Gespräch mit Dr. Sereda, Center for Urban History and East Central Europe

Gespräch mit Dr. Viktoria Sereda (Center for Urban History and East Central Europe), am 30. Mai 2014 in Lwiw

(Galyna Spodarets)

Am 30. Mai 2014 fand in den Räumlichkeiten der Katholischen Universität Lwiw das Treffen der AK-Osteuropa Delegation mit Dr. Viktoria Sereda zum Thema „Die Ukraine der Regionen“ statt. In einer spannenden Präsentation wurden den osteuropainteressierten StipendiatInnen der FES die Ergebnisse eines Projektes zur transkulturellen und interdisziplinären Konzeptualisierung der Ukraine vorgestellt. Die Hauptidee dieses Projekts war, auf die ukrainischen Regionen und dessen Bewohner nicht aus der stereotypischen Unterteilung zu schauen, sondern die quantitativen und qualitativen Daten aus jedem Verwaltungsbezirk (Ukrainisch „Oblast“) des Landes zu sammeln und zu vergleichen. Somit wurden uns die regionalen Gemeinsamkeiten und Differenzen zu den Fragen der ukrainischen Identität, des Gedächtnisses und der Religion im soziogeographischen Kontext präsentiert. Diese soziologische Untersuchung wurde 2013 anhand einer vergleichenden Representativbefragung von ca. 6000 Probanden in allen Regionen der Ukraine – auch in „ethnisch“ relativ heterogenen Regionen wie Tscherniwzi, Uschgorod und auf der Krim – durchgeführt. Welche Elemente der Kultur spielen für die Selbstidentifikation der Bewohner dieser Gebiete eine Rolle? Wird die historische Vergangenheit in die Identität der Bewöhner des Landes bewusst mitaufgenommen? Frau Sereda stellte uns die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchung vor.

Um die stereotypisierte Ost-West-Kombination zu vermeiden, wurde eine Unterteilung anhand der zehn wichtigsten Regionen der Ukraine vorgenommen, die da sind: Galizien, Nordwesten, Südwesten, Kiew, Zentrum, Nordosten, Osten, Süden, Industriegebiet Donbass und die Halbinsel Krim (siehe Bild 1).

Ethnische Zusammensetzung der zehn untersuchten Regionen
Ethnische Zusammensetzung der zehn untersuchten Regionen

Welcher Nationalität fühlt man sich in diesen Regionen zugehörig? Probanden wurde eine Skala von 1 (nicht wichtig) bis 5 (sehr wichtig) zur Bewertung gegeben. Aus den erhobenen Daten wurde ersichtlich, dass die russische Nationalität bzw. die russische Identität nur auf der Krim dominiert. In allen anderen Regionen fühlen sich Menschen mehrheitlich der ukrainischen Identität zugehörig. Ebenfalls wurde bewiesen, dass die ukrainische Identität auch für ethnische Russen von äußerster Wichtigkeit ist.

Um die regionalen Unterschiede zum Thema Identität heraus zu arbeiten, wurden die Probanden gebeten, ihre Identität aus 15 Möglichkeiten auszuwählen (ukrainisch, russisch, slawisch, europäisch, regional, beruflich u.a.). So ist die nationale ukrainische Identität im Westen, Norden und Zentrum des Landes mehr ausgeprägt, als die regionale oder lokale. Dagegen ist im Süden, Osten und im Donbass eine gegenläufige Tendenz der Prävalierung der regionalen Identität festzustellen. Die europäische Identität ist nur im Westen und Norden des Landes etwas stärker ausgeprägt als die slawische, im Gegenteil zum Zentrum, Süden und Osten, wo die Zahlen genau die umgekehrte Situation kennzeichnen. Bemerkenswert ist dabei, dass in allen Regionen die ukrainische Identität über dem arithmetischen Mittelwert liegt, während die russische sich nur in Donbass und im Süden (da die Krim mit einberechnet wurde) der Mittelwertgrenze nähert (siehe Bild 2).

Regionale Unterschiede der territorialen Identitäten
Regionale Unterschiede der territorialen Identitäten

Das nächste Bild veranschaulicht die Unterteilung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken des Landes. Anhand der erhobenen Daten wird deutlich, dass die stereotype Ost-West-Unterteilung nicht der Realität entspricht. Die Karte ist „bunt“ gemischt und es sind innerhalb der Regionen große Unterschiede festzustellen. In der Donbass Region sind beispielsweise Unterschiede zwischen Donezk und Luhansk ersichtlich. Auch der westliche Teil des Landes ist nicht so einheitlich, wie die Forscher das erwartet haben (vergleiche: Tscherniwzi, Odessa, Donezk, Bild 3).

Ausprägung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken
Ausprägung der ukrainischen Identität in den unterschiedlichen Verwaltungsbezirken

Zu welchem Grad denken Menschen, dass die Ukraine und Russland die gleiche Kultur haben? Es wird deutlich, dass die kulturelle Einheit unter den Bewohnern deutlich anerkannter ist, als die staatliche Einheit. Sehr gut wird diese Entwicklung am Beispiel von Galizien illustriert. Zwar werden die kulturellen Gemeinsamkeiten weithin akzeptiert, dagegen findet hier die Behauptung Russland und die Ukraine sind ein Staat keinerlei Unterstützung. Auf der Krim und in der Donbass Region sieht die Stimmungslage dazu anders aus. Die Vorstellung, dass Russland und die Ukraine ein staatliches Gebilde darstellen, findet bei mehr Probanden Unterstützung, als die Behauptung, dass Ukrainer und Russen Vertreter der gleichen Kultur seien (Bild 4).

Haben die Ukraine und Russland die gleiche Kultur/den gleichen Staat?
Haben die Ukraine und Russland die gleiche Kultur/den gleichen Staat?

Da die Ukraine ein bilinguales Land ist, wurde in der Studie auch die Frage nach den sprachlichen Vorlieben berücksichtigt. Sollte Russisch zweite Amtssprache werden? Während der Südosten Bilingualität unterstützen würde und die Akzeptanz dieser Vorstellung auf der Krim, in Odessa, Charkiw, Luhansk und Donezk über dem Durchschnitt liegt, würden Bewohner von Galizien diese Initiative nicht unterstützen. Aber auch in der Westukraine sind Differenzen unverkennbar: Transkarpatien, Wolhynien, Tscherniwzi würden in der Sprachenfrage anders handeln als Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Ternopil (Bild 5).

Regionale Zustimmung zur Zweisprachigkeit
Regionale Zustimmung zur Zweisprachigkeit

In der Frage, ob ukrainische Staatsbürger Russisch sprechen sollen, sehen die Forscher klare Unterschiede. Überwiegend zustimmend zeigen sich die Gebiete, die heute im öffentlichen prorussischen Propagandadiskurs als „Neurussland“ bezeichnet werden, mit Ausnahme von Dnipropetrowsk. Die letzten politischen Entwicklungen in der Ukraine versinnbildlichen, wie die Sprachvielfalt zur Spaltung der Ukraine missbraucht werden kann.

Um die charakteristischen Merkmale des nationalen kollektiven Gedächtnisses im regionalen Vergleich aufzuzeigen, wurden drei Elemente untersucht: Feiertage, Personen und Ereignisse.

Feiertage

Fünf ukrainische Feiertage (Tag der Vereinigung, Geburtstag des Nationaldichters Taras Schevchenko, Tag der Unabhängigkeit, Tag der Verfassung und Holodomor-Gedenktag) und fünf sowjetische (23. Februar, 8. März, Tag der Arbeit, 9. Mai und Oktoberrevolution 1917) wurden betrachtet. Aus fünf ukrainischen Feiertagen wurde nur einer (Tag der Unabhängigkeit) weitestgehend akzeptiert, dagegen wurden die sowjetischen Feiertage (außer der Oktoberrevolution) in das ukrainische kollektive Gedächtnis aufgenommen und werden im ganzen Lande kontinuierlich gefeiert (nur drei Gebiete nehmen sie nicht an). Diese Entwicklung zeigt, dass die ukrainischen Feiertage im ukrainischen Gedächtnis weniger institutionalisiert wurden, als die sowjetischen.

Personen

Hier wurde die Methode der offenen Frage angewendet. Probanden sollten sich selbständig Helden und Antihelden überlegen und nennen. Drei Personen haben sich bei dieser Umfrage besonders herauskristallisiert, die in allen regionalen Ranglisten vorkommen: Bohdan Chmelnyzkyj, Taras Schewtschenko und Mychajlo Hruschewskyj. Ausnahmen bilden hier nur Donezk, Luhansk, Saporischschja und die Halbinsel Krim, wo der Name Hruschewskyj nicht erscheint.

Als die meist umstrittenen Figuren der ukrainischen Geschichte haben sich Bandera und Mazepa rausgestellt.

Eine eindeutig negative Bedeutung wurde in allen Regionen Stalin zugeordnet. An Hitler wurde sich nur in fünf Verwaltungsbezirken negativ erinnert. Gorbatschow wurde in drei Verwaltungsbezirken Galiziens und zwei Verwaltungsbezirken Wolhyniens zu positiven und in anderen 20 Verwaltungsbezirken zu den negativen Personen gezählt. Eine sehr klare regionale Differenzierung einer Person, die für den Zerfall der Sowjetunion verantwortlich gemacht wurde. Juschtschenko bekam fast in 18 Regionen der Ukraine eine negative Bewertung und Janukowytsch in 13.

Ereignisse

Bei historischen Ereignissen haben sich die Probanden auf das 20. Jahrhundert fokussiert. Zu den zwei Ereignissen, die in der ganzen Ukraine gleich hohe Relevanz besitzen, zählen der Sieg im Zweiten Weltkrieg und die Unabhängigkeitserklärung von 1991.

Als weitere positive Ereignisse nannten die Bewohner des Westens und des Zentrums die Orange Revolution und das Kosakentum, die Bewohner des Südens und Donbass den Perejaslaver Vertrag mit Russland, den Hmelnyckyj 1654 unterschrieben hat, die Vertreter des Nordens und Zentrums die Kiever Rus. Eine interessante Beobachtung ist die Tatsache, dass in fast allen Verwaltungsbezirken die ukrainische Unabhängigkeit (sprich Ende der Sowjetzeit, Abspaltung vom russischen Einflussgebiet) als ein positives Ereignis wahrgenommen wurde, aber zugleich wurden andere Ereignisse, wie die Gründung und der Zerfall der Sowjetunion als positive markiert.

Die Orange Revolution 2004 wurde in 13 Verwaltungsbezirken (Osten, Süden und Donbass) als negativ eingestuft. In sechs zentralen Gebieten konnten gleichzeitig sowohl positive als auch negative Konnotationen konstatiert werden. Die gleiche Ambivalenz besitzt auch die Auswertung der Präsidentschaft von Janukowytsch.

Zu den eindeutig negativen Ereignissen, die fast in allen Umfragen vorgekommen sind, zählen die Hungernot 1932-33, der Zweite Weltkrieg und die Tschornobyl-Katastrophe. In sieben Verwaltungsbezirken (Galizien, Wolhynien und Zentrum) wurde die Erfahrung ein Teil der Sowjetunion zu sein als negativ eingeordnet. Seltener Erwähnung finden in dieser Umfrage solche Ereignisse wie die Oktoberrevolution 1917, Stalins Repressionen und der Krieg in Afghanistan.

Bei der Auswertung dieser Daten ist zu beachten, dass der ukrainische Raum ein heterogener Mischraum ist. Unterschiedliche Antworten auf die gleichen Fragen zeugen davon, dass die ukrainische Identität in bzw. aus einer äußerst vielfältigen und komplexen Mischung besteht: aus kosakischen Mythen, sowjetischen Narrativen, Kontakten zwischen Ost und West, unterschiedlichen Erinnerungskulturen und Geschichtsvorstellungen; aus diversen multiethnischen, sprachlichen und religiösen Traditionen. Der ukrainische Raum bedient sich von diesen Mischungen, was dazu führt, dass aus einem Mischraum sich schwerer eine Identität ableiten lässt als aus einem homogen strukturierten Raum. Frau Sereda betonte aber, dass dies eine positive Entwicklung sei, wenn den Einzelnen bewusst wird: „Wir sind unterschiedlich, aber wir sind eins“.

Mit dieser Analyse werden bestimmte Tendenzen für die fünf wichtigsten Regionen (den Westen, die Zentralukraine, die Ostukraine, die Halbinsel Krim und den Süden) ersichtlich. Es lassen sich aber keine klaren Grenzen zwischen Ost und West, Nord und Süd weder im politischen, noch im kulturellen Kontext ziehen. Die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai 2014 haben gezeigt, dass die Ukrainer nach dem Maidan, der Krim-Krise und der präkeren Entwicklung im Donbass mehr denn je vereint sind.

Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nach Verwaltungsbezirken
Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nach Verwaltungsbezirken

Da die in der Präsentation skizzierten Daten noch vor dem Maidan erhoben wurden, wäre es interessant herauszufinden, welche Verschiebungen in der Identität der Ukrainer nach dem Maidan feszustellen sind. Aus diesem Grunde wurden weitere Interviews durchgeführt. Die vollständige Monographie mit den Auswertungen der Umfragen auf dem Maidan, in Kiew, in Lwiw und Charkiw zur Identität, europäischen Perspektiven und aktualisierten mentalen Vorstellungen wird im März 2015 veröffentlicht.

[Nach einer ausführlichen Präsentation bot sich die Möglichkeit an, der Referentin Fragen zu den aktuellen Ereignissen zu stellen. Aktiv wurden Meinungen zu folgenden Themen ausgetauscht: die politische Zukunft der Ukraine, die antiukrainische Propaganda und der Nationalismus als deren Hauptlabel, die Präsidentschaftswahlen und die niedrigen Ergebnisse der nationalistischen Parteien, stereotypisierte vereinfachte Vorstellungen und Notwendigkeit der Verbreitung fundierter Informationen zur Situation im Land. Es wurde über die Notwendigkeit der Öffnung der ukrainischen Geschichte gesprochen, damit ein kollektives nationales Gedächtnis eine Chance auf eine adequate objektive Ralativierung erfahren kann.

Da Frau Sereda vor einem Jahr Interwievs in Simferopol, Jewpatorija und anderen Städten und Dörfern der Krim durchführt hat, fragten wir nach ihrer Einschätzung der jüngsten Entwicklungen auf der Halbinsel. Laut Sereda war noch vor einem Jahr nicht zu erkennen, dass die Bewohner der Krim sich eine Abspaltung von der Ukraine wünschen. „Wenn die bewaffneten grünen Männchen nicht da wären, würden die Ergebnisse des ohnehin rechtswidrigen Referendums anders ausschauen“.

Heute kommen zahlreiche Flüchtlinge aus der Krim nach Lwiw. Viele davon sind Krimtataren, die vor Verboten, Verfolgungen und Verhaftungen flüchten. Sie lassen alles zurück und bauen mit Hilfe der ukrainischen Zivillgesellschaft ihr Leben aufs Neue auf. Das einzig positive daran ist, dass es in Lwiw ein krimtatarisches Restaurant aufgemacht hat, das wir nach dem Treffen neben Ploscha Rynok besuchten. So lecker hat uns das Essen bei der Flüchtlingsfamilie Jusbaschev geschmeckt. So bitter ist der Nachgeschmack der Geschichte.

Krimtatarische Flüchtlingsfamilie Jusbaschev aus Jewpatorija, die am 7. Mai 2014 ein Restaurant in Lwiw aufgemacht hat
Krimtatarische Flüchtlingsfamilie Jusbaschev aus Jewpatorija, die am 7. Mai 2014 ein Restaurant in Lwiw aufgemacht hat

Das Community Development Institute in Tetovo

(Kristin Kretzschmar)

Das  Community Development Institute in Tetovo (CDI) besteht seit nunmehr 15 Jahren und wurde durch den jetzigen Direktor Sreten Koceski gegründet. In diesem Bericht sollen die Eindrücke und Inhalte eines Treffens mit Vertretern des CDI im Oktober 2012 wiedergegeben werden.

Zunächst gab uns der Mitarbeiter Damir Neziri eine Einführung in die interethnischen Beziehungen in Mazedonien, besonders mit Blick auf die Lage in Tetovo und die Arbeit des CDI. Hierbei warf er auch die Frage auf, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen 2001 ein Bürgerkrieg oder ein Aufstand der albanischen Minderheit waren. Schon bei dieser Frage wurde deutlich, wie viel Bedeutung Terminologie in Mazedonien hat: Man spricht nicht von Minderheiten sondern von „non-majority groups“, also Nicht-Mehrheiten.

Sreten Koceski spricht über die Probleme der CICRs. Bild: Kristin Kretzschmar

Unabhängig von der genauen Bestimmung der Art der Auseinandersetzung, stellt das Jahr 2001 einen Meilenstein in der Arbeit des CDI dar. So scheint es, dass sich das CDI zuvor noch in einer Selbstfindungsphase befand. Mitte der 1990er Jahre gab es in Mazedonien kaum Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen: „There was kind of an empty space and were eager to fill it and find out how it works with projects and funding.“ Während in den ersten Jahren Unterstützung von vielen Seiten kam, nimmt dies immer weiter ab. Momentan werden die Projekte des CDI unter anderem durch die FES und den Deutschen Volkshochschul-Verband unterstützt.

Danach gab uns der Gründer und Direktor des CDI Sreten Koceski einen Überblick über die aktuellen Tätigkeiten. Fokus lag in seiner Präsentation auf den sogenannten Committees for Inter-Community Relations (CICR), da sich der Arbeitskreis schon zuvor mit diesen beschäftigt hatte. Hierbei handelt es sich um ständige Beiräte der Gemeinderäte in Bezug auf interethnische Beziehungen. Die Einrichtung eben dieser ist seit 2002 verpflichtend in Gemeinden, in denen mindestens eine der Nicht-Mehrheitsgruppen einen Anteil von 20 % erreicht. Inzwischen wurden CICRs in 20 Gemeinden und Skopje eingerichtet und decken somit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mazedoniens ab. Die Beiräte wurden eingerichtet um den Minderheitenschutz auf der lokalen Ebene abzusichern. Lokale Entscheidungen, die die Nutzung von Sprache oder Symbolen betreffen, müssen mit den CICRs abgesprochen werden. Dies betrifft beispielsweise die Umbenennung von Straßen oder öffentlichen Einrichtungen. Die CICRs geben in diesen Fragen dann nicht-verbindliche Entscheidungen an die Gemeinderäte. Die Mitglieder der CICRs werden gewählt.

Unterschied zu den Gemeinderäten ist, dass sie eben nicht die Vertreter einer Partei oder politischen Ideologie sind, sondern Vertretern einer Ethnie. In den letzten Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass die CICRs leider nicht dem Anspruch die Kommunikation zwischen den Ethnien zu verbessern, gerecht werden konnten. In einigen Fällen wurden die CICRs in Entscheidungen übergangen. In anderen Fällen konnten die CICRs nicht arbeiten, da kein institutionelles Gedächtnis aufgebaut wurde und die Mitglieder nicht ausreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden.

Besuch des CDI. V.l.n.r.: Stefan Schneider (Praktikant der FES Skopje), Benedikt Paulowitsch, Marcel Hagedorn, Ruben Werchan, Michael Meissner, Tobias Endrich und Damir Neziri. Bild: Kristin Kretzschmar

Genau in diesen Bereichen versucht das CDI einzuspringen und bietet beispielsweise Training und Foren zum Austausch zwischen Mitgliedern der CICRs in verschiedenen Gemeinden an. Da CICRs erst verpflichtend werden wenn eine ethnische Gruppe mehr als 20% der Bevölkerung einer Gemeinde ausmacht, kam die Frage auf, warum 2011 der Zensus abgebrochen wurde. Eine endgültige Antwort darauf konnten wir nicht finden. Allerdings äußerte Damir Kritik an der „magischen Zahl“ 20. Diese sei eine „Wurzel weiterer Teilung“.

Der Anteil spiele im Zusammenleben keine Rolle, da die Rechte eines jeden Einzelnen geachtet werden müssen. „Wir sind Geißeln der Prozente. Es ist egal ob 19,9 % oder 26 % – wir müssen einen Weg finden friedlich zusammenzuleben.“ Leider ist das Alltagsleben weiterhin stark entlang ethnischer Linien geteilt. Auch wenn es gemischte Schulen gibt, heißt das nicht, dass Mazedonier gemeinsam mit Albanern in einer Klasse sitzen. Die Klassen sind weiterhin geteilt und werden teilweise sogar im Schichtsystem unterrichtet um Konflikte auf dem Schulhof zu vermeiden. Ähnliches gilt für die Nutzung der Sprache: Albaner lernen zwar Mazedonisch, aber kaum ein Mazedonier lernt Albanisch. Ältere Menschen sprechen häufig noch beide Sprachen; jüngere sehen die Sprache der jeweils anderen Ethnie oft als „enemy“.

Die unflexible 20% Lösung des Ohrider Rahmenabkommens hat die sprachliche Trennung weiter vertieft. De facto handelt es sich in Mazedonien um eine geteilte Gesellschaft, doch eine Teilung würde mit Sicherheit zu blutigen Konflikten führen. Sich dessen bewusst kommt es immer wieder zu Friedensbewegungen. Im Mai versammelten sich Bürger aus dem ganzen Land, verschiedenen Ethnien angehörig, in Skopje, um einen „March for Peace“ zu veranstalten und den Willen zum friedlichen Zusammenleben offen zu zeigen. Leider versiegen diese Bewegungen meistens sehr schnell.

Gespräch mit Vertretern der Gemeinde von Tetovo

(Marcel Röthig)

Wir trafen uns in der Gemeindeverwaltung mit Beratern des Bürgermeisters von Tetovo aus den Bereichen PR, Protokoll und Öffentlichkeitsarbeit. Die Verwaltung umfasst drei Sektoren (Kultur, Sport und Bildung; Infrastruktur sowie Steuern und Investitionen). Das Kabinett berät den Bürgermeister in ethnischen Fragen und hat eine multiethnische Zusammensetzung. Zudem gibt es einen multiethnischen Gemeinderat mit 41 Mitgliedern und einem Ausschuss für ethnische Fragen.

Der AK Osteuropa gemeinsam mit Vertretern der Gemeindeverwaltung. Bild: Tijana Angjelkovska

 

Während der Diskussion gab es Kritik am laufenden Dezentralisierungprozess, der laut den Gesprächspartnern als unvollständig und hinderlich für die Arbeit der Stadt angesehen wird. So gingen alle Steuern direkt nach Skopje und werden von dort aus umverteilt und Tetovo habe keine eigene Finanzhoheit. Zudem gäbe es keine bedarfsorientierte Verteilung derFinanzen, da alle Gemeindefinanzen gleich verteilt werden.

Weiterhin gab es Diskussionspunkte zur Integration der Roma-Minderheit, die in Tetovo 4 Prozent umfasst. Hierzu gäbe es Sensibilisierungsbemühungen an den Schulen. Besonders positiv für das multiethnische Zusammenleben wurde die Funktion des Sports gewürdigt. So gäbe es multiethnische Sportturniere und Infrastrukturprojekte zur Stärkung des Sports bewertet. Kritisiert wurde das umstrittene Projekt Skopje 2014. Hierbei wurde der Vorwurf erhoben, die Deutsche Bank würde dieses mit einem Kredit in Höhe von 800.000 Euro mitfinanzieren. Laut späterer Aussage von Botschafterin Steinacker zu diesem Punkt liegt hier ein fehlendes Verständnis der Deutschen Bank vor. Diese sei eine Geschäftsbank und keine staatliche Institution, könne also ohne politische Zustimmung jederzeit solche Kredite vergeben.

Während der Diskussion wurden zudem die Intervention der NATO und besonders die Beteiligung der Bundeswehr mit 800 Soldatinnen und Soldaten im Jahr 2001 gewürdigt und der Wunsch nach einem baldigen Beitritt Mazedoniens zu EU und NATO geäußert. Dabei wurde auch Kritik an der mazedonischen Regierung deutlich, die sich nicht ausreichend um eine euro-atlantische Integration bemühe. Zudem wurde der exklusive und nationalistische Politikstil, der die multiethnischen Spannungen gefährlich anheize, als spaltend beschrieben. Die Situation in Tetovo kann nach wie vor als kritisch betrachtet werden. Im Anschluss daran gab es auf Einladung der Gemeindeverwaltung ein Mittagessen.

 

 

 

 

 

 

 

Treffen mit VertreterInnen der Sozialdemokratischen Union Mazedoniens

(Marcel Hagedorn)

Den Ausklang des Programms in Mazedonien bildete ein Treffen der Stipendiaten mit Vertretern der Sozialdemokratischen Union Mazedoniens (maz.: Socijaldemokratski Sojuz na Makedonija, kurz: CДCM). Die Stellvertretende Parteivorsitzende Anna Pawlowska-Danewa stellte sich den durchaus kritischen Fragen. Ein weiterer Vize und die Sekretärin für Internationales waren auch zugegen, schienen jedoch nur schmuckes Beiwerk zu sein – Anna Pawlowska-Danewa gab souverän die Einleitung und antwortete auf sämtliche Fragen

VertreterInnen des stipendiatischen Abrbeitskreies Osteuropa der FES mit VertreterInnen der SDSM.

Die SDSM hat nach dem Bürgerkrieg in Mazedonien 2001 die Ohrider Rahmenvereinbarung mitunterzeichnet. Diese sah weitreichende Verfassungsänderungen vor, so eine paritätische Beteiligung der albanischen Minderheit an Kommunalverwaltungen in Gemeinden mit über 25% albanischen Einwohnern, Anerkennung ihrer Sprache als Amtssprache in diesen Gebieten und generell eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.

„It’s less perfect than on paper“, so Pawlowska-Danewa. Die Gleichstellung aller ethnischen Gruppen ist noch längst nicht abgeschlossen und wird ein zentrales Thema künftiger Regierungen sein. Dies liegt vor allem an der unterschiedlichen Auslegung des Abkommens. Albaner fordern weitere Rechte auf Grundlage des Abkommens, Mazedonier sehen es als umgesetzt an.

Die SDSM wird den mazedonischen Parteien zugeordnet, sie sieht sich selbst hingegen als multiethnische Partei. Immerhin 20% ihrer Mitglieder entstammen einer ethnischen Minderheit. Von Albanern werde sie trotzdem selten gewählt, höchstens von albanischen Akademikern und Gebildeten. Daher habe man für die kommenden Kommunalwahlen eine Zusammenarbeit mit der nationalistischen DPA beschlossen. Im zweiten Wahlgang sollen Bürgermeisterkandidaten der DPA unterstützt werden, wenn der eigene Kandidat keine Mehrheit erreicht hat. Anna Pawlowska-Danewa betonte, dies sei eine rein technische Zusammenarbeit, keine programmatische.

Das Ziel sei natürlich, irgendwann nur noch eine sozialdemokratische Kraft in Mazedonien zu haben, aber aufgrund des Wahlverhaltens der albanischen Minderheit ist dies in naher Zukunft nicht denkbar. Daran ändern auch keine albanischen Kandidaten auf SDSM-Listen, meint die Parteivize. Programme oder Initiativen, um dieses Ziel zu erreichen gibt es nicht.

Die SDSM befindet sich momentan in der Opposition. Es ist ungeschriebenes Recht, dass die Regierungskoalition aus einer der großen mazedonischen Parteien und aus eine der kleinen albanischen Parteien besteht. Seit 2008 regieren die konservative VMRO-DPMNE mit der marxistischen DUI. In dieser Rolle setzt sich die SDSM entschieden gegen das von dieser Regierung beschlossene Städtebauprogramm „Skopje 2014“, welches in Skopje in einem Umfang von 500 Millionen Euro in den Bau von Denkmälern mazedonischer Persönlichkeiten, Fassadenrenovierung und Stadtverschönerung investiert. Das Problem an Skopje 2014, so Pawlowska-Danewa, ist nicht nur, dass das Geld besser zur Armutsbekämpfung eingesetzt wäre, sondern die Stadt auch weiter spaltet. Auf der Seite der Flusses Varda, der durch Skopje fließt, in dem die mazedonische Bevölkerung in der Mehrheit ist, werden vor allem mazedonische Berühmtheiten aufgestellt – auf der albanischen Varda-Seite kleinere Monumente albanischer Helden. „If SDSM is on gouvernment after the next elections, Skopje 2014 will be stopped“, versprach sie. Dennoch ist schon ein Großteil des Geldes investiert.

Gegen das Projekt gibt es bislang keine größere Bürgerbewegung. Die Bürger befürchten, nicht ein genügend großes Echo in den beeinflussten Medien zu bekommen. Kleinere Proteste finden dienstags statt, es wird allerdings nur von den Veranstaltungen berichtet, die für das Projekt sind

Zentrale der SDSM in Skopje. Bild: Marcel Röthig

Wenn die SDSM die nächste Wahl gewinnt, will sie nicht nur Skopje 2014 stoppen, sondern auch die Korruption bekämpfen und sich für eine bessere wirtschaftliche Situation des Landes einsetzen. Außerdem will sie freie Medien ermöglichen. Ihr zentrales Ziel sei es aber, mit der DPA eine erneute Koalition zwischen VMRO-DPMNE und DUI zu verhindern. Inhalte spielen offenbar keine große Rolle in der nächsten Legislaturperiode des mazedonischen Parlaments. Zentrale Projekte oder Visionen konnte die Vize nicht nennen.

Auch ihr Konzept zur Armutsbekämpfung scheint nicht ganz ausgereift zu sein. Es sei genügend Geld vorhanden, nur falsch verteilt, so in Skopje 2014. Die Armut werde zurückgehen, wenn endlich Rechtssicherheit herrsche, die Bürokratie abgebaut werde  und sich so Investoren für Mazedonien finden. Auch die Steuereinziehung müsse effektiver gestaltet werden.

So verspricht sich die SDSM auch die Sozialhilfeleistungen ausbauen zu können.

„Das größte Problem in Mazedonien ist nicht die multiethnischen Bürger, sondern die Politiker.“ sagte ein junger Albaner. Und er scheint recht zu haben. Der Besuch wirkte mehr als geschauspielt. Die Parteivize präsentierte sich als von einer neuen, jungen Generation von Politikern entsprungen und stellte ein Wischi-Waschi-Programm ihrer Partei vor. Die SDSM gehört eben zum Establishment – die aus der ehemaligen kommunistischen Regierungspartei hervorgegangene Partei macht nicht den Eindruck, wirkliche Reformen für Mazedonien auf den Weg bringen zu wollen. Ausweichende Antworten auf kritische Nachfragen und nicht zuletzt auch die beiden Ferraris hinter der Parteizentrale in Skopje festigten diesen Eindruck.

Nach dem Besuch der SDSM scheint tatsächlich nur eine neue Partei Hoffnung für Mazedonien zu versprechen. Eine wirkliche Alternative, die ernsthaft Reformen auf den Weg bringt, vielleicht wie die Sozialdemokraten in Polen, die das Land aufbauten und auf starke Füße stellten – zum Preis der Bedeutungslosigkeit heute.

 

Gespräch mit der deutschen Botschafterin in der Republik Mazedonien, Frau Gudrun Steinacker

(Tobias Endrich)

Die folgenden Aufzeichnungen geben nicht die Meinung von Frau Steinacker oder des Autors wieder, sondern sind Ergebnis des Gespräches mit der Delegation des AK Osteuropa in Krusevo. Diskutiert wurde dabei über das interethnische Verhältnis von Mazedoniern und Albanern, das Verhältnis zu Nachbarstaaten und der EU sowie historische Bezugspunkte.

Mitglieder des stipendiatischen Arbeitskreises Osteuropa mit Gudrun Steinacker

Innerstaatliches Konfliktpotenzial und Unterschiede

Die Region des ehemaligen Jugoslawiens hat an zwei großen Erblasten zu tragen, zum einen der kommunistischen Vergangenheit, zum anderen sind die Konflikte beim Zerfall Jugoslawiens noch nicht bewältigt. Der Flüchtlingsstrom aus Kosovo Ende der 90er Jahre kann als Vorspiel für die interethnischen Spannungen 2001 bezeichnet werden. Ethnische Mazedonier fürchteten eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses, sollten die Kosovoalbaner im Land bleiben (was nur die wenigsten tatsächlich taten).

Als konstantes Problem der Region trat die schwache Wirtschaftsleistung und die hohe Arbeitslosigkeit hinzu. Die ärmste Gruppierung im mazedonischen Staat stellen die Roma dar.

Im Land leben schätzungsweise zwischen 20.000 und 80.000 Bulgaren, wobei nicht klar ist, ob diese durchgehend eine bulgarische Identität besitzen oder die Vorteile einer EU-Bürgerschaft im Vordergrund stehen.

Das Abkommen von Ohrid nach der Eskalation 2001 hat die Separierung von Albanern und ethnischen Mazedoniern im Land verstärkt. Die albanische Bevölkerung wird vor ein Identitätsproblem gestellt, nur die wenigsten sehen sich als Mazedonier. Während die der mazedonische Teil der Bevölkerung den Staat als mazedonischen Nationalstaat und die Albaner im Land somit als Minderheit begreift, fordern die Albaner die Gleichstellung als staatstragendes Volk. Von der Vorstellung eines großalbanischen Staates scheint die albanische Gesellschaft in Mazedonien, auch aus wirtschaftlichen Gründen, abgerückt zu sein. Ein weiterer Konfliktpunkt, die Besteuerung, scheint in den letzen Jahren verschwunden zu sein, indem die Bereitschaft vieler Albaner, Steuern zu zahlen, spürbar anstieg.

Ein Mittel zur Überwindung interethnischer Probleme könnte eine integrierte Bildungsstrategie sein. Diese steckt aber in den Anfängen. Das Abkommen von Ohrid ermöglicht den Albanern Unterricht in der eigenen Sprache, so dass es strikt getrennte albanische und mazedonische Klassen gibt.

Insgesamt kann ein Nebeneinander der Kulturen festgestellt werden. Dies macht sich im gesamten kulturellen Alltag bemerkbar, es gibt getrennte Fernsehsendungen und Ausstellungen. Verständnis muss durch politische und soziale Maßnahmen gefördert werden. Gerade im Kulturbereich treten bereits funktionierende Projekte kaum in der Öffentlichkeit hervor.

Die albanische Gesellschaft zeichnet sich durch starke traditionelle Werte aus, die z.T. in Konflikt mit westeuropäischen Werten stehen. Insbesondere die Stellung der Frauen und von Homosexuellen in der albanischen Gesellschaft ist schwach. Die Kinderrate der albanischen Bevölkerung liegt weit über dem europäischen, vor allem aber dem mazedonischen Durchschnitt. Der starke Bezug zur Großfamilie wird auch in der Art deutlich, wie die Einwohner der Republik Mazedonien ins Ausland gehen. Sind für die Albaner eher familiäre Bindungen vor Ort der entscheidende Faktor, geht es bei den Mazedoniern über die Qualifikationsschiene.

 

Zwischenstaatliche Beziehungen und europäische Perspektiven

Das geografische Gebiet Mazedonien wurde in den Balkankriegen zwischen Serbien ( heutige Republik Mazedonien), Bulgarien (Pirin-Mazedonien) und Griechenland (heute: Provinz Mazedonien) aufgeteilt. Im griechischen Teil Mazedoniens, das fast 2/3 der geografischen Region Mazedoniens umfasst, übte der griechische Staat bereits vor dem 2. Weltkrieg Druck auf die slawische Bevölkerung aus, was sich in Abwanderung bemerkbar machte. In der Folge eines groß angelegten und von den damaligen Regierungen gefeierten „Bevölkerungsaustausches“ Griechenlands mit der Türkei infolge des griechisch-türkischen Krieges zw. dessen Beendigung durch den Vertrag  von Lausanne  wurde die muslimische Bevölkerung Nordgriechenlands in die Türkei umgesiedelt, während über eine Million türkischer Staatsangehöriger orthodoxen Glaubens, Griechen,  die Türkei verlassen mussten. Viele von ihnen siedelten in Nordgriechenland.

Für eine Verschlechterung der Beziehungen sorgte auch der griechische Bürgerkrieg von 1948. Viele slawische Bewohner der Region Mazedonien kämpften auf Seite der Kommunisten. Nach deren Niederlage folgten neben der Flucht vieler Kommunisten, vor allem Slawen, auch weitreichende Verbote der mazedonischen Sprache in Griechenland, das slawischen Mazedoniern die Rückkehr nur unter der Bedingung erlaubte, dass diese sich als Griechen bekennen.

Auf der anderen Seite ist das Verhältnis zu Staaten mit albanischer Bevölkerung recht entspannt, zwischenstaatliche Probleme mit Albanien wurden gelöst und die Republik Mazedonien erkennt den Kosovo als Staat an.

Auch wenn der von Frau Steinacker hervorgehobene Grundgedanke der EU der ist, das gesamte Europa in Frieden zu vereinen, so ist ein baldiger Beitritt der Republik Mazedoniens nicht zu erwarten. Der Namensstreit mit Griechenland ist dabei nur eines der Hindernisse. Ein vergleichbarer politischer Wille zur schnellen Aufnahme wie bei Rumänien oder Bulgarien, für dessen Beitritt auch geostrategische Gesichtspunkte eine Rolle spielten und der von transatlantischen Bündnispartnern nach Kräften beschleunigt wurde, scheint im Moment zu fehlen.

Kritisch beantwortet wurde die Frage, ob die Bevölkerung falsche Vorstellungen an einen EU-Beitritt haben könnte, der von allen politischen Kräften im Land übereinstimmend angestrebt wird. Auf jeden Fall hat der Staat die Aufgabe, sich auch im Hinblick auf eine Annäherung für gemeinsame (europäische) Werte und die Rechte Behinderter, Frauen und Minderheiten einzusetzen. Diese gemeinsamen Werte könnten auch zur Identifizierung der Bevölkerung über die ethnischen Mazedonier hinaus mit dem Staat betragen und einen gemeinsamen Bezugsrahmen schaffen, der im Moment fehlt. Die Erwartungen an diesen Effekt dürfen aber nicht zu hoch sein. Auch ist fraglich, ob solche einenden (europäische) Werte Voraussetzung für einen Beitritt oder Folgen eines solchen sein können. Eine einfache Umgehung des Identitätsproblems durch einen EU-Beitritt ist aber sicherlich nicht möglich.

Bezüglich des Namensstreits kann nicht allein Griechenland in die Pflicht genommen werden. Die rote Linie dürfte bei der Bezeichnung der Staatsangehörigen als „Mazedonier“ und der Sprache als „mazedonisch“ liegen. Ein Kompromiss ohne einen Zusatz zu jetzigen Bezeichnung, beispielsweise Vardar-Mazedonien (der Vardar ist der wichtigste Fluss der Republik Mazedonien, der den gesamten Staat durchfließt), ist ausgeschlossen. Die Kompromissbereitschaft ist aber momentan bei allen Beteiligten eher gering.

Zwischen Griechenland und der Republik Mazedonien scheint sich aber auf gesellschaftlicher Ebene das Verhältnis durch einen zunehmenden Austausch und Tourismus zu verbessern.

Die deutsche Botschaft tritt bei Engagement ausländischer/deutscher Faktoren lediglich als Koordinator auf. Ein Beispiel für aktuelles deutsches Engagement ist ein Kredit der KfW für erneuerbare Energien. Der Beitritt der Republik Mazedonien zur EU wird grundsätzlich unterstützt, wenngleich nicht bedingungslos. Eine Einmischung in den Namensstreit verbietet sich für Deutschland schon aus dem historisch vorbelasteten Verhältnis zu Griechenland und insbesondere zum griechischen Teil Mazedoniens, für das stellvertretend  das Massaker von Chortiatis 1944 angeführt werden kann.