Minderheiten in Mazedonien – Teil 2 des Interviews mit Tijana Angjelkovska

(Tijana Angjelkovska, Kristin Kretzschmar)

Tijana Angjelkovska ist aus Tetovo, Mazedonien. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre in Tetovo und „Economics for Business Analysis“ in Großbritannien. Nachdem sie am AK Treffen in Berlin teilgenommen hat und uns einen ersten Einblick in die Minderheitenfrage in Mazedonien gab, stimmte sie zu, weitere Fragen in einem Interview zu beantworten. Dieses Interview wird nun in drei Teilen veröffentlicht.

In Teil 2 des Interviews mit Tijana Angjelkovska befassen wir uns mit Minderheiten in Mazedonien. Was sind Minderheiten in Mazedonienen und wie ist die Lage der Roma?

Zur Erinnerung: Teil 1 befasste sich mit dem Community Devedlopment Institute und den sogenannten CICRs. In Teil 3 werden wir über Beziehungen zu Nachbarstaaten und Skopje 2014 sprechen.

 _____________

Kristin Kretzschmar: Wenn Du über Minderheiten in Mazedonien sprichst, geht es ja meistens um jene größeren Gruppen wie Albaner und Mazedonier …

Tijana Angjelkovska: Ja, das ist so eine Sache. In Mazedonien sind in der Regel die Albaner die größte Bevölkerungsgruppe. In anderen Teilen sind es die Mazedonier. Beide gelten aber als Minderheit. Alle weiteren Minderheiten – in Mazedonien leben Serben, Roma, Türken, Torbeshi, Vlafs und andere kleinere Ethnien – werden oft beiseite gelassen. In der Regel besteht nur an den größten Gruppen Interesse. Aber die Vertretung der Bedürfnisse und Rechte der Minderheiten ist ein Teil der Menschenrechte. Daher müssen wir sicherstellen, dass jeder die gleichen Rechte hat. Die Vertretung der Bedürfnisse und Probleme der Minderheiten gegenüber der Entscheidungsträger, ist einer der Hauptgründe dafür, dass CIRCs bestehen

KK: Und die kleineren Minderheiten bleiben im Gesetzgebungsprozess gewissermaßen außen vor?

TA: In der Regel werden sie nicht gezwungen, sich zu assimilieren; da aber ihre Rechte und Bedürfnisse als kleine Minderheit nicht zufrieden gestellt werden, assimilieren sie sich oft automatisch in die größeren Gruppen. Besonderes Westmazedonien ist eine problematische Region, wo wir viele Minderheiten haben. Jeder Mensch fühlt sich dort als Minderheit und jeder meint, seine Freiheiten und Rechte seien eingeschränkt. Und auch für mich war es am Anfang recht seltsam mich an die Idee zu gewöhnen, dass ich zur mazedonischen Minderheit in Mazedonien gehöre. Das sind Prozesse, die Zeit brauchen. Mazedonier, sowie Albaner oder Türken oder Serben – sie alle sind echte Minderheiten an einem gewissen Punkt. Aber es ist schwer zu sagen, wer „die wahre Minderheit“ ist. Wenn Du in Westmazedonien schaust sind eben die Mazedonier die Minderheit…

K.K.: Zahlenmäßig…?

TA: – und im Bezug darauf, wie sie im öffentlichen Leben vertreten sind und wie die Region strukturiert ist. Wir haben gewissermaßen eine „Prozent“ Demokratie – es wird versucht mit quantitativen Maßnahmen Fragen der Repräsentation zu befriedigen.

KK: Ok, und wie ist die Lage der Roma in Mazedonien?

TA: Eigentlich, denke ich, dass Roma in Mazedonien die besten Bedingungen in Europa vorfinden. Momentan arbeiten wir an der Umsetzung verschiedener Programme im Rahmen der Roma-Dekade 2005/2015. Ziel sind Verbesserungen der Vertretung der Roma im öffentlichen Leben. Außerdem gibt es neue Gesetzen, beispielsweise Schulpflicht und sie sind durchaus im gesamten System integriert. In der Tat ist Mazedonien das erste Land in der Region mit einem Minister der Roma-Ethnie und hat auch viele Roma in hohen Regierungsstellen vertreten. Mazedonien gibt sich große Mühe, sie auf höheren Ebenen zu integrieren. Es gibt aber immer noch eine Menge, was in den Bereichen Bildung und Integration getan werden muss.

KK: Die Situation in Shutka, die größte Roma-Gemeinschaft in Europa und Teil Skopjes, wird noch immer von sozialen Problemen definiert, nicht wahr?

TA: Suto Orizari ist weltweit die einzige Gemeinde mit einer Roma-Mehrheit und Roma als Amtssprache. Doch wie gesagt es gibt viele Dinge und Bereichen, die sich verbessern müssten, zum Beispiel Arbeitslosigkeit durch unzureichende Bildung. Das Bildungsniveau der Roma-Bevölkerung ist unbefriedigend, und das führt zu Armut und Integrationsproblemen. Auch die nicht regulierte Frage der Staatsbürgerschaft verhindert gleiche Teilhabe am Bildungssystem. Hinzukommen unzureichende Kenntnisse der mazedonischen Sprache.

Behausung ist auch ein Problem. Zum Beispiel gibt es Familien in Suto Orizari, die in winzigen Räumen leben ohne Elektrizität oder Wasser. Und all das führt zu dem größten Problem: das Gesundheitssystem. Das niedrige Bildungsniveau und Lebensstandard auf der einen Seite, und die medizinischen Kosten auf der anderen schließt die Roma-Bevölkerung vom Zugang zur Krankenversicherung und primären medizinischen Leistungen aus.

Bericht über ein Praktikum im Moskauer Büro der FES

(Ruben Werchan)

Während meines einjährigen Studienaufenthalts an der Lomonossov-Universität in Moskau im Studienjahr 2010/11 habe ich längere Zeit als Praktikant im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Moskau gearbeitet. Während dieser Zeit habe ich neben der Mitarbeit an den laufenden Projekten des Büros an einer Forschungsarbeit über die Sozialsysteme in Belarus und Russland gearbeitet. Mein Bericht stellt die FES und ihre Arbeit im In- und Ausland, sowie die Ergebnisse meiner Forschung vor.

[scribd id=95266669 key=key-27ikg93fy28f8c1r5zg9 mode=list]

 

Interview mit Tijana Angjelkovska – Teil 1

(Tijana Angjelkovska; Kristin Kretzschmar)

Tijana Angjelkovska ist aus Tetovo, Mazedonien. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre in Tetovo und „Economics for Business Analysis“ in Großbritannien. Während ihres Studiums arbeitete sie als Jugendarbeiterin in lokalen NGOs zur Verbesserung der Kommunikation und dem Verständnis zwischen allen Ethnien, die in Tetovo leben. Zuletzt war sie beim Community Development Institute (CDI) in Tetovo beschäftigt. Momentan nimmt sie am Europäischen Freiwilligendienst teil und arbeitet in Prag im Bereich internationale Angelegenheiten. Nachdem sie am AK Treffen in Berlin teilgenommen hat und uns einen ersten Einblick in die Minderheitenfrage in Mazedonien gab, stimmte sie zu, weitere Fragen in einem Interview zu beantworten. Dieses Interview wird nun in drei Teilen veröffentlicht.

 Teil 1 des Interviews befasst sch mit dem Community Development Institute (CDI), für welches sie in Tetovo arbeitete, sowie den Schwächen der Ausschüsse für Interethnische Beziehungen. Der AK Osteuropa wird im Rahmen der Reise nach Mazedonienen unter anderem auch das CDI besuchen.

In Teil 2 werden Minderheiten in Mazedonien allgemein betrachtet und Teil 3 befasst sich mit Mazedoniens Beziehungen zu Nachberstaaten und Skopje 2014.

__________________________________________________________________

Kristin Kretzschmar (K.K.): Du hast für das CDI gearbeitet – was genau ist das CDI eigentlich?

Tijana Angjelkovska (T.A.): Das Community Development Institute (CDI) ist eine nicht-staatliche gemeinnützige Organisation, die auf die Verbesserung der interethnischen Verständigung und Toleranz hinarbeitet und die Stärkung der Kapazitäten der Organisationen und Einzelpersonen, sowie auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und des Lebensstandards der Bürger in Mazedonien zum Ziel hat. Die Entwicklungen und Reformen nach dem Konflikt im Bezug auf die Dezentralisierung der Verwaltung des Landes sind auf der Grundlage des Rahmenabkommens von Ohrid getroffen wurden. Gemäß des Abkommens haben alle ethnischen Gruppen Anspruch auf eine angemessene Vertretung in öffentlichen Einrichtungen; sowohl auf lokaler als auf auch zentraler Ebene. Um die ausgewogene Vertretung zu gewährleisten und Probleme der ethnischen Minderheiten zu lösen, ist im 2002 erlassenen Gesetz über kommunale Selbstverwaltung die Einrichtung von Ausschüssen für die Interethnischen Beziehungen (Committees for Inter-Community Relations – CICR) vorgesehen. Genau auf diesen Ausschüssen, CICRs, lag in den letzten sieben Jahren der Schwerpunkt der Arbeit vom CDI.

K.K.: Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?

T.A.: In den Gemeinden arbeiten wir an der Verbesserung und Stärkung ihrer institutionellen Geschichte und Kapazitäten. CICRs sind ständige Beiräte der Gemeinderäte im Bezug auf interethnische Beziehungen. Die Zusammenarbeit zwischen CICRs und Gemeinderäten haben sich über die Jahre bereits verbessert. Nach den Kommunalwahlen im März 2009 resultierte aber das Fehlen von Mechanismen, um die Fortsetzung der Arbeit der CICRs in den Gemeinden zu sichern, in Diskontinuität der Aktivitäten, Intransparenz und Fehlfunktionen der CICRs.

K.K.: In welchen Beziehung stehen die CICRs zu Wahlen? Werden die Vertreter auch gewählt?

T.A.: Das Mandat der CICRs hat die gleiche Länge wie das Mandat der Vertreter im Gemeinderat. Doch da sie über keine institutionelle Geschichte verfügten, kam es nach den Wahlen zur Diskontinuität in der Funktionsweise der CICRs.

K.K.: Und diese CICRs sind in jeder Gemeinde obligatorisch?

T.A.: Diese sollen in Gemeinden eingerichtet werden, wo mindestens 20% der Bevölkerung einen anderen ethnischen Hintergrund als die Mehrheitsbevölkerung haben. Die Anzahl der Mitglieder variiert von Gemeinde zu Gemeinde, je nach Anzahl der zu vertretenden Ethnien. Aber je Ethnie gibt es immer nur einen Vertreter, der prozentuale Anteil der Ethnie wird nicht berücksichtigt. Aber, das CDI versucht neben der Arbeit an der institutionellen Verbesserung und Kontinuität der CICRs, auch Lobbyarbeit zu machen, um CICRs zwingend für jede Gemeinde zu machen, so dass selbst wenn es eine Person gibt, die einer Minderheit angehört, diese das Recht hat Bedürfnisse in die Politikgestaltung einfließen zu lassen.

K.K. Und wie sind der Fortschritte bei der Schaffung einer klaren Aufgabe und Verbesserung der Organisationsstruktur der CICRs?

T.A.: Es ist immer noch ein schwerer und langsamer Prozess. Da sich die Mandate der Mitglieder der CICRs und der Kommunalpolitiker gleich lang sind ist ein kontinuierliches Training für den Aufbau von Kapazitäten der Mitglieder und die Verbesserung der Organisationsstruktur, die das CDI organisiert, notwendig. Auch die Lobbyarbeit für die Änderungen in der Gesetzgebung in Bezug auf die CICRs ist langwierig.

 

Bericht über ein Praktikum in Prager Büro der OSZE

(Kristin Kretzschmar) 

Ort, Zeitpunkt und wöchentliche Arbeitszeit

Im Sommer 2011 habe ich im Prager Büro des Sekretariats der OSZE ein siebenwöchiges Praktikum absolviert. Dieses umfasste eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden; täglich von 9.00 bis 17.00 Uhr. Das Praktikum wurde nicht vergütet.

Bewerbungsverfahren

In meinem Fall verlief das Bewerbungsverfahren noch recht informell. Ich habe mich auf eigene Initiative per E-Mail beworben. Etwa zwei Monate später erhielt ich eine Antwort; mir wurde mitgeteilt, dass ich Anfang Juli beginnen könnte und nur noch ein Motivationsschreiben nachreichen soll.

Inzwischen ist es nicht mehr ganz so locker. Bewerbungen sind nur noch möglich, wenn Stellen ausgeschrieben wurden. Das heißt: wenn das Prager Büro Bedarf hat, wird eine Stellenausschreibung an das Sekretariat in Wien weitergegeben. Diese Stellenausschreibungen findet man auf der Hauptseite der OSZE. Trotz alledem kann es sich lohnen, vorab in Prag telefonisch anzufragen, ob vielleicht schon Stellen für einen bestimmten Zeitraum vorgesehen sind. 

Informationen zur OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) ist die institutionalisierte Weiterführung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Am bekanntesten ist die OSZE für die Wahlberichte, wie beispielsweise der Bericht zur Russischen Präsidentschaftswahl 2012. Daneben ist die OSZE noch in vielen andern Bereichen aktiv – beispielsweise Konfliktprävention, Umweltforen…

Besonders interessant war für mich der umfangreiche Sicherheitsbegriff der OSZE. Auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einigte man sich, Sicherheit in drei Körben (inzwischen umbenannt in Dimensionen) zu definieren: neben der politisch-militärischen Dimension auch in der Wirtschafts- und Umweltdimension und der menschlichen Dimension.

Weitere Informationen zur OSZE im Allgemeinen findet man im Faltblatt „Was ist die OSZE“  und etwas umfangreicher im Handbuch.

Das Prager Büro

Das Prager Büro der OSZE ist eine Außenstelle des Sekretariats, welches inzwischen seinen Sitz nach Wien verlegt hat. Dieser Standort ist historisch gewachsen und beherbergt nun die Archive der OSZE. Des weiteren wird hier das jährliche Wirtschafts- Und Umweltforum organisiert.

Aufgaben konkret

Die Arbeit war sehr an den Bedürfnissen der PraktikantInnen orientiert und ist stark von der Archivfunktion des Prager Büros gepräg . Das heißt, dass es sogar erwünscht war, neben den notwendigen Aufgaben, auch ein eigenes Projekt zu bearbeiten. 

Ich habe die ersten zwei Wochen des Praktikums nach Unterlagen und Dokumenten der Überprüfungskonferenz in Astana gesucht (in diesem Falle hauptsächlich in elektronischen Datenbanken, da die Konferenz 2010 war), und diese Dokumente so aufgearbeitet, dass sie eine vollständige Dokumentation der Konferenz darstellen. Des Weiteren ist es eine Aufgabe der PraktikantInnen den WissenschaftlerInnen (Researcher In Residence Programme http://www.osce.org/employment/43289) zuzuarbeiten, das heißt: für diese Dokumente in den Datenbanken oder den Archiven zu suchen. 

Daneben übernehmen PraktikantInnen auch die üblichen Büroaufgaben, beispielsweise E-Mailverkehr oder Übersetzung von Briefen. Eine weitere Aufgabe, die den PraktikantInnen anvertraut wird, ist die Vorbereitung und Durchführung von Präsentationen über die OSZE für deutsche RechtsreferendarInnen, die das Büro besuchen. 

Mein persönliches Projekt war die Anfertigung einer thematischen Dokumentation der Arbeit der OSZE in der Republik Moldau. Da ich mich schon im vorherigen Semester umfangreich mit dieser Thematik (siehe Ost-IA: Föderalisierung Moldawiens) befasst habe, stellte dies für mich eine sinnvolle Fortführung dar. Für diese Dokumentation habe ich erneut Dokumente (in diesem Falle auch tatsächlich in Archiven und nicht nur am Computer) in einer Sammlung zusammengetragen. Diese wird es in Zukunft Wissenschaftlern, die sich mit diesem Thema befassen, die Arbeit erleichtern.

Als Highlight des Praktikums stand eine Reise nach Wien und Besuch des Ständigen Rates sowie des Sekretariats und Treffen mit verschiedenen MitarbeiterInnen auf dem Programm. Die Kosten dafür wurden von der OSZE getragen.

Fazit

In diesem Praktikum konnte ich meine Kompetenzen und Fähigkeiten auf verschiedenen Gebieten erweitern.  Vor einer Bewerbung gilt es allerdings zu bedenken, dass die Arbeit in Archiven im Zentrum steht. Das heißt: ein gewisser Hang zur Genauigkeit und Durchhaltevermögen sind hilfreich, wenn man mal wieder drei Tage in Folge im Archiv im Keller nach einem bestimmten Dokument aus dem Jahre 1992 sucht. 

 Da im Prager Büro darauf geachtet wurde, dass nicht ein Praktikant allein ist, sondern wir zu viert waren, kam auch das soziale Leben nicht zu kurz. 

Auch nach Abschluss meines Praktikums stehe ich noch mit der OSZE in Kontakt; so besuchte ich beispielsweise des Wirtschafts- und Umweltforum und unterstütze aktuell ein Forschungsprojekt.

 

The Country that loves you – Reisebericht Georgien

In großen Buchstaben empfängt Tbilisi seine Besucher mit dem Slogan: „The city that loves you“. Tatsächlich fühlt sich der Tourist in Georgien nicht nur von der Hauptstadt geliebt, sondern überall wird ihm der Eindruck vermittelt, dass sich das Land und dessen Bürger über seinen Besuch freuen.

Tourismus war und ist ein wichtiges Standbein der georgischen Wirtschaft. Damit dies so bleibt, wird rigoros in den Tourismus investiert. Dabei ergänzen sich Regierungsprogramme, privatwirtschaftliche Initiativen und ausländische Förderprogramme. So zeigte zum Beispiel ein Gastwirt in der Stadt Sighnaghi stolz eine Broschüre über ein Projekt, welches mit Fördermitteln der EU und der GTZ realisiert worden war. Die Investitionen sind nicht zu übersehen. Alle Sehenswürdigkeiten (hauptsächlich alte Kirchen und Festungen) sind mit multiplen, überdimensionierten Straßenschildern ausgewiesen. An touristisch besonders relevanten Orten gibt es Unterkünfte im Überfluss und eine Armee von Taxifahrern ist gern bereit, gegen das entsprechende Entgelt den Gast zu jedem noch so entlegenen Ziel zu bringen. Besonders auffällig sind die umfangreichen Renovierungsmaßnahmen, die, an für Touristen interessanten Gebäuden und Orten, durchgeführt werden. Auf diese Weise restaurierte Stadtviertel (z.B. in Sighnaghi und Mzcheta) wirken fast schon etwas künstlich, da sich die schick verputzten Fassaden, die mit Ziegeln gedeckten Dächer und die präzise gepflasterten Straßen grotesk von ihrer in eher desolatem Zustand befindlichen Umgebung abheben. Das beeindruckendste Beispiel dafür ist die David Agmashenebeli Straße in Tbilisi. Vollständig restauriert liegt sie wie ein Import aus Disneyland in der sonst eher von einem morbiden Charme geprägten Stadt, denn um sie herum besticht Tbilisi mit einer Atmosphäre, die ihre Gemütlichkeit aus alten, teilweise gefährlich windschiefen, verwinkelten Häusern mit hölzernen Balkonen, Veranden und Außentreppen schöpft, die um kleine familiäre, mit Wäscheleinen überspannte Hinterhöfe gruppiert sind.

Bei der vielen Aufmerksamkeit, die dem Tourismus gewidmet wird, überrascht es, dass der Personennah- und fernverkehr eher subsovjetischem als westlichem Standard entspricht. Zug- und Busverbindungen wurden in Ostgeorgien vollständig gestrichen. Dem Touristen bleiben so nur Marschrutkas (Minibusse) oder das Taxi. Die Marschrutka ist hier die wesentlich kostengünstigere Alternative, verlangt aber ein hohes Maß an Flexibilität und mindestens Russischkenntnisse. Fahrpläne gibt es nicht und um Ort und Zeit der Abfahrt ebenso wie den Streckenverlauf zu erfahren hilft nur Durchfragen. Die Ziele sind nur in Ausnahmefällen in lateinischen Buchstaben ausgewiesen und თელავი als Telavi zu erkennen, erfordert doch einige Übung. Der Trost für alle, die sich dem Marschrutka-System nicht gewachsen sehen, ist, dass Georgien von der Größe her überschaubar ist und die Preise für eine Taxifahrt sich ungefähr im Bereich der Kosten einer Bahnfahrt in Deutschland bewegen.

Es lohnt sich auf jeden Fall, es mit den Widrigkeiten der Fortbewegung aufzunehmen, denn die Ziele sind jede Anstrengung sie zu erreichen wert. Neben den schon erwähnten Baudenkmälern, die von einer jahrhunderte- und jahrtausendealter Geschichte des Christentums in Westasien erzählen, ist es vor allem die Natur, die eine Reise nach Georgien lohnend macht. Die Gebäude wären nur halb so beeindruckend ohne die Kulisse des großen Kaukasus im Norden, bzw. des kleinen Kaukasus im Süden im Hintergrund. Der Wert der georgischen Natur wurde schon frühzeitig erkannt und so wurde bereits 1912 mit dem Lagodekhi Nationalpark das erste Gebiet zum Schutz der Natur geschaffen. Seit dem Ende der Sowjetunion ist dieser, und mittlerweile auch viele weitere Parks, für Touristen zugänglich und bietet viele interessante Wanderrouten in herrlicher Landschaft.

All dieser Reichtum an natürlichen und architektonischen Sehenswürdigkeiten wäre nichts, ohne die viel gepriesene Gastfreundlichkeit der Georgier. Es ist sicherlich mit einiger Schwierigkeit verbunden einen Urlaub in Georgien zu verbringen ohne mindestens einmal zum Essen oder zum Wein eingeladen zu werden. Und es wäre ein riesiger Verlust, denn die georgische Küche steht dem georgischen Wein in nichts nach. Vor allem die verschiedenen Brotzubereitungen beginnend mit dem von der Form an ein Schiffchen erinnernden Weißbrot über Hachapuri (Brot mit Käsefüllung) bis zu Cheburek (Teigtasche mit Hackfleischfüllung), sind ein Genuss, den der Besucher noch lange in Erinnerung behält. Aber auch diverse Fleisch- und Gemüsegerichte verwöhnen den Gaumen des Besuchers ebenso wie frischer Honig und  Nüsse.

Der Eindruck, von Georgien geliebt zu werden, wird noch durch das für den postsowjetischen Raum eher untypische Verhalten der Polizisten abgerundet. Besonders ausländischen (und hier vermutlich besonders westeuropäischen) Besuchern gegenüber präsentieren sich die Gesetzeshüter als freundlich und zuvorkommend. Wendet man sich mit Fragen an einen Polizisten, bekommt man meist eine umfangreiche Erklärung und vielleicht sogar eine Verabschiedung mit Handschlag und Smalltalk. Selbst davon, in verzweifelten Situationen von Polizisten an den Zielort gefahren zu werden, wurde berichtet. Das Verhalten der Polizisten ist damit zu erklären, dass, nachdem Saakashvili Präsident von Georgien wurde, der gesamte Kader der Polizei ausgewechselt wurde. Weiterhin wurde das Gehalt angehoben und drakonische Strafen auf Korruption eingeführt. Angeblich sind die Polizisten seit neuestem sogar verpflichtet eine Englischprüfung abzulegen.

Alle Bemühungen, dem Touristen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen und das Land von seiner besten Seite zu präsentieren, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gravierende ökonomische Probleme gibt. Die georgische Wirtschaft hat, wie in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion auch, mit der Transformation zur Marktwirtschaft zu kämpfen, was zu einer hohen Arbeitslosigkeit führt. Gerade auf dem Land leben viele Menschen von Subsistenzwirtschaft und in der Stadt gehören bettelnde Kinder zum Straßenbild. Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass der wachsende Tourismus genug Wohlstand ins Land spült, sodass auch andere Wirtschaftssektoren wieder aufgebaut werden und die allgemeine soziale Situation der Georgier gesteigert werden kann.

Am Ende bleibt nur, der Aufforderung Folge zu leisten, die man mehr als alles andere zu hören bekommt, wenn man sich entschieden hat, außerhalb der Saison, im Frühjahr das Land zu bereisen: „Kommt im Sommer wieder, dann ist es hier richtig schön!“