Aus 1 mach 25 – Steuereintreiben kann gelernt werden

(Tobias Endrich)

Für das Jahr 2013 gilt in der Tschechischen Republik ein Mehrwertsteuersatz von 21% (ermäßigt 15%). 2012 lag der Mehrwertsteuersatz bei 20% bzw. 14%.

Vor kurzem konnte der tschechische Finanzminister Miroslav Kalousek aber zu einer für ihn erfreulichen Meldung Stellung nehmen: im Vergleich zum Vorjahresmonat waren die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer im März um 25% gestiegen

– bei einer Erhöhung der Steuer um einen Prozentpunkt.

Mit allzu einfachen Erklärungsansätzen hielten sich die tschechischen Kommentatoren zurück. Laut den von der „lidové noviny“ zitierten Wirtschaftsfachleuten ist die bemerkenswerte Steigerung das Ergebnis mehrerer Faktoren.

Zu einem Teil sei sie auf die zeitliche Verschiebung zurückzuführen. In den Betrieben werden auf der Kostenseite werden noch alte Käufe abgezogen – mit der niedrigerern Steuer der Vorjahre.

Manch einer möchte in der Steigerung gar Zeichen für eine gute Quartalsentwicklung sehen. Allerdings gelte es zu beachten, dass der enorme Anstieg im Vergleich zum Vorjahresmonat auch durch das schwachen Ergebnis des Vorjahres zustande gekommen ist. Aussagen über die Entwicklung der tschechischen Wirtschaft lassen sich nur auf Grundlage der Steuereinnahmen nicht treffen. Der Umsatz im Einzelhandel ging sogar zurück – im Februar 2013 im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 5% und damit seit 4 Monaten in Folge.

Worüber man sich aber weitgehend einig ist: der Hauptgrund ist in der erfolgreichen Reform der Steuerverwaltung und der gesteigerten Effektivität bei der Steuereintreibung zu finden, wie auch Minister Kalousek erklärte.

Dass Steuern bisher wenig effektiv eingetrieben werden gilt laut Aussagen von Fachleuten nicht nur für die Mehrwertsteuer.

Die Einführung der Steuererhöhung letztes Jahr war selbst innerhalb der konservativ-liberalen Regierungspartei ODS umstritten. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen ČSSD, Bohuslav Sobotka, erklärte im März zwar, dass es unter einer Regierung der ČSSD nicht so einer solch hohen Mehrwertsteuer gekommen wäre, senken möchte seine Partei den Steuersatz aus Haushaltsgründen aber im Falle einer Regierungsbeteiligung nicht.

Die Verteuerung der Verbraucherpreise hält sich in Grenzen – im Vergleich zum Februar stiegen sie um 0,1%. Der Chefanalyst der Raiffeisenbank rechnet für 2013 mit einer Inflation von 1,6%. Seit drei Jahren in Folge steigen die Lebensmittelpreise in Tschechien schnell, für Februar konnte eine Verteuerung von 4% ausgemacht werden.

Das atomare Erbe der Ukraine

(Marcel Röthig)

Mit der formalen Desintegration der Sowjetunion erfolgte der Beginn eines bis heute konfliktreichen Transformationsprozesses. So sah sich die internationale Gemeinschaft mit der Auflösung der Sowjetunion und der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) erstmals mit dem Problem des Auseinanderbrechens einer Nuklearmacht in unabhängige Einzelstaaten konfrontiert.

Besonders die Frage zum nuklearen Status der Ukraine drohte in den Jahren unmittelbar seit Unabhängigkeit des Landes anno 1991 zum Schauplatz einer stellvertretend geführten Auseinandersetzung zu werden, die vorrangig nicht militärisch, sondern politisch-wirtschaftlich motiviert war. Die Ukraine war zu diesem Zeitpunkt die quantitativ drittgrößte Nuklearmacht der Welt und besaß -zumindest numerisch- ein beeindruckendes Abschreckungsarsenal. Dies drohte das regionale und internationale Machtgefüge entscheidend zu beeinflussen und die noch junge Ukraine in einer Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs frühzeitig zu isolieren. Bereits in ihrer Souveränitätserklärung vom 16. Juli 1990 hatte die Ukraine sich deshalb dazu bekannt, Nuklearwaffen künftig weder erhalten noch produzieren oder erwerben zu wollen und hielt auch in ihrer Unabhängigkeitserklärung vom 24. August 1991 an diesem Prinzip fest. Schnell wurde aus dem avancierten Abrüstungsziel ein zentraler Streitpunkt. Die Abrüstungsdebatte spiegelte insgesamt die Probleme der ukrainischen Staatsbildung wider, da die entstehende Außen- und Sicherheitspolitik eng verbunden mit den Schlüsselelementen der ukrainischen Innenpolitik war.

Die Kernfrage dieser Arbeit lautet daher, welche innen- und außenpolitischen, technischen, wirtschaftlichen, kulturellen und soziologischen Elemente der entstehenden Außen- und Sicherheitspolitik zur Denuklearisierung der Ukraine führten.

Ukrainische Nuklearabrüstung Marcel Röthig (1) by FES_OstIA

Wohlfahrtssysteme in ressourcenreichen Staaten: Die Russische Föderation und Norwegen im Vergleich

(Ruben Werchan)

In seiner Bachelorarbeit untersucht Ruben Werchan, wie sich staatliche Einnahmen aus Rohstoffförderung und Rohstoffexport auf Ausgestaltung und Finanzierung von Wohlfahrtssystemen auswirken können. Er tut dies, indem er die sehr unterschiedlichen Systeme in Norwegen und der Russischen Föderation gegenüber stellt. Beides sind Staaten, deren Haushalt zu einem großen Teil durch den Export fossiler Brennstoffe finanziert wird, deren Wohlfahrtssysteme jedoch unterschiedlich ausgeprägt sind.

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„Bulgarien ist nicht Albanien“ – Tschechische Energie und bulgarische Behörden

(Tobias Endrich)

Alice Greschkow beleuchtete die Proteste in Bulgarien vorige Woche an dieser Stelle. Folgende Zeilen werfen einen Blick auf die Geschehnisse aus der Perspektive tschechischer Medien.

40 Prozent der bulgarischen Haushalte werden von Tochterunternehmen der tschechischen Gesellschaft ČEZ mit Strom beliefert – am Mutterunternehmen hält der tschechische Staat fast 70% der Aktien.

Der bulgarische Premier Bojko Borisov drohte im Zusammenhang mit einer Preissteigerung bei Energie und damit zusammenhängenden Protesten mit einem sofortigen Lizenzentzug wegen Verstößen gegen bulgarisches Recht, insbesondere soll falsch oder unzureichend ausgeschrieben worden sein. Das klang zunächst nach Enteignung – die bulgarischen Behörden sprachen aber bald nur noch davon, eventuelle Verstöße der ČEZ nach allgemeinen Verfahrensregeln behandeln zu wollen.

Vertreter der ČEZ sind davon überzeugt, dass Bulgarien als Mitglied der EU sich einen Lizenzentzug nicht erlauben wird. Der Angriff Borisovs gegen ČEZ wird auch von Politik und Medien in Tschechien als hauptsächlich politisch motiviert gewertet. Gleichzeitig herrscht überwiegend Verständnis für die Kritik an der Preissteigerung selbst.  (Noch-)Präsident Klaus nutzte die Gelegenheit, um die Regierung und insbesondere den von ihm im kürzlich zu Ende gegangenen Präsidentenwahlkampf immer wieder attackierten Außenminister Karel Schwarzenberg für ihr schwaches Eintreten zu kritisieren. Nach seinen Worten entspricht die Rolle der ČEZ einem Spielball im politischen Wettstreit Bulgariens. Klaus bezeichnete das leise Vorgehen des Außenminister als „doppelt unangebracht“ –  würde so etwas in Tschechien passieren, hätte der Präsident nach eigenem Szenario sofort eine ganze Schar von Diplomaten auf der Matte stehen.

Schwarzenberg äußerte im staatlichen Fernsehen, dass es hier um eine Frage der Gesellschafft ČEZ geht, deren Lösung ebenfalls zuvörderst der ČEZ obliege, wobei er sich Hilfestellung bei der Klärung vorbehielt.

Tschechische Kommentatoren beschäftigen sich aber nicht nur mit der Stellung der ČEZ als „innenpolitischer Sündenbock“ sondern betonen auch, dass das Auftreten der ČEZ mit zunehmender Entfernung Richtung Osten „dominanter“ bzw. forscher wird. Die ČEZ-Gruppe ist auch in Rumänien, Albanien und der Türkei vertreten sowie in der Slowakei und Ungarn, Deutschland und Holland.  Für den (bulgarischen) Vorwurf, Managergehälter und Boni stehen in keinem Verhältnis zum dortigen Lebensstandard, herrscht Verständnis.

Die ČEZ ist mit Investitionen in Höhe von über 17 Milliarden Kronen (680 Mio. EUR) in Bulgarien engagiert. Dabei kritisiert die ČEZ, dass das eigentlich unabhängige Amt für die Regulierung der Strompreise direkt an Weisungen des Premiers gebunden sei. Ihre Manager hoffen aber auf einen positiven Ausgang – ein „albanisches Szenario“ (Verluste im Millionenbereich) schließen die Manager aus. Über den Lizenzentzug wird im Laufe des März zu entscheiden sein. Keiner der 20 vom Regulierungsamt erhobenen Vorwürfe gegen die ČEZ könnten einen Lizenzentzug rechtfertigen – so sei nach Aussagen des Auslandschefs der ČEZ, Tomas Pleskač, z.B. gerügt worden, dass Dokumente eine Stunde zu spät vorgelegt wurden. Auch die Vorwürfe, Aufträge nicht korrekt ausgeschrieben zu haben, seien nicht stichhaltig. Besonders betonen Vertreter der ČEZ, dass das Unternehmen nicht für die Preissteigerung verantwortlich ist. Deren Ursprung sei in der Verwendung erneuerbarer Energien zu suchen.

Was mögliche Formen der Zurücküberführung in Staatseigentum angeht verweisen die Lidove Noviny auf vergangene Maßnahmen Borisovs – dieser habe es in anderen wirtschaftlichen Dingen „sogar fertig gebracht, sich mit Putin anzulegen“.  Ein bisschen Angst scheint nach dem verlustreichen Engagement in Albanien zu bleiben.

Wie auch immer die bulgarischen Behörden entscheiden mögen – die Angst, Tschechien könnte einem Beitritt zur EU Steine in den Weg legen, spielt anders als in Albanien keine Rolle mehr.

Proteste in Bulgarien: eine Lehre auf dem Weg zur funktionierenden Demokratie

(Alice Greschkow)

Sie bemalen Schilder und Transparente, zünden Fackeln an, manche schreiben sich Botschaften auf die Gesichter und tragen Flaggen um ihre Schultern. Es geht dann zum Treffpunkt, organisiert über soziale Netzwerke und Anrufe: der Protestmarsch an der Sofioter Adlerbrücke beginnt aufs Neue, genauso wie in den vergangenen Tagen.

Was in vielen anderen Ländern keine Besonderheit ist, ist für bulgarische Demonstranten ein Experiment mit der Demokratie. Nachdem das Land 500 Jahre lang von den Osmanen regiert wurde, daraufhin kurzzeitig eine Monarchie war, anschließend eine über 40-jährige sozialistische Ära überstand, wurde nach dem Zusammenbruch des politischen Systems versucht, demokratische Strukturen aufzubauen. Lange Zeit war dies allerdings nur in der Theorie der Fall: das Land war von Schattenwirtschaft und der Mafia beherrscht den Alltag über viele Jahre.
Es schien, als sei eine eingefleischte Obrigkeitshörigkeit bedingt durch die politischen Systeme über Generationen weitergegeben worden sein und die Menschen ohne Orientierung dastanden. Was macht man mit dieser neuen Freiheit? Was macht man mit Demokratie? Wie widerspreche ich?

Demonstrationen von bisher unerreichter Intensität auf Bulgariens Straßen. Bild: Marlene Marinho

Nach über 20 Jahren begannen Ende 2011 die ersten bedeutsamen organisierten Proteste, die 2012 fortgeführt wurden. Eine neue ökologische Bewegung, die hauptsächlich aus jungen Leuten bestand, hatte sich entwickelt und sie vertrat ihren Standpunkt: Fracking (hydraulic fracturing, eine naturgefährdende Methode, um durch Tiefbohrungen Erdgas oder Erdöl zu schöpfen) sollte verboten werden. Im Gegensatz zu der älteren Generation waren diese jungen Demonstranten noch nicht erschöpft von den prekären und ermüdenden Umständen, die auf der Bevölkerung lasteten: zwar Fiskalmusterschüler in der EU, aber wirtschaftlich schwach mit niedrigen Löhnen, lachhaft niedrigen Sozialleistungen und undurchsichtigen politischen Beschlüssen, waren Bulgarien oft an seine Grenzen gestoßen, doch in dieser Hinsicht sollte sich einiges ändern. Nach Frankreich wurde Bulgarien das zweite Land der Europäischen Union, in dem Fracking untersagt wurde – ein großer Erfolg für die grüne Bewegung, die sich von Parteizugehörigkeit distanziert, in einer Gesellschaft, in der die grünen Parteien noch nie den Einzug in das Parlament geschafft haben.

Auch gegen das umstrittene „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA), das gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen angehen sollte, gab es massive Proteste im Land: erneut waren es die jungen Leute, die auf die Straße gingen, weil sie Einschnitte in die Informations- und Meinungsfreiheit befürchteten. Kurze Zeit später wurde die Ratifizierung des Abkommens gestoppt. Solidaritätsbekundungen und öffentliche Protestaktionen fanden zudem im Rahmen des Gerichtsverfahrens der russischen Punkband „Pussy Riot“ im Sommer 2012 statt.

Es sind gerade diese Februarwochen, in denen erneute Demonstrationen von bisher unerreichter Intensität stattfinden: Zehntausende gingen im ganzen Land auf die Straßen, um gegen die Privatisierung und das Monopol im Energiesektor zu protestieren. Plötzlich um das Vielfache angestiegene und für viele Menschen unbezahlbare Stromrechnungen führten dazu, dass Bulgarinnen und Bulgaren ihren Unmut und Frustration zum Ausdruck brachten. Es kam zu Gewaltausschreitungen und kleineren Gefechten mit der Polizei. Dann geschah das Unerwartete: Ministerpräsident Bojko Borissov der konservativen Partei GERB und das Kabinett beugten sich dem Druck des Volkes und traten geschlossen zurück. Es ist eine Sensation, dass es so weit kam und die Stimme der Bevölkerung gehört wird, obwohl Vermutungen bestehen, dass es sich lediglich um einen geschickten Schachzug des Politikers handeln würde.
Dennoch treffen sie sich weiterhin an der Sofioter Adlerbrücke, marschieren in die Innenstadt, an den Ministerien und dem Parlament vorbei und skandieren die Parolen, die ihnen auf der Seele lasten: für soziale Gerechtigkeit, gegen das Monopol, gegen Korruption und die Mafia.

Es ist in Anbetracht der Geschichte des Landes tatsächlich erstaunlich, dass Bulgarinnen und Bulgaren es endlich schaffen, sich für friedliche Proteste zu organisieren und sich gemeinsam für einen Zweck einsetzen. Es ist zum einen die Frustration, die sie zu solch einem Schritt zwingt, zum anderen aber auch ein neuer gewachsener Glaube an Demokratie und die kollektive Macht des Volkes. Man bekommt den Anschein, das Land könnte zu neuem Selbstbewusstsein, einem anderen politischen Verständnis und gar einer neuen partizipativen politischen Kultur gelangen, die bisher de facto nicht existierte. Man war zu sehr daran gewöhnt, Umstände, so schwer sie in Bulgarien auch waren und sind, zu akzeptieren und sich dem Wort von Vorgesetzen, Politikern, reichen Geschäftsmännern und allgemein allen Menschen in höheren Positionen widerstandslos zu fügen.

Nachdem die Wut über Korruption, verantwortungslose Politik und die Mafia immer weiter gewachsen ist, könnte der steinige Weg durch die Armut und Existenzangst der Beginn einer tiefgreifenden Veränderung sein, wenn die Stimmung nicht kippt oder erneut jemand aus der Schattenwirtschaft oder Politik diese angestaute Energie für seine eigenen Interessen benutzt.


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