Prilep

(Christopher Forst)

Das von Skopje aus in südlicher Richtung gelegene Prilep ist die Hauptstadt des Marmors und des Tabaks. Das ist bereits bei der Anfahrt von Skopje aus erkennbar, bei der man die Abbaugebiete dieser beiden Produkte passiert. Den Tabak kann man hier mancherorts auch riechen.

Ruine der Moschee in Prilep. Bild: Kristin Kretzschmar

Etwa 5000 Roma und nur einige hundert Albaner leben in der ca. 70000 Einwohnerstadt. Das Stadtbild ist geprägt vom osmanischen Erbe. Überragt wird die Stadt von der auf einem der umliegenden Berge gelegenen Festung des legendären Königs Marko, der einst die Türken bekämpfte. Hier steht auch ein von überall sichtbares Kreuz. In Prilep leben überwiegend orthodoxe Christen.

Einige sehenswerte Kirchen finden sich im Stadtteil Varos. Die Ruinen der Moschee dienen als Mahnmal. Nach Markos Niederlage 1394 übernahmen für 500 Jahre die Osmanen die Herrschaft über die Stadt, doch die im 15. Jahrhundert errichtete große Moschee wurde 2001 im Zuge der interethnischen Konflikte zwischen christlich-orthodoxen Mazedoniern und muslimischen Albanern niedergebrannt. Sie macht leider einen etwas verwahrlosten Eindruck. In den Ruinen hausen Katzen, die sich aus den umstehenden Müllcontainern ernähren. Lediglich der noch intakte Uhrenturm verschönert den Platz.

Prilep Sirden mit Brot. Bild: Christopher Forst

Einige kleine Einkaufsstraßen versprühen südeuropäischen Charme. Der Basar hingegen macht einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Überquert man ihn, wartet an seinem Ende jedoch ein sehenswerter Blick auf die umliegende Berglandschaft. Die Klöster im Nordosten Prileps konnten wir leider bei unserem Kurzaufenthalt nicht besichtigen. Als besonders sehenswert gilt das Kloster Treskavec. Lohnenswert ist auch ein Besuch des Grabes des Sohnes von Friedrich Ebert. Er fiel im 1. Weltkrieg in Prilep. Der Friedhof, auf dem sich auch bulgarische, mazedonische und deutsche Soldaten befinden, die im 2. Weltkrieg gefallen sind, befindet sich im Stadtzentrum. 1941 begann in Prilep der landesweite Aufstand gegen die Faschisten.

Vorsicht vor „Prilep Sirden“! Lammeingeweide gefüllt mit Kalb, Hammel und Schwein verträgt nicht jeder europäische Magen. Auch wir mussten diese unangenehme Erfahrung machen.

Besuch der multiethnischen Nicht-Regierungsorganisation Centre for Social Initiatives NADEZ

(Jana Hartmann)

Shuto ist die größte Roma-Siedlung der Welt und wir trafen dort Klara Misel Ilieva, die Projektleiterin der Nicht-Regierungsorganisation C.S.I. NADEZ, die uns von ihrem Projekt und der Siedlung berichtete. Außerdem war Kristian Cierpka dabei, der seit kurzem beim Projekt mitarbeitet und auf diese Weise sein Freiwilliges Soziales Jahr im Rahmen des Projektes Schüler helfen Leben macht. Die Organisation beschäftigt 4-5 hauptamtliche Kräfte und zwei Personen in Teilzeit. Außerdem arbeiten immer wieder Freiwillige mit.

Bibliothek und Raum für Schülerbetreuung bei NADEZ. Bild: Michael Meissner

Der Fokus der Organisation liegt auf der Arbeit mit Kindern und dementsprechend erfahren wir über ihre Situation auch am meisten. In den Schulen zeigen sich viele der interethnischen Konflikte des Landes sehr deutlich und die Lage der Kinder kann als Ausblick auf das gesehen werden, was im kommenden Jahrzehnt Mazedoniens junge Gegenwart sein wird. Die Situation der Roma ist durch ihren Status als eine der ethnischen Minderheiten des Landes besonders schwierig. Es gibt verschiedene Probleme, die sich im Leben in Shuto zeigen – das größte ist Klara Misel Ilieva zufolge, dass der Analphabetismus weit verbreitet ist. Der Analphabetismus ist leider selbst unter den Schulkindern nicht ungewöhnlich, obwohl sie in der Schule natürlich eigentlich Lesen und Schreiben lernen müssten. Doch die Kinder stehen vor der Schwierigkeit, dass sie zuhause Roma sprechen und in der Schule dann auf Mazedonisch unterrichtet werden, sie also schon bei der absoluten Grundlegung von Bildung nicht in ihrer Muttersprache lernen. Da im mazedonischen Schulsystem niemand sitzenbleiben kann, werden einmal entstandene Lücken immer größer, ohne dass sich die Chance bietet, den nicht verstandenen Stoff nachzuholen. Die Schulen sind außerdem entweder nach Ethnien getrennt, oder der Unterricht findet in Schichten statt, so dass selbst eine Schule, die sich multiethnisch nennt, so gestaltet ist, dass sich die Kinder nicht interethnisch begegnen. Klara Misel Ilieva sagt dazu, dass auch die Vorstellungen der Eltern problematisch sind, da diese es lieber haben, wenn ihre Kinder in einer reinen Roma-Schule unterrichtet werden.

NADEZ verfolgt immer wieder Projekte, um die Kinder besonders in ihrer Schullaufbahn zu unterstützen. Aktuell werden beispielsweise die Schulmaterialien der Kinder bezahlt, die sie neben den Schulbüchern brauchen (die alle Kinder gestellt bekommen). Außerdem bekommen sie ein Frühstück bezahlt, weil sie ansonsten neben den übrigen Kindern sitzen und denen beim Essen zugucken würden. Es können maximal 60 Kinder unterstützt werden. Da aber nicht immer alle kommen, kann es auch sein, dass Kinder, die nicht in die Gruppe der ausgewählten 60 gehören, am Essen teilnehmen. Durch die geringen finanziellen Mittel, die der Organisation zur Verfügung stehen, ist eine derartige Einschränkung notwendig. Es ist allerdings nicht immer ganz einfach, den Leuten zu erklären, welche Kinder in das Projekt aufgenommen worden sind und welche nicht. In den Räumlichkeiten der Organisation wird die Möglichkeit gegeben, die Schularbeiten zu machen und ältere SchülerInnen geben den jüngeren Nachhilfe. Darüber hinaus fließen auch humanitäre Hilfsgelder in die Arbeit, mit denen die Kinder unterstützt werden – konkret kann das heißen, dass sie Schuhe und warme Kleider bekommen, denn im Winter ist es so kalt, dass die Kinder mit der Kleidung, die sie sonst hätten (oder besser: nicht hätten), den Weg zur Schule überhaupt nicht bewältigen könnten. Leider endet das aktuelle Projekt im kommenden Februar, da sich dann die Mittel erschöpft haben werden. Besonders ungünstig ist, dass das mitten im Schuljahr sein wird, so dass man sich natürlich bemüht, neue Geldgeber zu finden. Die Finanzierung der Arbeit in Shuto wird generell im Winter schwieriger, weil sich durch das Wetter die Kosten stark erhöhen – die Räume müssen beheizt werden und es gibt kein fließendes Wasser, weil der Wasserdruck nicht stark genug ist, um es auf den Berg zu pumpen, auf dem das Gelände von NADEZ liegt.

Die Ursprungsidee des Projektes war es, sich um die Kinder zu kümmern. Doch sehr bald wurde klar, dass man sich auch um die Eltern kümmern muss, wenn man möchte, dass sich für die Kinder etwas verändert. Man begann also damit, Vermittler einzusetzen, die den Eltern erst einmal das Schulsystem erklärten, damit diese überhaupt wissen, wie das Schulleben ihrer Kinder aussieht bzw. aussehen sollte. Außerdem wurde versucht, die Eltern in die Schulbeiräte zu bringen, doch selbst, wenn sie drin waren, sind sie im allgemeinen nicht zu den Treffen gegangen.

Für dieses Projekt wurden 377 Familien ausgewählt, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wie Klara Misel Ilieva sagte und bei ihnen die Eltern umfangreich informiert. Dafür hat man Leute kommen lassen, die ihnen alles auf Roma erklären. Klara Misel Ilievas Fazit ist, dass man froh sein kann, wenn sich bei zehn Familien etwas ändert. Doch sie meint auch, dass man bei den Eltern, die wirklich aufgepasst haben, auch Erfolge sieht. Kinder, die regelmäßig zur Schule gehen, schaffen dann manchmal auch die Oberstufe. Aber ein weiteres Problem ist, dass die Mädchen sehr früh verheiratet werden (in der Regel, sobald sie das erste Mal ihre Periode bekommen haben) und sobald sie verheiratet sind, gehen sie nicht mehr zur Schule. Es kommt auch vor, dass die Mädchen verkauft werden (als typische Verkaufssumme werden 3000 Euro genannt). In den Familien ist es häufig üblich, dass nur eine ganz basale Schulbildung wichtig ist, danach geht es darum, Sozialhilfe zu bekommen. Häufig müssen die Kinder auch Plastik sammeln, oder Eisen. Inzwischen ist das Betteln der Kinder verboten, was tatsächlich dazu führt, dass nicht mehr so viele von ihnen auf der Straße sind. Denn die Strafen sind hart und es kann passieren, dass die Kinder den Eltern weggenommen werden, wenn man sie beim Betteln erwischt. Diese Regelung bezieht sich allerdings auf Schulkinder und so kommt es immer noch vor, dass Babys regelrecht gemietet werden, um mit ihnen auf der Straße zu betteln.

Teilweise wurde es als Job verstanden, ins westeuropäische Ausland zu gehen, um dort Asyl zu beantragen. Ziel war dann nicht, wirklich dort zu leben, weil man sich darüber bewusst war, dass der Antrag auf Asyl abgelehnt wird. Aber da es so etwas wie Rückwanderungsprämien gab, also Geld gezahlt wurde, wenn die Familien freiwillig wieder in das Land zurückkehrten, aus dem sie gekommen waren, sahen einige Roma das immer wieder als gute Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Häufig wurde dann auch die Auswanderung in ein weiteres Land begonnen, so dass es einen Wechsel von Mazedonien in Länder wie beispielsweise Frankreich, Deutschland oder die Niederlande gab, nur, um von dort mit der Rückwanderungsprämie wieder zurückzukehren.

Die Siedlung von Shuto ist so groß, dass man sie für das tägliche Leben nicht verlassen muss – alle notwendigen Läden, Einrichtungen oder Dienstleistungen finden sich dort, so dass die Menschen im großen und ganzen dort und unter sich bleiben. Diese (Selbst-)Beschränkung führt dazu, dass auch die Mazedonier der übrigen Stadtbezirke überhaupt kein realistisches Bild von den Roma haben, das durch konkrete Begegnungen entstehen würde. Dementsprechend sind es stereotype Vorstellungen, die verbreitet sind, was Klara Misel Ilieva zufolge auch dazu führe, dass die Probleme in Shuto marginalisiert werden. Sie berichtete außerdem, dass es in Gegenden, in denen mehr Mazedonier der albanischen Minderheit leben (wie beispielsweise in Tetovo), für Roma einfacher ist. Gleichzeitig betonte sie aber auch, dass dort, wo insgesamt eine starke Durchmischung der Ethnien herrscht und Serben, Bosnier, Roma, Albaner und Mazedonier wohnen, das Zusammenleben sehr gut funktioniert. Die größten Probleme sind wohl soziale Probleme. Wir erfuhren, dass die Sozialhilfe nach drei Jahren jährlich um 20 Prozent gekürzt wird. Außerdem ist es sehr schwierig, sich durch die bürokratischen Anforderungen zu kämpfen, wenn man weder richtig lesen noch ordentlich schreiben kann. 11 Länder haben ein ‚Roma-Abkommen‘ unterzeichnet, demzufolge man sich besonders um die Unterbringung, Gesundheit, Bildung und die Verbesserung der Infrastruktur kümmern will. Klara Misel Ilieva erzählte, dass man in Mazedonien im Bereich der Bildung am besten abschneidet, doch in ihren Augen liegt das nur am Vergleich der Zahlen – zu den Besten werden sie also nur in Relation zu Ländern, in denen es noch schlechter aussieht, zufrieden könne man mit dieser Situation nicht sein – so Klara Misel Ilieva.

Für die medizinische Versorgung ist zwar grundsätzlich gesorgt, aber dennoch ist es nicht so, dass der Zugang für die Roma leicht wäre. Es gibt eine Poliklinik in Shuto und es gilt das Hausarztmodell, nach dem alle erst einmal zu ihrem Hausarzt müssen, damit dieser sie je nach Fall an Spezialisten weiter überweist. Für die Roma ist das schwierig, weil der Besuch beim Hausarzt zwar gratis ist, alle weiteren Untersuchungen aber Geld kosten. Im Übrigen sind dafür häufig Busfahrten nötig, die auch nicht alle bezahlen können. Für schwerwiegendere Erkrankungen kann man einmal im Jahr eine staatliche Unterstützung beantragen, doch diese ist nicht sehr hoch. Viele der Menschen sind nicht einmal gegen Krankheiten wie Tetanus oder Diphterie geimpft. Angesichts der Tatsache, dass es auch Familien gibt, die genaugenommen zwischen den Müllbergen leben, ist ihr Risiko, ernsthaft krank zu werden, besonders hoch.

Nach dem Gespräch machte Kristian eine Führung über das Gelände und eine kurze Tour durch die Nachbarschaft. Was sofort auffällt sind die Spielgeräte und die bunte Bemalung an den Häusern – das Ergebnis eines Projektes der Freien Waldorfschule Fildern, deren SchülerInnen im Sommer den Spielplatz angelegt und mit den Kindern alles neu gestaltet hatten. Wir besichtigten außerdem noch eine Art Baracke, in der die zu verteilende Kleidung gesammelt wird und bemalte Glasgefäße aufbewahrt werden. Diese sind Teil eines weiteren Projekts, mit dem versucht wird, den Romafrauen Möglichkeiten der Unabhängigkeit aufzuzeigen: Sie lernen, Glas zu bemalen oder Schmuck herzustellen und bekommen dafür auch das Material gestellt. Wenn sie die produzierten Stücke verkaufen, sollen sie sich von dem Geld neue Materialien kaufen. Wichtig ist dabei, den Umgang mit Geld zu üben, der an einer langfristigen Perspektive orientiert ist – es ist eben notwendig, das Geld in neues Material zu investieren, um wirklich dauerhaft Einnahmen haben zu können, immer wieder wird das einmal verdiente Geld aber anders ausgegeben, was dazu führt, dass ein Fortsetzen der Produktion nicht mehr möglich ist.

Zwei Jungen spielen mit einem Plastikband. Bild: Jana Hartmann

So wie während unseres Gesprächs im Nachbarraum Kinder an ihren Schulaufgaben gesessen hatten, sehen wir auch hier draußen Kinder, vor allem im Grundschulalter. Sie wirken alle sehr fröhlich und offen, sprechen uns immer wieder an, teilweise sogar mit deutschen Worten. Deutlich wird aber auch, dass sie offensichtlich in bescheidenen Verhältnissen leben. Die beiden Jungen, die zu Beginn unseres Rundgangs mit einem Plastikband spielten, sahen wir später Flaschen sammeln. Die Menschen, an deren Häusern wir vorbeigingen, reagierten freundlich und von dem Risiko, beispielsweise beraubt zu werden, war eigentlich nichts zu spüren. Da wir eindeutig als Gruppe von Ausländern zu identifizieren sind, erregen wir immer Aufmerksamkeit, stießen aber nicht auf Ablehnung. Als wir zum Bus zurückkehrten, winkten uns Mädchen immer wieder von ihren Spielgeräten aus zu. Der direkte Austausch mit den Kindern war also sehr gering, aber offensichtlich war, dass man sich wechselseitig freut, sich zu sehen.

 

 

 

 

Tetovo

(Christopher Forst)

Tetovo, Zentrum der albanischen Minderheit, gehört mit ungefähr 60000 Einwohnern zu den größten Städten des Landes. In der ca. 40 Minuten westlich von Skopje gelegenen Stadt haben die beiden albanischen Parteien DUI und DPA ihren Sitz. Auch der Bürgermeister ist wie ca. 70 % der Bevölkerung ethnischer Albaner. An der örtlichen Universität wird vor allem in albanisch gelehrt.

Innenausstattung der Moschee. Bild: Kristin Kretzschmar

Die Stadt ist muslimisch geprägt, wovon die Bunte Moschee im Zentrum der Stadt zeugt. Zu unserem Erstaunen war es uns bei unserem Besuch ohne vorherige Anmeldung kostenlos möglich, sie von innen zu besichtigen. Die prunkvolle Innenausstattung ist einen Besuch wert und Touristen sind herzlich willkommen. Die Wahrscheinlichkeit auf ehemalige Gastarbeiter in Deutschland zu treffen, scheint hier besonders hoch zu sein.

Der ehemalige Hammam, indem sich nun eine Kunstgalerie befindet, geht eine gelungene Symbiose mit der nahegelegenen Steinbrücke vor dem Panorama der stadtnahen Gebirgskette ein und bietet ein vorzügliches Fotomotiv. Zur Besichtigung der Arabati-Baba-Teke, eines berühmten Derwischklosters des Bektasi-Ordens bei Tetovo, blieb uns leider keine Zeit. Die auf einem Hügel gelegene osmanische Festung Bal Tepe kann man vom Hauptplatz der Stadt aus sehen. Der Platz selber lohnt sich allerdings allenfalls zur Einkehr in das am Platz gelegene Restaurant.

Ehemaliger Hammam mit Blick auf Gebirgskette. Bild: Kristin Kretzschmar

Mazedonier stehen Tetovo eher skeptisch gegenüber, wovon wir uns bei unseren Gesprächen in Skopje und Struga selbst überzeugen konnten. Von hier gingen die Konflikte im Jahr 2001 aus. Tetovo gilt nicht nur als Hochburg der albanischen Minderheit, sondern auch als Hochburg von Separatismusgedanken. Auch der Islam wird hier sichtbarer, als andernorts in Mazedonien. Nirgendwo sonst sahen wir so viele Kopftücher und traditionelle Gewänder. Die Offenheit mit der uns die Menschen beispielsweise in der Moschee begegneten, spricht jedoch dagegen, dass die Religion einem Miteinander der Ethnien im Weg stehen könnte. Während unserer Reise haben wir allerdings auch in vielen Gesprächen festgestellt, dass der mazedonisch-albanische Konflikt von keiner der beiden Seiten auf religiöse Unterschiede reduziert wird.

Flaggenvielfalt vor der Gemeindeverwaltung. Bild: Kristin Kretzschmar

Bemerkenswerter sind deshalb wohl die albanischen Fahnen, die an vielen Plätzen der Stadt wehen. Nach der Implementierung des Ohrid-Abkommens im Jahr 2001 ist der albanischen Minderheit das Recht zugestanden worden, diese Fahnen zu nutzen. Die Tatsache, dass hier Ethnie und Nation gleichgestellt werden, scheint in Mazedonien – und erst recht in Tetovo – Niemanden zu stören. Ein Besuch in Tetovo gehört in jedem Fall zum Pflichtprogramm, wenn man die Debatte über interethnische Probleme in Mazedonien verstehen lernen möchte.

Suto Orizari (Shutka) – eine Gemeinde am Rande der Stadt

(Michael Meissner)

Ein Viertel am Rande der Stadt, zum überwiegenden Teil bewohnt von Roma und doch kein Ghetto oder Slum. ShutoOrizari ist nicht einfach eine klassische Mahala, es ist die größte Roma-Siedlung weltweit. Dennoch sind auch hier die Konflikte und Probleme unübersehbar.

Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1963 fanden sich viele Roma in diesem Teil Skopjes wieder. Die obdachlos gewordenen erhielten Notunterkünfte bzw. an Eisenbahnwaggons erinnernde Baracken gestellt, die teilweise bis heute noch Bestand haben. Aus einer Notlösung entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine eigenständige Gemeinde, in der nicht nur ein Roma Bürgermeister ist. Vielmehr verwaltet sie sich weitestgehend selbst und ist, im Gegensatz zu vielen anderen Mahalas auf dem Balkan, an das öffentliche Personennahverkehrsnetz angeschlossen. Selbst ein Autobahnanschluss besteht seit einigen Jahren.

In der Volkszählung aus dem Jahr 2002 wurde für die Gemeinde ŠutoOrizari 22.017 Einwohner erfasst. Neuere Zahlen gehen von 30. – 45.000 Einwohnern aus. Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo in der Mitte. Über 60 Prozent der Bewohner sind Roma, 30,3 % Albaner und 6,5% Mazedonier.

 

Reichtum und Armut in unmittelbarer Nachbarschaft. Bild: Jana Hartmann

Shutka ist ein Ort der Extreme – einerseits erschütternde Armut, andererseits riesige Wohnhäuser, die in ihrer Dimension auch in Deutschland Aufsehen erregen würden. Dabei existiert keine Trennung zwischen arm und reich. Beide Arten von Unterkünften liegen oft in direkter Nachbarschaft. Das jeder Bewohner sofort nach Westeuropa ziehen würde, wenn er denn könnte, wie es die Presse gelegentlich kolportiert,[1] um die üblichen Ressentiments zu schüren, stimmt keineswegs.

Dennoch beziehen über die Hälfte der Bewohner Sozialhilfe, welche im Durchschnitt zwischen 50 und 75 Euro beträgt. Das ist auch für mazedonische Verhältnisse nicht ausreichend. 11 Prozent besitzen keinerlei regelmäßiges Einkommen. Die Gründe hierfür sind zumeist in der geringen Bildung oder in fehlenden Dokumenten zu sehen. Zudem ist für viele von Ihnen das Mazedonische eine Fremdsprache. Seit der Anerkennung als ethnische Minderheit,entsprechend der mazedonischen Verfassung von 1991, muss ihnen die Grundschulausbildung in ihrer Muttersprache ermöglicht werden. Darüber hinaus sind die Behörden verpflichtet Dokumente in ihrer Muttersprache auszustellen. Wie so oft bestehen aber zwischen Theorie und Realität Differenzen.

Obwohl es mittlerweile mehrere Schulen gibt, deren Bau zum Teil aus internationalen Spendengeldern finanziert wurde, reicht ihre Zahl bei weitem nicht aus. Vor allem an Lehreinrichtungen für die höheren Bildungsabschlüsse besteht weiterhin Bedarf. Für eine weitere Schule erfolgte 2009 die Grundsteinlegung. Sie ist mittlerweile fertig gestellt.

Für viele bleibt nur die Tätigkeit als Straßenhändler. Oft handelt es sich beim Sortiment um gefälschte Waren. Doch trotz des Umstandes, dass diese Waren fast überall in Skopjes angeboten werden, reagiert die mazedonische Polizei insbesondere in Shutka äußerst aggressiv.[2] Wer nicht als Straßenhändler tätig ist, dem bleibt zumeist nur das Durchwühlen von Müllhalden oder das Betteln, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Das Geld für den Bau der großen Wohnhäuser stammt oft aus dem Ausland. Viele hatten in den Wirren der frühen neunziger Jahre in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland, Schutz gesucht. Dabei wurden sie zumeist nur geduldet. Asyl erhielten die wenigsten. Aufgrund dessen entwickelte beispielsweise das Bundesland Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Caritas ein Integrationsprojekt für rückkehrwillige Roma, welches von 1991 bis 1997 bestand und mit 25 Millionen finanziert wurde. Obwohl alle Beteiligten intensiv in die Organisation und Absprachen eingebunden waren, vielfältige Anlaufstellen, wie der Vernetzungsverein NADEZ entstanden und 140 Arbeitsplätze für die Rückkehrwilligen geschaffen wurden, war der Erfolg eher ernüchternd. So bestanden 1997 nur noch 5 dieser Arbeitsplätze und eine Integration der Roma in mazedonische Betriebe scheint in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise aussichtslos. Hinzu kommt, dass die verschiedenen NGOs zunehmend mit gekürzten Budgets arbeiten müssen.[3]

Selten, tritt die Gemeinde einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. 1981 fand auf dem zentralen Marktplatz die Heirat zwischen Bobby Farrell von Boney M. und einem Roma-Model aus Shutka namens Jasmina statt. Ebenso wurde der Film Time oftheGypsies aus dem Jahr 1989 zu großen Teilen in Shutka gedreht. Die umstrittene Modefirma Benetton nutzte dagegen das Viertel, um in seinem Colors-Magazin vom Februar/März 2001 den Arme-Leute-Chic zu präsentieren.[4]

Im Rahmen der gewaltsamen französischen Abschiebungen von Roma fand die Gemeinde noch einmal Aufmerksamkeit. Anstatt Millionen von Euros in teils zweifelhafte Integrationsprojektein westeuropäischen Ländern zu versenken, wurde eine Verbesserung der Lage der Roma in ihren Heimatländern gefordert. Das Modell der Selbstverwaltung von Shutka könnte hierfür ein erster Ansatzpunkt sein.[5]

 



[1]     Vgl. Enver Robelli, SutoOrizare: Wer hier lebt, will nach Europa abhauen. Quelle: http://www.bernerzeitung.ch/ausland/europa/Die-Traeumer-von-der-Muellkippe/story/17064972 (Zugriff: 28.09.2012)

[2]     Tumulte nach Marktinspektion in Šutka. Quelle: http://www.roma-service.at/dromablog/?p=9083 (28.09.2012)

[3]     Vgl. Gertraud und Peter Pantucek. Mazedonien – arm und unbeachtet. Vgl. Quelle: http://www.pantucek.com/texte/FYROM.html (Zugriff: 28.09.2129[4]     Vgl. Garth Cartwright: Balkanblues und Blaskapellen. Höfen 2008, S. 158f.

[5]     Unterritoire pour les Roms? Quelle:http://www.valeursactuelles.com/parlons-vrai/parlons-vrai/un-territoire-pour-roms20120911.html (Zugriff: 28.09.2012)

Mazedonien – Attraktives Reiseziel trotz ungelöster Konflikte

(Christopher Forst)

Mazedoniens größtes Problem ist aus touristischer Sicht zugleich seine größte Stärke. Die Multiethnizität der Bevölkerung des kleinen Balkanstaates macht sich auch in vielen Stadtbildern bemerkbar und weckt die Neugierde seiner Besucher. Dieser Artikel soll unsere Impressionen von einigen touristischen Hauptattraktionen Mazedoniens, die wir auf unserer 5-tätigen Reise in das „Rheinland des Balkans“ besuchen dürften, wiedergeben und gleichzeitig die Multiethnizität als entscheidenden Faktor für den Charme und die Einzigartigkeit des Landes hervorheben.

Ein Besuch Mazedoniens ist sehr zu empfehlen. Die Menschen sind überall sehr offen und man kann einen guten Eindruck von den nebeneinander existierenden Kulturen gewinnen. Das südliche Balkanland bietet eine verhältnismäßig große Menge an sehenswerten Orten auf einem geographisch kleinen Gebiet. Grund dafür ist auch der Ethnienreichtum Mazedoniens. Es bleibt zu hoffen, dass sich die gewaltsamen Konflikte von 2001 nicht wiederholen werden und dass alle Ethnien die Schönheit der Natur sowie die Kulturschätze Mazedoniens als Basis für einen gemeinsamen Nationalstolz anzusehen lernen.

Die Hauptstadt Skopje ist die einzige Metropole Mazedoniens. Hier machen sich Einflüsse aller Ethnien des Landes bemerkbar. Auch in touristischer Hinsicht ist Skopje neben Ohrid als das Zentrum des Landes zu bezeichnen. Obwohl wir leider nur einen Abend Zeit zur Erkundung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten hatten, haben wir viele Eindrücke aus Skopje mitnehmen können.

Auf den ersten Blick macht Skopje einen eher unwirtlichen Eindruck. Ein Erdbeben hat am 26. Juli 1963 große Teile der Stadt zerstört, sodass es in den Vororten der Hauptstadt kaum alte Bausubstanz zu bestaunen gibt. Die Gegend nördlich des Flusses Vardar, der die Stadt in zwei Hälften teilt, bietet mit der Festung Kale und der Altstadt mit ihren schmalen Gassen, Souvenirläden und Restaurants einen angenehmen Kontrast zum Grau der Vorstädte. Sie ist nach dem Erdbeben am besten erhalten geblieben. Von der Festung aus hat man einen imposanten Blick über Skopje. Die nördliche Flussseite ist heute vor allem von ethnischen Albanern bewohnt. Auch viele der Restaurants haben ausschließlich ethnisch-albanisches Publikum. Türken und Roma sind ebenfalls bevorzugt auf dieser Seite der Stadt ansässig.

Das osmanische Erbe ist hier mancherorts noch spürbar, vor allem im Marktviertel Carsija. Oftmals sind die Moscheen und die alten Hammams Skopjes in Hinterhöfen versteckt, sodass man sich schon ein wenig Mühe geben muss, um sie alle zu entdecken. Eine Besichtigung sämtlicher muslimischer Einrichtungen ist – anders, als in vielen anderen Ländern – möglich. Es gibt jedoch oft keine festen Öffnungszeiten. Besonders die Moschee Mustafa Pascha ist als sehenswert hervorzuheben. Erst seit 2007 verbindet eine alte Brücke mitten im Zentrum die beiden Stadtteile wieder miteinander, zuvor gab es nur außerhalb der zentralen Plätze einige wenige Möglichkeiten, den Vardar zu überqueren.

Skopje 2014 - Prestigeprojekt in Zeiten der Krise. Bild: Marcel Röthig

Die andere Seite des Vardar ist seit einigen Jahren eine Großbaustelle, die Bauarbeiten an „Skopje 2014“ werden jedoch in Kürze abgeschlossen sein. Aus unserer Sicht ist nicht davon auszugehen, dass die Opposition im Falle eines Machtwechsels nach den Wahlen 2013 ihr Versprechen wahrmacht und den Bau an „Skopje 2014“ stoppt. Bei „Skopje 2014“ handelt es sich um ein Prestigeprojekt. Eine Vielzahl von Statuen und Baudenkmälern ist im Zentrum Skopjes entstanden. Man will an die große Vergangenheit Mazedoniens, insbesondere zur Zeit Alexanders des Großen, erinnern und die nationale Identität ansprechen. Zugleich möchte man die Stadt wohl touristisch interessanter machen, sind doch dem großen Erdbeben von 1963 viele Sehenswürdigkeiten zum Opfer gefallen. Die Kosten von etwa 500 Millionen Euro stoßen angesichts der großen Armut der Bevölkerung auf enorme Kritik. Sarkasmus hat sich bezüglich des ambitionierten Projekts in Mazedonien breit gemacht, wie wir bei vielen unserer Termine festgestellt haben. Auch viele ethnische Mazedonier zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Projekts. Allein 15 Gebäude im neoklassischen Stil sind Teil von „Skopje 2014“. Die Zahl der Statuen lässt sich nur schwer beziffern. Der Diskurs über „Skopje 2014“ ist jedenfalls in vollem Gange. Er wird die interethnischen Beziehungen im Land sicher nicht entschärfen. Bemerkenswert ist schließlich noch, dass das Geburtshaus von Mutter Theresa, obwohl nur wenige Meter vom Hauptplatz der Südstadt entfernt, der Stadtverwaltung leider nur eine unauffällige Gedenktafel wert ist.