Nationalismus in der Ukraine als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie

(Magnus Wurm]

Ja, begrabt mich und erhebt euch,
Und zersprenget eure Ketten,
Und mit schlimmem Feindesblute

Möge sich die Freiheit röten!

Und am Tag, der euch die Freiheit
Und Verbrüderung wird schenken,
Möget ihr mit einem stillen,
Guten Worte mein gedenken.“1

So schrieb der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko im letzten Absatz seines Gedichts „Vermächtnis“ von 1945.

Schewtschzenko gilt als Ikone des (positiven) ukrainischen Nationalismus, „in seinem Œuvre kämpfte der im russischen Reich [sic!] als Leibeigener Geborene für die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit2. Im Zuge der Proteste auf dem Kiewer Maidan wurde er wieder populär, die Neue Züricher Zeitung nennt ihn gar den Heiligen Geist des Maidan3 das Deutschland Radio spricht vom Ukrainischen Goethe4, zu seinem 200 Geburtstag wurde ihm auf dem Maidan ein Denkmal gesetzt.5

Doch wie sind seine Worte 169 Jahre später zu verstehen und wie sind sie im aktuellen politischen Kontext zu interpretieren? Kann man Schewtschzenkos Zeilen gar als Aufforderung und Anleitung für Demokratie lesen, Demokratie durch Verbrüderung, als Einigkeit oder Gemeinschaft, ergo durch eine Nation?

Mit der Französischen Revolution 1789 kamen Nationalismus UND Demokratie in die Welt, erst durch nationale Einigkeit konnte die Freiheit in Form der Demokratie umgesetzt werden.

„In Europa und Nordamerika ist die Demokratie überall auf dem Nährboden der Nation gewachsen. Historisch waren Demokratisierung und Nationsbildung eng miteinander verbunden.“6

Konfliktpotential bietet hierbei natürlich die Fehlende ethnischer Homogenität, was gleichzeitig auch das negative Potential von Nationalismus bedeutet, indem radikale Vertreter eine einseitige, exklusive, nationale Identität erzwingen wollen. So aktuell VertreterInnen der Partei Swoboda, die gegen den russischen Einfluss kämpft, während sich dagegen ostukrainische Separatisten einseitig auf die russischen Prägungen berufen und andere Elemente ukrainischer Nationalidentität verneinen.

Lösung und Chance zugleich ist ein „liberaler, inklusiver Nationalismus“7, der einen positiven, einenden Charakter hat und damit zugleich die aktuellen politischen Probleme lösen könnte.

Das würde konkret bedeuten, dass eine Brücke zwischen dem Westen der Ukraine und dem russisch geprägten Osten und Süden der Ukraine geschlagen wird. Dies heißt, ganz im Sinne Schewtschenkos, dass sich diese Landesteile von russischem Einfluss befreien (Schewtschenko Zeile zwei „Und zersprenget eure Ketten, Und mit schlimmem Feindesblute“) und ihre Freiheit nutzen sollen um sich mit dem Westen der Ukraine wieder zu vereinen (Schewtschenko Zeile fünf „Und Verbrüderung wird schenken“).

Politische Identität – und damit Nationalismus – ist folglich als Voraussetzung für Demokratie zu verstehen.

Diesem Nationalismus sollte Russland eine Chance geben, denn in der Realität ist das Gros der Bürger in der Ostukraine gegen einen Anschluss an Russland.8

So ist abschließend festzustellen was Calhoun schreibt: „Wenn die Demokratie blühen soll, darf der Nationalismus kein Feind der Unterschiede sein.“9 Dem würde sicherlich auch der Dichter Taras Schewtschenko zustimmen.

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1 Europäische Lyrik in drei Bänden, Dritter Band: Dichtung der UdSSR, Moskva, Progress-Verlag, 1977. Online abrufbar unter: <http://geo.viaregia.org/testbed/pool/editmain/T1_12266_Schewtschenko.Wenn.ich.sterbe.html>

2 Andruchowytsch, Juri: „Der Nationaldichter Taras Schewtschenko – Der heilige [sic!] Geist des Maidan“, 07.03.2014, in Neue Züricher Zeitung, online abrufbar unter dem Internet Auftritt der NZZ: www.nzz.ch (http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur-und-kunst/der-heilige-geist-des-maidan-1.18258225).

3 Vgl. ebenda.

4 Block, Vera: „Der Goethe der Ukraine – Taras Schewtschenkos Verse sind aktueller denn je“, 09.03.2014, in Deutschland Radio Kultur, online abrufbar unter dem Internetauftritt des Deutschlandradios: www.deutschlandradiokultur.de (http://www.deutschlandradiokultur.de/klassiker-der-goethe-der-ukraine.1013.de.html?dram:article_id=279584).

5Gerlach, Thomas: Nationaldichter der Ukraine – Sein Lebensthema war sein Land, 06.03.2014, auf www.taz.de. Onlien abrufbar unter dem Internetauftrtt der Taz: www.taz.de (http://www.taz.de).

6 Simon, Gerhard (2011): „Demokratie und Nation – die Demokratie und ihre Gefährdung“ in: Kappeler, Andreas (Hrsg.): Die Ukraine – Prozesse der Nationsbildung, Böhlau Verlag Köln, S. 361 – 374 (künftig zitiert als Gerhard 2011), S. 364.

7 Ebenda, S. 365.

8 welt.de: Mehrheit in Ostukraine will keinen Russland-Beitritt, 19.04.14, Online abrufbar unter dem Internetauftritt der Welt: www.welt.de (http://www.welt.de/politik/ausland/article127123712/Mehrheit-in-Ostukraine-will-keinen-Russland-Beitritt.html).

9 Gerhard 2011, S. 365.

Meine kanadisch-ukrainisch-deutsche Sicht des Anfangs des Euromaidan

(Alexandra Jadwiga Wößner)

Dieser Beitrag befasst sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung, als die Unruhen in Kiev begannen. Zu jenem Zeitpunkt befand ich mich in Edmonton, Alberta, Kanada und studierte Ukrainistik an der University of Alberta. In Kanada leben mehr als eine Million Menschen ukrainischer Herkunft. Besonders in Edmonton scheinen sie einflussreich zu sein, weil sie dort eine der größten Minderheiten darstellen. Alleine durch mein Studium war ich im engen Kontakt mit Ukrainerinnen und Ukrainern, aber mein großes Interesse an der Ukraine motivierte mich dazu, mich schnell in ukrainischen Kreisen außerhalb der Universität wiederzufinden. Somit konnte ich hautnah die Reaktionen der Kanadier-UkrainerInnen auf die Euromaidan-Proteste miterleben.

Der Euromaidan tauchte als Hashtag zuerst auf Twitter-Accounts auf und gab den Protesten, die sich meist auf dem Majdan Nesaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit) in Kiev seit dem 21. November 2013 abspielten, einen Namen. Wie bereits ersichtlich, setzt sich der Name aus Europa und Maidan zusammen, um auf die proeuropäische Haltung der Demonstrierenden aufmerksam zu machen. Der friedliche Protest wurde durch den Beschluss der ukrainischen Regierung hervorgerufen, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Dieser Beschluss kam sowohl für die Ukrainerinnen und Ukrainer als auch für die Ukrainischstämmigen in Kanada sehr überraschend.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich mit ihren Verwandten, Angehörigen und Freunden in Kanada in Verbindung setzten, gaben an, sich von der Regierung betrogen zu fühlen und fragten sich, wie sich die Regierung anmaßen konnte, über das Volk hinweg eine Entscheidung zu treffen, die nicht mit der Meinung der Mehrheit konform sei. Die Enttäuschung war auch bei den kanadischen Ukrainerinnen und Ukrainern groß, sodass schon am 24. November 2013, also drei Tage nach Beginn der Euromaidan-Proteste in Kiev, bereits eine Demonstration auf dem Churchill Square in Edmonton stattfand. Als Grund für die Demonstration wurde die Solidarisierung mit den Protestierenden in Kiev genannt. Ein Nachrichtendienst war auch vor Ort, berichtete von der Demonstration und interviewte einige Protestierende. Für die Demonstration wurde auf facebook und in den ukrainischen Nationalkirchen im Gottesdienst geworben. Die Protestierenden hatten sich erkenntlich gemacht, indem sie Ukraine- oder Europaflaggen in die Höhe hielten. Die Demonstrierenden sangen ukrainische Volkslieder und hielten Ansprachen, in denen sie ihre Sorgen und ihren Unmut in mündlicher Form darboten. Die Plakate hatten folgende Aufschriften: „Europa braucht die Ukraine“, „Putin – Finger weg von der Ukraine“, „Edmonton unterstützt die Ukraine“, „Die Ukraine ist Europa“ und „Kein Russland zwischen der Ukraine und Europa“. Sie deuteten an, dass Euromaidan nicht nur Kritik an der Entscheidung der Regierung übe, sondern direkt die Regierung kritisiere. Es wurde auch erwähnt, dass der Einfluss von Russland auf die Ukraine durch den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowytsch gewollt sei und bewusst auf diese Weise gelenkt wurde. Rücktrittsforderungen an Präsident Janukowytsch stellten zwar nicht die Kernforderung der Demonstrierenden auf dem Churchill Square dar, aber sie schwangen in den Aussagen der Demonstrierenden mit. Nach circa einer Stunde löste sich die Gruppe der Protestierenden auf und jeder ging seinen Weg – mit der Absicht, so schnell wie möglich wieder Kontakt zu Freunden und Verwandten in der Ukraine aufzunehmen.

Die Höhepunkte der Kiever Proteste sollten bedauerlicherweise erst folgen. Sie lösten noch größere Ängste und Sorgen bei den Ukrainerinnen und Ukrainern in Edmonton aus und führten dazu, dass sich insgesamt mehr Menschen engagierten und es mit jeder Demonstration mehr Demonstrierende gab. Für mich im konkreten Fall hieß es auch, mich mehr über die Ukraine zu informieren und vor meiner Abreise an einer zweiten Demonstration teilzunehmen. Meinen Professorinnen, Professoren und Kommilitoninnen ukrainischer Herkunft hat man die Sorge wirklich angesehen. Sie sagten mir, dass sie nachts nicht schlafen könnten und ihm ständigen Kontakt mit der Ukraine wären. Eine Professorin entschuldigte sich sogar gegen Ende des Semesters (Anfang Dezember), dass die Qualität ihrer Veranstaltung durch die Unruhen in der Ukraine so nachgelassen hätte. Eine Kommilitonin machte sich schwere Vorwürfe, dass sie nicht auf dem Maidan sein könne, um die Protestierenden dort zu unterstützen.

Zu Beginn der Unruhen in Kiev habe ich viel Menschlichkeit in Edmonton erlebt. Ich sah viele Menschen, die sehr besorgt waren um ihre Angehörigen und es nur schwer ertragen konnten, dass in ihrer Heimat die Situation so angespannt war. Von Herzen wünschte ich ihnen alles Gute und hoffte auf einen gewaltfreien und schnellen Ausgang der kritischen Situation. Leider mündete der Euromaidan in die Krim-Krise und den Konflikt in der Ostukraine. Ein Ende ist betrüblicherweise nicht in Sicht. Ich hoffe sehr, dass ich nächste Woche in Kiev und in Lviv (auf der Studienfahrt des AK Osteuropas) wieder auf diese Menschlichkeit stoße, da mir in Deutschland und in der deutschen Presse das Mitgefühl und Verständnis für die protestierenden Menschen in Kiev und anderen Städte dieser Welt unzureichend erscheint.

Möge die Studienfahrt nächste Woche für uns in vielerlei Hinsicht eine hilfreiche Erfahrung sein.

Parlamentarismus in der Republik Moldau

(Kristin Eichhorn)

Vor der Errichtung eines parlamentarischen Regierungssystems durchlief die Republik Moldau sowohl eine präsidentielle (1991-1994) als auch eine semi-präsidentielle Phase (1994-2001). Seit der Implementierung des parlamentarischen Regierungssystems eine zunehmende Autokratisierung zu beobachten. Dies scheint der These Linz‘ von einer höheren Stabilität parlamentarischer Regierungssysteme (insb. in transformationsstaaten) zu widersprechen.

In der vorliegenden Hausarbeit werden zunächst die Funktionscharakeristika parlamentarischer Regierungssysteme analysiert. In einem weiteren Schritt wird überprüft, ob die Republik Moldau die Anforderungen parlamentarischer Regierungssysteme erfüllen kann.

 

Moldau by FES_OstIA