„Memorial“ ist die bekannteste russische Menschenrechtsorganisation, zu deren Arbeitsschwerpunkten auch die kritische Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und die Fürsorge für Überlebende des sowjetischen Arbeitslagersystems Gulag gehören.
Am 26.11. wird die Geschäftsführerin von Memorial, Frau Elena Zhemkova, nach Berlin kommen. Frau Zhemkova wird über die „Erinnerung der Repression – Repression der Erinnerung“ in ihrem Land berichten. „Sie geht der Frage nach, wie das tragische 20. Jahrhundert, das „Jahrhundert der Wölfe“, in der UdSSR und im heutigen Russland erinnert wird: Welche politische Rolle spielen die Geschichtsbilder, die vom Gulag, vom „Großen Vaterländische Krieg“ und vom Holocaust überliefert werden? Welche Ereignisse werden überhaupt erinnert und welche aus dem öffentlichen Bewusstsein der Russen verdrängt? Frau Zhemkova ermöglicht damit auch einen Einblick in die aktuellen Diskussionen um die Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts in Russland.“
Die Veranstaltung findet am 26. November statt. Der Vortrag beginnt um 18 Uhr im Veranstaltungssaal der Bundesstiftung Aufarbeitung, Kronenstraße 5 in 10117 Berlin. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Das unweit von Prilep in südlicher Richtung gelegene Krusevo war einst eine Republik. Der Ilinden-Aufstand gegen die Osmanen im Jahr 1903 wurde jedoch schnell niedergeschlagen und die Stadt verlor ihre Sonderstellung schon nach zehn Tagen wieder. Am 2. August feiert ganz Mazedonien den Ilinden-Tag, der eigentlich der Tag des heiligen Ilja ist, aber seit 1903 eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.
Das Makedonium in Krusevo. Bild: Kristin Kretzschmar
Ein Museum und ein Denkmal erinnern heute an die „Republik Krusevo“ und die Opfer des Ilinden-Aufstands. Die Architektur des Denkmals ist jedoch sehr zweifelhaft. Das „Makedonium“ soll auch eine positive Zukunft betonen. Eine positive Zukunft ganz Jugoslawiens, wurde es doch unter Tito erbaut. Es erinnerte uns stark an das Brüsseler Atomium, ist jedoch deutlich kleiner und weniger spektakulär.
Der Ausblick von unserem Hotelbalkon auf die höchste Kleinstadt Mazedoniens gehört hingegen mit zu den schönsten Impressionen, die wir in Mazedonien erleben dürften. Auf keinen Fall sollte man verpassen, einen Sonnenaufgang in Krusevo zu erleben! Für die besonders schöne Bauweise in Krusevo gibt es sogar einen eigenen Begriff. „Krusevo-Villen“ säumen das Stadtbild. Ihre roten Dächer üben eine eigenartige Faszination aus. Titos Zerstörungswut hat nicht verhindern können, dass die Stadt bis heute einen besonderen Charme bewahrt hat.
Bilck auf Krusevo. Bild: Christopher Forst
Auch Tose Proeski hat die Stadt ins Blickfeld rücken lassen, wenn auch auf tragische Weise. Der aus Krusevo stammende balkanweit beliebte Sänger starb 2007 im Alter von nur 26 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Seine Geschichte ist in Krusevo allgegenwärtig. Sein Grab sowie ein Museum zu seinen Ehren befinden sich am Fuße des Makedoniums.
Generell ist in der Kleinstadt in den letzten Jahren viel geschehen, um auch für den Tourismus interessant zu sein. Das Nachtleben ist erstaunlich lebendig und die frische Bergluft macht Krusevo zum echten Geheimtipp für Individualurlauber. Krusevo verfügt über vier sehenswerte orthodoxe Kirchen. Unter den rund 5000 Einwohnern sind die Wlachen die größte Minderheit. Krusevo gilt als Zentrum der Wlachen in Mazedonien. Sie gelten als besonders gut integriert in die mazedonisch-orthodoxe Gesellschaft.
Von September 2011 bis März 2012 arbeitete ich als Praktikantin bei dem tschechischen Think Tank Glopolis. Das Praktikum wurde nicht vergütet, sondern durch die Auslandsförderung der Friedrich Ebert Stiftung unterstützt.
Das Akronym Glopolis steht für Global Policy Institute. Dieser Think Tank wurde 2004 durch den Politologen Peter Lebeda in Prag gegründet. Die Idee für den Think Tank entstand im Rahmen der Arbeit an einem Projekt für das Forum 2000 welches unter der Schirmherrschaft Vaclav Havels stand. In diesem Projekt wurden Entwicklungsfragen thematisiert. Die Projektteilnehmer stellten fest, dass eine Sensibilisierung der tschechischen Gesellschaft im Rahmen des Projekts nicht möglich war und das noch viel mehr Arbeit notwendig wurde. Aus dieser Überlegung heraus entstand dann Glopolis.
Schwerpunkte der Arbeit von Glopolis liegen auf Globalisierung und Entwicklung, sowie die Mitgestaltung einer neuen Entwicklungsagenda. Diese soll die Bereiche Wirtschaft und Finanzen, Ernährungssicherheit und Landwirtschaft sowie intelligente Energie und Klimawandel beinhalten. Entsprechend dieser Schwerpunkte teilt sich die Arbeit in Glopolis in drei Referate: „Klima und Energie“, „Ernährungssicherheit“, und „Wirtschaft und Finanzen“.
Glopolis´ Arbeit orientiert sich an der praktischen Anwendung der Prinzipien Politikkohärenz für Entwicklung sowie dem Menschenrechtsansatz in der Entwicklungspolitik. Methoden hierbei sind das Verfassen von Analysen und Studien, Austausch mit Interessenvertretern, Medien und Institutionen, sowie die Förderung eines öffentlichen Diskurses zu den betreffenden Themen, beispielsweise durch Podiumsdiskussionen oder Seminare.
Während meiner Zeit bei Glopolis war ich hauptsächlich im Referat „Klima und Energie“ und teilweise auch im Referat „Ernährungssicherheit“ beschäftigt.
Der Hauptfokus meines sechsmonatigen Praktikums lag auf dem Verfassen einer Fallstudie im Rahmen eines Projektes zur Politikkohärenz in Entwicklungsfragen zur Rolle des Schutzes geistigen Eigentums im Bezug auf den Transfer klimafreundlicher Technologien in Entwicklungs- und Schwellenländer. Daneben habe ich kleinere Artikel zu den Themen „Urbanes Gärtnern“, „Klimakompensation“ und „Energie in Ostafrikanischen Ländern“ verfasst sowie Recherecheaufträge für andere Analysten unter Anderem zu den Themen Fair Trade Zertifizierung, kritische Rohstoffe und Landesinformationen durchgeführt.
Besonders im Rahmen von Seminaren und Podiumsdiskussionen wurde ich auch mit organisatorischen Aufgaben betraut, beispielsweise der Annahme von Anmeldungen und Antwort auf Fragen und Betreuung von Gastdozenten. Ein weiterer Bereich meiner Aufgaben war die Transkription von Interviewmaterial, die und die Auswertung von Evaluationsbögen.
Im Team Glopolis‘ war ich die einzige Person mit sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Es überwogen Wirtschaftswissenschaftler und Agrarwissenschaftler. Einerseits hieß das für mich, dass ich mich in viele Themenschwerpunkte erst einarbeiten musste. Hierbei hatte ich allerdings den Vorteil, dass Glopolis, zu vielen Themen bereits Studien verfasst hat und ich somit auf diese zurückgreifen konnte um mich zu informieren.
Als Sozialwissenschaftlerin hatte ich die Möglichkeit einen anderen Blick auf Dinge zu geben. In vielen Rechercheaufträgen konnte ich mich auf die Statistische Seite konzentrieren. So habe ich beispielsweise die grafische Darstellung von Handels- und Produktionsstatistiken sowie der Darstellung von Armutsfaktoren in Entwicklungsländern übernommen. Der starke Einbezug von Statistiken auch für Artikel auf der Hompage von Glopolis stellt meines Erachtens im Vergleich zu älteren Artikeln eine Neuheit im Rahmen der Organisation dar. Kurz vor Beendigung meiner Tätigkeit wurde ich auch von Mitarbeitern gebeten, Einblicke in die Erstellung von Statistiken zu geben, damit diese weiterhin eingebunden werden können.
Während des Studiums der Sozialwissenschaften sind Recherche und wissenschaftliches Arbeiten eine Grundkompetenz. Aufgrund dieser Fähigkeiten wurde ich ausgewählt, um die oben erwähnte Studie zu verfassen. Doch auch während des Praktikums konnte ich meine Fähigkeiten in diesem Bereich verbessern. Während des Studiums habe ich hauptsächlich auf Bibliotheken und online Datenbanken zurückgegriffen. Da in diesem Kontext aber vor allem auch druckfrische Erkenntnisse von Bedeutung waren, habe ich auch begonnen mich mit anderen Publikationen zu beschäftigen: Gesetzestexten, Stellungsnahmen von Konferenzen, oder auch Gutachten die für Regierungen und die EU erstellt wurden. Des Weiteren wurde deutlich, wie wertvoll ein thematisches Netzwerk in diesem Bereich ist, da ich bedeutende Quellen über Mailinglisten oder Nachfragen bei Experten auf dem Gebiet erhalten habe. Hinzukommend unterscheidet sich diese Form des Schreibens in ihrer Zielstellung. Während man an der Universität schreibt, um seinen Wissensstand unter Beweis zu stellen, wurde diese Studie geschrieben um andere zu informieren und gleichzeitig zur Willensbildung beizutragen. Die Zielgruppe reicht vom Politiker bis hin zur interessierten Öffentlichkeit. Dementsprechend muss man eine klare Sprache finden, die verständlich ist, aber nicht ungenau.
Durch die Rechercheaufträge, die ich Für andere Analysten übernommen habe, haben sich auch meine Kompetenzen im Bereich der Teamarbeit verbessert. Es war stets wichtig genau zu wissen wonach man suchen muss. Hierfür muss man die richtigen Fragen Stellen. Welches Ziel verfolgt der Analyst, sind Statistiken oder Theorien von Nöten usw. Des Weiteren ist es auch notwendig abzusprechen, inwieweit die recherchierten Informationen aufgearbeitet werden sollen. Im letzten Schritt ist für die gemeinsame Arbeit ein Weg zu finden, diese auszutauschen, beziehungsweise Versionskonflikte zu vermeiden.
Neben der Arbeit bei Glopolis selbst wurde mir auch die Möglichkeit gegeben an Seminaren und Schulungen teilzunehmen. Einerseits betraf dies Seminare, die von Glopolis veranstaltet wurden, beispielsweise zu Ernährungssicherheit, Biokraftstoffe und Finanztransaktionssteuer. Andererseits hatte ich auch stets die Option an Seminaren und Veranstaltungen anderer Stiftungen und Organisationen teilzunehmen. So konnte ich im November nach Würzburg reisen, um an einem Seminar zu Globalisierung teilzunehmen. Neben den inhaltlichen Seminaren betraf dies auch Schlüsselkompetenzen: im Bezug auf Öffentlichkeitsarbeit, habe ich an einem Training zum Umgang mit den Medien teilgenommen und des Weiteren an einem Rhetorik und Präsentationsseminar.
Das von Skopje aus in südlicher Richtung gelegene Prilep ist die Hauptstadt des Marmors und des Tabaks. Das ist bereits bei der Anfahrt von Skopje aus erkennbar, bei der man die Abbaugebiete dieser beiden Produkte passiert. Den Tabak kann man hier mancherorts auch riechen.
Ruine der Moschee in Prilep. Bild: Kristin Kretzschmar
Etwa 5000 Roma und nur einige hundert Albaner leben in der ca. 70000 Einwohnerstadt. Das Stadtbild ist geprägt vom osmanischen Erbe. Überragt wird die Stadt von der auf einem der umliegenden Berge gelegenen Festung des legendären Königs Marko, der einst die Türken bekämpfte. Hier steht auch ein von überall sichtbares Kreuz. In Prilep leben überwiegend orthodoxe Christen.
Einige sehenswerte Kirchen finden sich im Stadtteil Varos. Die Ruinen der Moschee dienen als Mahnmal. Nach Markos Niederlage 1394 übernahmen für 500 Jahre die Osmanen die Herrschaft über die Stadt, doch die im 15. Jahrhundert errichtete große Moschee wurde 2001 im Zuge der interethnischen Konflikte zwischen christlich-orthodoxen Mazedoniern und muslimischen Albanern niedergebrannt. Sie macht leider einen etwas verwahrlosten Eindruck. In den Ruinen hausen Katzen, die sich aus den umstehenden Müllcontainern ernähren. Lediglich der noch intakte Uhrenturm verschönert den Platz.
Prilep Sirden mit Brot. Bild: Christopher Forst
Einige kleine Einkaufsstraßen versprühen südeuropäischen Charme. Der Basar hingegen macht einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Überquert man ihn, wartet an seinem Ende jedoch ein sehenswerter Blick auf die umliegende Berglandschaft. Die Klöster im Nordosten Prileps konnten wir leider bei unserem Kurzaufenthalt nicht besichtigen. Als besonders sehenswert gilt das Kloster Treskavec. Lohnenswert ist auch ein Besuch des Grabes des Sohnes von Friedrich Ebert. Er fiel im 1. Weltkrieg in Prilep. Der Friedhof, auf dem sich auch bulgarische, mazedonische und deutsche Soldaten befinden, die im 2. Weltkrieg gefallen sind, befindet sich im Stadtzentrum. 1941 begann in Prilep der landesweite Aufstand gegen die Faschisten.
Vorsicht vor „Prilep Sirden“! Lammeingeweide gefüllt mit Kalb, Hammel und Schwein verträgt nicht jeder europäische Magen. Auch wir mussten diese unangenehme Erfahrung machen.
Shuto ist die größte Roma-Siedlung der Welt und wir trafen dort Klara Misel Ilieva, die Projektleiterin der Nicht-Regierungsorganisation C.S.I. NADEZ, die uns von ihrem Projekt und der Siedlung berichtete. Außerdem war Kristian Cierpka dabei, der seit kurzem beim Projekt mitarbeitet und auf diese Weise sein Freiwilliges Soziales Jahr im Rahmen des Projektes Schüler helfen Leben macht. Die Organisation beschäftigt 4-5 hauptamtliche Kräfte und zwei Personen in Teilzeit. Außerdem arbeiten immer wieder Freiwillige mit.
Bibliothek und Raum für Schülerbetreuung bei NADEZ. Bild: Michael Meissner
Der Fokus der Organisation liegt auf der Arbeit mit Kindern und dementsprechend erfahren wir über ihre Situation auch am meisten. In den Schulen zeigen sich viele der interethnischen Konflikte des Landes sehr deutlich und die Lage der Kinder kann als Ausblick auf das gesehen werden, was im kommenden Jahrzehnt Mazedoniens junge Gegenwart sein wird. Die Situation der Roma ist durch ihren Status als eine der ethnischen Minderheiten des Landes besonders schwierig. Es gibt verschiedene Probleme, die sich im Leben in Shuto zeigen – das größte ist Klara Misel Ilieva zufolge, dass der Analphabetismus weit verbreitet ist. Der Analphabetismus ist leider selbst unter den Schulkindern nicht ungewöhnlich, obwohl sie in der Schule natürlich eigentlich Lesen und Schreiben lernen müssten. Doch die Kinder stehen vor der Schwierigkeit, dass sie zuhause Roma sprechen und in der Schule dann auf Mazedonisch unterrichtet werden, sie also schon bei der absoluten Grundlegung von Bildung nicht in ihrer Muttersprache lernen. Da im mazedonischen Schulsystem niemand sitzenbleiben kann, werden einmal entstandene Lücken immer größer, ohne dass sich die Chance bietet, den nicht verstandenen Stoff nachzuholen. Die Schulen sind außerdem entweder nach Ethnien getrennt, oder der Unterricht findet in Schichten statt, so dass selbst eine Schule, die sich multiethnisch nennt, so gestaltet ist, dass sich die Kinder nicht interethnisch begegnen. Klara Misel Ilieva sagt dazu, dass auch die Vorstellungen der Eltern problematisch sind, da diese es lieber haben, wenn ihre Kinder in einer reinen Roma-Schule unterrichtet werden.
NADEZ verfolgt immer wieder Projekte, um die Kinder besonders in ihrer Schullaufbahn zu unterstützen. Aktuell werden beispielsweise die Schulmaterialien der Kinder bezahlt, die sie neben den Schulbüchern brauchen (die alle Kinder gestellt bekommen). Außerdem bekommen sie ein Frühstück bezahlt, weil sie ansonsten neben den übrigen Kindern sitzen und denen beim Essen zugucken würden. Es können maximal 60 Kinder unterstützt werden. Da aber nicht immer alle kommen, kann es auch sein, dass Kinder, die nicht in die Gruppe der ausgewählten 60 gehören, am Essen teilnehmen. Durch die geringen finanziellen Mittel, die der Organisation zur Verfügung stehen, ist eine derartige Einschränkung notwendig. Es ist allerdings nicht immer ganz einfach, den Leuten zu erklären, welche Kinder in das Projekt aufgenommen worden sind und welche nicht. In den Räumlichkeiten der Organisation wird die Möglichkeit gegeben, die Schularbeiten zu machen und ältere SchülerInnen geben den jüngeren Nachhilfe. Darüber hinaus fließen auch humanitäre Hilfsgelder in die Arbeit, mit denen die Kinder unterstützt werden – konkret kann das heißen, dass sie Schuhe und warme Kleider bekommen, denn im Winter ist es so kalt, dass die Kinder mit der Kleidung, die sie sonst hätten (oder besser: nicht hätten), den Weg zur Schule überhaupt nicht bewältigen könnten. Leider endet das aktuelle Projekt im kommenden Februar, da sich dann die Mittel erschöpft haben werden. Besonders ungünstig ist, dass das mitten im Schuljahr sein wird, so dass man sich natürlich bemüht, neue Geldgeber zu finden. Die Finanzierung der Arbeit in Shuto wird generell im Winter schwieriger, weil sich durch das Wetter die Kosten stark erhöhen – die Räume müssen beheizt werden und es gibt kein fließendes Wasser, weil der Wasserdruck nicht stark genug ist, um es auf den Berg zu pumpen, auf dem das Gelände von NADEZ liegt.
Die Ursprungsidee des Projektes war es, sich um die Kinder zu kümmern. Doch sehr bald wurde klar, dass man sich auch um die Eltern kümmern muss, wenn man möchte, dass sich für die Kinder etwas verändert. Man begann also damit, Vermittler einzusetzen, die den Eltern erst einmal das Schulsystem erklärten, damit diese überhaupt wissen, wie das Schulleben ihrer Kinder aussieht bzw. aussehen sollte. Außerdem wurde versucht, die Eltern in die Schulbeiräte zu bringen, doch selbst, wenn sie drin waren, sind sie im allgemeinen nicht zu den Treffen gegangen.
Für dieses Projekt wurden 377 Familien ausgewählt, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wie Klara Misel Ilieva sagte und bei ihnen die Eltern umfangreich informiert. Dafür hat man Leute kommen lassen, die ihnen alles auf Roma erklären. Klara Misel Ilievas Fazit ist, dass man froh sein kann, wenn sich bei zehn Familien etwas ändert. Doch sie meint auch, dass man bei den Eltern, die wirklich aufgepasst haben, auch Erfolge sieht. Kinder, die regelmäßig zur Schule gehen, schaffen dann manchmal auch die Oberstufe. Aber ein weiteres Problem ist, dass die Mädchen sehr früh verheiratet werden (in der Regel, sobald sie das erste Mal ihre Periode bekommen haben) und sobald sie verheiratet sind, gehen sie nicht mehr zur Schule. Es kommt auch vor, dass die Mädchen verkauft werden (als typische Verkaufssumme werden 3000 Euro genannt). In den Familien ist es häufig üblich, dass nur eine ganz basale Schulbildung wichtig ist, danach geht es darum, Sozialhilfe zu bekommen. Häufig müssen die Kinder auch Plastik sammeln, oder Eisen. Inzwischen ist das Betteln der Kinder verboten, was tatsächlich dazu führt, dass nicht mehr so viele von ihnen auf der Straße sind. Denn die Strafen sind hart und es kann passieren, dass die Kinder den Eltern weggenommen werden, wenn man sie beim Betteln erwischt. Diese Regelung bezieht sich allerdings auf Schulkinder und so kommt es immer noch vor, dass Babys regelrecht gemietet werden, um mit ihnen auf der Straße zu betteln.
Teilweise wurde es als Job verstanden, ins westeuropäische Ausland zu gehen, um dort Asyl zu beantragen. Ziel war dann nicht, wirklich dort zu leben, weil man sich darüber bewusst war, dass der Antrag auf Asyl abgelehnt wird. Aber da es so etwas wie Rückwanderungsprämien gab, also Geld gezahlt wurde, wenn die Familien freiwillig wieder in das Land zurückkehrten, aus dem sie gekommen waren, sahen einige Roma das immer wieder als gute Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Häufig wurde dann auch die Auswanderung in ein weiteres Land begonnen, so dass es einen Wechsel von Mazedonien in Länder wie beispielsweise Frankreich, Deutschland oder die Niederlande gab, nur, um von dort mit der Rückwanderungsprämie wieder zurückzukehren.
Die Siedlung von Shuto ist so groß, dass man sie für das tägliche Leben nicht verlassen muss – alle notwendigen Läden, Einrichtungen oder Dienstleistungen finden sich dort, so dass die Menschen im großen und ganzen dort und unter sich bleiben. Diese (Selbst-)Beschränkung führt dazu, dass auch die Mazedonier der übrigen Stadtbezirke überhaupt kein realistisches Bild von den Roma haben, das durch konkrete Begegnungen entstehen würde. Dementsprechend sind es stereotype Vorstellungen, die verbreitet sind, was Klara Misel Ilieva zufolge auch dazu führe, dass die Probleme in Shuto marginalisiert werden. Sie berichtete außerdem, dass es in Gegenden, in denen mehr Mazedonier der albanischen Minderheit leben (wie beispielsweise in Tetovo), für Roma einfacher ist. Gleichzeitig betonte sie aber auch, dass dort, wo insgesamt eine starke Durchmischung der Ethnien herrscht und Serben, Bosnier, Roma, Albaner und Mazedonier wohnen, das Zusammenleben sehr gut funktioniert. Die größten Probleme sind wohl soziale Probleme. Wir erfuhren, dass die Sozialhilfe nach drei Jahren jährlich um 20 Prozent gekürzt wird. Außerdem ist es sehr schwierig, sich durch die bürokratischen Anforderungen zu kämpfen, wenn man weder richtig lesen noch ordentlich schreiben kann. 11 Länder haben ein ‚Roma-Abkommen‘ unterzeichnet, demzufolge man sich besonders um die Unterbringung, Gesundheit, Bildung und die Verbesserung der Infrastruktur kümmern will. Klara Misel Ilieva erzählte, dass man in Mazedonien im Bereich der Bildung am besten abschneidet, doch in ihren Augen liegt das nur am Vergleich der Zahlen – zu den Besten werden sie also nur in Relation zu Ländern, in denen es noch schlechter aussieht, zufrieden könne man mit dieser Situation nicht sein – so Klara Misel Ilieva.
Für die medizinische Versorgung ist zwar grundsätzlich gesorgt, aber dennoch ist es nicht so, dass der Zugang für die Roma leicht wäre. Es gibt eine Poliklinik in Shuto und es gilt das Hausarztmodell, nach dem alle erst einmal zu ihrem Hausarzt müssen, damit dieser sie je nach Fall an Spezialisten weiter überweist. Für die Roma ist das schwierig, weil der Besuch beim Hausarzt zwar gratis ist, alle weiteren Untersuchungen aber Geld kosten. Im Übrigen sind dafür häufig Busfahrten nötig, die auch nicht alle bezahlen können. Für schwerwiegendere Erkrankungen kann man einmal im Jahr eine staatliche Unterstützung beantragen, doch diese ist nicht sehr hoch. Viele der Menschen sind nicht einmal gegen Krankheiten wie Tetanus oder Diphterie geimpft. Angesichts der Tatsache, dass es auch Familien gibt, die genaugenommen zwischen den Müllbergen leben, ist ihr Risiko, ernsthaft krank zu werden, besonders hoch.
Nach dem Gespräch machte Kristian eine Führung über das Gelände und eine kurze Tour durch die Nachbarschaft. Was sofort auffällt sind die Spielgeräte und die bunte Bemalung an den Häusern – das Ergebnis eines Projektes der Freien Waldorfschule Fildern, deren SchülerInnen im Sommer den Spielplatz angelegt und mit den Kindern alles neu gestaltet hatten. Wir besichtigten außerdem noch eine Art Baracke, in der die zu verteilende Kleidung gesammelt wird und bemalte Glasgefäße aufbewahrt werden. Diese sind Teil eines weiteren Projekts, mit dem versucht wird, den Romafrauen Möglichkeiten der Unabhängigkeit aufzuzeigen: Sie lernen, Glas zu bemalen oder Schmuck herzustellen und bekommen dafür auch das Material gestellt. Wenn sie die produzierten Stücke verkaufen, sollen sie sich von dem Geld neue Materialien kaufen. Wichtig ist dabei, den Umgang mit Geld zu üben, der an einer langfristigen Perspektive orientiert ist – es ist eben notwendig, das Geld in neues Material zu investieren, um wirklich dauerhaft Einnahmen haben zu können, immer wieder wird das einmal verdiente Geld aber anders ausgegeben, was dazu führt, dass ein Fortsetzen der Produktion nicht mehr möglich ist.
Zwei Jungen spielen mit einem Plastikband. Bild: Jana Hartmann
So wie während unseres Gesprächs im Nachbarraum Kinder an ihren Schulaufgaben gesessen hatten, sehen wir auch hier draußen Kinder, vor allem im Grundschulalter. Sie wirken alle sehr fröhlich und offen, sprechen uns immer wieder an, teilweise sogar mit deutschen Worten. Deutlich wird aber auch, dass sie offensichtlich in bescheidenen Verhältnissen leben. Die beiden Jungen, die zu Beginn unseres Rundgangs mit einem Plastikband spielten, sahen wir später Flaschen sammeln. Die Menschen, an deren Häusern wir vorbeigingen, reagierten freundlich und von dem Risiko, beispielsweise beraubt zu werden, war eigentlich nichts zu spüren. Da wir eindeutig als Gruppe von Ausländern zu identifizieren sind, erregen wir immer Aufmerksamkeit, stießen aber nicht auf Ablehnung. Als wir zum Bus zurückkehrten, winkten uns Mädchen immer wieder von ihren Spielgeräten aus zu. Der direkte Austausch mit den Kindern war also sehr gering, aber offensichtlich war, dass man sich wechselseitig freut, sich zu sehen.