mit jeder Demonstration mehr Demonstrierende gab. Für mich im konkreten Fall hieß es auch, mich mehr über die Ukraine zu informieren und vor meiner Abreise an einer zweiten Demonstration teilzunehmen. Meinen Professorinnen, Professoren und Kommilitoninnen ukrainischer Herkunft hat man die Sorge wirklich angesehen. Sie sagten mir, dass sie nachts nicht schlafen könnten und ihm ständigen Kontakt mit der Ukraine wären. Eine Professorin entschuldigte sich sogar gegen Ende des Semesters (Anfang Dezember), dass die Qualität ihrer Veranstaltung durch die Unruhen in der Ukraine so nachgelassen hätte. Eine Kommilitonin machte sich schwere Vorwürfe, dass sie nicht auf dem Maidan sein könne, um die Protestierenden dort zu unterstützen.

Zu Beginn der Unruhen in Kiev habe ich viel Menschlichkeit in Edmonton erlebt. Ich sah viele Menschen, die sehr besorgt waren um ihre Angehörigen und es nur schwer ertragen konnten, dass in ihrer Heimat die Situation so angespannt war. Von Herzen wünschte ich ihnen alles Gute und hoffte auf einen gewaltfreien und schnellen Ausgang der kritischen Situation. Leider mündete der Euromaidan in die Krim-Krise und den Konflikt in der Ostukraine. Ein Ende ist betrüblicherweise nicht in Sicht. Ich hoffe sehr, dass ich nächste Woche in Kiev und in Lviv (auf der Studienfahrt des AK Osteuropas) wieder auf diese Menschlichkeit stoße, da mir in Deutschland und in der deutschen Presse das Mitgefühl und Verständnis für die protestierenden Menschen in Kiev und anderen Städte dieser Welt unzureichend erscheint.

Möge die Studienfahrt nächste Woche für uns in vielerlei Hinsicht eine hilfreiche Erfahrung sein.

Das ABC der Krim-Krise

(Galja Spodarets)

Für diejenigen, die die Ereignisse auf der Krim nicht so richtig verfolgt haben, aber trotzdem verstehen wollen, was auf der Halbinsel passiert und warum das für die internationale Gemeinschaft Thema Nr.1 für eine ungewisse spannungsgeladene Zeit bleiben wird.

 

 

1. Die Situation in der Ukraine, die ganz Europa in Atem hält, hat nichts mehr mit der eigentlichen Revolution zu tun, sondern ist als deren direkte Folge zu verstehen. Die Revolution ist bereits ein historischer Fakt. Der Maidan hat in der Ukraine gewonnen. Das Regime von Janukowitsch ist weg und das Parlament hat den Präsidenten seines Amtes enthoben. Mehr als 100 Ukrainier haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Und noch viele mehr mit ihrer Gesundheit. Dieser Sieg wurde nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Westen gefeiert.

2. Die Übergangsregierung wurde durch 82% der Abgeordneten unterstützt (371 Stimmen, u.a. mit der Mehrheit von Janukowitschs „Partei der Regionen) und ist somit legitim. Es fand also kein „Neonazi Putsch“ statt, wodurch die Russische Föderation nun die Intervention auf der Krim zu legitimieren versucht. Der ehemalige ukrainische Präsident ist am 22. Februar aus Angst vor Strafverfolgung nach Russland geflohen. Seitdem hat er sich nur einmal bei der bekannten Pressekonferenz in Rostow am Don sehen lassen. Bis jetzt wissen wir aber nicht genau, wo er steckt und was er macht. Was uns aber zur Verfügung steht, ist seine Residenz und dessen Hinterlassenschaft, die da aufgefundenen Dokumente und Hinweise auf zahlreiche Verbrechen, worüber die Journalistin Natalie Sedletska im diesem Video kurz erzählt.

3. Bis Mai wird die Ukraine von der Übergangsregierung geführt. Am 25. Mai werden Neuwahlen stattfinden, bei denen alle Ukrainer über die Zukunft des Landes mitbestimmen können. Die Europawahlen sind übrigens auch für dieses Datum gesetzt worden. Ein gutes Zeichen.

4. Die EU hat die neue ukrainische Regierung anerkannt und am 6. März 2014 angekündigt, dass das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine bald unterzeichnet werden soll. Dagegen wurden zwei geplante Abkommen mit Moskau von den 28 EU-Länderchefs suspendiert.

5. Wir sind bereits im Krieg. Es handelt sich um einen Propagandakrieg. Warum ist das russische Propagandainstrument so mächtig? Es wirkt systematisch und einheitlich, provokativ und hasserzeugend, und das täglich auf der staatlichen Ebene und weltweit durch das Mediennetzwerk Russia Today. Nicht alle Journalisten wollen aber ihre Zuschauer weiter belügen, manche kündigen den Job on Air. Die ukrainische Medienlandschaft hat gegen diese Propagandamaschine einfach keine Chance. Die Ukrainer müssen alle die Lügen ständig widerlegen, womit das eigene Volk und die Welt zielgerichtet gefüttert werden. Somit sind die ukrainischen Medien immer einen Schritt hinter den russischen.

6. Eine vielseitige Berichterstattung gehört aber zur Demokratie, oder? Hier ist nun Euer Vorwissen gefragt. Und Resistenz gegen offensichtliche Provokationen. Ein ausländischer Leser, der schlicht aufgrund anderer Interessenschwerpunkte keine große Ahnung über die Geschichte der Ukraine und Ereignisse vor Ort hat, kann sehr leicht manipuliert werden, wenn man jedem geschriebenen Wort glaubt. Meine Bitte an Euch: hinterfragt jede sensationelle Nachricht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Unwahrheiten oder verdrehte Fakten beinhaltet, ist sehr groß. Der Vorsitzende des Internationalen Ukrainistenverbandes Prof. Michael Moser hat im diesem Zusammenhang einen offenen Brief an den Spiegel geschrieben.

7. Die Forscher des ukrainischen Nationalismus haben in einer kollektiven Stellungnahme unterstrichen, dass der ukrainische Maidan eine liberale und keine extremistische Protestaktion ist.  Ihrer Meinung nach wäre es besser, das Land selber zu besuchen, um das Geschehen objektiver darstellen zu können.

8. Objektivität ist nun wohl nicht im Trend. Ukraineexperten (Umland, Moser u.a.) kämpfen dafür. Da die Diktatoren ihren Einfluss in Kiew verloren haben, versucht man nun mit allen Mitteln das Bild zu erzeugen, dass die Übergangsregierung unter dem Einfluss von Extremisten steht. Für alle, die sich Sorgen um den ukrainischen Nationalismus machen: Vom 25. Februar bis zum 4. März 2014 wurden in der Ukraine die ersten Umfragen zu einem möglichen Staatschef durchgeführt. Für die nationalistische Partei „Svoboda“ würden 2,5% der Befragten ihre Stimme geben, nach anderen Angaben – nur 1,7%.
Sogar der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy fühlte sich verpflichtet, gezielte Fehlinformationen über die ukrainische Revolution zu entlarven. 

9. Wie oft haben wir von europäischen Politikern Diskussionen über die ukrainische neonazistische Regierung gehört? Solche Diskussionen führen meistens Menschen, die sehr verschwommene Vorstellungen vom politischen Umfeld der Ukraine haben, keine andere Argumente haben oder die Protestbewegung diskreditieren wollen. Juden, Russen, Ukrainer, Belarussen, Armenier, Georgier, Krimtataren, Vertreter anderer Nationalitäten, kultureller Traditionen und Religionsbekenntnisse haben auf dem europäischen Maidan aktiv mitprotestiert. Dieses Faktum wie auch Multikulturalität der Ukraine werden gerne ausgeblendet (z.B. das erste Todesopfer der Proteste in Kiew war Sergej Nigojan, ein Armenier aus dem ostukrainischen Dnjepropetrowsk wurde am 22. Januar erschossen, der zweite – ein Weißrusse Michail Zhiznewskiy… Link, man weist immer weiter auf den „proto-faschistischen Charakter“ der Opposition hin. Was sagen denn die ukrainischen Juden dazu? Dies wurde am Tag des Abtauchens von Viktor Janukowitsch bekannt gegeben. Haben die Juden tatsächlich zusammen mit Ukrainern auf dem Maidan gelebt? 

10. Anstatt von dem bedrohenden Krim-Krieg zu sprechen und dem daraus folgenden Ost-West-Konflikt, gar dem dritten Weltkrieg, wird der Fokus auf diesen Populismus über Nationalismus gelenkt.

11. Nun zur Souveränität der Ukraine. Die Ukraine ist ein souveräner unabhängiger Staat, in dem jegliche separatistische Bestrebungen strafrechtlich verfolgt werden (Artikel 111 des Strafgesetzbuches). Nach dem Zerfall der Sowjetunion verfügte das Land über die drittgrößte Anzahl von Nuklearsprengköpfen auf der Welt (nach USA und Russland). Mit dem so genannten “Budapester Memorandum” von 1994 verzichtete die Ukraine auf diese Arsenale zugunsten Russlands als Rechtsnachfolger der UdSSR. Als Gegenleistung hat Kiew Sicherheitszusagen von Russland, USA und Großbritannien erhalten, die die territoriale Integrität und die Grenzen der Ukraine respektieren und sicherstellen sollten. Somit hat das Land die Anerkennung ihrer Grenzen in einem völkerrechtlich relevanten Vertrag bekommen. Die Budapester Abmachung versichert explizit, dass militärische oder ökonomische Druckausübung unzulässig ist.

Wichtig: wenn ich Russland sage, meine ich die autoritäre Staatsmacht und um Gottes Willen nicht das Volk. Wie der ehemalige Berater von Putin Andrej Illarionov das ausdrückte, ist der größte Verbündete der Ukrainer in diesem Moment das russische Volk. (http://www.youtube.com/watch?v=ge69W7NY-gg).

12. Mit seinem Vorgehen auf der Krim verletzt die Atommacht Russland internationales Recht. Seitens der Russischen Föderation wird nun amerikanisches und europäisches Engagement rund um die Ukraine als ein Zeichen der Einmischung in die eigene Interessenssphäre interpretiert. Die westlichen Garantiemächte des Memorandums dürfen aber nicht einfach zusehen, wie Russland die Zukunft und Einheit der Ukraine untergräbt. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit und Verantwortung der führenden Mächte. Russland, ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates hat mit dem Vorgehen auf der Krim die UN-Charta gebrochen. Warum sollte ein Staat jemals wieder einem „Papier“ vertrauen, wenn gegen die geschlossenen Vereinbarungen so einfach verstoßen wird? Wozu brauchen wir internationale Verträge, wenn sich an die sowieso nicht gehalten wird? Funktioniert noch das gemeinsame weltweite Sicherheitssystem?

13. Der Imageverlust für ihr Land scheint der russischen Regierung völlig egal zu sein. Schließlich hat Russland ein mächtiges staatlich gesteuertes Propagandainstrument und in den Augen der breiten Bevölkerungsgruppen gilt der Präsident nicht als Verbrecher und Aggressor, sondern als Retter und Befreier. Denn seit vielen Monaten wird der Ukraine aggressiver Nationalismus vorgeworfen und das Volk genießt die Rhetorik über Neonazis, Nationalisten und Judenfeinde auf dem Maidan (http://ukraine-nachrichten.de/prorussische-netzwerk-hinter-medialen-diffamierung-ukrainischen-proteste-eine-rechtsextreme-bewegung_3926_meinungen-analysen). Putin hat alle diese Wörter in seiner Pressekonferenz am 4. März 2014 (mit ausgewählten russischen Journalisten, ausländische Medien waren nicht eingeladen) in einem Satz als Synonyme benutzt (Zitat: „мы видим разгул неонацистов, националистов, антисемитов“). Nach dem Motto: Krimbewohner, wir werden euch von Neonazis befreien! Putin meint: „Wenn die ukrainische Armee auf Frauen und Kinder schießt, werden wir uns vor sie stellen und sie beschützen.“ Die Verteidigung der russischsprachigen Ukrainer und der ethnischen Russen auf der Krim ist das Hauptargument der Intervention.
14. In der Tat sieht es aber auf gar keinen Fall so aus, als ob die russischsprachigen Menschen jetzt unter Lebensgefahr sind. Provokation und Lüge! Auf der Halbinsel mit 2. Mio. Bewohner wohnen beispielsweise 250 000 Tataren, die Ureinwohner der Krim und große Patrioten der Ukraine, friedlich mit Ukrainern, Russen, Juden usw. in einer bunten Kulturlandschaft zusammen. Der Vertreter der jüdischen Gemeinde sagte: zwanzig Jahre haben die Juden auf der Krim ruhig und friedlich gelebt. Als die russischen Soldaten kamen, erschien auf der Synagoge „Tod den Juden“. Überraschend? Oder doch nicht? Hier brauchen jetzt nicht die Russen Schutz, sondern die Ukrainer und Tataren, die den Maidan und die Protestbewegung unterstützt haben, stellt die Beauftragte für nationale Minderheiten fest.

15. Die Behauptung, dass das Russische in der Ukraine unterdrückt wird, ist absurd. Es gibt keinen einzigen Beweis, dass die ethnischen Russen bedroht seien oder russischsprachigen Ukrainern vernachlässigt würden. Das sagt euch eine russischsprachige in Odessa geborene Ukrainerin. Bei uns an der Schwarzen Meer witzt man nur drüber in der Art „In der Ukraine können Sie Russisch reden, in Russland dürfen Sie auf Russisch schweigen.“

16. Der russische Präsidenten provoziert aber gerne. Die Protestbewegung als rechtsradikal zu denunzieren? – Check. Das verbrecherische Regime von Janukowitsch zu decken? – Check. Internationale Verträge und Völkerrecht zu brechen? – Check. Die territorialen Grenzen der souveränen Ukraine anzuzweifeln? – Check. Den Einsatz russischer Truppen auf der Krim zu leugnen? – Check. Wer sind die 30 000 Soldaten, die weiterhin ukrainische Militäreinheiten auf der Krim blockieren? Die Kontrolle über strategisches Gelände auf der Krim (Flughäfen, ukrainische Flottenstützpunkte, Regionalverwaltung) wurde von bewaffneten vom Kreml gesteuerten Gruppen übernommen. Die Gruppen nennen sich „Volksmiliz der Krim“, in zahlreichen Interviews verraten aber ruhig ihre Identität. Sie wollen die Ukraine vom „Faschismus“ befreien. Wenn mindestens ein russischer Soldat/Einwohner gelitten hätte, würde man ihn schon längst zu einem Märtyrer machen. Solche Beispiele gibt es einfach nicht.

17. Die Politik muss und wird von diesem Fakt ausgehend betrieben werden. So wurden die jüngsten Aktivitäten Russlands auf der Krim von der internationalen Gemeinschaft, der EU und dem UN-Sicherheitsrat als militärische Intervention und Verletzung internationaler Abkommen verurteilt. Was steht jetzt auf dem Spiel? Der territoriale Zusammenhalt der Ukraine. Russland unternimmt dabei alle möglichen Destabilisierungsmaßnahmen (tausende Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, Lügen über die humanitäre Notlage, gezielte Provokationen, destabilisierenden Aktionen, Fehlinformationen, großrussische Rhetorik.

18. Manche Beobachter zogen in Bezug auf den Maidan den Vergleich mit der Machtergreifung von 1933? Vielleicht wäre im Zusammenhang mit der Krim-Krise eine andere Assoziation angebracht? Der Anschluss Österreichs? Ich empfehle hierzu den Beitrag eines russischen Geschichtswissenschaftlers Prof. Andrey Zubov, der übrigens unmittelbar nach seiner Veröffentlichung vom Moskauer Institut für Internationale Beziehungen gefeuert wurde.

19. Die Ukrainer sind keine Separatisten. Im Osten des Landes gibt es Ukrainer, die sich eine engere Anbindung an Russland wünschen. Man muss ehrlich sagen: Die politische Bildung ist in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken sehr schlecht. Dagegen übernehmen die monopolisierten staatlichen Medien die Aufgabe, klare Botschaften zu transportieren. Es ist unheimlich wichtig, diese Hassbilder medial tagtäglich zu verbreiten, um die Invasion in die Ukraine zu rechtfertigen. Selbst auf der Krim findet sie jedoch keine Unterstützung in der Bevölkerung. Nirgendwo werden die russischen „Befreier“ einheitlich bejubelt.  Teilung und Krieg, worauf Putin jetzt hinsteuert, wollen die Ukrainern nicht. Das muss man an der Stelle klar ausdrücken: auch nicht alle ethnischen Russen in der Ukraine wünschen sich solche brüderliche „Hilfe“. Am vorigen Wochenende protestierten vor allem im Osten und Süden des Landes viele Demonstranten gegen den möglichen Krieg. In meiner Heimatstadt Odessa (im absolut russischsprachigen Gebiet des Landes) gingen über 10.000 Menschen auf die Straßen mit der Aufforderung an die russische Regierung, den Halbinsel Krim und das Land zu verlassen. (Videos dazu)

20. In der Ukraine sind gerade viele „Touristen auf Tour“ die an prorussischen Demonstrationen teilnehmen. So ist beispielsweise der „Befreier“ mit der russischen Flagge über der Stadtverwaltung in Charkiw ein in Moskau wohnhafter russischer Staatsbürger.

21. Es finden alarmierende Demos statt!  „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ sagte Heine nicht ohne Grund. Andreas Umland, der Ansprechpartner für die stipendiatische FES-Ukraine-Reise, kennt sich mittlerweile nicht nur mit der Politik gut aus, sondern auch mit der Schauspielkunst.

22. Um die Aufmerksamkeit der Menschen hier in Deutschland zur ukrainischen Krise zu wecken, hat Dr. Umland diese witzige Petition gestartet. Vielleicht verjagt Humor die bisherige Ignoranz?

23. Am 6. März 2014 hat sich das Krim-Parlament, dessen Regierungschef vor zwei Wochen durch die russlandfreundlichen Trupps an die Macht kam, für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen. Die illegale Volksabstimmung wurde bereits mehrmals vorverlegt (vom 25. Mai auf den 30. März, vom 30. März auf den 16. März) und wird nun in einer Woche stattfinden. Die Russischen Parlamentsabgeordneten haben sich dazu ein Gesetzt überlegt, wonach der Beitritt einzelner Landesteile zu Russland vereinfacht werden soll. Der von Russland initiierte Bruch des Völkerrechts soll also demokratisch legitimiert werden. Die Ukraine und die EU wird dieses Referendum und diese Umwälzungen nicht anerkennen, da es gegen die Verfassung ist. Daher müssten sich der prorussische Krim-Regierungschef Aksjonov sowie der Präsident des Regionalparlaments Konstantinow für Verbrechen gegen den Staat durch einen Angriff auf die territoriale Unversehrtheit der Ukraine vor dem Strafgericht verantworten. Die ukrainische Verfassung sieht jegliche Veränderung der territorialen Grenzen des Landes ausschließlich durch ein nationales und nicht lokales Referendum vor. Und wer in Russland leben will, kann auch gerne nach Russland gehen.

24. Falls es eine Volksabstimmung auf der Krim geben wird, können wir mit weiteren Folgen rechnen. Was kommt nach der Halbinsel? Donezk? Charkiw? Odessa? Und nach der Ukraine? Moldawien? Georgien?

25. Einen echten Krieg wünscht sich in Russland auch niemand. Viele Russen protestieren gegen den Krieg. Dies wird aber aus der Wahrnehmung vollkommen ausgeblendet. Die Protestierenden werden schnell weggesperrt. 

26. Warum betrifft dieses Thema uns alle? Es handelt sich gerade um ein mächtiges geopolitisches Spiel, das die Beziehungen zwischen Ost und West für die nächsten Jahre wenn nicht Jahrzehnte gefährden kann. Im Ost-West-Verhältnis droht ein neuer kalter Krieg. Brauchen wir diese neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen?  Diese Konfrontationspolitik muss baldmöglichst aufhören. Wie Gorbatschow das einmal vorgemacht hat. Hier wird sie leider immer weiter aufgebaut. Die Spannungen auf der Krim werden weiter verschärft, UN-Sondergesandte und internationale Beobachter werden von Krim durch Warnschüsse verjagt und die ukrainischen Reservisten wurden als Folge dessen bereits zur Mobilisierung aufgerufen.

Die Aufklärung über das Thema wird dringend benötigt.  Noch ist die Zeit der Diplomatie nicht vorbei. Informiert zu bleiben ist die beste Waffe in diesem Informationskrieg.

 

 

[Die Verantworlichkeit für die Inhalte des Artikels liegt bei der Autorin.  Die auf den gelinkten Seiten wiedergegebenen Meinungsäußerungen und/oder Tatsachenbehauptungen liegen in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Autorin oder des jeweiligen Autors und spiegeln nicht die Meinung des stipendiatischen Arbeitskrieses Osteuropa der FES wider.]