Esma Redzepova – die Grande Dame der Roma-Musik

(Michael Meißner) Esma Redžepova zählt zu den bekanntesten Künstlern Mazedoniens, wenn nicht sogar des kompletten Balkanraums. Seit über 50 Jahren ist sie auf den Konzertbühnen der Welt unterwegs und setzt sich für die Interessen der Roma ein.

 

Esma Redzepova in Skopje 2012 (Quelle: Autor)

 

Aufgewachsen in einem Roma-Viertel in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, war ihr kosmopolitisches Denken fast schon in die Wiege gelegt. Ihre Urgroßmutter väterlichseits war irakische Jüdin, ihr Urgroßvater ein katholischer Roma. Beide zogen aus Albanien über das Kosovo nach Skopje. Die Familie von Esmas Mutter war muslimisch mit türkisch-serbischen Wurzeln.

Esma hatte das Glück, das ihre Mutter die musikalischen Talente ihrer Tochter förderte und ihr Bruder sie frühzeitig bei einer Roma-Musikorganisation anmeldete. Zu diesem Zeitpunkt war Esma neun Jahre alt. 1957, im Alter von dreizehn Jahren, gewann sie einen Talentwettbewerb bei Radio Skopje. Es sollte ihr Leben nachhaltig verändern.

Bereits ein Jahr zuvor hatte sie das Lied Čaje Šukarije geschrieben, welches sich 1959 zum Hit im ehemaligen Jugoslawien entwickelte und bis zum heutigen Tage zu ihrem Stammrepertoire gehört.

 

Esma Redzepova – Caje Sukarije

 

Nur wenig später gelang ihr mit Romano Horo ein weiterer Erfolg, der zum Klassiker avancierte. Der Song stellte eine Antwort auf den damals populären Twist dar.

 

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie schon als fest engagierte Sängerin des Ensembles Teodosievski. Deren Bandleader, Namensgeber und spätere Ehemann von Esma, Stevo Teodosievski, hatte sie beim Talentwettbewerb singen gehört und sich bei ihrem Vater für eine musikalische Ausbildung und Karriere des jungen Roma-Mädchens eingesetzt.

1961 trat Esma als erste weibliche Roma im jugoslawischen Fernsehen auf und durfte für eine weltweite Tournee ihr sozialistisches Heimatland verlassen – in der damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ging es mit ihrer Karriere steil bergauf, sowohl national als auch international.

Das von ihr 1971 beim ersten Romani Congress in London vorgetragene Lied „Djelem, Djelem“ wurde zur weltweiten Hymne der Roma deklariert. Beim Weltmusikfestival der Romani-Lieder und –musik 1976 im indischen Chandigarh, erhielt Esma den Titel Königin der Roma-Musik zugesprochen.

 

Djelem, Djelem [1]

Ich wanderte die langen Straßen entlang.
Ich traf glückliche Roma.
Ich wanderte die Straßen entlang.
Ich traf glückliche Roma.

Oh Roma, oh Jugendzeiten.
Oh Roma, oh Jugendzeiten.
Oh Roma, wo kommt ihr her

Mit euren Zelten auf glückbringenden Straßen?
Auch ich hatte eine große Familie.
Sie wurde von der Schwarzen Legion ermordet.
Kommt mit mir, Roma dieser Welt.
Ihr, die ihr die Roma Straßen erschlossen habt.
Die Zeit ist gekommen, erhebt euch Roma.
Wenn wir uns erheben, dann werden wir Erfolg haben.

Oh Roma, oh Jugendzeiten
Oh Roma, oh Jugendzeiten

 

In ihrer gesamten Karriere hat sie über 15.000 Konzerte absolviert, von denen 2.000 für humanitäre Zwecke waren. Sie blickt mittlerweile auf eine Discographie von 1.000 Songs und 586 veröffentlichten Tonträgern zurück. Esma erhielt zwei Platin-, acht Goldene und 8 Silberne Schallplatten. Ihr Album „Queen of the Gypsies“ zählt weltweit zu den Top 20 im Bereich World Music.

Zugleich scheut sie sich nicht, moderne Produktionen mit ihrem Gesang einen besonderen Stil zu verpassen. Dazu zählt die Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Musiker, Kiril Džajkovski.

Darüber hinaus begründet sich Esmas Ruf vor allem auf ihrem humanitären Engagement. Schon 1963 nach dem verheerenden Erdbeben in Skopje, veranstaltete sie 50 Konzerte, um Geld für die Opfer zu sammeln. Sie und ihr Mann adoptierten im Laufe der Jahre 47 Roma-Kinder und ermöglichten ihnen eine Ausbildung. Sechs davon unterstützen Esma bei den Konzerten in ihrer Live-Band.

 

Esma Redzepova - OMNIA Festival, Luxemburg Juni 2012 (Quelle: Autor)

 

Zeit ihres Lebens spendete sie sehr viel Geld für humanitäre Zwecke und auch jetzt noch dient ein großer Teil ihrer Konzerterlöse der Unterstützung verschiedenster Organisationen. Esma war zudem an der Gründung der ersten multiethnischen Partei Mazedoniens, der Demokratischen Alternative, beteiligt.

Für ihr Engagement wurde sie zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert (2002 & 2003). Sie erhielt den Mutter-Teresa-Preis 2002, wurde zur Roma-Frau des Jahrtausends gekürt und ist Ehrenpräsidentin des mazedonischen Roten Kreuzes. Die weiteren Auszeichnungen würden den Rahmen des Beitrages sprengen.

 

Der mazedonische Präsident Ivanov verleiht Esma 2010 den Orden für herausragende Leistungen

 

Esma ist weiterhin aktiv, nimmt Songs auf und reist für Konzerte um die Welt.
Lassen wir uns überraschen.

 

 

 



[1] Übersetzung nach Garth Cartwright: Balkan-Blues und Blaskapellen: Unterwegs mit Gypsy-Musikern in Serbien, Mazedonien, Rumänien und Bulgarien. Höfen 2008, S. 47.

Krusevo

(Christopher Forst)

Das unweit von Prilep in südlicher Richtung gelegene Krusevo war einst eine Republik. Der Ilinden-Aufstand gegen die Osmanen im Jahr 1903 wurde jedoch schnell niedergeschlagen und die Stadt verlor ihre Sonderstellung schon nach zehn Tagen wieder. Am 2. August feiert ganz Mazedonien den Ilinden-Tag, der eigentlich der Tag des heiligen Ilja ist, aber seit 1903 eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.

Das Makedonium in Krusevo. Bild: Kristin Kretzschmar

Ein Museum und ein Denkmal erinnern heute an die „Republik Krusevo“ und die Opfer des Ilinden-Aufstands. Die Architektur des Denkmals ist jedoch sehr zweifelhaft. Das „Makedonium“ soll auch eine positive Zukunft betonen. Eine positive Zukunft ganz Jugoslawiens, wurde es doch unter Tito erbaut. Es erinnerte uns stark an das Brüsseler Atomium, ist jedoch deutlich kleiner und weniger spektakulär.

Der Ausblick von unserem Hotelbalkon auf die höchste Kleinstadt Mazedoniens gehört hingegen mit zu den schönsten Impressionen, die wir in Mazedonien erleben dürften. Auf keinen Fall sollte man verpassen, einen Sonnenaufgang in Krusevo zu erleben! Für die besonders schöne Bauweise in Krusevo gibt es sogar einen eigenen Begriff. „Krusevo-Villen“ säumen das Stadtbild. Ihre roten Dächer üben eine eigenartige Faszination aus. Titos Zerstörungswut hat nicht verhindern können, dass die Stadt bis heute einen besonderen Charme bewahrt hat.

Bilck auf Krusevo. Bild: Christopher Forst

Auch Tose Proeski hat die Stadt ins Blickfeld rücken lassen, wenn auch auf tragische Weise. Der aus Krusevo stammende balkanweit beliebte Sänger starb 2007 im Alter von nur 26 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Seine Geschichte ist in Krusevo allgegenwärtig. Sein Grab sowie ein Museum zu seinen Ehren befinden sich am Fuße des Makedoniums.

Generell ist in der Kleinstadt in den letzten Jahren viel geschehen, um auch für den Tourismus interessant zu sein. Das Nachtleben ist erstaunlich lebendig und die frische Bergluft macht Krusevo zum echten Geheimtipp für Individualurlauber. Krusevo verfügt über vier sehenswerte orthodoxe Kirchen. Unter den rund 5000 Einwohnern sind die Wlachen die größte Minderheit. Krusevo gilt als Zentrum der Wlachen in Mazedonien. Sie gelten als besonders gut integriert in die mazedonisch-orthodoxe Gesellschaft.

Prilep

(Christopher Forst)

Das von Skopje aus in südlicher Richtung gelegene Prilep ist die Hauptstadt des Marmors und des Tabaks. Das ist bereits bei der Anfahrt von Skopje aus erkennbar, bei der man die Abbaugebiete dieser beiden Produkte passiert. Den Tabak kann man hier mancherorts auch riechen.

Ruine der Moschee in Prilep. Bild: Kristin Kretzschmar

Etwa 5000 Roma und nur einige hundert Albaner leben in der ca. 70000 Einwohnerstadt. Das Stadtbild ist geprägt vom osmanischen Erbe. Überragt wird die Stadt von der auf einem der umliegenden Berge gelegenen Festung des legendären Königs Marko, der einst die Türken bekämpfte. Hier steht auch ein von überall sichtbares Kreuz. In Prilep leben überwiegend orthodoxe Christen.

Einige sehenswerte Kirchen finden sich im Stadtteil Varos. Die Ruinen der Moschee dienen als Mahnmal. Nach Markos Niederlage 1394 übernahmen für 500 Jahre die Osmanen die Herrschaft über die Stadt, doch die im 15. Jahrhundert errichtete große Moschee wurde 2001 im Zuge der interethnischen Konflikte zwischen christlich-orthodoxen Mazedoniern und muslimischen Albanern niedergebrannt. Sie macht leider einen etwas verwahrlosten Eindruck. In den Ruinen hausen Katzen, die sich aus den umstehenden Müllcontainern ernähren. Lediglich der noch intakte Uhrenturm verschönert den Platz.

Prilep Sirden mit Brot. Bild: Christopher Forst

Einige kleine Einkaufsstraßen versprühen südeuropäischen Charme. Der Basar hingegen macht einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Überquert man ihn, wartet an seinem Ende jedoch ein sehenswerter Blick auf die umliegende Berglandschaft. Die Klöster im Nordosten Prileps konnten wir leider bei unserem Kurzaufenthalt nicht besichtigen. Als besonders sehenswert gilt das Kloster Treskavec. Lohnenswert ist auch ein Besuch des Grabes des Sohnes von Friedrich Ebert. Er fiel im 1. Weltkrieg in Prilep. Der Friedhof, auf dem sich auch bulgarische, mazedonische und deutsche Soldaten befinden, die im 2. Weltkrieg gefallen sind, befindet sich im Stadtzentrum. 1941 begann in Prilep der landesweite Aufstand gegen die Faschisten.

Vorsicht vor „Prilep Sirden“! Lammeingeweide gefüllt mit Kalb, Hammel und Schwein verträgt nicht jeder europäische Magen. Auch wir mussten diese unangenehme Erfahrung machen.

Besuch der multiethnischen Nicht-Regierungsorganisation Centre for Social Initiatives NADEZ

(Jana Hartmann)

Shuto ist die größte Roma-Siedlung der Welt und wir trafen dort Klara Misel Ilieva, die Projektleiterin der Nicht-Regierungsorganisation C.S.I. NADEZ, die uns von ihrem Projekt und der Siedlung berichtete. Außerdem war Kristian Cierpka dabei, der seit kurzem beim Projekt mitarbeitet und auf diese Weise sein Freiwilliges Soziales Jahr im Rahmen des Projektes Schüler helfen Leben macht. Die Organisation beschäftigt 4-5 hauptamtliche Kräfte und zwei Personen in Teilzeit. Außerdem arbeiten immer wieder Freiwillige mit.

Bibliothek und Raum für Schülerbetreuung bei NADEZ. Bild: Michael Meissner

Der Fokus der Organisation liegt auf der Arbeit mit Kindern und dementsprechend erfahren wir über ihre Situation auch am meisten. In den Schulen zeigen sich viele der interethnischen Konflikte des Landes sehr deutlich und die Lage der Kinder kann als Ausblick auf das gesehen werden, was im kommenden Jahrzehnt Mazedoniens junge Gegenwart sein wird. Die Situation der Roma ist durch ihren Status als eine der ethnischen Minderheiten des Landes besonders schwierig. Es gibt verschiedene Probleme, die sich im Leben in Shuto zeigen – das größte ist Klara Misel Ilieva zufolge, dass der Analphabetismus weit verbreitet ist. Der Analphabetismus ist leider selbst unter den Schulkindern nicht ungewöhnlich, obwohl sie in der Schule natürlich eigentlich Lesen und Schreiben lernen müssten. Doch die Kinder stehen vor der Schwierigkeit, dass sie zuhause Roma sprechen und in der Schule dann auf Mazedonisch unterrichtet werden, sie also schon bei der absoluten Grundlegung von Bildung nicht in ihrer Muttersprache lernen. Da im mazedonischen Schulsystem niemand sitzenbleiben kann, werden einmal entstandene Lücken immer größer, ohne dass sich die Chance bietet, den nicht verstandenen Stoff nachzuholen. Die Schulen sind außerdem entweder nach Ethnien getrennt, oder der Unterricht findet in Schichten statt, so dass selbst eine Schule, die sich multiethnisch nennt, so gestaltet ist, dass sich die Kinder nicht interethnisch begegnen. Klara Misel Ilieva sagt dazu, dass auch die Vorstellungen der Eltern problematisch sind, da diese es lieber haben, wenn ihre Kinder in einer reinen Roma-Schule unterrichtet werden.

NADEZ verfolgt immer wieder Projekte, um die Kinder besonders in ihrer Schullaufbahn zu unterstützen. Aktuell werden beispielsweise die Schulmaterialien der Kinder bezahlt, die sie neben den Schulbüchern brauchen (die alle Kinder gestellt bekommen). Außerdem bekommen sie ein Frühstück bezahlt, weil sie ansonsten neben den übrigen Kindern sitzen und denen beim Essen zugucken würden. Es können maximal 60 Kinder unterstützt werden. Da aber nicht immer alle kommen, kann es auch sein, dass Kinder, die nicht in die Gruppe der ausgewählten 60 gehören, am Essen teilnehmen. Durch die geringen finanziellen Mittel, die der Organisation zur Verfügung stehen, ist eine derartige Einschränkung notwendig. Es ist allerdings nicht immer ganz einfach, den Leuten zu erklären, welche Kinder in das Projekt aufgenommen worden sind und welche nicht. In den Räumlichkeiten der Organisation wird die Möglichkeit gegeben, die Schularbeiten zu machen und ältere SchülerInnen geben den jüngeren Nachhilfe. Darüber hinaus fließen auch humanitäre Hilfsgelder in die Arbeit, mit denen die Kinder unterstützt werden – konkret kann das heißen, dass sie Schuhe und warme Kleider bekommen, denn im Winter ist es so kalt, dass die Kinder mit der Kleidung, die sie sonst hätten (oder besser: nicht hätten), den Weg zur Schule überhaupt nicht bewältigen könnten. Leider endet das aktuelle Projekt im kommenden Februar, da sich dann die Mittel erschöpft haben werden. Besonders ungünstig ist, dass das mitten im Schuljahr sein wird, so dass man sich natürlich bemüht, neue Geldgeber zu finden. Die Finanzierung der Arbeit in Shuto wird generell im Winter schwieriger, weil sich durch das Wetter die Kosten stark erhöhen – die Räume müssen beheizt werden und es gibt kein fließendes Wasser, weil der Wasserdruck nicht stark genug ist, um es auf den Berg zu pumpen, auf dem das Gelände von NADEZ liegt.

Die Ursprungsidee des Projektes war es, sich um die Kinder zu kümmern. Doch sehr bald wurde klar, dass man sich auch um die Eltern kümmern muss, wenn man möchte, dass sich für die Kinder etwas verändert. Man begann also damit, Vermittler einzusetzen, die den Eltern erst einmal das Schulsystem erklärten, damit diese überhaupt wissen, wie das Schulleben ihrer Kinder aussieht bzw. aussehen sollte. Außerdem wurde versucht, die Eltern in die Schulbeiräte zu bringen, doch selbst, wenn sie drin waren, sind sie im allgemeinen nicht zu den Treffen gegangen.

Für dieses Projekt wurden 377 Familien ausgewählt, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wie Klara Misel Ilieva sagte und bei ihnen die Eltern umfangreich informiert. Dafür hat man Leute kommen lassen, die ihnen alles auf Roma erklären. Klara Misel Ilievas Fazit ist, dass man froh sein kann, wenn sich bei zehn Familien etwas ändert. Doch sie meint auch, dass man bei den Eltern, die wirklich aufgepasst haben, auch Erfolge sieht. Kinder, die regelmäßig zur Schule gehen, schaffen dann manchmal auch die Oberstufe. Aber ein weiteres Problem ist, dass die Mädchen sehr früh verheiratet werden (in der Regel, sobald sie das erste Mal ihre Periode bekommen haben) und sobald sie verheiratet sind, gehen sie nicht mehr zur Schule. Es kommt auch vor, dass die Mädchen verkauft werden (als typische Verkaufssumme werden 3000 Euro genannt). In den Familien ist es häufig üblich, dass nur eine ganz basale Schulbildung wichtig ist, danach geht es darum, Sozialhilfe zu bekommen. Häufig müssen die Kinder auch Plastik sammeln, oder Eisen. Inzwischen ist das Betteln der Kinder verboten, was tatsächlich dazu führt, dass nicht mehr so viele von ihnen auf der Straße sind. Denn die Strafen sind hart und es kann passieren, dass die Kinder den Eltern weggenommen werden, wenn man sie beim Betteln erwischt. Diese Regelung bezieht sich allerdings auf Schulkinder und so kommt es immer noch vor, dass Babys regelrecht gemietet werden, um mit ihnen auf der Straße zu betteln.

Teilweise wurde es als Job verstanden, ins westeuropäische Ausland zu gehen, um dort Asyl zu beantragen. Ziel war dann nicht, wirklich dort zu leben, weil man sich darüber bewusst war, dass der Antrag auf Asyl abgelehnt wird. Aber da es so etwas wie Rückwanderungsprämien gab, also Geld gezahlt wurde, wenn die Familien freiwillig wieder in das Land zurückkehrten, aus dem sie gekommen waren, sahen einige Roma das immer wieder als gute Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Häufig wurde dann auch die Auswanderung in ein weiteres Land begonnen, so dass es einen Wechsel von Mazedonien in Länder wie beispielsweise Frankreich, Deutschland oder die Niederlande gab, nur, um von dort mit der Rückwanderungsprämie wieder zurückzukehren.

Die Siedlung von Shuto ist so groß, dass man sie für das tägliche Leben nicht verlassen muss – alle notwendigen Läden, Einrichtungen oder Dienstleistungen finden sich dort, so dass die Menschen im großen und ganzen dort und unter sich bleiben. Diese (Selbst-)Beschränkung führt dazu, dass auch die Mazedonier der übrigen Stadtbezirke überhaupt kein realistisches Bild von den Roma haben, das durch konkrete Begegnungen entstehen würde. Dementsprechend sind es stereotype Vorstellungen, die verbreitet sind, was Klara Misel Ilieva zufolge auch dazu führe, dass die Probleme in Shuto marginalisiert werden. Sie berichtete außerdem, dass es in Gegenden, in denen mehr Mazedonier der albanischen Minderheit leben (wie beispielsweise in Tetovo), für Roma einfacher ist. Gleichzeitig betonte sie aber auch, dass dort, wo insgesamt eine starke Durchmischung der Ethnien herrscht und Serben, Bosnier, Roma, Albaner und Mazedonier wohnen, das Zusammenleben sehr gut funktioniert. Die größten Probleme sind wohl soziale Probleme. Wir erfuhren, dass die Sozialhilfe nach drei Jahren jährlich um 20 Prozent gekürzt wird. Außerdem ist es sehr schwierig, sich durch die bürokratischen Anforderungen zu kämpfen, wenn man weder richtig lesen noch ordentlich schreiben kann. 11 Länder haben ein ‚Roma-Abkommen‘ unterzeichnet, demzufolge man sich besonders um die Unterbringung, Gesundheit, Bildung und die Verbesserung der Infrastruktur kümmern will. Klara Misel Ilieva erzählte, dass man in Mazedonien im Bereich der Bildung am besten abschneidet, doch in ihren Augen liegt das nur am Vergleich der Zahlen – zu den Besten werden sie also nur in Relation zu Ländern, in denen es noch schlechter aussieht, zufrieden könne man mit dieser Situation nicht sein – so Klara Misel Ilieva.

Für die medizinische Versorgung ist zwar grundsätzlich gesorgt, aber dennoch ist es nicht so, dass der Zugang für die Roma leicht wäre. Es gibt eine Poliklinik in Shuto und es gilt das Hausarztmodell, nach dem alle erst einmal zu ihrem Hausarzt müssen, damit dieser sie je nach Fall an Spezialisten weiter überweist. Für die Roma ist das schwierig, weil der Besuch beim Hausarzt zwar gratis ist, alle weiteren Untersuchungen aber Geld kosten. Im Übrigen sind dafür häufig Busfahrten nötig, die auch nicht alle bezahlen können. Für schwerwiegendere Erkrankungen kann man einmal im Jahr eine staatliche Unterstützung beantragen, doch diese ist nicht sehr hoch. Viele der Menschen sind nicht einmal gegen Krankheiten wie Tetanus oder Diphterie geimpft. Angesichts der Tatsache, dass es auch Familien gibt, die genaugenommen zwischen den Müllbergen leben, ist ihr Risiko, ernsthaft krank zu werden, besonders hoch.

Nach dem Gespräch machte Kristian eine Führung über das Gelände und eine kurze Tour durch die Nachbarschaft. Was sofort auffällt sind die Spielgeräte und die bunte Bemalung an den Häusern – das Ergebnis eines Projektes der Freien Waldorfschule Fildern, deren SchülerInnen im Sommer den Spielplatz angelegt und mit den Kindern alles neu gestaltet hatten. Wir besichtigten außerdem noch eine Art Baracke, in der die zu verteilende Kleidung gesammelt wird und bemalte Glasgefäße aufbewahrt werden. Diese sind Teil eines weiteren Projekts, mit dem versucht wird, den Romafrauen Möglichkeiten der Unabhängigkeit aufzuzeigen: Sie lernen, Glas zu bemalen oder Schmuck herzustellen und bekommen dafür auch das Material gestellt. Wenn sie die produzierten Stücke verkaufen, sollen sie sich von dem Geld neue Materialien kaufen. Wichtig ist dabei, den Umgang mit Geld zu üben, der an einer langfristigen Perspektive orientiert ist – es ist eben notwendig, das Geld in neues Material zu investieren, um wirklich dauerhaft Einnahmen haben zu können, immer wieder wird das einmal verdiente Geld aber anders ausgegeben, was dazu führt, dass ein Fortsetzen der Produktion nicht mehr möglich ist.

Zwei Jungen spielen mit einem Plastikband. Bild: Jana Hartmann

So wie während unseres Gesprächs im Nachbarraum Kinder an ihren Schulaufgaben gesessen hatten, sehen wir auch hier draußen Kinder, vor allem im Grundschulalter. Sie wirken alle sehr fröhlich und offen, sprechen uns immer wieder an, teilweise sogar mit deutschen Worten. Deutlich wird aber auch, dass sie offensichtlich in bescheidenen Verhältnissen leben. Die beiden Jungen, die zu Beginn unseres Rundgangs mit einem Plastikband spielten, sahen wir später Flaschen sammeln. Die Menschen, an deren Häusern wir vorbeigingen, reagierten freundlich und von dem Risiko, beispielsweise beraubt zu werden, war eigentlich nichts zu spüren. Da wir eindeutig als Gruppe von Ausländern zu identifizieren sind, erregen wir immer Aufmerksamkeit, stießen aber nicht auf Ablehnung. Als wir zum Bus zurückkehrten, winkten uns Mädchen immer wieder von ihren Spielgeräten aus zu. Der direkte Austausch mit den Kindern war also sehr gering, aber offensichtlich war, dass man sich wechselseitig freut, sich zu sehen.

 

 

 

 

Tetovo

(Christopher Forst)

Tetovo, Zentrum der albanischen Minderheit, gehört mit ungefähr 60000 Einwohnern zu den größten Städten des Landes. In der ca. 40 Minuten westlich von Skopje gelegenen Stadt haben die beiden albanischen Parteien DUI und DPA ihren Sitz. Auch der Bürgermeister ist wie ca. 70 % der Bevölkerung ethnischer Albaner. An der örtlichen Universität wird vor allem in albanisch gelehrt.

Innenausstattung der Moschee. Bild: Kristin Kretzschmar

Die Stadt ist muslimisch geprägt, wovon die Bunte Moschee im Zentrum der Stadt zeugt. Zu unserem Erstaunen war es uns bei unserem Besuch ohne vorherige Anmeldung kostenlos möglich, sie von innen zu besichtigen. Die prunkvolle Innenausstattung ist einen Besuch wert und Touristen sind herzlich willkommen. Die Wahrscheinlichkeit auf ehemalige Gastarbeiter in Deutschland zu treffen, scheint hier besonders hoch zu sein.

Der ehemalige Hammam, indem sich nun eine Kunstgalerie befindet, geht eine gelungene Symbiose mit der nahegelegenen Steinbrücke vor dem Panorama der stadtnahen Gebirgskette ein und bietet ein vorzügliches Fotomotiv. Zur Besichtigung der Arabati-Baba-Teke, eines berühmten Derwischklosters des Bektasi-Ordens bei Tetovo, blieb uns leider keine Zeit. Die auf einem Hügel gelegene osmanische Festung Bal Tepe kann man vom Hauptplatz der Stadt aus sehen. Der Platz selber lohnt sich allerdings allenfalls zur Einkehr in das am Platz gelegene Restaurant.

Ehemaliger Hammam mit Blick auf Gebirgskette. Bild: Kristin Kretzschmar

Mazedonier stehen Tetovo eher skeptisch gegenüber, wovon wir uns bei unseren Gesprächen in Skopje und Struga selbst überzeugen konnten. Von hier gingen die Konflikte im Jahr 2001 aus. Tetovo gilt nicht nur als Hochburg der albanischen Minderheit, sondern auch als Hochburg von Separatismusgedanken. Auch der Islam wird hier sichtbarer, als andernorts in Mazedonien. Nirgendwo sonst sahen wir so viele Kopftücher und traditionelle Gewänder. Die Offenheit mit der uns die Menschen beispielsweise in der Moschee begegneten, spricht jedoch dagegen, dass die Religion einem Miteinander der Ethnien im Weg stehen könnte. Während unserer Reise haben wir allerdings auch in vielen Gesprächen festgestellt, dass der mazedonisch-albanische Konflikt von keiner der beiden Seiten auf religiöse Unterschiede reduziert wird.

Flaggenvielfalt vor der Gemeindeverwaltung. Bild: Kristin Kretzschmar

Bemerkenswerter sind deshalb wohl die albanischen Fahnen, die an vielen Plätzen der Stadt wehen. Nach der Implementierung des Ohrid-Abkommens im Jahr 2001 ist der albanischen Minderheit das Recht zugestanden worden, diese Fahnen zu nutzen. Die Tatsache, dass hier Ethnie und Nation gleichgestellt werden, scheint in Mazedonien – und erst recht in Tetovo – Niemanden zu stören. Ein Besuch in Tetovo gehört in jedem Fall zum Pflichtprogramm, wenn man die Debatte über interethnische Probleme in Mazedonien verstehen lernen möchte.