Einblicke in ein Land „das so groß ist wie Bayern, eine Einwohnerzahl wie Berlin und das Bruttoin-lands von Karlsruhe hat“

– Unser Besuch in der Deutschen Botschaft in Tbilisi am 20. Mai 2016

(Susanne Maslanka)

Am ersten Programmtag des Treffens des Arbeitskreises Osteuropa der FES stand ein Besuch in der Deutschen Botschaft auf dem Plan. Bereits der Weg zu dem Treffen war spannend: In drei Taxis wurden wir durch den dichten Verkehr Tbilisis gefahren bis wir an der uns genannten Adresse ankamen. Die Verwirrung war groß: Wir fanden dort kein prachtvolles Botschaftsgebäude vor sondern ein von Bauzaun umzäuntes geschlossenes Hotel. Nach kurzen Orientierungsschwierigkeiten entdeckten wir die deutsche und die EU-Flagge und wir wussten, hier, im Sheraton Metechi Palace Hotel, sind wir richtig. Im Gespräch mit der Botschafterin erfuhren wir, dass die deutsche diplomatische Vertretung dort untergebracht ist, seitdem das vormalige Botschaftsgebäude nach einem Erdbeben zu heftige Schäden erlitten hatte.

Das sich im Umbau befindende Sheraton Metechi Palace Hotel beherbergt die deutsche Botschaft
Das sich im Umbau befindende Sheraton Metechi Palace Hotel beherbergt die deutsche Botschaft

Obwohl die Unterbringung der deutschen diplomatischen Vertretung in Georgien nicht besonders repräsentativ ist, ist Georgien ein langer und wichtiger Partner Deutschlands, wie uns die Botschafterin Frau Bettina Cadenbach versicherte. Bereits 1918, als sich Georgien zum ersten Mal unabhängig erklärte, wurde das Land vom deutschen Reich rasch anerkannt. Nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens im Jahr 1991 war Deutschland das erste Land, das Georgien offiziell anerkannte, weshalb die Autos der deutschen Diplomat*innen mit der Nummer 1 auf ihren Kennzeichnen geschmückt sind.

Die deutsche Botschaft ist daher schon seit 25 Jahren in Georgien aktiv und konzentriert sich in der Zusammenarbeit auf verschiedene Bereiche: Wirtschaft, Kultur und Politik. Auf wirtschaftlicher Ebene versucht die deutsche Seite Standortmarketing für Georgien zu betreiben. Es werden gemeinsam mit georgischen Partnern verschiedene Strategien entwickelt, um die kleine Kaukasusrepublik attraktiv für deutsche Firmen zu machen (place branding). Zudem ist Georgien ein Absatzmarkt für deutsche Produkte, die dort sehr gut ankommen. Deutsche Kulturarbeit macht die Auslandsvertretung meistens gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Tbilisi. So wird im Moment beispielsweise der hochgelobte Roman „Das achte Leben“ der in Deutschland lebenden georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili vom Deutschen, ihrer Arbeitssprache, mit finanzieller Unterstützung ins Georgische übersetzt. Zudem werden verschiedene Konzerte veranstaltet und Schulen oder kleine Projekte im Land unterstützt.

Nino Haratischwilis Buch wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet- Auf Georgisch ist es bisher noch nicht erschienen. Dies wird aber bald soweit sein – mit freundlicher Unterstüt-zung der Deutschen Botschaft Tbilisi
Nino Haratischwilis Buch wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Auf Georgisch ist es bisher noch nicht erschienen. Dies wird aber bald soweit sein – mit freundlicher Unterstüt-zung der Deutschen Botschaft Tbilisi

Georgien spielt auch geostrategisch eine große Rolle, da es sich als Nachbar Russlands in die euro-atlantischen Strukturen integrieren will und zum Teil bereits integriert ist, was von der Botschafterin sehr begrüßt wird. Frau Cadenbach berichtet auch über viele positive Reformentwicklungen des kleinen Landes, auch wenn es noch viel zu tun gibt. Positiv bewertet sie, wie sehr viele unserer Gesprächspartner, die unter Michail Saakaschwili durchgeführte Polizeireform, die die Korruption in Georgien erfolgreich bekämpfen konnte. In anderen Bereichen wird das Erbe des zunächst im Westen sehr hoffnungsvoll begrüßten Ex-Präsidenten, der sich zur Zeit in Odessa als Gouverneur betätigt, sehr kritisch gesehen. Nach dem Machtwechsel der Jahre 2012 und 2013 blicken nun alle Beobachter gespannt auf die Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres und hoffen auf einen friedlichen Wahlausgang.

Der in der Ära Saakaschwili (2004-2013) erbaute Präsidentenpalast. Die Glaskuppel steht symbolisch für die Transparenz, die seine Reformen dem Land bringen sollte.
Der in der Ära Saakaschwili (2004-2013) erbaute Präsidentenpalast. Die Glaskuppel steht symbolisch für die Transparenz, die seine Reformen dem Land bringen sollte

Nachdem die Botschafterin uns wegen eines anderen Termins verlassen musste, hatten wir die Möglichkeit, uns mit Militärattaché Oberstleutnant Bernhard Hopp über die politischen Entwicklungen in Georgien und über Minderheitenrechte auszutauschen. Herr Hopp ist ein Kenner Georgien, da er seit mehr als zehn Jahren auf verschiedenen Posten mit Georgien zu tun hat und sogar georgisch spricht. Von ihm erfuhren wir, dass es in Georgien einige ethnische Minderheiten gibt: Es gibt eine große russische, armenische und aserbaidschanische Minderheit, darüber hinaus lebt in Georgien die Volksgruppe der Kisten, die enge Verbindungen zur tschetschenischen Minderheit in Russland hat. Zudem leben in Georgien jüdische, griechisch-orthodoxe, abchasische und ossetische Menschen. Herr Hopp gab uns auch ausführlich über die Situation von LGBTQI- Personen Auskunft, die in Georgien sehr bedenklich ist.

(Unser Gastgeber würzte zu unserer Freude unsere Diskussion mit einigen Sprüchen aus seinen persönlichen georgischen Erfahrungen, so erfuhren wir, dass Georgien nur so groß wie Bayern ist, dabei die Einwohnerzahl von Berlin erreicht, das Bruttoinlandsprodukt aber nur so groß ist wie die Wirtschaftskraft von Karlsruhe. Herr Hopp macht uns auf die stark patriarchalischen Strukturen der georgischen Gesellschaft aufmerksam, die sehr eng mit der großen Macht der Kirche in Georgien zusammenhängen. Ein beliebter Trinkspruch, den seine georgischen Freunde nicht so gerne hören, lautet folgendermaßen: „Trinken wir auf die georgischen Frauen! Wenn 50% der georgischen Männer Frauen wären, wäre das Land schon viel weiter.“ Zu guter Letzt sprachen wir über das große Selbstbewusstsein des „georgischen Mannes“, das dazu führt, dass auch die georgischen Politiker (mehrheitlich Männer) sich gerne selbst überschätzen. Aus georgischer Perspektive sollte ihr Land bei den ganz großen mitspielen – auf Augenhöhe mit den USA und der EU. Denn wenn dein Freund groß ist, bist du selbst groß.)

Das Gespräch mit Frau Cadenbach und Herrn Hopp war sehr informativ und spannend und stellte mit der guten Mischung aus einem kurzen Überblick über die politische Situation in Georgien, deutsch-georgische Beziehungen, Minderheiten in Georgien und eindrücklichem Insiderwissen über die georgische Gesellschaft einen sehr geeigneten Einstieg in unser abwechslungsreiches Programm dar. Viele der Erfahrungen und Sprüche Herrn Hopps dienten uns zudem als Trinksprüche bei unseren schönen georgischen Abenden.

Hier ein paar Vertreter*innen des AK Osteuropa
Hier ein paar Vertreter*innen des AK Osteuropa nach dem Termin in der Deutschen Botschaft in Tbilisi

 

Postsowjetische Transformation im Südkaukasus – 25 Jahre Unabhängigkeit Georgiens

(Galyna Spodarets)

Bericht über das Treffen des AKs Osteuropa  Stipendiat*innen der FES am 19.-24.05.2016 in Georgien

Organisation: Yves Vincent Grossmann, Susanne Maslanka, Sema Güleryüz, Anneliese Felmet, Mareike Breda, Michael Meissner, Hanne Schneider, Galyna Spodarets

Im Mai 2016 führte das Orgateam des AK Osteuropa eine fünftägige Informationsreise nach Georgien durch. Georgien wurde nicht zufällig als Veranstaltungsort ausgewählt. Die Kaukasus-Region ist im Zuge politischer Entwicklungen der letzten Jahre für die Arbeit des AK Osteuropa immer interessanter geworden. Wie viele andere Länder in Osteuropa durchläuft auch das Land im Südkaukasus verschiedene postsowjetische Transformationsprozesse: Die Umstellung von einer Plan- auf eine Marktwirtschaft, die Wiederauferstehung der georgisch-orthodoxen Kirchen oder die Betonung der Nation als neues einigendes Element sind nur drei (Beispiel-)Aspekte.

Als Anlass zum Auslandstreffen nutzten wir das 25-jährige Jubiläum, das genau dieses Jahr im unabhängigen Georgien gefeiert wurde. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion bewegt sich das Land im Südkaukasus hin und her zwischen Europa und Russland. Georgier*innen bezeichnen ihr Land als den „Balkon Europas“, was zum Ausdruck bringt, dass sich viele zu Europa zugehörig fühlen. Zugleich unterhält Georgien enge wirtschaftliche Verbindungen zu Russland, trotz der eingefrorenen Sezessionskonflikte in Abchasien (1992-1993) und Südossetien (2008).

Obwohl Georgien aufgrund dieser „Frozen Conflicts“ international als vermeintlich instabiles Land wahrgenommen wird, erlebt es seit 2003 einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das „Italien des Ostens“ hat sich zum Boomland entwickelt. Außenpolitisch bleibt Georgien dennoch weitgehend isoliert und unbekannt. Bereits auf dem AK Treffen in Bremen im März 2015 beschäftigten wir uns mit den aktuellen Konfliktlinien des Landes. Beim AK Treffen in Dresden im November 2015 wurde der Schwerpunkt auf die Sezessions- und Minderheitenkonflikte gelegt. Auf Basis dieser Themenbereiche wurde die Studienreise gestaltet, in der wir uns selbst einen Eindruck vom heutigen Georgien machten und erlebten, wie 25 Jahre Unabhängigkeit die Region geprägt haben: Neben einem Überblick über die innen- und außenpolitischen Lage, stand die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle Minderheiten bzw. marginalisierte Gruppen in der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ und zivilgesellschaftlichen Beteiligung spielen.

In diesem Rahmen verbrachten wir fünf äußerst spannende Programmtage in Georgien, drei davon in der Hauptstadt Tbilisi und zwei Tage – im Rahmen inhaltlicher Exkursionen nach Gori und ins Pankissi-Tal, wo wir politische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen trafen und Einblicke in die Rolle der Zivilgesellschaft und der marginalisierten Gruppen gewannen. Des Weiteren erfuhren wir mehr über interkulturelle Beziehungen mit ethnischen Minderheiten, den Umgang mit Binnenflüchtlingen und die Arbeit von LGBTI-Vertreter*innen.

Tag 1:

Anreise in Tbilisi – Ankommen – Kennenlernen – Einführung in das Programm

Der Arbeitskreis Osteuropa der FES landete am Donnerstag, den 19. Mai 2016 in Tbilisi, der Hauptstadt von Georgien. Wir versuchten, möglichst „gebündelt“ in Tbilisi anzukommen und nahmen den Anbindungsflug von Turkish Airlines in Istanbul. Vier Leute aus dem Orgateam kamen zwei Tage vor Veranstaltungsbeginn an, um sich ein Bild von der Lage zu machen und das Programm zu detaillieren.

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Am ersten Abend lernten wir uns kennen, stellten das Orgateam und das Programm vor und klärten organisatorischen Fragen.

Tag 2:

Gesprächspartner in Tbilisi: Deutsche Botschafterin Frau Bettina Cadenbach und Militärattaché Herrn Bernhard Hopp – Leiterin des FES-Büros Tiflis Julia Bläsius – Stadtführung

Der erste Programmpunkt am 20. Mai war ein Besuch der Deutschen Botschaft in Tbilisi. Dort unterhielten wir uns mit der Botschafterin Frau Bettina Cadenbach und dem Militärattaché Herrn Bernhard Hopp über die politischen Entwicklungen und das deutsche Engagement in Georgien.

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Nach einer rasanten Taxifahrt durch den dichten Verkehr der Stadt, besuchten wir das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung, das für den Südkaukasus zuständig ist. Die Leiterin des Büros, Julia Bläsius, stand unseren Fragen Rede und Antwort und zeigte uns die internationalen aber auch gesellschaftlichen Konflikt- und Kooperationsdiskurse im Südkaukasus auf.

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Nach einer Stadtführung, die uns mit einer Seilbahn- und Funikularfahrt die besten Aussichten auf Tbilisi gewährte, konnten wir unser Abendessen auf dem Heiligen Berg (Mtatzminda) über dem nächtlichen Tbilisi genießen.

Tag 3:

Sezessions- und Minderheitenkonflikte verstehen: Felsenstadt Uplisziche – Exkursion nach Gori – IDP Camp – NGO „Bridge of Friendship Kartlosi“ – Dschvari-Kirche – Swetizchoweli-Kathedrale

Unsere Exkursion führte uns über die antike Festungs- und Höhlensstadt Uplisziche nach Gori, den Geburtsort Stalins und einen zentraler Ort der Heldenverehrung, den die Entstalinisierung noch nicht wirklich erreicht hat. Dort besuchten wir das Stalinmuseum, tauschten uns zum Thema „Sezessionskonflikte“ aus und trafen uns, unter anderem, mit der NGO „Bridge of Friendship Kartlosi“, die der größte örtliche Ansprechpartner im Bereich Peacebuiliding ist.

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Auf dem Weg nach Gori sahen wir einige IDP Camps, die in den 90er Jahren im Zuge des Abchasien-Krieges provisorisch aufgestellt wurden, aber dann doch zu permanenten Wohnorten für Geflüchtete geworden sind. Außerdem besichtigten wir die Dschvari-Kirche und die Swetizchoweli-Kathedrale – die UNESCO-Kulturdenkmäler von Mzcheta, der antiken Hauptstadt Georgiens und des religiösen Zentrums des Landes.

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Der Tag gab uns Einblicke in die Geschichte und Kulturschätze des Landes, die uns bisher unbekannt waren und vermittelte Eindrücke von einer widersprüchlichen Erinnerungskultur. Während in Tbilisi überall Fahnen der EU zu sehen waren und das Nationalmuseum eine permanente Ausstellung zum Thema „1921-1991 Soviet Occupation Museum“ den Besuchern anbietet, ist für Gori die Gestalt des „Vaters der Völker“ Soso Dzhugashvili – alias Joseph Stalin – zentral.

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All dies spiegelt das starke Spannungsverhältnis zwischen einer politischen Orientierung (Assoziierungsvertrag mit der EU), wirtschaftlicher Entwicklung (Bezeichnung als eines der fortschrittlichsten Länder der ehemaligen UdSSR) und fehlender Geschichtsaufarbeitung wider.

Leckere lokale Spezialitäten rundeten den Abend ab.

Tag 4:

Sezessions- und Minderheitenkonflikte verstehen: Ausflug in das Pankissi-Tal

Auf dem Programm stand ein Ausflug in das Pankissi-Tal.

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Die Fahrt von Tbilisi aus dauerte mit dem gemieteten Bus zweieinhalb Stunden. Auf dem Weg besuchten wir die mittelalterliche Weinakademie Ikalto, erreichten den höchsten Punkt des Gombori-Ranges, fuhren durch steile Berghänge und wurden anschließend in Akhmeta von unseren Gesprächspartner*innen von „Regional Development Foundation in Kakheti“ (KRDF) herzlich empfangen.

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Im Pankissi-Tal, wo unser Treffen stattfand, gibt es 12 Dörfer, 95% davon bewohnen die Kisten. Die Kisten sind eine ethnische muslimische Minderheit, ein Brudervolk der Tschetschenen, von denen es nur ca. 8.000 gibt. Sie wohnen abgeschottet im Tal, haben ihre eigenen Traditionen und Gesetze und ordnen sich einem Ältestenrat unter. Ein Frauenrat ist eine Neuerscheinung, die sich erst im Laufe der letzten Jahre durchgesetzt hat. Die Mehrheit der Bevölkerung orientiert sich zwar an einer radikalen wahabitischen Strömung, jedoch ist die Landschaft so wunderschön, dass man nicht mehr weg will. Darüber hinaus fesselte uns der wunderbare, tschetschenische Tschak-Tschak-Kuchen und die örtlichen Süßigkeiten, die die Dorfgemeinschaft extra für unsere Teilnehmer*innen vorbereitet hat.

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Nachmittags rief uns dann eine Weinprobe wieder ostwärts in die kakhetische Hauptstadt Telawi. Die dortige Präsentation im Weingut Shumi rundete dann unseren vierten Tag erfolgreich ab.

Tag 5:

Gesprächspartner in Tbilisi: William Boyd und Dr. Kaupo Känd vom EUMM – NGO „Civil Forum for Peace“ – NGO „SIQA“ – NGO „CISV Georgia“ – NGO „EMT“ – NGO „LGBT Georgia“

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Morgens trafen wir uns im Headquarter der European Union Monitoring Mission mit William Boyd (EUMM Monitor, Reporting and Information Officer) und Dr. Kaupo Känd (Head of Analytical Reporting and Outreach Department). Das Gespräch gewährte den Teilnehmer*innen einen wertvollen Einblick in das größte Problem Georgiens – das Entstehen der abtrünnigen Regionen Abchazien und Südossetien als Folge der Kriege gegen Russland von 1992-1993 und 2008.

Der Rest des Tages stand ganz unter dem Zeichen des zivilgesellschaftlichen Sektors. Wir lernten die Arbeit von fünf weiteren georgischen NGOs kennen: „Civil Forum for Peace“ (Georgian and Ossetian Dialogue), „SIQA“ (Georgian Association of Educational Initiatives), „CISV Georgia“ (Building Global Friendship), „EMT“ (Education and Management Team) und „LGBT Georgia“ (die in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat und sich für homo-, bi- und transsexuelle Menschen einsetzt).

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Auch wenn die Unterschiede zwischen der Arbeit der Regierungs- und der Nichtregierungsorganisationen im Bewusstsein der georgischen Bevölkerung noch nicht tief verwurzelt zu sein scheinen und unsere Referent*innen bis heute mit den Fragen à la „Why do you let them use you?“ oft genug konfrontiert werden, leisten die NGOs einen großartigen Beitrag für die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Rechte von Minderheiten und marginalisierten Gruppen. Sie alle fördern den Dialog zwischen Menschen, Regionen und Ethnien, bieten Bildungsangebote an und vermitteln freiheitliche demokratische Werte.

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Nach dem Abendessen führte die Seminarleitung ein kurzes Quiz rund um die erlernten Inhalte und Themen und eine gemeinsame Evaluationsrunde durch. Das Treffen wurde von den Teilnehmenden als sehr positiv evaluiert. Es wurden lediglich wenige Umstände (wenig Zeit für die Reflexion, 1 Tag Vorbereitungstreffen vor Ort einplanen) angemerkt. Die Teilnehmer*innen waren zu den Terminen mit unseren Gesprächspartnern vor Ort gut vorbereitet, u.a. weil das Orgateam im Sinne der Vorbereitung einen umfassenden Reader zum Thema der Reise erstellte. Für die einzelnen Themenblöcke wurden Expert*innen ausgewählt, die das jeweilige Thema speziell für die Exkursion vorbereiteten, d.h., dass jede*r Teilnehmer*in eine besondere Verantwortung für einen der Gesprächstermine getragen hat, indem vor jedem Termin oder Ausflug ein kleines Input-Referat gehalten wurde. Dank der frühzeitigen Vorbereitung (Reader und Blogbeiträge) konnten die Teilnehmer*innen auf speziell vorbereitetes Hintergrundwissen zurückgreifen und aktiv an den Diskussionen teilnehmen.

Besonders freut es uns, dass die Zusammenarbeit der aktuellen und ehemaligen Stipendiat*innen hervorragend funktionierte. Auch viele neue Gesichter stoßen zum ersten Mal beim AK Osteuropa hinzu, worüber wir uns sehr freuten.

Das Treffen in Georgien mit 3 Tagen in Tbilisi und 2 inhaltlichen Exkursionen in die umliegenden Regionen war ein Erfolg. Insbesondere das Konzept die Aktivität mit Inhalt und auch mit der AK-Arbeit zu verbinden, traf auf viel Zustimmung.

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Der Dank des Orga-Teams gilt Marina Pachotnikov für die inländische Betreuung und an Giorgi Nanobashvili für die tatkräftige Unterstützung vor Ort.

Osteuropaforschung in Deutschland vor und nach „der Ukraine“ – Treffen des AK Osteuropa am 28. März in Bremen

(Elisabeth Schwarz)

„Und dann musste die Ehefrau, kurz bevor die 2 Tage Besuchszeit um waren, die kleinen verschweißten Manuskripte verschlucken und durch die Kontrolle kommen.“

So erklärte Maria Klassen, Archivarin bei der Forschungsstelle Osteuropa, wie die Verbreitung von Samisdaten auch aus dem Gefängnis heraus noch funktionieren konnte.

„Samisdat“, übersetzt „Selbstverlag“ das sind Schrift- und Kunststücke von Dissidenten aus der Sowejtzeit.

Samisdat - Röntgenaufnahme mit Tonspur
Samisdat – Röntgenaufnahme mit Tonspur (Foto: Tobias Endrich)
Verschluckte Nachricht aus Lager (Tobias Endrich)
Verschluckte Nachricht aus Lager (Foto: Tobias Endrich)

Davon und von anderen Periodika besitzt die Forschungsstelle Osteuropa an der Uni Bremen eine ganze Menge, wie wir, gleich zu Beginn unseres Arbeitskreistreffens bei einer Führung durch das Archiv der Forschungsstelle erfahren und selbst begutachten durften.

Nach der Archivführung am Freitagnachmittag folgte am Samstag die Vorstellung weiterer Projekte der Forschungsstelle Osteuropa durch Kateryna Bosko, die einerseits als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Forschungsstelle tätig ist und andererseits selbst Promotions-Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung war und langjähriges Mitglied des Arbeitskreises Osteuropa ist.

Der Fokus lag dabei auf zwei Dingen: Zum Einen berichtete Kateryna von den Forschungen und Ergebnissen für ihre Dissertation zum Thema „Negative Framing in hybrid regimes: the case study of gas politics in Ukraine“ – ein hochspannendes Thema, zu dem auch gleich kontroverse Diskussion insbesondere vor dem Hintergrund der zurückliegenden Ukraine-Reise des AK entflammte.

Zum Anderen ging es um die Länder-Analysen der Forschungsstelle und dort vor allem um die Ukraine-Analysen, denn Kateryna ist für dieses Land die Redakteurin. So wurden nicht nur inhaltliche Details ausgetauscht, sondern auch Erfahrungen mit redaktionellen Themen – die sicherlich auch für das Sammelband-Projekt des AK konstruktiv genutzt werden können.

Die abschließende Themen-Einheit wurde zu Vorstellung und Austausch von Forschungsvorhaben der AK-Mitglieder genutzt:

Zunächst präsentierte Evgeniya Bakalova, Promotionsstipendiatin der FES, ihre ersten Ergebnisse zum Promotionsthema „Russia´s Normative Alternative? Political and Civil Rights Norms`  Internalisation and Contestation Dynamics“. Den grundlegenden Aufbau bilden dabei qualitative Fallstudien zu NGOs, Presse/Demonstrationsfreiheit und zur Norm der internationalen Wahlbeobachtung. Dabei wird untersucht, in welchem Verhältnis Normanerkennung und Normanwendung stehen. Die Fallstudie zur Norm der internationalen Wahlbeobachtung konnte bereits überzeugende Ergebnisse aufweisen; es zeigten sich teilweise sehr große Diskrepanzen zwischen Normanerkennung und –umsetzung, die auch in den politischen Kontext eingeordnet werden konnten.

Anschließend wurde an Galyna Spodarets, ebenfalls Promotionsstipendiatin der FES übergeben, die zum Thema „Symbolische Bedeutungen des Flusses Dnjepr“ referierte und so auch die Nicht-Politologen auf einen Ausflug in das Feld ihrer Dissertationsarbeit mit Thema „Der Fluss als semantisches Raumparadigma in der ukrainischen Kultur“ mitnehmen konnte. Nach einem kurzen Überblick über allgemeine und geographische Fakten wurde dargelegt, welch große und enorm vielschichtige Bedeutung der Dnjepr hat: sei es als (Landes-)Grenze, als Handelsweg, als mythisches Objekt, als Sehnsuchtsquelle, zum Beispiel in der Literatur, oder wirtschaftlich – als beispielsweise nutzbar für Stauseen.

Galyna Spodarets präsentiert ihr Forschungsvorhaben (Foto: Tobias Endrich)
Galyna Spodarets präsentiert ihr Forschungsvorhaben (Foto: Tobias Endrich)

Den Abschluss bildete Kristin Eichhorn, FES-Stipendiatin der Grundförderung, die die Zwischenergebnisse ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Conditions of Re-autocratization“ vorstellte. Sie wählt einen quantitativen Ansatz und wertet insgesamt 2743 Länderjahre in Studien aus, um nach klar festgelegten Kriterien Re-Autokratisierungen festzustellen, diese hinsichtlich bestimmter Kriterien auszuwerten und so Faktoren auszumachen, die eine Re-Autokratisierung (nach einer demokratischen Phase von mind. 4 Jahren) in einem Staat begünstigen. Dieses relativ unerforschte Gebiet konnte auch nach einem langen Tag nochmals großes Nachfrage- und Diskussionspotential entflammen, sodass aus den für die 3 Vorträge eingeplanten eineinhalb Stunden fast drei Stunden geworden waren.

Insgesamt lässt sich sagen, dass es ein inhaltlich äußerst interessantes und produktives Treffen war.

Nochmals bedanken möchten wir uns bei der Forschungsstelle Osteuropa.

Die Länderanalysen sind hier zu finden – kostenloses Abonnieren möglich.

Sommeruni im Herzen Zentralasiens

(Ruben Werchan)

Bericht über den Besuch der Sommeruni zum Thema „Ressourceneffizienz in Zentralasien“ in Almaty, Kasachstan

Die orthodoxe Zenkov Kathedrale im Panfilov Park in Almaty

Ausgestattet mit einem Stipendium des DAADs nahm ich vom 12. bis 24. August 2013 an der XII. Internationalen Sommeruniversität an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty (Kasachstan) teil. Thema der Sommeruni war „Nachhaltige Entwicklung und effektive Ressourcenpolitik“. Diesem Oberthema näherten wir uns in drei Gruppen. Eine Gruppe beschäftige sich mit den ökonomischen Aspekten der Thematik, eine weitere Gruppe mit den ökologischen Aspekten und die dritte Gruppe explizit mit der effektiven Verwaltung der Wasserressourcen in Zentralasien. Während die Unterrichtssprache in den ersten beiden Gruppen Deutsch war, wurde das dritte Thema auf Russisch unterrichtet. Die Entscheidung ein russischsprachiges Modul anzubieten, war getroffen worden, da es nicht genug Anmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Zentralasien gegeben hatte. Dies war darauf zurückgeführt worden, dass Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Bewerbung waren und es offensichtlich nicht ausreichend interessierte Zentralasiatinnen und Zentralasiaten mit Deutschkenntnissen gegeben hatte. Die Teilnehmenden setzten sich nämlich aus Studenten und Studentinnen aus allen zentralasiatischen Ländern (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan), sowie aus Deutschland zusammen.

Blick auf Almaty von Kok-Tobe, dem höchsten Berg im Stadtgebiet

Zunächst ein paar Worte zu Almaty. Almaty ist die größte Stadt Kasachstans und war bis 1997 die Hauptstadt des Landes. Sie hat ca. 1,5 Millionen Einwohner und liegt im Südosten Kasachstans nahe der Grenze zu Kirgistan. Im Norden wird die Stadt von Steppe eingeschlossen und im Süden reicht sie bis an das Gebirge heran, welches das Grenzgebiet zu Kirgistan darstellt. Aufgrund diese Lage ist die Stadt konstant von Süden nach Norden abschüssig, weswegen sämtliche Stadtpläne von Almaty mit vertauschten Himmelsrichtungen gedruckt werden. Wenn der Süden auf dem Plan oben ist, dann entspricht dies auch dem geologischen Oben und macht so eine Orientierung in der Stadt äußerst intuitiv. Ansonsten macht die Stadt einen sehr sowjetischen Eindruck, zu dem sowohl die rasterförmig verlaufenden Straßen also auch die Architektur beitragen. Dabei ist die Stadt allerdings sehr grün mit vielen Parks und Alleen, was das Lebensgefühl signifikant steigert und zumindest etwas die Abgase der im Übermaß vorhanden SUVs kompensieren kann. Letztere zeugen davon, dass das Wohlstandsniveau in Almaty im Vergleich zum Großteil des Landes sehr hoch ist.

Leider wurden derartige offensichtliche Beispiele für den eher verschwenderischen Umgang mit Ressourcen, in diesem Fall Benzin, in der Sommeruni nur in Ausnahmefällen behandelt. Vermutlich um dem unterschiedlichen Wissenstand der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gerecht zu werden, war der Inhalt der Lehrveranstaltungen sehr grundlegend und allgemein gehalten, was zumindest auf Seite der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe der zwei Wochen mit zunehmender Enttäuschung aufgenommen wurde. Ein weiterer Stein des Anstoßes war die starke Fokussierung der Lehrveranstaltungen auf Deutschland. In einem Land, welches viele Beispiele für die Problematik von Ressourcennutzung bietet, wie das Austrocknen des Aralsees (Ressource Wasser), den sowjetischen Atomtests (Ressource Land), dem Umgang mit Bodenschätzen und vielen mehr, war es wenig nachvollziehbar, dass diese Problematiken meist nur am Rand geschnitten wurden und deutschlandspezifischen Beispielen sehr viel Raum eingeräumt wurde. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Zentralasien von diesen Beispielen profitiert haben.

Picknick in den Bergen

Aber die Universität beschränkte sich nicht auf klassische Lehrveranstaltungen, sondern überzeugte mit einem weitaus umfangreicheren Programm. Fachvorträge von Vertretern aus der Praxis (von der Arbeit im Nichtregierungssektor über Landwirtschaft bis zum Ökotourismus) halfen den thematischen Wissensgewinn der Universität zu steigern. Und vielleicht ist es auch ein offenes Geheimnis, dass nicht der Wissensgewinn im klassischen Sinne bei einer solchen Sommeruniversität im Vordergrund steht, sondern das Kennenlernen einer anderen Kultur. Auch hierbei wurden wir von den Organisatoren und Organisatorinnen der Sommeruni kräftig unterstützt. Oft gab es am Nachmittag ein fakultatives Kulturprogramm, bei dem wir Museen, Konzerte und Sehenswürdigkeiten besichtigen konnten. Für viele ein Höhepunkt waren ohne Frage die Exkursionen in die Natur um Almaty. Bei zwei Wanderungen ins Gebirge, wobei bei der ambitionierteren der beiden 2.000 Höhenmeter überwunden wurden, und einer Fahrt zum Fluss Ili in die Steppe nördlich der Stadt, bekamen wir einen wunderbaren Eindruck von der Vielseitigkeit der kasachischen Landschaft.

Der Fluss Ili und die kasachische Steppe

Von den dabei gewonnenen Eindrücken begeistert, versuchten sich einige von uns an einer Radtour, was sich allerdings angesichts von konstanten 12% Steigung als wenig empfehlenswert herausstellte, auch wenn wir am Ende mit dem Anblick des Großen Almatysees und einem sehr unterhaltsamen Gespräch mit vier Grenzsoldaten belohnt wurden. Diese erzählten uns, dass angeblich islamistische Terroristen vor einem Jahr mehrere Grenzsoldaten umgebracht hätten, beim Versuch den Damm des Sees zu sprengen und somit die Trinkwasserversorgung Almatys zu boykottieren. Derartige Berichte bekommt man mit Sicherheit nur zu hören, wenn man die Möglichkeit hat, sich in einem Land aufzuhalten und es selbstständig zu erkunden.

Internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Selbstverständlich kam auch der sozialkommunikative Aspekt der Sommeruniversität nicht zu kurz. Wir tauschten uns über die unterschiedlichen Lebensrealitäten aus, die vor allem bei den usbekischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen teilweise sehr krass waren, da diese in einer Zeit permanenter Unruhen und gewaltsamer Auseinandersetzungen aufgewachsen waren. Gerade in Hinblick auf das Knüpfen von Kontakten stellte die Sommeruni eine perfekte Plattform dar. Am Ende der zwei Wochen waren neue Freundschaften entstanden und wir verließen uns unter der Beteuerung gegenseitigen Einladungen und dem Versprechen, diese auch anzunehmen. Wobei natürlich zu befürchten steht, dass dies aufgrund der großen geographischen Entfernungen teilweise ein frommer Wunsch bleiben wird, aber angeblich sieht man sich ja immer mindestens zweimal im Leben.

Der Hochgeschwindigkeitszug "Zhetysu"

Nach Ende der Sommerschule nutzte ich die Verbleibende Zeit, um mir auch die neue Hauptstadt Astana anzuschauen. Schon die Hinfahrt mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug der Kasachischen Eisenbahn war ein Erlebnis. Erstmals konnte ich bewundern, wie es ist, die Vorteile des Bahnreisens in der ehemaligen Sowjetunion (mindestens eine Nacht fahren und unterwegs ein halbwegs bequemes Bett und kochendes Wasser zu haben) mit modernen Wagons zu kombinieren. Ein Konzept, das mich durchaus überzeugen konnte und auch für den innerwesteuropäischen Bahnverkehr ein Ansatz sein kann, der in der Lage wäre eine komfortable und klimaverträgliche Alternative zum Flugzeug darzustellen. Nach erholsamen zwölf Stunden Zugfahrt kam ich erholt morgens in Astana an.

Die Prunkmeile von Astana

Astana selbst ist zweigeteilt, wobei die beiden Teile von den Einheimischen immer mit rechts und links des Flusses bezeichnet werden. Rechts des Flusses Ischim ist die alte Stadt, das ehemalige Aqmola (Astana heißt auf Deutsch Hauptstadt und ist erst seit 1997 der Name der Stadt) und links des Flusses ist all das, was seit dem Umzug der Hauptstadt entstanden ist. Die rechte Seite sieht größtenteils aus wie die meisten postsowjetischen Städte mit Plattenbauten, Supermärkten und scheinbar unnötig breiten Straßen und einer betriebsamen Lebhaftigkeit. Die linke Seite dagegen hat alles, was eine Retortenstadt mit Leib und Seele benötigt. Eine Ballung monumentaler zeitgenössischer Architektur, wie man sie sonst nur aus dem Legoland kennt, großzügig angelegte Parkanlagen und Fußgängerzonen, Einkaufszentren, die sich in keiner US-amerikanischen Großstadt verstecken müssten und eine erdrückend auffällige Abwesenheit von Menschen. Tatsächlich scheint sich das gesamte Leben auf der rechten (in Fließrichtung) Seite des Flusses abzuspielen, während sich auf der linken Seite erhabene Architektur und erhabene Leere gegenseitig verstärken. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Zweiteilung der Stadt mit dem kontinuierlichen Zuzug neuer Bürger und Bürgerinnen und dem Fortsetzen der Bauaktivitäten (erst 30% der geplanten Bebauung sind fertiggestellt) in Zukunft auflösen wird.

Das Unterhaltungs-Center "Khan Shatyr". Entworfen von Norman Foster.

Abgesehen von der Frage der Sinnhaftigkeit eine Großstadt in ein Steppengebiet mit wenig Wasser und einem eher schwierigen Klima (kontinentales Klima in Perfektion: sehr heiße trockene Sommer und sehr kalte windige Winter) zu setzten, ist es beeindruckend, was den Planern und Erbauern der Stadt gelungen ist. Die Knappheit des Wassers ist nur zu erahnen, denn der Fluss und die üppig angelegten (und bewässerten) Grünflächen suggerieren etwas anderes. Die Möglichkeit uneingeschränkten Bauens hat namhafte Architekten angezogen, so plant Sir Norman Foster bereits sein drittes Bauwerk in Astana. Das Ergebnis ist ein Stadtbild, welches aus einer Ansammlung an Gebäuden besteht, die jedes für sich genommen den meisten anderen Städten weltweit als Wahrzeichen gereicht hätten. Damit ist Astana zu einem Symbol dafür geworden, wie rohstofffinanzierter Aufschwung in der Postsowjetunion aussehen kann. Allerdings wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn sich dieser Aufschwung weniger in Form prestigeträchtiger Baudenkmäler materialisieren würde, sondern in Projekten, die dezentral angesiedelt wären und eine nachhaltige Wohlstandssteigerung der gesamten Bevölkerung zur Folge hätten. Ob und inwiefern ganz Kasachstan und eventuell sogar die gesamte Region Zentralasien vom Rohstoffreichtum profitieren kann und wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in der Region nachhaltig gestaltet werden kann, wird ein Schwerpunktthema der Expo 2017 in Astana sein. Spätestens dann lohnt sich eine Reise nach Kasachstan auf jeden Fall und wir dürfen mit Spannung auf die dort vorgestellten Lösungsansätze warten.

Schicht im Schacht

(Christopher Forst)

Wenige Tage vor dem Spiel bekam ich die überraschende Nachricht. Bei einem Gewinnspiel der ukrainischen Botschaft in Berlin hatte ich zwei Karten für das Achtelfinale der Champions League zwischen Borussia Dortmund und Schachtjor Donezk im Dortmunder Signal-Iduna-Park, dem größten Stadion Deutschlands, gewonnen. Das Besondere daran war, dass es sich um Karten für den Auswärtsblock handelte. Als Osteuropastudent und Fan von Alemannia Aachen verbindet mich nur wenig mit Borussia Dortmund, dafür aber umso mehr mit Schachtjor Donezk. Auch Thomas, der mich begleitete, hatte nur wenig für Dortmund übrig, sodass wir entschlossen waren, Schachtjor über 90 Minuten und wenn nötig auch noch länger anzufeuern.

90 Minuten Unterstützung für Schachtjor Donezk (Bild: Christopher Forst)

Wer die empfehlenswerte Dokumentation „The Other Chelsea“ (s. unten) noch nicht gesehen hat, dem sei gesagt, dass Schachtjor zwar einen der reichsten Männer der Ukraine, Oligarch Rinat Achmetow, an seiner Spitze hat, die „einfachen Fans“ aber oft aus dem traditionellen Milieu der „Kumpel“ kommen (eine Parallele zu Borussia Dortmund). Auch der Name „Schachtjor“ ist auf das Wort „Schacht“ zurückzuführen. Insofern trifft der Begriff „The Other Chelsea“ nur bedingt zu. Während man an der Stamford Bridge oft das Gefühl hat, eine Stecknadel fallen hören zu können, gelten die Fans von Schachtjor durchaus als heißblütige „Fanatiker“. Schon auf dem Weg zum Stadion wurde deutlich, dass meine Russischkenntnisse zur Verständigung mit Schachtjorfans völlig ausreichend sein würden und es nicht nötig sein würde, Ukrainisch zu verstehen. Der Verein heißt offiziell „Schachtar“, dieser Name ist ukrainisch. Da jedoch so gut wie jeder Schachtjorfan Russisch als seine Muttersprache ansieht, findet man den ukrainischen Namen nur im Logo des Vereins, nicht aber z.B. in Anfeuerungsrufen wieder.  Präsident Wiktor Janukowitsch, der als russlandfreundlich gilt, ist übrigens nicht nur selbst in der Region („Oblast“) Donezk geboren, er hat auch Zustimmungsraten von etwa 90 Prozent unter den Anhängern des Vereins. Der Vereinschef Rinat Achmetow ist Mitglied in Janukowitschs Partei und der Präsident ist Stammgast bei Heimspielen in der „Donbass Arena“, dem hochmodernen Stadion, das auch Austragungsort von Spielen der EM 2012 war.

Der Signal-Iduna-Park muss den Vergleich mit der Donezker Donbass-Arena nicht fürchten. (Bild: Christopher Forst)

Das Spiel selbst war leider aus ukrainischer Sicht katastrophal. Der BVB dominierte nach Belieben. Santana, Götze und Blaszczykowski („Kuba“) trafen zum hochverdienten 3:0 Endstand. Das einzige Aufbäumen der „Schwarz-orangen“ (die jedoch im weiß-orangen Auswärtsdress antraten) war kurz nach dem Wechsel zu spüren, als einer der vielen ukrainischen Brasilianer, der eingewechselte Douglas, für Druck über die rechte Seite sorgte. Mit dem unglaublichen Torwartfehler von Pyatov zum 3:0 in der 59. Minute, bei dem uns auf der Tribüne das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand, war die Gegenwehr gebrochen. Dortmund brachte den Sieg souverän nach Hause. Nach Hause ging es auch für uns pünktlich mit dem Abpfiff, da die Zuganbindung von Dortmund nach Köln an einem Dienstagabend leider äußerst schlecht ist.

Traditionelle Fankleidung bei Spielen von Schachtjor (Bild: Christopher Forst)

Die Fans von Schachtjor waren verhältnismäßig ruhig (in der Vergangenheit waren sie mehrmals durch bengalische Feuer und nackte Oberkörper bei Minustemperaturen aufgefallen). Schuld daran war wohl neben dem schlechten Spiel und dem generellen Alkoholverbot in der Champions League auch, dass es fast eine ganze Halbzeitpause lang dauerte, bis die Getränkeverkäufer im Signal-Iduna-Park dem Wunsch nach Tee für die ukrainischen Gäste nachkamen. Andere Länder, andere Sitten. Tee gehört in Donezk wohl zu einem guten Fußballspiel genauso dazu, wie Schutzhelme und brasilianische Stürmer. Als die eingefleischten Anhänger von Schachtjor übrigens bemerkten, dass sich zwei Deutsche unter sie gemischt hatten, die mit ihnen gemeinsam die Mannschaft anfeuerten, wurde dies kurz und knapp so kommentiert: „Das ist gut.“ Das Ausscheiden im Achtelfinale der Champions League ist hingegen schlecht für den Verein, wenngleich die Niederlage wohl durchaus nicht überraschend kam. Folgt man der Donezker Weisheit, dass es dem Schacht immer dann besonders gut geht, wenn Schachtjor gut gespielt hat, kann man nach der unterirdischen Leistung der ukrainisch-brasilianischen Mannschaft an diesem Dienstagabend in Dortmund leider nur sagen: Schicht im Schacht!