Wenn Liebe so einfach wäre…

Montag, 23. Mai 2016

Ein Straßen-Graffiti in Tiflis
Ein Straßen-Graffiti in Tiflis

Es springt einem förmlich ins Gesicht, wenn man durch die georgischen Straßen wandert – in mannigfaltiger Form: Graffitis, sich tief verbeugende Menschen vor dem Haus des Patriarchen, eng aneinander gehende heterosexuelle Pärchen. Georgien ist ein Land, das an seinen Traditionen festhält. Die Familie ist stark in Georgien. Und die Familie ist fest an bestimmte Werte und Verhaltensweisen gebunden, an aller erster Stelle die Rollenverteilung von Mann und Frau. Die Vorstellung einer Frau, keine Mutter sein zu wollen, ist undenkbar. Die Vorstellung einer Frau mit einer anderen Frau zusammen zu sein ebenfalls.

Foto: Bibi Ritter
Im Gespräch mit Beka Gabadadze (links)

Beka Gabadadze ist studierter Sozialarbeiter und Vorsitzender der NGO LGTB Georgia. Er ist ein schlanker, fröhlicher Mann – trägt eine Cap mit der Aufschrift „Boy“ und schämt sich für sein schlechtes Englisch – grundlos! Der AK Osteuropa hat keine Probleme ihn zu verstehen, als er beginnt zu erzählen: LGTB Georgia setzt sich für die Gleichberechtigung von homosexuellen, transsexuellen und bisexuellen Menschen in Georgien ein. Seit 2011 ist LGTB Georgia eine von vielen Organisationen, die sich dieses Ziel auf die Fahnen schreibt. Im Jahr 2000 wurde Georgien das erste post-sowjetische Land, das Homosexualität offiziell legalisierte. Seit 2006 gibt es erste Anti-Diskriminierungsgesetze, die sich zunächst auf die Diskriminierung am Arbeitsplatz (2006) und anschließend auf jegliche Lebensbereiche (2014) beziehen sollten. Auf der anderen Seite stehen enorme Bemühungen, diese Fortschritte zu neutralisieren: die Verfassung definiert die Ehe explizit als Vereinigung von Mann und Frau (Article X, Section 1, Paragraph 2; Alexander, Shannon, Schafer, Heather, 2004). Eine eingetragene Partnerschaft (wie in Deutschland), geschweige denn eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen ist undenkbar, operative Geschlechtsumwandlungen eine Sünde.

Der 17. Mai 2013 – der internationale Tag gegen Homophobie – ist ein dunkler Tag. In Tiflis wird ein friedlicher Demonstrationsmarsch der Bürgerrechtsorganisation Identoba von über 15.000 orthodoxen Gegendemonstranten überfallen. Gewalt bricht aus, Homosexualität und orthodoxe Kirche als unvereinbare Entitäten. Doch das ist nicht das einzige, was unvereinbar ist: Georgien als stolzes EU Assoziierungsmitglied versucht mit ihren Anti-Diskriminerungsgesetzen Sympathien der westlichen Länder zu erlangen.

Foto: Bibi Ritter
Der Flughafen Tiflis begrüßt seine Gäste mit einer klaren Botschaft

Leider steht die Realität im krassen Gegensatz dazu. Denn offiziell bezeichnet die Polizei die Übergriffe als gewöhnliche Straßenübergriffe. Seitdem die LGTB Organisationen wie Pilze aus dem Boden schießen, steigt laut Identoba vor allem für homosexuelle Männer das Risiko an sogenannten „hate crimes“ zum Opfer zu fallen. Auch „femicide killings“ nehmen zu. Dabei handelt es sich um die Ermordung von Frauen, die nicht dem gängigen Rollenbild entsprechen, z.B. Dozentinnen an der Uni, die besser ihren ehelichen Pflichten nachgegangen wären. Dies gilt auch für heterosexuelle Frauen und alle Menschen, die das Fundament der Kirche und des Staates mit ihren alternativen Lebensformen bedrohen.

Eines der größten Probleme der Pro-LGTB-Organisationen ist ihr ausgeprägtes Top-Down-Prinzip. Oft werden Entscheidungen nicht von der Basis aus getroffen. Dies möchte Beka ändern. Laut ihm formiere sich gerade eine Studentenbewegung, die das Potenzial haben könnte LGTB Rechte stärker zu legitimieren. Für die Zukunft wünscht sich Beka weniger Unterdrückung und Stigmatisierung. LGTB Georgia besteht aktuell aus ca. 30 Mitgliedern und kämpft mit zahlreichen Projekten für LGTB-Rechte: „Strenghening LGTB community with the aim of HIV/AIDS prevention“ wird finanziert vom National Center of Disease Control and Public Health. Weitere Unterstützung erhalten sie von der amerikanischen Botschaft, der ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans & Intersex Association), der Women’s Initiative Supporting Group bzw. dem georgischen Women’s Fund. Die Organisation versucht zudem ins Herz des Problems zu zielen – in die Familien: Im Rahmen des Projekts „Parents for Equality“ wurde beispielsweise der Mother’s Club gegründet, in dem sich Mütter austauschen und Erfolgs-Stories über das Coming-Out ihrer Kinder unterstützen.

Die zentrale Arbeit der LGTB Georgia findet allerdings in den „Community Centern“ statt, die allen LGTBs eine sichere Anlaufstelle für Austausch und Kennenlernen bietet. Das LGTB Georgia Hauptquartier liegt mitten im Herzen von Tiflis.

AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia
AK Osteuropa der FES zu Besuch bei der NGO LGBT Georgia

Als wir, als AK Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Gebäude verlassen, stehen uns 15 junge Männer entgegen und verfolgen misstrauisch jeden einzelnen Schritt bis wir um die Ecke gegangen sind. Weil wir die Befürchtung haben, dass sie auf Beka und seine KollegInnen warten, gehen wir zurück, um diese zum Mitgehen zu bewegen. Doch Beka winkt ab. Vielleicht ist es keine Besonderheit für ihn. „Daily work is not easy“, sagt er und wünscht uns einen schönen Abend.

https://www.youtube.com/watch?v=E1PPKywjxDQ

Text und Bilder: Bibi R.

Georgien – Eine Vorbereitung – Eine Reise – eine Tortur?

(Henrik Buschmann)

Fünf Wochen vor dem Start der Reise nach Georgien habe ich die Zusage als Nachrücker bekommen. Ich saß gerade mit Freunden in einer Göttinger Kneipe. Als ich die Zusage las, überwältigte mich das Glücksgefühl – Georgien! Wie geil ist das denn?! Wahrscheinlich haben die Umgebung und die Umstände auch etwas dazu beigetragenber meine Freunde verstanden nicht, warum ich kurzzeitig freudig gestikulierend auf meinem Platz saß und jegliche Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Bis sie auch die E-Mail lasen.

Georgien also.

Nach den großen Glücksmomenten Stand ich am nächsten Morgen auf und musste diese ganze Reise planen. Ich war noch nie so schnell wieder auf dem Boden der Realität angekommen.
Du hast keinen Reisepass, die weiteste Entfernungen von zu Hause, waren Brüssel und Salzburg. Du hast keinen Reise-Rucksack, alle Behördengänge müssten eigentlich gestern erledigt worden sein und du bist noch nie geflogen. Grundbedingungen für Stress sind vorhanden.
Sei es drum. Ich rief Punkt 8 Uhr also das Standesamt an, um mir meine Geburtsurkunde zu organisieren und das Einwohnermeldeamt wegen der Beantrag meines Reisepasses. Dazu kam noch ein Termin beim Fotografen meines Vertrauens. Folgend habe ich dann all meine Freunde und Familie darüber aufgeklärt, dass ich nach Georgien fliegen werde und dass ich noch einiges zu tun habe.

Georgien also. So lautet der Grundtenor bei den meisten.

Ja, Georgien. Was weiß ich eigentlich über Georgien? Es ist eine ehemalige Sowjet-Republik; es sollen dort alle sehr nett sein und eine gewisse Trinkfestigkeit wäre wohl von Vorteil.

Vorsichtig formuliert: Mein Wissen ist begrenzt und nur leicht mit Klischees behaftet.

Let’s take a closer look at Georgia:

Betrachten wir Georgien mal aus einer anderen Sicht: Der ökonomischen. Mit dieser Sichtweise sollte ich mich studienbedingt zumindest ein wenig auskennen.
In Georgien sind der Tourismus und Landwirtschaft ein sehr großer wirtschaftlicher Faktor. Gerade Regionen, die am Schwarze Meer gelegen sind, sind wirtschaftlich gebunden an Tourismus
Durch die große klimatische Vielfalt besteht auch Vielfach die Möglichkeit, eine breitgefächerte Landwirtschaft zu betreiben. So wird das Land auf verschiedenste Möglichkeiten genutzt. Vom Eukalyptus, über Obstplantage mit Äpfeln, Pfirsiche, Aprikosen sowie Zitrusfrüchten bis hin zur in den Bergregionen gelegenen Tierzucht ist in diesem Land alles zu finden.

Georgien – ein bislang unbekanntes Reiseziel

(Linda Günther)

Wenn europäische Ohren Georgien hören, dann verbinden sie in der Regel damit Erinnerungen an die ehemalige Sowjetunion, den Blitzkrieg 2008 mit Russland oder vielleicht auch gar nichts. Das Land südlich des Kaukasus besitzt allerdings nicht nur eine interessante politische Geschichte sondern auch Orte, die es sich lohnen, bereist zu werden.

Allein durch seine Lage hat Georgien sehr viel zu bieten. Das Land erstreckt sich vom Schwarzen Meer im Westen bis zur aserbaidschanischen Grenze im Osten. Im Norden bildet der Große Kaukasus die Grenze zu Russland und im Süden schließen sich Armenien und die Türkei an. Aufgrund dieser geografischen Gegebenheiten lässt sich Georgien ganz vielfältig erleben. Mit etwas Glück kann man im März schon sonnige Temperaturen und sommerliches Flair in Batumi am Schwarzen Meer erleben oder gleichzeitig in den Bergen um Gudauri Ski fahren. Auch andere Städte im Inland ziehen mit interessanten Sehenswürdigkeiten Besucher*innen an. Nicht weit entfernt von Kutaisi, der Stadt des Parlamentssitzes, befindet sich die Prometheus Höhle. Sie wurde erst 1984 entdeckt und zählt zu den ältesten der Welt. Auf einer Länge von 1400 m lassen sich Tropfsteine aller Art bewundern, sogar eine Bootsfahrt ist in der Höhle möglich. Auch die Hauptstadt ist sehenswert. Der Legende nach wurde ein Pfau von einem König abgeschossen und landete in einer heißen Quelle. Durch diese Entdeckung beschloss der König eine neue Stadt zu gründen – Tbilisi. Die Bezeichnung der Stadt bedeutet auch heiße Quelle. Das Aufblühen des Landes kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass es noch unruhig in dem kleinen Land ist. Nach wie vor sind die Regionen Abchasien und Südossetien im Norden Georgiens der Grund für politische Schwierigkeiten. Georgien ist aber auch deshalb spannend, weil es sich trotz seiner sowjetischen Vergangenheit nun mehr dem Westen zuwendet. Es ist ein Land, welches sich lohnt, näher kennengelernt zu werden.

Kleine Einführung in den Konflikt um Abchasien und Südossetien

(Hannes Harthun)

Georgiens Staatsgebiet wird nicht vollständig durch die georgische Staatlichkeit kontrolliert. Bereits etwa eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt entfernt liegt das Gebiet Südossetien, das genauso wie das weiter westlich gelegene Gebiet Abchasien faktisch unabhängig ist. Südossetien ist seit der Unabhängigkeitserklärung und dem nachfolgenden Krieg von 1991 de-facto ein unabhängiger Staat. Pläne zur Wiedereingliederung der Regionen sowie konkurrierende Volksabstimmungen bzw. Präsidentschaftswahlen ließen den Konflikt 2008 erneut eskalieren. Eine elftägige militärische Auseinandersetzung forderte circa 850 Menschenleben. Dabei wurden die Milizen der autonomen Gebiete durch Russland unterstützt, dass auch heute militärisch in den Regionen präsent ist. Hintergrund der Abspaltung Abchasiens und Südossetiens sind ethnische Konflikte nach der Auflösung der Sowjetunion. Zudem ist der Konflikt Teil von geopolitischen Interessengegensätzen zwischen der Nato und Russland. Georgien gilt als strategisch wichtig und wird sowohl von Nato als auch Russland zum geopolitischen Einflussgebiet gezählt. Der Kaukasus-Konflikt fällt zusammen mit den Bestrebungen, Georgien in die Nato aufzunehmen. Dies sowie ein möglicher EU-Beitritt sind aufgrund der derzeit Grenzkonflikte ausgeschlossen.

Der Krieg endete mit dem Rückzug der georgischen Truppen und der Unterzeichnung eines Friedensplans, der die weiterhin unabhängigen Gebiete unter internationale Beobachtung stellte. Die heutige Situation kann als eingefrorener Konflikt bezeichnet werden. 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes machen Abchasien sowie Südossetien aus und sind – je nach Sichtweise – annektiert oder unabhängig. Die Waffenruhe hält überwiegend an. Der Status der Gebiete ist jedoch weiterhin strittig. So werden Abchasien und Südossetien lediglich von Russland und vier weiteren Staaten anerkannt. Breite internationale Anerkennung bleibt aus. Zudem gibt es Streitigkeiten über willkürliche Veränderungen der Grenzlinien, die immer wieder vorgenommen werden.

Eine Wiederannäherung der beiden de-facto unabhängigen Republiken an Georgien wird abgelehnt. Vielmehr konzentrieren sich die Bemühungen dort auf ein intensiveres wirtschaftliches und politisches Verhältnis zu Russland. Georgische Politiker wissen, dass der Konflikt militärisch nicht mehr für sie zu gewinnen ist und versuchen deshalb die Bevölkerung in den abgespaltenen Regionen für eine georgische Staatsbürgerschaft zu gewinnen. Im Zuge dessen wird der Bevölkerung eine kostenlose Behandlung in georgischen Krankenhäusern zu teil. Außerdem wird versucht, Georgien durch eine Annäherung an die EU (bspw. durch die angestrebte Visa-Freiheit mit dem Schengen-Raum) attraktiver erscheinen zu lassen, als eine Partnerschaft mit Russland.

 

http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54599/georgien

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-04/georgien-abchasien-suedossetien-russland-eu/komplettansicht

http://www.kas.de/wf/doc/kas_14356-1522-1-30.pdf?100913113555

http://www.reuters.com/article/us-georgia-russia-opposition-idUSLD12378020080914

https://web.archive.org/web/20070508193632/http://www.nato.int/issues/nato-georgia/index.html

http://derstandard.at/2000035202792/Georgien-Wo-Grenzen-ueber-Nacht-entstehen

Nino Katamadze – eine musikalische Perle Georgiens

(Anastasiya Kryvosheya)

Sie singt das, was sie fühlt. Nicht jedes Lied hat Wörter, manchmal sind es nur Geräusche, bedeutungslose Laute, man merkt nur plötzlich, dass man in einer magischen Welt auftaucht, voll von Emotionen und Gefühlen und wo die Zeit stehen bleibt …

So war es für mich, als ich Nino das erste Mal gehört habe, durch Meeresrauschen, ganz leise und harmonisch. Ich bin aus dem Zimmer hinausgegangen und der Musik gefolgt. Das war beim Jazz-Festival in Koktebel auf der Krim – ein Ereignis, das sich nicht vergessen lässt.

Einige Jahre später habe ich sie wieder gehört in meiner Heimatstadt Mykolayiv in der Ukraine, in einem modernen Theater im Hintergrund. Die Mischung aus Tanz und Musik war etwas unbeschreibliches. Alle Gäste haben atemlos zugeschaut.

Als Nicht-Georgier_in versteht man ihre Worte natürlich nicht – aber das stört gar nicht. Sie macht Musik des Spürens und somit verständlich für jede Nation: „Ich spüre und fühle diese Welt in meiner Sprache, und um die Emotionen auszudrücken, brauche ich diese Phonetik. Ich kann Emotionen nicht auf andere Sprachen übersetzen und sie dann singen – das würde sich schrecklich anhören.“

Nino Kathamadze wurde am 21. August 1972 in Adsharien, einer Südprovinz von Georgien, geboren. Sie hat Musik studiert und war anschließend als Jazz-Sängerin in unterschiedlichen Projekten tätig. 1994 gründete sie eine Wohltätigkeitsorganisation zur Hilfe für Behinderte und sozial beeinträchtigte Sänger und Schauspieler.

Ab 1999 trat sie mit der Gruppe „Insight“ auf, wodurch sie sowohl in ihrer Heimat als auch in Russland populär wurde. Nach ihrem Konzert bei den „Georgischen Tagen“ 2002 in England wurde sie auch in Europa bekannt. Das hat sich mir bestätigt, als ich auf Wikipedia nach ihr gesucht habe: Artikel gibt es nur auf einigen slawischen Sprachen, sowie auf Georgisch, Armenisch, Englisch und Französisch. Daraus kann man schließen, dass Katamadzes Musik eher im postsowjetischen Raum verbreitet ist. Auch Foreneinträge haben das bestätigt.

Auf jeden Fall bietet sich Nino Katamadze gut als Einstieg in die Welt und Kultur Georgiens an für denjenigen, dem dieser Teil Europas noch unbekannt ist. Und nicht nur musikalisch kann man von ihr inspirieren lassen – sondern auch von ihrem Lebensstil: «Das Wichtigste sind die einfachen Sachen … Es ist mir wichtig, in einem Haus in den Bergen mit einem rosigen Garten zu leben und barfuß zu gehen. Ich brauche kein Penthouse. Und nicht einmal eine Mikrowelle. Es gibt zwei Wege im Leben: „Ich will“ und „Ich liebe“. Man soll zwischen den beiden gehen. Darüber hat sich ein Mönch im 4. Jahrhundert geäußert: „Ich will das, was sein wird.“»