Suto Orizari (Shutka) – eine Gemeinde am Rande der Stadt

(Michael Meissner)

Ein Viertel am Rande der Stadt, zum überwiegenden Teil bewohnt von Roma und doch kein Ghetto oder Slum. ShutoOrizari ist nicht einfach eine klassische Mahala, es ist die größte Roma-Siedlung weltweit. Dennoch sind auch hier die Konflikte und Probleme unübersehbar.

Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1963 fanden sich viele Roma in diesem Teil Skopjes wieder. Die obdachlos gewordenen erhielten Notunterkünfte bzw. an Eisenbahnwaggons erinnernde Baracken gestellt, die teilweise bis heute noch Bestand haben. Aus einer Notlösung entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine eigenständige Gemeinde, in der nicht nur ein Roma Bürgermeister ist. Vielmehr verwaltet sie sich weitestgehend selbst und ist, im Gegensatz zu vielen anderen Mahalas auf dem Balkan, an das öffentliche Personennahverkehrsnetz angeschlossen. Selbst ein Autobahnanschluss besteht seit einigen Jahren.

In der Volkszählung aus dem Jahr 2002 wurde für die Gemeinde ŠutoOrizari 22.017 Einwohner erfasst. Neuere Zahlen gehen von 30. – 45.000 Einwohnern aus. Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo in der Mitte. Über 60 Prozent der Bewohner sind Roma, 30,3 % Albaner und 6,5% Mazedonier.

 

Reichtum und Armut in unmittelbarer Nachbarschaft. Bild: Jana Hartmann

Shutka ist ein Ort der Extreme – einerseits erschütternde Armut, andererseits riesige Wohnhäuser, die in ihrer Dimension auch in Deutschland Aufsehen erregen würden. Dabei existiert keine Trennung zwischen arm und reich. Beide Arten von Unterkünften liegen oft in direkter Nachbarschaft. Das jeder Bewohner sofort nach Westeuropa ziehen würde, wenn er denn könnte, wie es die Presse gelegentlich kolportiert,[1] um die üblichen Ressentiments zu schüren, stimmt keineswegs.

Dennoch beziehen über die Hälfte der Bewohner Sozialhilfe, welche im Durchschnitt zwischen 50 und 75 Euro beträgt. Das ist auch für mazedonische Verhältnisse nicht ausreichend. 11 Prozent besitzen keinerlei regelmäßiges Einkommen. Die Gründe hierfür sind zumeist in der geringen Bildung oder in fehlenden Dokumenten zu sehen. Zudem ist für viele von Ihnen das Mazedonische eine Fremdsprache. Seit der Anerkennung als ethnische Minderheit,entsprechend der mazedonischen Verfassung von 1991, muss ihnen die Grundschulausbildung in ihrer Muttersprache ermöglicht werden. Darüber hinaus sind die Behörden verpflichtet Dokumente in ihrer Muttersprache auszustellen. Wie so oft bestehen aber zwischen Theorie und Realität Differenzen.

Obwohl es mittlerweile mehrere Schulen gibt, deren Bau zum Teil aus internationalen Spendengeldern finanziert wurde, reicht ihre Zahl bei weitem nicht aus. Vor allem an Lehreinrichtungen für die höheren Bildungsabschlüsse besteht weiterhin Bedarf. Für eine weitere Schule erfolgte 2009 die Grundsteinlegung. Sie ist mittlerweile fertig gestellt.

Für viele bleibt nur die Tätigkeit als Straßenhändler. Oft handelt es sich beim Sortiment um gefälschte Waren. Doch trotz des Umstandes, dass diese Waren fast überall in Skopjes angeboten werden, reagiert die mazedonische Polizei insbesondere in Shutka äußerst aggressiv.[2] Wer nicht als Straßenhändler tätig ist, dem bleibt zumeist nur das Durchwühlen von Müllhalden oder das Betteln, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Das Geld für den Bau der großen Wohnhäuser stammt oft aus dem Ausland. Viele hatten in den Wirren der frühen neunziger Jahre in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland, Schutz gesucht. Dabei wurden sie zumeist nur geduldet. Asyl erhielten die wenigsten. Aufgrund dessen entwickelte beispielsweise das Bundesland Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Caritas ein Integrationsprojekt für rückkehrwillige Roma, welches von 1991 bis 1997 bestand und mit 25 Millionen finanziert wurde. Obwohl alle Beteiligten intensiv in die Organisation und Absprachen eingebunden waren, vielfältige Anlaufstellen, wie der Vernetzungsverein NADEZ entstanden und 140 Arbeitsplätze für die Rückkehrwilligen geschaffen wurden, war der Erfolg eher ernüchternd. So bestanden 1997 nur noch 5 dieser Arbeitsplätze und eine Integration der Roma in mazedonische Betriebe scheint in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise aussichtslos. Hinzu kommt, dass die verschiedenen NGOs zunehmend mit gekürzten Budgets arbeiten müssen.[3]

Selten, tritt die Gemeinde einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. 1981 fand auf dem zentralen Marktplatz die Heirat zwischen Bobby Farrell von Boney M. und einem Roma-Model aus Shutka namens Jasmina statt. Ebenso wurde der Film Time oftheGypsies aus dem Jahr 1989 zu großen Teilen in Shutka gedreht. Die umstrittene Modefirma Benetton nutzte dagegen das Viertel, um in seinem Colors-Magazin vom Februar/März 2001 den Arme-Leute-Chic zu präsentieren.[4]

Im Rahmen der gewaltsamen französischen Abschiebungen von Roma fand die Gemeinde noch einmal Aufmerksamkeit. Anstatt Millionen von Euros in teils zweifelhafte Integrationsprojektein westeuropäischen Ländern zu versenken, wurde eine Verbesserung der Lage der Roma in ihren Heimatländern gefordert. Das Modell der Selbstverwaltung von Shutka könnte hierfür ein erster Ansatzpunkt sein.[5]

 



[1]     Vgl. Enver Robelli, SutoOrizare: Wer hier lebt, will nach Europa abhauen. Quelle: http://www.bernerzeitung.ch/ausland/europa/Die-Traeumer-von-der-Muellkippe/story/17064972 (Zugriff: 28.09.2012)

[2]     Tumulte nach Marktinspektion in Šutka. Quelle: http://www.roma-service.at/dromablog/?p=9083 (28.09.2012)

[3]     Vgl. Gertraud und Peter Pantucek. Mazedonien – arm und unbeachtet. Vgl. Quelle: http://www.pantucek.com/texte/FYROM.html (Zugriff: 28.09.2129[4]     Vgl. Garth Cartwright: Balkanblues und Blaskapellen. Höfen 2008, S. 158f.

[5]     Unterritoire pour les Roms? Quelle:http://www.valeursactuelles.com/parlons-vrai/parlons-vrai/un-territoire-pour-roms20120911.html (Zugriff: 28.09.2012)

Mazedonien – Attraktives Reiseziel trotz ungelöster Konflikte

(Christopher Forst)

Mazedoniens größtes Problem ist aus touristischer Sicht zugleich seine größte Stärke. Die Multiethnizität der Bevölkerung des kleinen Balkanstaates macht sich auch in vielen Stadtbildern bemerkbar und weckt die Neugierde seiner Besucher. Dieser Artikel soll unsere Impressionen von einigen touristischen Hauptattraktionen Mazedoniens, die wir auf unserer 5-tätigen Reise in das „Rheinland des Balkans“ besuchen dürften, wiedergeben und gleichzeitig die Multiethnizität als entscheidenden Faktor für den Charme und die Einzigartigkeit des Landes hervorheben.

Ein Besuch Mazedoniens ist sehr zu empfehlen. Die Menschen sind überall sehr offen und man kann einen guten Eindruck von den nebeneinander existierenden Kulturen gewinnen. Das südliche Balkanland bietet eine verhältnismäßig große Menge an sehenswerten Orten auf einem geographisch kleinen Gebiet. Grund dafür ist auch der Ethnienreichtum Mazedoniens. Es bleibt zu hoffen, dass sich die gewaltsamen Konflikte von 2001 nicht wiederholen werden und dass alle Ethnien die Schönheit der Natur sowie die Kulturschätze Mazedoniens als Basis für einen gemeinsamen Nationalstolz anzusehen lernen.

Die Hauptstadt Skopje ist die einzige Metropole Mazedoniens. Hier machen sich Einflüsse aller Ethnien des Landes bemerkbar. Auch in touristischer Hinsicht ist Skopje neben Ohrid als das Zentrum des Landes zu bezeichnen. Obwohl wir leider nur einen Abend Zeit zur Erkundung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten hatten, haben wir viele Eindrücke aus Skopje mitnehmen können.

Auf den ersten Blick macht Skopje einen eher unwirtlichen Eindruck. Ein Erdbeben hat am 26. Juli 1963 große Teile der Stadt zerstört, sodass es in den Vororten der Hauptstadt kaum alte Bausubstanz zu bestaunen gibt. Die Gegend nördlich des Flusses Vardar, der die Stadt in zwei Hälften teilt, bietet mit der Festung Kale und der Altstadt mit ihren schmalen Gassen, Souvenirläden und Restaurants einen angenehmen Kontrast zum Grau der Vorstädte. Sie ist nach dem Erdbeben am besten erhalten geblieben. Von der Festung aus hat man einen imposanten Blick über Skopje. Die nördliche Flussseite ist heute vor allem von ethnischen Albanern bewohnt. Auch viele der Restaurants haben ausschließlich ethnisch-albanisches Publikum. Türken und Roma sind ebenfalls bevorzugt auf dieser Seite der Stadt ansässig.

Das osmanische Erbe ist hier mancherorts noch spürbar, vor allem im Marktviertel Carsija. Oftmals sind die Moscheen und die alten Hammams Skopjes in Hinterhöfen versteckt, sodass man sich schon ein wenig Mühe geben muss, um sie alle zu entdecken. Eine Besichtigung sämtlicher muslimischer Einrichtungen ist – anders, als in vielen anderen Ländern – möglich. Es gibt jedoch oft keine festen Öffnungszeiten. Besonders die Moschee Mustafa Pascha ist als sehenswert hervorzuheben. Erst seit 2007 verbindet eine alte Brücke mitten im Zentrum die beiden Stadtteile wieder miteinander, zuvor gab es nur außerhalb der zentralen Plätze einige wenige Möglichkeiten, den Vardar zu überqueren.

Skopje 2014 - Prestigeprojekt in Zeiten der Krise. Bild: Marcel Röthig

Die andere Seite des Vardar ist seit einigen Jahren eine Großbaustelle, die Bauarbeiten an „Skopje 2014“ werden jedoch in Kürze abgeschlossen sein. Aus unserer Sicht ist nicht davon auszugehen, dass die Opposition im Falle eines Machtwechsels nach den Wahlen 2013 ihr Versprechen wahrmacht und den Bau an „Skopje 2014“ stoppt. Bei „Skopje 2014“ handelt es sich um ein Prestigeprojekt. Eine Vielzahl von Statuen und Baudenkmälern ist im Zentrum Skopjes entstanden. Man will an die große Vergangenheit Mazedoniens, insbesondere zur Zeit Alexanders des Großen, erinnern und die nationale Identität ansprechen. Zugleich möchte man die Stadt wohl touristisch interessanter machen, sind doch dem großen Erdbeben von 1963 viele Sehenswürdigkeiten zum Opfer gefallen. Die Kosten von etwa 500 Millionen Euro stoßen angesichts der großen Armut der Bevölkerung auf enorme Kritik. Sarkasmus hat sich bezüglich des ambitionierten Projekts in Mazedonien breit gemacht, wie wir bei vielen unserer Termine festgestellt haben. Auch viele ethnische Mazedonier zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Projekts. Allein 15 Gebäude im neoklassischen Stil sind Teil von „Skopje 2014“. Die Zahl der Statuen lässt sich nur schwer beziffern. Der Diskurs über „Skopje 2014“ ist jedenfalls in vollem Gange. Er wird die interethnischen Beziehungen im Land sicher nicht entschärfen. Bemerkenswert ist schließlich noch, dass das Geburtshaus von Mutter Theresa, obwohl nur wenige Meter vom Hauptplatz der Südstadt entfernt, der Stadtverwaltung leider nur eine unauffällige Gedenktafel wert ist.

Beziehungen zu Nachbarstaaten und Skopje 2014 – Teil 3 des Interviews mit Tijana Angjelkovska

(Tijana Angjelkovska, Kristin Kretzschmar)

Tijana Angjelkovska ist aus Tetovo, Mazedonien. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre in Tetovo und „Economics for Business Analysis“ in Großbritannien. Nachdem sie am AK Treffen in Berlin teilgenommen hat und uns einen ersten Einblick in die Minderheitenfrage in Mazedonien gab, stimmte sie zu, weitere Fragen in einem Interview zu beantworten. Daneben hat sie uns in der Planung des AK Treffens in Mazedonien unterstützt.

In Teil 3 des Interviews mit Tijana Angjelkovska befassen wir uns mit den Beziehungen zu Bulgarien und Griechenland sowie mit dem antiken Bauprojekt Skopje 2014.

Zur Erinnerung: Teil 1 befasste sich mit dem Community Development Institute und den sogenannten CICRs. In Teil 2 sprachen wir über Minderheiten und die Lage der Roma in Mazedonien.

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K.K.: Wie sieht es mit dem Einfluss Bulgariens im Konflikt aus? Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gab es ja die zu Teil offizielle Wahrnehmung, dass Mazedonien eine Teil Bulgariens sei. Momentan hört man nichts von solchen Ansichten. Gibt es diese noch?

T.A.: Nach den Balkan Kriegen wurde Mazedonien ja zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenland geteilt. In Jugoslawien hatten wir dann nur das Recht einen Wahlbezirk zu bilden. Daraus entstand das heutige Mazedonien. Doch es gibt auch noch immer Regionen in Bulgarien und auch Griechenland die auch Mazedonien genannt werden. Bis vor kurzem hat Bulgarien auch nicht die mazedonischen Minderheiten im eigenen Land anerkannt. Die mazedonische Sprache wurde nicht anerkannt, da sie ein Dialekt des Bulgarischen sei.

K.K.: Aber auch mit Griechenland gibt es Auseinandersetzungen, auch ohne die sprachlichen Konflikte.

T.A.: Ja, Griechenland problematisiert den Namen Mazedoniens. In der griechischen Region Mazedonien gab es historisch bedeutende Ereignisse. Die Anerkennung eines Landes mit dem Namen der Region wird von Griechenland als Bedrohung der eigenen Identität gewertet.

K.K.: Wie stehst du zu den Großprojekten im Rahmen von Skopje 2014?

T.A.: Ich bin sehr gegen dieses Projekt. Erstens hilft es niemanden im 21. Jahrhundert byzantinischen Baustil nachzuahmen. Zweitens sind der Bau von Nicht-Investitionsgütern und die damit verbundenen finanziellen Ausgaben in Zeiten der Krise Schritte in genau die entgegengesetzte Richtung von dem, was das Land eigentlich braucht. Wir sollten in Richtung EU Integration streben – das heißt wir sollten daran arbeiten unsere Wirtschaft weiterzuentwickeln. Außerdem hat dieses Bauprojekt wiederum Probleme mit der albanischen Minderheit verursacht. Sie sagen ‚wenn die andern Minderheiten ein Budget haben, dann wollen wir das auch. Wir wollen auch Statuen und Bauten, die die albanische Bevölkerung repräsentieren‘. Aber auch die Außenwirkung ist negativ – die Griechen sagen ’sie stehlen auch weiterhin unsere Geschichte‘, denn viele der Bauten sind eben im byzantinischen Stil. Wir waren 500 Jahren Teil des Ottomanischen Reichs, daher sind unsere Gebäude anders. Diese Projekt repräsentiert einen Rückschritt in die Antike. Es wird versucht die neuere Geschichte zu überspringen. Dinge die hier in diesem Sinne nie bestanden, werden erbaut. Es gibt archäologische Ausgrabungsstätten, die den Wert haben etwas über unsere Geschichte auszusagen. Aber dies neu zu erschaffen macht keinen Sinn.

K.K.: Stellt es deiner Meinung nach den Versucht dar, eine nationale Legende zu erschaffen?

T.A.: Ja, auf jeden Fall.

K.K.: Tijana, vielen Dank für das Interview und deine Unterstützung während der Planung des Treffens des stipendiatischen Arbeitskreises Osteuropa in Mazedonien.

 

Mazedonien: Geschichte Verstehen, zukünftige Konflikte verhindern

(Ruben Werchan)

Hintergrund: Der Konflikt von 2001

Ursache des bewaffneten Konflikts zwischen albanischen Guerillas und mazedonischen Sicherheitskräften war die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung der albanischen und mazedonischen Bevölkerungsgruppen. Die albanische Minderheit war ökonomisch schlechter gestellt und im öffentlichen Sektor unterrepräsentiert. In Folge des Konflikts wurde im Friedensabkommen von Ohrid eine Verfassungsänderung beschlossen, mit welcher die albanische Sprache aufgewertet und die lokale Selbstverwaltung der albanischen Minderheit gestärkt wurde.

Inter-ethnische Beziehungen im Bildungssystem

Ethnische Mazedonier und Albaner werden in vielen Schulen separat, jeweils von angehörigen der eigenen ethnischen Gruppe in der eigenen Sprache, unterrichtet. Selbst an Schulen mit gemeinsamem Unterricht kommt es sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrenden kaum zu Kontakt zwischen den beiden Ethnien. Das hat zur Folge, dass negative Stereotype, deren Wahrheitsgehalt nur schwer überprüft werden kann, das Bild von der jeweils anderen Gruppe prägen.

Andererseits bietet gerade das Bildungssystem viel Potential zur Überwindung inter-ethnischer Vorurteile. Indem Kinder gemeinsam mehr übereinander lernen, kann zukünftigen Konflikten vorgebeugt werden. Vor diesem Hintergrund ist es ermutigend, dass es bereits seit den 1990er Jahren verschiedenen Initiativen für außerschulische Initiativen gibt, die genau das zum Ziel haben.

Das Projekt „Gegenwärtige Geschichte verstehen“

Das „Center for Human Rights and Conflict Resolution“ (CHRCR) hat unter dem Titel „Gegenwärtige Geschichte verstehen“ eine Reihe von Workshops durchgeführt, die die Ziele hatten, die unterschiedliche Sicht auf den Konflikt von 2001 darzustellen, Geschichtslehrer zu ermutigen ein gemeinsames Verständnis der Ereignisse zu entwickeln  und ein Modell zu entwickeln, wie zukünftige Lehrer dazu ausgebildet werden können ihre ethnozentrische Perspektive zu überwinden. In den Workshops mussten die Teilnehmenden zunächst ihre jeweilige intra-ethnische Sicht auf den Konflikt ausarbeiten und dann in einem zweiten Schritt eine gemeinsame Darstellung der Ereignisse finden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die intra-ethnische Sicht geprägt war von der Wahl des Blickwinkels, von Praktiken des Verteidigens und Anklagens, und dass die Ansichten der jeweiligen ethnischen Gruppe oft diametral auseinander gingen. Die gemeinsame Darstellungen dagegen beinhalteten mehr allgemeine Fakten, auf die sich beide Seiten einigen konnten und waren dadurch in ihrer Interpretation der Dinge objektiver und neutraler. Dabei wurden folgende Punkte besprochen:

  • Sozio-ökomomische und politische Bedingungen in Mazedonien in den Jahren 2000 und 2001
  • Gründe für den Beginn des bewaffneten Konflikts
  • Verlauf des bewaffneten Konflikts
  • Die Rolle des Parlaments, der Regierung, der Polizei und der militärischen Streitkräfte während des Konflikts
  • Der Beitrag der internationalen Gemeinschaft zur Entwicklung und zur Lösung des Konflikts
  • Das Ende des Konflikts und die Bedeutung des Friedensabkommens
  • Der Einfluss des Konflikts auf die allgemeine demokratische Bewegung im Land

Ergebnisse des Projekts

Obwohl die Beteiligten das Projekt positiv einschätzten und angaben, Neues über die Ansichten der jeweils anderen Gruppe gelernt zu haben, muss festgehalten werden, dass es nur ein erster Schritt war. Die Meinung der Anderen wurde zur Kenntnis genommen, ihr aber nicht zugestimmt. Ebenso wurden die eigenen Ansichten zwar in Kontrast zu den Ansichten der anderen Gruppe wahrgenommen, aber nicht überdacht. Der Erfolg des Projekts ist vor allem darin zu sehen, dass die Teilnehmer, die vorher fast nichts über die Ansicht der anderen Gruppe wussten, nach dem Projekt ein Verständnis von diesen Ansichten hatten und eher bereit waren, rational zu argumentieren. Demnach ist die Erkenntnis des Projekts, dass Vertreter der beiden ethnischen Gruppen, wenn sie dazu ermutigt werden und ihnen ein entsprechender Raum angeboten wird, durchaus in der Lage sind, eine gemeinsame Basis zu finden und zusammenzuarbeiten.

 

Quelle: Petroska-Beska, Violeta and Mirjana Najcevska (2004): Macedonia: Understanding History, Preventing Future Conflict. United States Institute of Peace, Special Report 115.

Philip Gounev: “Stabilizing Macedonia: Conflict Prevention, Development and Organized Crime” (2003)

(Jana Hartmann)

EU-Politik (in den 90ern stark auf die Stabilität der Balkan-Länder fokussiert) benannte
Nationalismus, ethnische Feindschaften, soziale Ungleichheiten und Verletzungen der
Menschenrechte als zentrale Ursachen für die Konflikte auf dem Balkan.

EU-Intervention in Mazedonien 2001 und Implementierung sowohl von Strategien und
Maßnahmen zur Konfliktprävention als auch zur Friedensbildung.

Das ‚Stabilization and Association Agreement‘ (SAA) von 2001 zwischen der EU und
Mazedonien wurde in den ‚Stabilization and Association Process‘ (SAP) integriert, der einen
Rahmen bilden sollte, um neue Konflikte zu verhindern und die beteiligten Länder auf einen
EU-Beitritt vorzubereiten.

Argumentationslinie des Artikels: Die Maßnahmen, die im Rahmen dieses SAPs und als
Versuche der Friedensbildung der EU ergriffen wurden, sind gut gemeint, ließen aber
wichtige Aspekte außer acht, konkret: die grenzüberschreitende Kriminalität und das
ökonomische Interesse der Rebellen, die beide als Hauptgründe des Konflikts betrachtet
werden können. Als Zeichen dafür kann das weitere Ausbleiben von Stabilität in Mazedonien
gewertet werden – nicht als Echo eines beendeten Konflikts, sondern als Beleg dafür, daß für
eine nicht unbeträchtliche Zahl an militanten Rebellen die Beweggründe eben nicht in einer
sicheren sozialen und politischen Reform ihrer Gesellschaft lagen. Insbesondere der Drogen-
und Menschenhandel könnte das ökonomische Interesse sein, aus dem heraus der ethnische
Konflikt in Mazedonien verstärkt wird.

Die EU und Konfliktprävention

April 2001: Veröffentlichung des Strategiepapiers „Communication“ – während man zwar
z.B. in Kolumbien Drogen als Gründe für Konlikte sieht, oder Diamanten in Afrika, haben
sich diese Schlüsse nicht auf den Balkan erstreckt, wo fortgesetzt Drogen, Waffen und
Menschen geschmuggelt werden.

Stability Pact (SP) – enthält eigentlich eine Teil zu Organisierten Verbrechen, im ‚lessons
learned‘-Bericht taucht dann aber nichts dazu auf.

Entwicklung und Konfliktprävention – Entwicklungshilfe z.B. in Afrika durch die EU ist
explizit mit Konfliktprävention verbunden, für die Entwicklungszusammenarbeit in den
westlichen Balkanländern gilt diese Verknüpfung nicht.

Kritik an der EU: die Entwicklungs-Programme zielen nicht so sehr auf makroökonomischen
Aufschwung und Stabilisierung, sondern vielmehr darauf, die Länder strukturell und in
ihrer Gesetzgebung an EU-Standards anzupassen, so daß zentrale ökonomische und sozio-
politische Charakteristika der EU adaptiert werden können.