In großen Buchstaben empfängt Tbilisi seine Besucher mit dem Slogan: „The city that loves you“. Tatsächlich fühlt sich der Tourist in Georgien nicht nur von der Hauptstadt geliebt, sondern überall wird ihm der Eindruck vermittelt, dass sich das Land und dessen Bürger über seinen Besuch freuen.
Tourismus war und ist ein wichtiges Standbein der georgischen Wirtschaft. Damit dies so bleibt, wird rigoros in den Tourismus investiert. Dabei ergänzen sich Regierungsprogramme, privatwirtschaftliche Initiativen und ausländische Förderprogramme. So zeigte zum Beispiel ein Gastwirt in der Stadt Sighnaghi stolz eine Broschüre über ein Projekt, welches mit Fördermitteln der EU und der GTZ realisiert worden war. Die Investitionen sind nicht zu übersehen. Alle Sehenswürdigkeiten (hauptsächlich alte Kirchen und Festungen) sind mit multiplen, überdimensionierten Straßenschildern ausgewiesen. An touristisch besonders relevanten Orten gibt es Unterkünfte im Überfluss und eine Armee von Taxifahrern ist gern bereit, gegen das entsprechende Entgelt den Gast zu jedem noch so entlegenen Ziel zu bringen. Besonders auffällig sind die umfangreichen Renovierungsmaßnahmen, die, an für Touristen interessanten Gebäuden und Orten, durchgeführt werden. Auf diese Weise restaurierte Stadtviertel (z.B. in Sighnaghi und Mzcheta) wirken fast schon etwas künstlich, da sich die schick verputzten Fassaden, die mit Ziegeln gedeckten Dächer und die präzise gepflasterten Straßen grotesk von ihrer in eher desolatem Zustand befindlichen Umgebung abheben. Das beeindruckendste Beispiel dafür ist die David Agmashenebeli Straße in Tbilisi. Vollständig restauriert liegt sie wie ein Import aus Disneyland in der sonst eher von einem morbiden Charme geprägten Stadt, denn um sie herum besticht Tbilisi mit einer Atmosphäre, die ihre Gemütlichkeit aus alten, teilweise gefährlich windschiefen, verwinkelten Häusern mit hölzernen Balkonen, Veranden und Außentreppen schöpft, die um kleine familiäre, mit Wäscheleinen überspannte Hinterhöfe gruppiert sind.
Bei der vielen Aufmerksamkeit, die dem Tourismus gewidmet wird, überrascht es, dass der Personennah- und fernverkehr eher subsovjetischem als westlichem Standard entspricht. Zug- und Busverbindungen wurden in Ostgeorgien vollständig gestrichen. Dem Touristen bleiben so nur Marschrutkas (Minibusse) oder das Taxi. Die Marschrutka ist hier die wesentlich kostengünstigere Alternative, verlangt aber ein hohes Maß an Flexibilität und mindestens Russischkenntnisse. Fahrpläne gibt es nicht und um Ort und Zeit der Abfahrt ebenso wie den Streckenverlauf zu erfahren hilft nur Durchfragen. Die Ziele sind nur in Ausnahmefällen in lateinischen Buchstaben ausgewiesen und თელავი als Telavi zu erkennen, erfordert doch einige Übung. Der Trost für alle, die sich dem Marschrutka-System nicht gewachsen sehen, ist, dass Georgien von der Größe her überschaubar ist und die Preise für eine Taxifahrt sich ungefähr im Bereich der Kosten einer Bahnfahrt in Deutschland bewegen.
Es lohnt sich auf jeden Fall, es mit den Widrigkeiten der Fortbewegung aufzunehmen, denn die Ziele sind jede Anstrengung sie zu erreichen wert. Neben den schon erwähnten Baudenkmälern, die von einer jahrhunderte- und jahrtausendealter Geschichte des Christentums in Westasien erzählen, ist es vor allem die Natur, die eine Reise nach Georgien lohnend macht. Die Gebäude wären nur halb so beeindruckend ohne die Kulisse des großen Kaukasus im Norden, bzw. des kleinen Kaukasus im Süden im Hintergrund. Der Wert der georgischen Natur wurde schon frühzeitig erkannt und so wurde bereits 1912 mit dem Lagodekhi Nationalpark das erste Gebiet zum Schutz der Natur geschaffen. Seit dem Ende der Sowjetunion ist dieser, und mittlerweile auch viele weitere Parks, für Touristen zugänglich und bietet viele interessante Wanderrouten in herrlicher Landschaft.
All dieser Reichtum an natürlichen und architektonischen Sehenswürdigkeiten wäre nichts, ohne die viel gepriesene Gastfreundlichkeit der Georgier. Es ist sicherlich mit einiger Schwierigkeit verbunden einen Urlaub in Georgien zu verbringen ohne mindestens einmal zum Essen oder zum Wein eingeladen zu werden. Und es wäre ein riesiger Verlust, denn die georgische Küche steht dem georgischen Wein in nichts nach. Vor allem die verschiedenen Brotzubereitungen beginnend mit dem von der Form an ein Schiffchen erinnernden Weißbrot über Hachapuri (Brot mit Käsefüllung) bis zu Cheburek (Teigtasche mit Hackfleischfüllung), sind ein Genuss, den der Besucher noch lange in Erinnerung behält. Aber auch diverse Fleisch- und Gemüsegerichte verwöhnen den Gaumen des Besuchers ebenso wie frischer Honig und Nüsse.
Der Eindruck, von Georgien geliebt zu werden, wird noch durch das für den postsowjetischen Raum eher untypische Verhalten der Polizisten abgerundet. Besonders ausländischen (und hier vermutlich besonders westeuropäischen) Besuchern gegenüber präsentieren sich die Gesetzeshüter als freundlich und zuvorkommend. Wendet man sich mit Fragen an einen Polizisten, bekommt man meist eine umfangreiche Erklärung und vielleicht sogar eine Verabschiedung mit Handschlag und Smalltalk. Selbst davon, in verzweifelten Situationen von Polizisten an den Zielort gefahren zu werden, wurde berichtet. Das Verhalten der Polizisten ist damit zu erklären, dass, nachdem Saakashvili Präsident von Georgien wurde, der gesamte Kader der Polizei ausgewechselt wurde. Weiterhin wurde das Gehalt angehoben und drakonische Strafen auf Korruption eingeführt. Angeblich sind die Polizisten seit neuestem sogar verpflichtet eine Englischprüfung abzulegen.
Alle Bemühungen, dem Touristen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen und das Land von seiner besten Seite zu präsentieren, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gravierende ökonomische Probleme gibt. Die georgische Wirtschaft hat, wie in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion auch, mit der Transformation zur Marktwirtschaft zu kämpfen, was zu einer hohen Arbeitslosigkeit führt. Gerade auf dem Land leben viele Menschen von Subsistenzwirtschaft und in der Stadt gehören bettelnde Kinder zum Straßenbild. Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass der wachsende Tourismus genug Wohlstand ins Land spült, sodass auch andere Wirtschaftssektoren wieder aufgebaut werden und die allgemeine soziale Situation der Georgier gesteigert werden kann.
Am Ende bleibt nur, der Aufforderung Folge zu leisten, die man mehr als alles andere zu hören bekommt, wenn man sich entschieden hat, außerhalb der Saison, im Frühjahr das Land zu bereisen: „Kommt im Sommer wieder, dann ist es hier richtig schön!“