von Alina Käfer
Seinen Sitz hat das European College of Liberal Arts in Belarus (ECLAB) direkt an der Kastryčnickaja-Straße, einem ehemaligen Fabrik-Areal, die nun mit instagramtauglicher Street-Art und hippen Bars und Cafés gesäumt ist. In direkter Nachbarschaft: der Campus der Belarussischen Staatsuniversität. Doch zwischen den beiden Bildungseinrichtungen liegen Welten. Das ECLAB steht unter dem Motto „Providing democratic education“. Die in diesem Motto anklingende Kritik an der aktuellen belarussischen Staatsform und deren Bildungspolitik wird viel konkreter durch Statements von Alexander Adamiants, dem Direktor von ECLAB. So bemängelt er in dem Vorwort der ECLAB-Broschüre, dass „the government tightly controls state and private universities […] [and] the internal leadership structures [are] deeply reminiscent of Soviet-style authoritarianism“. Das ECLAB wurde deswegen 2014 aus dem Bestreben heraus gegründet, eine alternative Lernumgebung zu bieten und den Studierenden kritisches und eigenständigen Denken, Diskussionsfähigkeit, Empathie und Respekt für eine demokratische und produktive Gesellschaft zu vermitteln.
Eine der Dozentinnen ist Olga Shparaga. Die promovierte Philosophin lehrte wie viele DozentInnen von ECLAB an der Belarussischen Staatsuniversität, bis sie dort wegen Protestaktionen entlassen wurde. Wir treffen sie an einer Straßenkreuzung der Kastryčnickaja-Straße, wo sie uns zunächst etwas über die Straße, die dort beheimatete Kulturszene und von Projekten und Galerien junger kritischer Künstler erzählt, mit denen ECLAB manchmal zusammenarbeitet. Später nimmt sie uns mit in die Räumlichkeiten von ECLAB. Insgesamt drei Räume teilen sich die DozentInnen für ihre Kurse. Diese finden jeweils abends statt, da die meisten Studierenden von ECLAB tagsüber einem Beruf nachgehen oder an einer anderen, meist staatlichen Universität studieren.
Die Gründungsmitglieder, darunter auch Olga, waren davor bereits beim European Café aktiv, einer Vorlesungs- und Diskussionsveranstaltung über Themen wie Internationale Beziehungen, Massenmedien, Erinnerungskultur, kritische Kunst, Gender und viele andere in der belarussischen Öffentlichkeit weniger beachteten Themen mit ausländischen Experten zu diskutieren. Als immer mehr interessierte Bürger kamen (bis zu 250 Personen pro Veranstaltung), war klar, dass das Projekt in anderer Form aufgezogen werden muss. Die Themen des European Café spiegeln sich in der „Studiengängen“, genannten Concentrations, von ECLAB wieder: Public History, Contemporary Society Ethics and Politics, Gender Studies, Contemporary Art and Drama Studies, sowie Mass Culture and Mass Media. 2018 kam zudem das Arts, Sciences and Technologies-Programm hinzu, dass sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigt. Umgerechnet ca. 360€ kostet ein Jahr Studium am ECLAB, was ca. 10% einem durchschnittlichen belarussischen Jahreseinkommen entspricht. Das können sich nicht alle leisten. Viele kämen aus einem alternativ-kritisch geprägten Milieu, so was präge auch das Bedürfnis nach Wissen, findet Olga. Die Studierenden erhalten keinen offiziellen Abschluss, vergleichbar zu einem Bachelor oder Master, aber bekommen Credits, die sie zum Beispiel an der Partneruniversität in Vilnus anrechnen lassen können.
Ca. 300 Studierende haben schon am ECLAB studiert, fast alle davon sind zwischen 20-30 Jahre alt und haben bereits einen Abschluss einer belarissischen Universität. Sie haben einfach gemerkt, so Olga, dass Ihnen beim staatlichen Studium etwas gefehlt hat, und wollen das fehlende Wissen über Gesellschaft, Kunst und Kultur am ECLAB nachholen. Vier Fünftel der Studierenden sind weiblich. Warum? Olga Shparaga glaubt, dass das eine Art Auflehnung gegenüber dem Rollenbild der sowjetischen Zeit ist, in der Frauen am Herd standen und auf die Kinder aufpassen mussten. Zudem seien Geisteswissenschaften eher von niedrigerer Priorität gewesen, durch das Programm von ECLAB ist sozusagen eine doppelte Auflehnung möglich. Wir wollen von Olga Shparaga auch wissen, ob das ECLAB aufgrund seiner alternativen Bildung oder der Kritik von Alexander Adamiants Probleme mit dem Staat hat – wie manche der umliegenden Galerien, von denen sie uns zu Beginn des Treffens erzählt hat. Nein, sagt Olga fast ein wenig stolz, da gebe es keine Probleme. Manche der DozentInnen seien sogar gleichzeitig an einer staatlichen Universität beschäftigt. Zudem bietet das ECLAB kein Politologie-Studium an, was Olga ebenfalls als einen der Gründe vermutet, weswegen das ECLAB bisher unbehelligt seiner Tätigkeit nachgehen konnte. Außerdem herrsche derzeit in der belarussischen Politik eine Phase der Liberalisierung, die nach den Präsidentschaftswahlen 2010 begonnen hat.
Bilder: Marcel Schmeer & Alina Käfer, 2018